Inschriftenkatalog: Aachen (Dom)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 31: Aachen (Dom) (1992)

Nr. 51 Dom, Schatzkammer Ende 14. Jh.

Beschreibung

Altarretabel (sog. Falkensteinaltar). Temperamalerei auf Eichenholz, Mitteltafel auf Mahagoni übertragen. Auf der Mitteltafel Standfiguren der Heiligen Erasmus, Matthias, Maria Aegyptiaca und Benedikt, die sich um die sitzende Maria mit dem Kinde versammelt haben. Zwei schwebende Engel halten eine Krone über Marias Haupt. Über der Szene sind zwei an Stangen befestigte Brokatvorhänge aufgezogen und seitlich gerafft, die jeweils in einem tropfenförmigen Medaillon ein y zeigen. Auf den Innenseiten der Flügel empfiehlt links Petrus, rechts Paulus, unter Baldachinen stehend, jeweils einen knienden Stifter in Orantenhaltung. Von ihren Händen gehen Spruchbänder mit Inschriften (N, O) aus. Zu Füssen der Stifter zwei Wappenschilde mit weitgehend unkenntlichen Wappen.1) Auf den Außenseiten der Flügel stehen unter krabbenbesetzten Spitzbögen rechts Karl d. Gr. mit einem Kirchenmodell2), links Johannes der Täufer mit dem Lamm Gottes auf einem Buch, von dem ein Spruchband mit Text (P) herunterhängt. Über ihren Köpfen ein quadrierter Wappenschild mit den Wappen der Familie Falkenstein und der Erzdiözese Trier. Der Altar wurde durchgreifend übermalt, so daß auch die Authentizität der gemalten Buch- und Spruchbandinschriften in Frage gestellt werden muß. Die Inschriften in den Nimben (A – K) sind gepunzt und von der Übermalung nicht beeinträchtigt worden. 1962 wurden an dem Retabel konservatorische Sicherungsmaßnahmen durchgeführt.3)

Maße: H. 140, B. 84, (Mitteltafel), 37 (Flügel), Bu. 1,8 (A, G, H, I, K), 1,3 (B), 1,5 (C, D, E, F), 2,3 (L), 0,6 (M), 0,8 (N, O), 0,5 (P) cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

im Nimbus der Maria:

  1. A

    [t]ota p[u]lchra es a(m)ica mea et mac[u]la non4)

im Nimbus des Kindes:

  1. B

    ego sum via veritasa)5)

in den Nimben der Heiligen:

  1. C

    s(anctus) erasmus

  2. D

    sanctus mathias apostulusb)

  3. E

    sanctusb) maria egipcia[ca]6)

  4. F

    sa(n)ctus benedictus

  5. G

    sanctus petrus apu[stolus]b)6)

  6. H

    sanctus paulus apostalusb)

  7. I

    s(anctus) Johannes Baptisteb)

  8. K

    s(anctus) Karolus rex

auf den Vorhängen der Mitteltafel:

  1. L

    y7)

im Buch des Hl. Benedikt:

  1. M

    [.........] diliget deus [..........]8)

auf dem Spruchband des Stifters (linker Flügel innen):

  1. N

    Oret voce pia

auf dem Spruchband des Stifters (rechter Flügel innen):

  1. O

    pro nobis virgo maria

auf dem Spruchband des Agnus Dei:

  1. P

    ecce agnus dei9)

Übersetzung:

Ganz schön bist du, meine Freundin, und kein Makel [ist an dir]. Ich bin der Weg, die Wahrheit.
Es möge mit frommer Stimme beten für uns die Jungfrau Maria.

     
Wappen:
Erzbistum Trier/Falkenstein
Kuno von Falkenstein
unbekannt

Versmaß: Ein leoninischer Hexameter (N, O).

Kommentar

Das Zitat aus dem Alten Testament im Nimbus der Gottesmutter nimmt typologisch Bezug auf die Vorstellung von Maria als Braut Jesu.10) Für eine Bezeichnung Karls als rex statt als imperator gibt es eine Reihe von Belegen in Beischriften zu Darstellungen des Kaisers.11)

Beide Stifter sind durch eine Tonsur als Geistliche ausgewiesen. Die Wappen auf den Flügelaußenseiten weisen darauf hin, daß das Retabel zur Regierungszeit eines der beiden Trierer Erzbischöfe aus der Familie Falkenstein angefertigt wurde und wohl mindestens einer von ihnen zu den Stiftern zählte. Das wird durch die erkennbaren Reste des linken Stifterwappens bestätigt. Drei der vier Felder des quadrierten Wappens tragen die Wappen Falkenstein (Schildhaupt), Saarwerden (einköpfiger Adler)12) und Leiningen (drei einköpfige Adler)13). Es scheint sich somit um das Wappen des Trierer Erzbischofs Kuno von Falkenstein (1362–1388) zu handeln, dessen Mutter eine Tochter Graf Johanns von Saarwerden und der Ferriaca von Leiningen war.14) Die Entstehung des Retabels wird damit in seine Amtszeit zu datieren sein. Das andere Stifterwappen ist völlig unkenntlich. Ob es sich bei der zweiten Stifterfigur, wie mehrfach angenommen, um Kunos Großneffen und Nachfolger Werner von Falkenstein (Trierer Erzbischof von 1388 bis 1418) handelt, kann daher nicht mit Sicherheit festgestellt werden.15)

