Inschriftenkatalog: Aachen (Dom)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 31: Aachen (Dom) (1992)

Nr. 43 Dom, Schatzkammer nach 1370?

Beschreibung

Zwei Wappenschilde als Chormantelschließe. Größtenteils vergoldetes Silber mit Email. Im Zentrum das von durchbrochen gearbeiteter Architektur umgebene Wappen König Ludwigs von Ungarn. Seine vierpässige Fassung ruht auf zwei Drachen und wird von Greifen seitlich gehalten. Die Segmente des Vierpasses bestehen aus emaillierten Wülsten, die an den Seiten durch jeweils zwei halbmondförmige Motive unterbrochen werden. Dasselbe Ornament schmückt die Ecken zwischen den Paßsegmenten. Den oberen Abschluß bildet ein reichhaltiger architektonischer Aufbau mit den gegossenen Figürchen der ungarischen Nationalheiligen Stephan, Ladislaus und Emerich unter Baldachinen. Zwischen ihnen als Helmzierden ein Straußenkopf mit Hufeisen im Schnabel sowie ein bärtiger, gehörnter Mann mit Krone. Die Inschrift läuft im Uhrzeigersinn auf dem Vierpaß um, beginnend in der Mitte oben.

Maße: H. 22, B. 16, Bu. 0,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/2]

  1. Ich begera) maria lereb) / gotesc) lere woldd) ich mer

Versmaß: Deutscher Reimvers.

Wappen:
König Ludwig von Ungarn (in gespaltenem Schild rechts das Wappen von Ungarn, links das der sizilianischen Dynastie der Anjous)

Kommentar

Die Bögen von e und r laufen in feinen Haarstrichen aus, die fast bis zur Linie heruntergezogen sind. Bock, Hampel und nach ihnen andere lassen die Inschrift eines der Schilde mit dem zweiten Teil beginnen. Tatsächlich zeigt die Abbildung bei Hampel den Vierpaß auf dem Kopf stehend, also in der Mitte oben mit gotes lere beginnend. Der heutige Zustand geht demnach möglicherweise auf eine Veränderung im 20. Jh. zurück, die allerdings der originalen Anordnung entsprechen könnte.

Die Wappenschilde befanden sich nicht unter den Ausstattungsstücken der Ungarischen Kapelle, die Ludwig von Ungarn dieser anläßlich ihrer Fertigstellung stiftete.1) Sie gehörten aber wohl zu den „duae cappae chorales cum decenti decoratu“, die 1381 erstmals im Besitz der Ungarischen Kapelle genannt werden.2)

Der Straußenvogel mit Hufeisen im Schnabel ist die übliche Helmzier der ungarischen Könige. Der bärtige Mann mit Hörnern und Krone ist dem Wappenbild des Herzogtums Dobrzyn im 14. Jh. entnommen.3) Hampel bringt die Verwendung des Dobrzyner Wappens mit Ludwigs Mutter Elisabeth, Schwester des polnischen Königs Kasimir, in Verbindung.4) Eine besondere Beziehung Elisabeths zu Dobrzyn bestand jedoch nicht. Das Herzogtum gehörte vielmehr zu den polnischen Gebieten, die König Kasimir aus der Nachfolge seines Neffen Ludwig ausnahm und statt dessen zum Erbe seines Enkels und Adoptivsohnes Kaźko von Pommern-Stolp erklärte.5) Nach Kasimirs Tod (1370) erklärte Ludwig diese testamentarische Bestimmung für ungültig, gab Kaźko aber das entsprechende Gebiet als Lehen.6) Die Verwendung des Dobrzyner Wappenbildes kann daher als Dokumentation der Ansprüche verstanden werden, die Ludwig auf dieses Gebiet erhob, und spräche dann für eine Entstehung der Wappenschilde kurz nach dem Tode Kasimirs.7)

Hampel nimmt aufgrund stilistischer Vergleiche, der herausgehobenen Plazierung des siebenbürgischen Landespatrons Ladislaus in der Mitte und insbesondere wegen der Verwendung der deutschen Sprache in der Inschrift Siebenbürgen als Entstehungsgebiet der Wappenschilde an.8) Dort waren Martin und Georg von Klausenburg als herausragende Künstler tätig, die ab 1370 durch die Ausführung großer Aufträge in Erscheinung traten9), also auch für die Anfertigung der Wappenschilde in Frage kommen.

Textkritischer Apparat

  1. begere bei der zweiten Schließe. begehr Schnitzler.
  2. Bock schlägt eine Korrektur zu ere vor, die aber willkürlich ist, zumal beide Inschriften lere bieten.
  3. gottes Parler.
  4. wolde Hampel, Bock.

Anmerkungen

  1. Vgl. Fejér, Cod. dipl. IX 4, S. 91.
  2. Ebd. S. 525. Ein Inventar der Ungarischen Kapelle von 1748 bestätigt, daß die Wappenschilde (ebenso wie zwei weitere, kleinere Schilde) ursprünglich als Schließen der von Ludwig gestifteten Chormäntel verwendet wurden. Es enthält eine genaue Beschreibung der „duo ... cappis choralibus olim ante pectus presbijteri officiantis appensa clinodia“. StA, RA II 932, fol. 50r.
  3. M. Gumowski, Handbuch der polnischen Heraldik, Graz 1969, S. 37 u. Tf. XXV.
  4. A. a. O., S. 61. Danach KDM, Grimme u. a.
  5. Kłoczowski, Louis the Great, S. 131.
  6. M. Wehrmann, Herzog Kasimir V., Herr zu Dobrin und Bromberg, Monatsbll., hrsg. von der Ges. für Pommersche Geschichte u. Alterthumskunde 10. Jg., Nr. 9, 1896, S. 129–137 (130f.).
  7. Das Vorkommen von drei gehörnten Männern mit Bart und Krone im ungarischen Wappen ist spätestens seit Mitte des 15. Jh. belegt (O. Neubecker/W. Rentzmann, Wappenbilderlexikon, München 1974, S. 28–33, 52 usw.).
  8. Hampel, a. a. O., S. 63ff.
  9. U. a. fertigten sie die St. Georgsstatue auf dem Hradschin in Prag (Hampel, a. a. O., S. 64).

Nachweise

  1. Bock, Pfalzkapelle II, S. 74.
  2. Hampel, Metallwerke, S. 59 mit Fig. 5.
  3. KDM 10, 1, S. 244 u. Fig. 180.
  4. Schnitzler, Dom, S. XXXIX.
  5. Grimme, Domschatz, Nr. 79 u. Taf. 91f.
  6. Parler I, S. 139 u. Abb. S. 140.

Zitierhinweis:
DI 31, Aachen (Dom), Nr. 43 (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di031d001k0004305.