Die Inschriften des Aachener Doms

2. DIE ÜBERLIEFERUNG

Von den 141 bekannten Inschriftenträgern des Domes sind 104, also etwa drei Viertel, erhalten, die übrigen nur abschriftlich, in Nachzeichnungen oder fotografisch überliefert. Dieser verhältnismäßig hohe Anteil im Original erhaltener Inschriften ergibt sich allerdings weniger aus einer geringen Verlustquote als aus einer ungünstigen Überlieferungslage hinsichtlich der verlorenen Inschriften. Systematische Inschriftensammlungen, wie sie andernorts seit dem 17. Jh. angelegt wurden,5) fehlen für Aachen. Auch die überregionalen Sammlungen historischer Nachrichten und Quellenabschriften, wie die Farragines der Brüder Gelenius6) aus dem 17. Jh. oder die Sammlung Redinghoven7) und die Sammlung Alfter8) aus dem 18. Jh., enthalten nur vereinzelt Inschriften Aachener Provenienz.

Quelle für die Überlieferung verlorener Inschriften sind daher in erster Linie Aachener Chroniken und Stadtbeschreibungen des 17. und 18. Jh., die eine in unterschiedlichem Maße ausführliche und zuverlässige Darstellung der Stadtgeschichte mit einer Beschreibung der wichtigsten Aachener Bauten verbinden.

Das erste Werk dieser Art ist das 1620 in lateinischer Sprache erschienene „Aquisgranum“ des Petrus à Beeck, eines Kanonikers des Marienstifts. Der Schwerpunkt des Buches liegt zum einen auf der Aachener Karlstradition, zum anderen auf der Geschichte der Kirchen, Klöster und Stifte der Stadt.9) A Beecks Werk, das in der historischen Darstellung teilweise fehlerhaft ist, enthält wichtige bau- und kunsthistorische Informationen, bietet in vielen Fällen die früheste Überlieferung eines Inschriftentextes und liefert damit zugleich für einige anhand von Text oder Träger nicht datierbare Inschriften den terminus ante quem.

1632 veröffentlichte der Doktor beider Rechte Johannes Noppius, der als Mitglied der politisch einflußreichen Bockzunft mehrfach dem Rat der Stadt angehörte, als erste deutschsprachige Stadtgeschichte seine „Aacher Chronick“. Ursprünglich als Übersetzung des „Aquisgranum“ geplant, dann aber durch die Ergebnisse eigener Forschungen wesentlich erweitert, führt sie in vielen Punkten über das lateinische Werk hinaus.10) Für die Inschriften ist besonders das erste Buch des dreiteiligen Werkes von Interesse, das von der Entstehung und Entwicklung der Stadt und ihrer Institutionen handelt und eine Beschreibung kirchlicher und profaner Bauten beinhaltet.11)

Der Aachener Jesuit Heinrich Thenen (1607–1696) schrieb eine ebenfalls „Aquisgranum“ betitelte, mehr als tausend Quartseiten umfassende Chronik in sieben Büchern, die Einträge bis 1669 enthält.12) Das Werk ist nur handschriftlich überliefert, obwohl es für den Druck vorgesehen und geprüft worden war.13)

Eine weitere anonym und in lateinischer Sprache verfaßte „Chronica manuscripta“ im Aachener Stadtarchiv enthält Aufzeichnungen zur Geschichte und Topographie der Stadt bis 1706.14)

1781 erschien der erste Band der „Aachenschen Geschichten“ Karl Franz Meyers des Älteren.15) Ähnlich wie Noppius hatte Meyer drei Teile geplant, die eine chronologische Darstellung der Stadtge-[Druckseite XIV]-schichte (Band 1), eine Stadtbeschreibung und eine Sammlung von Urkunden umfassen sollten. Zu einer Veröffentlichung des zweiten und dritten Bandes kam es nicht mehr, doch hinterließ Meyer umfangreiches handschriftliches Material.16) Ist der Quellenwert seiner Arbeiten für die Stadtgeschichte auch nicht allzu hoch anzusetzen, so beinhalten gerade die ungedruckten Teile für die Epigraphik doch einige wichtige Hinweise.

Alle diese historiographischen Werke überliefern eine größere Zahl von Inschriften. Ihr Augenmerk richtet sich aber vor allem auf solche Texte, die besonders bekannt oder an auffälliger Stelle angebracht waren. Dazu gehören in erster Linie die Inschriften, die in Zusammenhang mit Karl dem Großen und seiner liturgischen Verehrung stehen oder den Pilgern beim Besuch der Marienkirche ins Auge fielen.17) Weniger „prominente“ Inschriften werden in den Quellen im allgemeinen nicht erwähnt.

