Inschriftenkatalog: Aachen (Dom)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 31: Aachen (Dom) (1992)

Nr. 19 Dom, Chor 1002–1014

Beschreibung

Ambo, Stiftung Heinrichs II. Eichenholzkern, mit vergoldetem Kupferblech verkleidet. Der kleeblattförmige Grundriß unterteilt den Ambo in einen halbkreisförmigen Mittelteil und zwei jeweils etwa viertelkreisförmige Seitenteile. An deren oberem und unterem Rand ist als Abschlußfries die Inschrift (A) in Braunfirnis ausgeführt. Der nur fragmentarisch erhaltene und durch Restaurierungen entstellte Text wurde in den dreißiger Jahren mit Hilfe der schriftlichen Überlieferung ergänzt.1) Der Mittelteil ist in drei mal drei fast quadratische Kassetten untergliedert, von denen fünf mit Prunkgefäßen aus Halbedelsteinen besetzt sind und eine Crux gemmata bilden. Eine Achatschale im oberen sowie eine Ober- und eine Untertasse aus Bergkristall im rechten bzw. linken Feld sind im Original und in ihrer ursprünglichen Montierung erhalten. In der Mitte befindet sich eine römische, unten eine neuzeitliche Glasschale. Um die Gefäße herum sind Schachfiguren aus Achat und Chalcedon angeordnet. Die Felder in den Kreuzzwickeln sind mit Evangelistenreliefs gefüllt, von denen allerdings nur die Darstellung des Evangelisten Matthäus erhalten ist. Die übrigen Reliefs wurden nach Gipsmodellen aus den 70er Jahren des 19. Jh. nachgefertigt. Das erhaltene Relief aus vergoldetem Silber zeigt Matthäus im Halbprofil auf einer Bank sitzend und schreibend. In das vor ihm liegende Buch ist der Text (G) eingraviert.2) Matthäus ist umrahmt von reich gegliederter Architektur, die das himmlische Jerusalem symbolisiert. Alle vier Reliefs sind von Inschriftenleisten umgeben, deren ursprüngliche Lage – und somit auch die originale Anordnung der Evangelistenbilder – durch die Nagelung rekonstruiert werden konnte. Die eingravierten Inschriften laufen jeweils im Uhrzeigersinn um, beginnend bei (B) und (D) an der oberen, bei (C) an der linken und bei (E) an der rechten Seite. Die untere Leiste des Markusreliefs trägt auf der Rückseite die bisher nicht aufgelöste Inschrift (F) an der Stelle, wo die Vorderseite das Wort resurgendi zeigt. Nach Angaben Buchkremers hat eine weitere Inschriftenleiste auf der Rückseite die auf der Vorderseite befindlichen Worte in falscher Verteilung.3) Die Seitenteile des Ambos sind in jeweils drei längsrechteckige Felder mit ägyptischen Elfenbeinreliefs des 6. Jh. unterteilt. Die Reliefs zeigen links einen berittenen, von zwei Genien gekrönten Herrscher, Nereiden und Tritonen, Bacchus; rechts einen stehenden, von Victorien gekrönten Herrscher, Isis von Pharos mit Schiff und Füllhorn sowie Bacchus mit einer Löwin. Der ursprüngliche Standort des Ambos ist im karolingischen Bauteil zu suchen.4) Nach Fertigstellung der gotischen Chorhalle wurde er an deren Südseite in die Nähe des Durchgangs zum Sechzehneck verlegt. 1782 erhielt der Ambo einen neuen Treppenaufgang, 1816 ein neues Buchpult. Die zahlreichen Restaurierungen haben z. T. auch die Inschriften betroffen. Bei einem Wiederherstellungsversuch 1815–1817 wurden erhebliche Eingriffe in die Widmungsinschrift vorgenommen, deren abgeriebener Braunfirnis teilweise übermalt wurde.5) Einige Leistenstücke wurden neu hinzugefügt.6) Die Streifen der Evangelistenumschriften wurden ungeordnet angebracht, z. T. sogar beschnitten. Die letzte umfangreiche Restaurierung des Ambos (1926–1937) unter Buchkremer hat den ursprünglichen Zustand soweit wie möglich wiederhergestellt.

Maße: H. 146, Relief 22, B. 115, Relief 21, Bu. 2,7 (A), 1,4 (B – G) cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/8]

  1. A

    [HOC]a) OPVS AMBONIS AVROb) [GEMMISQVE MICANTISREX PI]VS HEINRICVSc) CELAE[STISd) HONORIS ANHELVS /DAPSILIS EX PROPRIO TIBI DAT SANCTISSIMA VIRGOQVO PRE]CE SVMMA TVA SIBI [MERCES FIAT VSIA]

  2. B

    + MATHEE PROGENIEM (CHRISTI)e) / NVMERANDO PRIOREM /AD IOSEPH EX ABRAHA(M) LEGERIS / BENE TENDERE NORMAM

  3. C

    + MARCE LEO FORTIS FORTE(M) / RESONARE VIDERIS /CERTA RESVRGENDI PER / QVE(M) SPES VENERAT ORBI

  4. D

    + MVGIT ADESSE SACRVM / LVCAS LIBAMINIS AESVM /QVOD CONFIXA CRVCI / FRIXIT RESOLVCIO MVNDI

  5. E

    + MENS TYPICI SOLIS / [RADIO]f) PERFVSA JOHANNIS /LVCE PRIVS GENITVM DE / VIRGINE NVNCIAT ORTVM

  6. F

    Eine sichere Auflösung der Inschrift ist nicht möglich.

