Inschriftenkatalog: Aachen (Dom)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 31: Aachen (Dom) (1992)

Nr. 3 Dom, Schatzkammer 7. / 8. Jh1)

Beschreibung

Reliquienhülle. Im Depot. Der rechteckige, helle Leinenstoff ist heute auf Seide aufgenäht und auf Pappe gespannt. Inschrift (B) im rechten oberen Viertel, (A) in der linken unteren Ecke, um 90° nach links gedreht. Braune Tinte.

Maße: H. 27, 5, B. 51, Bu. 0,5–1,0 (A), 0,6 cm (B).

Schriftart(en): Unziale.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/4]

  1. A

    HIC EST / CAPPEL/LA S(AN)C(T)I MAR/CIA/LISa) / EP(ISCOP)Ib)

  2. B

    HIC SVNT RELIQUIASc) S(AN)C(T)I MARCIALISa) EP(ISCOP)Ib)

Übersetzung:

Hier ist der Kapuzenmantel des hl. Bischofs Martial.

Hier sind die Reliquien des hl. Bischofs Martial.

Kommentar

Die Schrift in (B) ist sorgfältig und gleichmäßig, mit einer leichten Linksneigung ausgeführt. Sie entstammt wohl der zweiten Hälfte des 8. Jh. Die Buchstaben der Inschrift (A) sind in Größe und Anordnung unregelmäßiger als in (B), zudem leicht verschmiert. Die Schrift weist ins 7. Jh. und stammt möglicherweise von derselben Hand wie die Germanusinschrift (vgl. Nr. 2).2) Schriftparallelen finden sich in zahlreichen Handschriften des 6. bis 8. Jh.3) Q, unziales E und M sowie die Bäuche von P und R sind sehr rund ausgeführt. A ist zweistöckig mit kleinem Bauch. Die Hasten des L und H ragen nach oben deutlich über die Buchstaben hinaus, die Haste des R reicht bis unter die Zeile. Auffallend ist das spitze V in sunt, das in unzialen Schriften üblicherweise nicht verwendet wird.4)

Wie bei dem Stoff mit der Germanusinschrift (Nr. 2) handelt es sich auch hier um eine Reliquienhülle, in die zunächst vermutlich nur die cappella eingewickelt war, bevor andere Reliquien des Martial hinzukamen. Die Anbringung der Inschrift (B) in der linken unteren Ecke deutet darauf hin, daß der Stoff ursprünglich gefaltet aufbewahrt wurde, und zwar so, daß die Schrift lesbar blieb. Das Formular hic est wurde von den Reliquienauthentiken übernommen, die üblicherweise auf Pergamentstreifen niedergeschrieben und bei der Reliquie aufbewahrt wurden.5)

Der Kult des Martial, des ersten Bischofs von Limoges, breitete sich nach dessen Tod im 3. Jh. außerhalb Aquitaniens nur langsam aus.6) Woher und wann seine Reliquie nach Aachen gelangte, ist unbekannt. Die Reliquienverzeichnisse bis zum 13. Jh. erwähnen sie nicht. Der Stoff wurde im 19. Jh., zusammen mit einer Stoffreliquie des Hl. Stephan und den Pontifikalhandschuhen des Hl. Germanus in den Leinenstoff mit der Pippinusinschrift (Nr. 12) eingewickelt, in der Sakristei gefunden.

Textkritischer Apparat

  1. MARTIALIS Kessel, Minkenberg.
  2. EP(IS)C(OP)I Kessel, Minkenberg.
  3. Sic!

Anmerkungen

  1. Die Datierung beruht auf einer freundlichen Mitteilung von Herrn Prof. Bernhard Bischoff.
  2. Der Ansicht Kessels, (A) sei etwa hundert Jahre jünger als (B), kann man demnach nicht zustimmen.
  3. Vgl. z. B. Catalogue des manuscrits en écriture latine portant des indications de date, de lieu ou de copiste, par C. Samaran et R. Marichal, Paris T. III 1974, T. V 1968.
  4. Vgl. B. Bischoff, Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters (Grundlagen der Germanistik 24), Berlin 21986, S. 91ff.
  5. Vgl. Leclercq, DACL 14,2, Sp. 2339f. „Reliques et Reliquaires“ mit zahlreichen Beispielen.
  6. Vgl. Leclercq, DACL 9,1, Sp. 1119 „Limoges“.

Nachweise

  1. Kessel, Geschichtliche Mittheilungen, S. 141.
  2. Minkenberg, Textilien, S. 251 (nach Kessel).

Zitierhinweis:
DI 31, Aachen (Dom), Nr. 3 (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di031d001k0000301.