Die historiographische Literatur des 19. Jh. über Aachen ist im Vergleich zu den älteren Werken umfangreicher und thematisch stärker spezialisiert. Eine systematische Beschäftigung mit den Aachener Inschriften ist jedoch nicht erfolgt. Aus der Vielzahl der Titel sei hier nur die 1825 erschienene „Historische Beschreibung der Münsterkirche und der Heiligthums-Fahrt in Aachen“ des Lehrers und städtischen Bibliothekars Christian Quix18) erwähnt, die nicht nur den Text etlicher Inschriften, sondern auch aufschlußreiche Informationen über deren Träger bietet.

Nicht systematisch, sondern nur vereinzelt heranzuziehen sind einige frühmittelalterliche Handschriften, die den Text der einen oder anderen Inschrift im Kontext ihrer Entstehung überliefern.19) Mehrere dieser Inschriften sind im Zusammenhang eines größeren Textes20) oder im Rahmen der Poetae-Sammlung der Monumenta Germaniae Historica21) bereits ediert.

Zitationshinweis:

DI 31, Aachen (Dom), Einleitung, 2. Die Überlieferung (Helga Giersiepen), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di031d001e009.

  1. Vgl. etwa die Heidelberger Sammlung des Adamus (DI XII [Heidelberg], S. XVII), die Nürnberger Sammlung Rötenbecks (DI XIII [Nürnberg], S. XIIIff.) und die Sammlungen Mainzer Inschriften von Heimbach, Helwich, Gudenus und Würdtwein (DI II [Mainz], S. 18ff.). Zu Helwich vgl. R. FUCHS, Georg Helwich – zur Arbeitsweise eines Inschriftensammlers des 17. Jh., in: Deutsche Inschriften. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik Worms 1986, Vorträge und Berichte, hrsg. von H. ZIMMERMANN, Stuttgart 1987, S. 73–99. »
  2. HAStK Best. 1039: Gelenii Farragines. »
  3. Bayerische Staatsbibliothek München, Cod. germ. 2213. »
  4. HAStK Bestand 1001: Sammlung Alfter. »
  5. Vgl. A. HUYSKENS, Peter von Beeck, der Verfasser der ersten gedruckten Aachener Geschichte, in: DERS., Heimatgeschichte, S. 300. »
  6. Vgl. HUYSKENS, Der Geschichtschreiber Noppius, in: DERS., Heimatgeschichte, S. 323. »
  7. Im zweiten Teil folgt eine städtische Chronik von 814 bis 1629, im dritten ein Quellenanhang. »
  8. StA Aachen, Hs. 16. Die Handschrift ist anonym abgefaßt, doch wird der Verfasser im Titel als Jesuit bezeichnet. Deshalb und aufgrund eines Schriftvergleichs mit anderen handschriftlichen Zeugnissen Heinrich Thenens wird die Chronik einhellig ihm zugeschrieben. Thenen ist auch der Autor des 1657 erschienenen Heiligtumsbüchleins „Aacher Schatz-Kammer“. Vgl. A. FRITZ, Der Aachener Geschichtschreiber Heinrich Thenen (1607–1696), ZAGV 33, 1911, S. 267–276; PICK, AAVerg., S. 43. »
  9. Vgl. FRITZ, a. a. O., S. 274f. »
  10. StA Aachen, Hs. 35. »
  11. Meyer war von Haus aus Notar, erhielt aber 1780 auf eigene Bitte den Titel eines städtischen Archivars. In diesem Amt folgte ihm sein gleichnamiger Sohn nach. Vgl. MUMMENHOFF, Der Geschichtschreiber Karl Franz Meyer der Ältere, in: HUYSKENS, Heimatgeschichte, S. 316f. »
  12. StA Aachen, Hss. 258 bis 273. Für die Inschriften des Domes sind besonders die Handschriften 259 (Marienstift), 260 (Heiligtümer) und 261 (Heiligtumsfahrt) von Interesse.  »
  13. Einige davon, etwa die Inschriften des Karlsschreins und des Barbarossaleuchters, sind bis heute im Original erhalten. »
  14. Zu ihm vgl. J. PLUM, Der Geschichtsforscher Christian Quix, in: HUYSKENS, Heimatgeschichte, S. 325f. »
  15. Vgl. Nr. 6, 9, 11a, 14»
  16. So etwa die Grabschrift Karls des Großen (Nr. 9, überliefert in Einhards Vita Karoli Magni) und die in ottonischer Zeit entstandenen Wandinschriften (Nr. 14, überliefert in der Vita Balderici).  »
  17. Vgl. die karolingische Inschrift im Oktogon (Nr. 6). »