Der epigraphische Tipp

Folge 8: Was ist eine „Ligatur“?

Unter einer Ligatur versteht man allgemein das Verschmelzung von zwei oder mehr Buchstaben zu einer schriftlichen Einheit. Die meisten Ligaturen sind aus Vereinfachungsgründen entstanden, um das Schreiben einer Schrift zu beschleunigen oder sie wurden aus optischen Gründen entwickelt. Sie treten in fast alle Schriften auf und haben in eingen auch einen bedeutungsunterscheiden Status. Mehr zur Ligatur finden Sie in unserem Glossar.

Nachfolgend ein Beispiel einer Spruchinschrift mit typischer Ligatur aus der evang. Stiftskirche in St. Goar im Rhein-Hunsrück-Kreis:

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 133 St. Goar, Evang. Stiftskirche

Beschreibung

Spruchinschrift, zweizeilig in etwa 220 cm Höhe innen auf die Südwand der ebenerdigen Kapelle (ehemalige Taufkapelle) des südlichen Chorflankenturms geschrieben. Bisher unbeachtete, in schwarzer Farbe ausgeführte Inschrift, verblaßt und schwer lesbar.

Maße: Bu. 2,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Schreibschrift.

  1. Ite foras [......]i no(n) est vester locus y[ste] / Sed sta[b.... .]yci [..] su[..] a[...]ris [.....]

Übersetzung:

Geht hinaus, ihr (...), dies ist nicht euer Platz (...).

Versmaß: Distichon.

Kommentar

Die mit ausgeprägten Ober- und Unterlängen versehene gotische Schreibschrift zeigt als typische Formen Ligatur bei st sowie kursives s und dürfte aufgrund des Fehlens von Zierschleifen in das 15. Jahrhundert zu datieren sein.

Wegen der eingezogenen zweiten Zeile handelt es sich bei dem weitgehend unklaren Text um ein Distichon. Der erste Vers richtet sich an eine nicht identifizierbare Gruppe, die aus der Kapelle verwiesen wird. Anders als spätmittelalterliche Mahninschriften an Kirchenbesucher1), ist die vorliegende Inschrift weder als Auszeichnungsschrift ausgeführt noch mit einem erläuternden Bild verbunden. Es könnte sich also um einen Entwurf oder um eine spontane Unmutsäußerung eines Stiftherrn handeln.

Anmerkungen

  1. Vgl. dazu etwa DI 37 (Rems-Murr-Kreis) Nr. 11; Kern, Oberdiebach (Ms.) und dies., Wandmalerei (Ms.) zu Steeg (beide Lkrs. Mainz-Bingen). - Vgl. zu entsprechenden Mahnungen an Kirchenbesucher in Einblattdrucken Boockmann, Stadt Nr. 314.

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 133 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0013308.