Meister und Herkunft des Altars sind umstritten. Geisberg sieht in dem Retabel ein Werk Konrads von Soest.16) Münzenberger/Beissel weisen es hingegen, ebenso wie Faymonville17), einem Meister aus der Schule des Hermann Winrich von Wesel zu18), während Stange19) und Grimme20) einen anonymen Aachener Meister als Maler vermuten. Eng mit dieser Frage verbunden ist die der ursprünglichen Bestimmung des Altarretabels. Unter Hinweis auf die im Mittelbild dargestellten Heiligen, die in Aachen keine besondere Verehrung erfuhren, hält Buchkremer eine ursprüngliche Anfertigung für den Aachener Dom für unwahrscheinlich und nimmt vielmehr an, daß das Retabel im Zuge der Säkularisierung aus einer der Kölner Kirchen nach Aachen gelangte.21) Das Trierer Wappen auf den Flügelaußenseiten spricht jedoch gegen eine Anfertigung für eine Kölner Kirche, die noch unwahrscheinlicher wird, wenn man zwei Trierer Erzbischöfe als Stifter annimmt. Zudem läßt die Darstellung Karls d. Gr. erwarten, daß dieser in der bedachten Kirche verehrt wurde. Der Karlskult läßt sich jedoch für Köln nicht nachweisen.22) So wird man den Bestimmungsort des Retabels eher an einem anderen Ort, vermutlich in Trier, suchen müssen.23)

Wann das Retabel nach Aachen kam, ist unbekannt. Jedenfalls befand es sich 1833 im Besitz des Aachener Domes.24) Eine Zeichnung von 1877/1878 zeigt es als Aufsatz des Nikasiusaltars hinter dem Königsstuhl im oberen Umgang.25) Danach erhielt es einen neuen Platz auf dem nördlichen Seitenaltar des Chores, stand ab 1932 in der Michaelskapelle und wird heute in der Schatzkammer gezeigt.

Textkritischer Apparat

  1. ego sum lux veritas et vita Buchkremer, Grimme.
  2. Sic!

Anmerkungen

  1. Die Wappen wurden abgekratzt und übermalt (Buchkremer, S. 51). Nach Angabe Buchkremers entsprechen die heute sichtbaren den ursprünglichen Wappen (a. a. O., S. 56).
  2. Das Modell entspricht nicht der Architektur des Aachener Domes. Es ist fraglich, ob der Künstler dessen Abbildung beabsichtigt hat, ohne ihn selbst zu kennen, oder ob eine andere Kirche dargestellt werden soll.
  3. E. Willemsen/W. Glaise, Katalog der restaurierten Werke. Aachen, Dom, in: Jb. der Rhein. Denkmalpflege 27, 1967, S. 263f.
  4. Ct. 4,7.
  5. Io. 14,6.
  6. Heiligenschein durch Kopf abgeschnitten.
  7. Auf dem rechten Vorhang spiegelverkehrt.
  8. Vermutlich c. V der Regula s. Benedicti (Migne, PL 66, Sp. 350) mit dem Bibelzitat hilarem enim datorem diligit Deus (II. Cor. 9,7).
  9. Io. 1,29.
  10. Rhein und Maas I, S. 417.
  11. Kötzsche, Darstellungen, S. 170ff., 179, 200f.
  12. Im allgemeinen führt die Familie Saarwerden einen doppelköpfigen Adler im Wappen, doch ist auch ein einköpfiger Adler als ihr Wappenbild belegt (Siebmacher, II 13).
  13. Siebmacher I 16.
  14. W. Möller, Stammtafeln westdeutscher Adels-Geschlechter im Mittelalter, Darmstadt 1922, Tf. XVII.
  15. Buchkremer, Beiträge II, S. 57; Grimme, Domschatz. Hingegen gibt es keinen Hinweis darauf, daß in den beiden Stiftern Werner von Falkenstein und der Kölner Erzbischof Friedrich von Saarwerden zu sehen sein könnten (so vermutet bei Geisberg, S. 358; Große Kunst, Nr. 120, S. 60; Rhein und Maas I, S. 417; A. Stange, Ein Kapitel gotischer Malerei in Aachen, AKB 34, 1967, S. 165).
  16. Geisberg, a. a. O., S. 357f. Eine Datierung des Retabels ins ausgehende 14. Jh. schließt allerdings Konrad von Soest als Meister aus.
  17. KDM 10, 1, S. 127.
  18. Altäre II, S. 211.
  19. Stange, a. a. O.
  20. Domschatz.
  21. Beiträge II, S. 49.
  22. Folz, Culte, S. 14f.
  23. In der Trierer Domkirche wurden sowohl der Hl. Erasmus als auch Matthias und Maria Ägyptiaca verehrt (N. Irsch, Der Dom zu Trier (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Bd. 13, I), Düsseldorf 1931, S. 257f.). Da der Hl. Benedikt mit seinem Regelbuch dargestellt ist, könnte das Retabel auch aus einer Benediktinerkirche stammen.
  24. Aus diesem Jahr liegen Belege für eine Restaurierung des Retabels vor. Buchkremer, a. a. O., S. 48.
  25. Buchkremer, a. a. O., S. 44f.

Nachweise

  1. M. Geisberg, Meister Konrad von Soest (Westfäl. Kunsthefte II), Dortmund 1934, S. 357 (N, O).
  2. Buchkremer, Beiträge II, S. 52–56 (A, B, K, N, O, P).
  3. Grimme, Domschatz, Nr. 93 (A, B, N, O) u. Abb. 104 a-c.
  4. Rhein und Maas I, S. 417 u. Abb. 416f.

Zitierhinweis:
DI 31, Aachen (Dom), Nr. 51 (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di031d001k0005107.