Inschriftenkatalog: Aachen (Dom)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 31: Aachen (Dom) (1992)

Nr. 13(†) Dom, Vorhalle 10. Jh.?

Beschreibung

Bronzener Pinienzapfen. Der Zapfen besteht aus 129 hohlen, durchbohrten Schuppen. Er ruht auf einem Sockel mit quadratischer Grundplatte, auf deren Ecken vier fragmentarische Personifikationen der Paradiesflüsse hocken. In die Seitenflächen des Sockels, die nach oben und unten von Profilleisten begrenzt werden, sind die Inschriften eingraviert. Lediglich zwei sich gegenüberliegende Seiten mit den Inschriften (A) und (B) sind erhalten, die anderen beiden wurden ausgebrochen. Die Inschrift einer dritten Seite überliefert à Beeck (D)1), während die vierte für ihn durch die Aufstellung des Zapfens vor einer Mauer unzugänglich war. Heute sind auf ihr nur noch die Endbuchstaben der beiden Zeilen zu erkennen (C).2) Bereits zu à Beecks Zeiten waren „litterae partem vetustate arrosae partim coeli iniuriis exesae.“

Maße: H. Zapfen 75, Sockel 16, B. Zapfen 68, Sockel 58, Bu. 2,3 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Domkapitel Aachen [1/2]

  1. A

    + DANT ORBI LATICESa) / QVAEQ(VE)b) INC[RE]M[E]NTAc)GERENTESd)

  2. B

    + FERTILIS EVFRATESe) VE/LOX VT MISSILEf) TYGRIS +

  3. C

    [..........]S / [..........]N

  4. D

    AVCTORI GRATES CANIT VDALRICH PIVS ABBAS +

Übersetzung:

Gewässer schenken dem Erdkreis, was immer sie ihm zum Wachstum bringen; der fruchtbare Euphrat, schnell wie ein Pfeil der Tigris. Dank singt dem Schöpfer Udalrich, der fromme Abt.

Versmaß: Leoninische Hexameter.

Kommentar

Käntzeler hat den Versuch unternommen, den dritten Vers nach Victorin und Cyprian zu ergänzen: Phison auriferis, Gehon sed mitior undis. 3) Die heute wieder sichtbaren Buchstaben am Zeilenende belegen jedoch, daß der Text anders gelautet haben muß.

Während die Datierung des Zapfens umstritten ist4), wird der Sockel weitgehend einhellig5) als ottonisch eingestuft. Auch der Schriftbefund weist am ehesten ins 10. Jh.: Die Schrift ist, mit Ausnahme eines unzialen E, rein kapital bestimmt und verzichtet weitgehend auf Kürzungen, die Buchstaben sind noch nicht gestreckt.6) Der erste Buchstabe des Namens Udalrich soll die Form einer Acht, des griechischen Zeichens für den Diphthong ou, gehabt haben. Die Nennung eines Abtes Udalrich ist für die zeitliche Einordnung der Inschrift wenig hilfreich, zumal unbekannt ist, ob es sich um einen Aachener oder einen auswärtigen Abt gehandelt hat. Ersteres würde die Datierung stützen, da nur bis etwa in die Mitte des 10. Jh. ein Abt, danach aber ein Propst dem Kapitel vorstand.7) Ein Abt Udalrich ist für das Marienstift allerdings nicht nachweisbar.

Der Pinienzapfen soll nach Angaben von Quix ursprünglich als Wasserspeier eines im Atrium aufgestellten Brunnens gedient haben.8) Spätestens Ende des 15. Jh. befand er sich jedoch bereits auf einer Säule neben der Kirchentür.9) Ende des 18. Jh. wurde er von den Franzosen nach Paris gebracht, nach seiner Rückkehr 1815 wieder vor der Kirche aufgestellt. 1914 wurde der Zapfen in die Vorhalle verbracht und erhielt seine heutige Aufstellung.

Textkritischer Apparat

  1. LARICES à Beeck, Meyer.
  2. Kürzung durch Apostroph.
  3. I(NNVV)VA à Beeck, Meyer.
  4. GE(I)TES à Beeck, Meyer.
  5. EVPHRATES à Beeck, Meyer; EYFRATES Cüppers.
  6. MYSSILE Quix, Meyer.

Anmerkungen

  1. Sie soll noch Mitte des 19. Jh. vorhanden gewesen sein (Käntzeler, Pinienapfel, S. 102).
  2. 1859 befand sich an dieser Seite ein Eisenstreifen mit zahlreichen Schrauben- und Nagellöchern. Käntzeler, a. a. O., S. 103, vgl. Bock, Bericht.
  3. Käntzeler, EdG 1864, Nr. 86. Käntzelers Vorschlag wird von Grimme und Cüppers als gesicherte Ergänzung mißverstanden.
  4. Käntzeler, Kaemmerer und Braunfels halten ihn für römisch-antik, Grimme für römisch oder karolingisch. Für eine Datierung in die Ottonenzeit sprechen sich u. a. Bock, Faymonville (KDM) und Cüppers aus.
  5. Eine Ausnahme bildet die Datierung in die Karolingerzeit durch W. Braunfels (Die Welt der Karolinger und ihre Kunst, München 1968, S. 379 Nr. 140).
  6. Dieser Schrifttyp fand allerdings noch bis ins 11. Jh. hinein Verwendung. Vgl. z. B. die Kapitelle von St. Michael in Hildesheim (W. Berges, Die älteren Hildesheimer Inschriften bis zum Tode Bischof Hezilos († 1079). Aus dem Nachlaß herausgegeben und mit Nachträgen versehen von Hans Jürgen Rieckenberg (Abh. d. Akad. d. Wiss. in Göttingen, Phil.-Hist. Kl., 3. F., Nr. 131), Göttingen 1983, Nr. 7 u. Taf. 10).
  7. 966 gestand Otto I. dem Kapitel die freie Propstwahl zu (MGH DO I 316). Allerdings wurden die Begriffe ‚Abt‘ und ‚Propst‘ auch in der Folgezeit in den Quellen nicht immer konsequent voneinander geschieden (Meuthen, Pröpste, S. 7).
  8. Quix, Münsterkirche, S. 23f.; Käntzeler, Pinienapfel, S. 107f.
  9. Das belegt ein Bericht über die Krönung Maximilians I. in Aachen im Jahre 1486 (Kaemmerer, Quellentexte, S. 164).

Nachweise

  1. à Beeck, p. 47.
  2. StA Meyer, Hs. 258, fol. 15r.
  3. Quix, Münsterkirche, S. 24.
  4. DomA, C. P. Bock, Bericht.
  5. P. St. Käntzeler, Der Pinienapfel neben dem Haupteingange der Aachener Münsterkirche und seine Inschriften, BJbb. 27, 1859, S. 101–114 (103).
  6. Ders., EdG 1864, Nr. 86.
  7. Bock, Pfalzkapelle I, S. 7.
  8. KDM 10,1, S. 135.
  9. Faymonville, Dom, S. 119.
  10. H. Cüppers, Der Pinienzapfen im Münster zu Aachen, AKB 19/20, 1960/61, S. 90–93 (93 Anm. 3).
  11. Kaemmerer, Quellentexte, S. 12.
  12. Grimme, Domschatz, Nr. 2.

Zitierhinweis:
DI 31, Aachen (Dom), Nr. 13(†) (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di031d001k0001307.