  7. G

    LIBER / GENER/ATION/IS IESV / CHRISTI / FILII DAVID / FILII / ABRAHAM7)

Übersetzung:

Dies Werk des von Gold und Edelsteinen strahlenden Ambos gibt der fromme König Heinrich, nach himmlischer Ehre strebend, dir, heiligste Jungfrau, aus seinem Besitz, damit ihm durch deine Bitte der Höchste Gnade gewähre.

Matthäus, du wirst, indem du die Abstammung Christi von Abraham bis Josef aufführst, die Folge wohl erfassen.

Markus, starker Löwe, du wirst den Starken vernehmen, durch den die sichere Hoffnung der Auferstehung dem Erdkreis kam.

Es verkündet Lukas die Gegenwart der heiligen Opferspeise, die die dem Kreuz angeheftete Erlösung der Welt bewahrt.

Erfüllt von dem Strahlen sinnbildlicher Sonne verkündet der Geist des Johannes, daß der, der früher war als das Licht, geboren ward von der Jungfrau.

Buch der Abkunft Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.

Versmaß: Leoninische Hexameter (A bis E).

Kommentar

Die sehr qualitätvolle Kapitalis zeigt eine leichte Tendenz zur Streckung der Buchstaben, die sich besonders bei den kürzeren Querstrichen von E, F und L bemerkbar macht. Die Querbalken von A und H sind über die linke Haste hinaus verlängert. Die Cauda des R reicht nicht bis auf die Zeile, das G ist eingerollt.

Eine sichere Auflösung der Inschrift (F) ist nicht möglich. Es handelt sich aber wohl, wie bereits Buchkremer vermutet, um eine Künstlerinschrift.8) Sie dürfte nicht nur aus dem gekürzten Künstlernamen, sondern aus mehreren Wörtern bestehen, beginnend vielleicht mit einer Fürbittformel (pro...).9) Doberer vermutet in den Kürzungen eher einen Schutzspruch nach Art der Inschriften von Phylakterien.10) Tatsächlich sind solche Schutzsprüche auch in stark gekürzter Form bekannt, dann allerdings meist in griechischer Sprache und in Kreuzform angeordnet.11) Eine in Hexametern verfaßte Weiheinschrift befand sich auch auf dem ebenfalls Anfang des 11. Jh. entstandenen Ambo der Abteikirche St. Vannes in Verdun.12)

Textkritischer Apparat

  1. Alle nicht original erhaltenen Teile sind in eckige Klammern gesetzt.
  2. ANRO Kraus. Das entspricht dem Bestand eines von fünf Inschriftenstreifen, die Teile der Widmungsinschrift tragen und sich heute im Depot der Schatzkammer befinden. Dabei handelt es sich vermutlich um Kopien des 19. Jh., vielleicht um die 1815 vom Restaurator neu hinzugefügten Leisten (vgl. StA Buchkremer, Hs. 1005, S. 116/117). Da Kraus auch andere Varianten dieser Leisten bietet, befanden sie sich offenbar zum Zeitpunkt seiner Edition am Ambo.
  3. HENRICVS Kraus, KDM. Vgl. Anm. b).
  4. CELESTIS Kraus, KDM, Grimme. Vgl. Anm. b).
  5. XPI.
  6. RADIIS KDM, Doberer.

Anmerkungen

  1. Buchkremer, Ambo, S. 100. Der Text ist überliefert in MGH Poetae V, S. 357.
  2. Die Inschriften auf den anderen Evangelistenreliefs finden hier keine Berücksichtigung, da es sich um Nachbildungen handelt, deren Authentizität in keiner Weise sichergestellt ist.
  3. Buchkremer, a. a. O., S. 101. Diese Seite war offenbar zunächst als Vorderseite gedacht, bevor die Leiste dann umgedreht und die korrigierte Fassung des Textes angebracht wurde. Auch auf der Rückseite mehrerer anderer Streifen befinden sich Vorzeichnungen für die Vorderseite.
  4. Vgl. dazu Buchkremer, a. a. O., S. 113ff., und die umfangreiche Untersuchung Erika Doberers, der die neuere Literatur im allgemeinen folgt.
  5. Buchkremer, a. a. O., S. 100.
  6. StA Buchkremer, Hs. 1005, S. 116/117.
  7. Mt. 1,1.
  8. Ambo, S. 101.
  9. Zu Künstlersignaturen, die mit einer Bittformel verbunden sind, vgl. P. C. Claussen, Künstlerinschriften, OE I, S. 263–276 (265f.).
  10. Studien, S. 315 Anm. 18.
  11. Leclercq, „Phylactère“, DACL 14,1, Sp. 808ff.
  12. Chronicon Hugonis lib. II c. 8, MGH SS VIII, S. 374: „In ora autem et summitate operis versibus exametris auro digestis patris Richardi devotio summa notatur“. Dazu und zu weiteren Parallelen Doberer, a. a. O., S. 320ff.

Nachweise

  1. MGH Poetae V, S. 357.
  2. StA Meyer, Hs. 259, f. 15v.
  3. Quix, Münsterkirche, S. 3 Anm. 8.
  4. Bock, Pfalzkapelle I, S. 76, 82 u. Abb. S. 73.
  5. Kraus II 484.
  6. KDM 10,1, S. 116.
  7. Buchkremer, Ambo, S. 100, 102f. Abb. 105f.
  8. E. Doberer, Studien zu dem Ambo Kaiser Heinrichs II. zu Aachen, Karoling. u. otton. Kunst. Werden, Wesen, Wirkung (Forschungen zur Kunstgeschichte u. christl. Archäologie unter dem Patronat von Georg von Opel, Bd. 3), Wiesbaden 1957, S. 308–359 (317, 349).
  9. Grimme, Domschatz, Nr. 27.

Zitierhinweis:
DI 31, Aachen (Dom), Nr. 19 (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di031d001k0001906.