Der epigraphische Tipp

Folge 13: Was ist ein „Grabdenkmal“?

Der Begriff Grabdenkmal umfaßt - bezogen auf die Zeit des Mittelalters und der Neuzeit - Objekte von sehr unterschiedlicher Größe und Gestaltung. Ein Grabdenkmal ist nicht unbedingt an den Begräbnisplatz gebunden, daher können für einen Verstorbenen auch mehrere Grabdenkmäler gesetzt werden. Grabdenkmäler kennzeichnen einerseits den Ort des Begräbnisses und sichern darüber hinaus das Gedächtnis des Verstorbenen (Memoria). Diese Funktionen erhalten Grabdenkmäler vor allem durch ihre Inschriften.

Unmittelbar an den Ort des Begräbnisses gebunden sind Sarkophag und Grabplatte, mit der das Grab verschlossen wird. Hinzu treten – unabhängig vom Ort des Begräbnisses - Epitaphien, die von schlichten Schrifttafeln bis hin zu meterhohen aufwendig architektonisch untergliederten Aufbauten mit großem Bild- und Inschriftenprogrammen sehr unterschiedliche Formen annehmen können. Eine ähnliche Gedächtnisfunktion wie die Epitaphien haben die Totenschilde, bei denen es sich zumeist um mit Wappen und Inschrift versehene Holztafeln handelt. Mit der Verlagerung der Begräbnisse auf die Kirch- und Friedhöfe tritt die oft beidseitig mit Darstellungen und Inschriften versehene Grabstele oder das Grabkreuz auf, die an der Kopfseite des Grabes aufgestellt sind.

Nachfolgend zwei Beispielinschriften:

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 209 St. Stephani, Grabkapelle auf dem ehem. Friedhof

Beschreibung

Grabplatte der Anna Kunigunde Eichel. Sandstein. Im Fußboden des oberen Kapellenraums rechts vom Eingang liegend. Seit wann die Platte in der Familienkapelle (zum Bau vgl. Nr. 236) aufbewahrt wird, ist nicht bekannt. Meier erwähnt sie 1896 nicht in seiner Aufzählung der Grabmale in der Kapelle1). Hochrechteckige Schriftplatte, in den oberen Ecken je ein Engelskopf, dazwischen, von Rankenwerk eingerahmt, zwei Vollwappen, darunter die eingehauene Inschrift.

Maße: H.: 148 cm; B.: 75 cm; Bu: 2,5–4,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien.

  1. HIC SITAE . SUNT . EXUVIAE . / SCITAE . ET . OPTIMAE . PUELLAE . / ANNAE . KUNIGUND AE . / D(OCTORIS) . IOHANNIS . EICHELII . P(ROFESSORIS) . P(UBLICI) . A(SSESSORIS) . V(ICE)C(ANCELLARII) . S(AXONICI) . C(ONSILIARII) . W(OLFFENBYTTELENSIS) . / ET . ANNAE . SOPHIAE . HAHNAE . FILIAE . / D(OCTORIS) . HENRICI . HAHNII . COD(ICIS) . P(ROFESSORIS) . SEN(IORIS) . ASS(ESSORIS) . / ET . ANNAE . MARIAE . PFEIFFERIAE NEPTIS / NATAE . ANNOS . IV . MENSES . VII . DIES . XVI . / XVI . AUG(USTI) . ANNO . MLXIIa) . INTRA . SECUNDAM . / ET . TERTIAM . MATUTINAM . / VARIOLIS . EXTINCTAE . / FORM(A) . INDOLE . MODESTIA . PROFECTU . / RUDIMENT(ORUM) . LING(UAE) . LATINAE . AETAT(EM) . SUPER[A]BAT . / PURAM . ET . INTAMINATAM . ANIMULAM . COELUM . HABET / CUIUS . PIIS . ET . INNOCENTIBUS . MANIBUS . / AETERNUM . BENE . SIT . / MOESTI . PARENTES . HOC . MONUMENTUM . PONI . / CURARUNT . / XX . FEBRUARII / ANNO MDCLXIII

Übersetzung:

Hier liegen die sterblichen Überreste des lieblichen2) und besten Mädchens Anna Kunigunde begraben. Sie ist eine Tochter des Doktors Johann Eichel, öffentlichen Professors, Assessors, sächsischen Vizekanzlers und Wolfenbütteler Rates, und der Anna Sophia Hahn, ferner eine Enkelin des Dr. Heinrich Hahn, Professors des Codex, Seniors und Assessors, und der Anna Maria Pfeiffer. Im Alter von vier Jahren, sieben Monaten und sechzehn Tagen wurde sie am 16. August im Jahre 1662a) zwischen der zweiten und dritten Stunde in der Frühe von den Pocken dahingerafft. An Schönheit, Begabung, Bescheidenheit und beim Erwerb von lateinischen Grundkenntnissen war sie ihren Altersgenossen weit voraus. Ihre reine und unbefleckte kleine Seele hat nun der Himmel. Möge es dem frommen und unschuldigen Wesen auf ewig wohl ergehen. Die traurigen Eltern ließen dieses Denkmal am 20. Februar im Jahre 1663 setzen.

Wappen:
Eichel3), Hahn4)

Kommentar

A ist mit stark gebogenem linken Schaft gearbeitet. Diese Besonderheit und eine Vorliebe des Steinmetzen für Ligaturen lassen sich auch auf der gleichzeitig gesetzten Grabplatte für die Schwester (Nr. 210) beobachten.

Zu der in der Inschrift genannten Verwandtschaft des verstorbenen Mädchens vgl. die Gedenkinschriften für den Vater Johann Eichel und den Großvater Heinrich Hahn (Nr. 236) und die Grabinschrift der Anna Maria Pfeiffer (Nr. 193). Anna Kunigunde, geboren am 31. Dezember 1657, wurde zusammen mit ihrer jüngeren Schwester am 26. August 1662 beerdigt5), vermutlich, da um diese Zeit die Familiengrabkapelle noch nicht erbaut war, auf dem Friedhof. Beider Inschriften gehören zu den wenigen, die Auskunft geben über die Zeitspanne zwischen Todesfall und Fertigstellung des Inschriftenträgers. Hier sind es etwa sechs Monate. – Die Lateinkenntnisse der vierjährigen Anna Kunigunde – nach Auskunft des Funeralprogramms las sie nicht nur lateinische Texte, sondern sie vermochte sich bereits in dieser Sprache auszudrücken, – haben auch in der Inschrift Erwähnung gefunden. Als bemerkenswert empfunden wurden sie im Funeralprogramm wegen des Alters, nicht des Geschlechts des Kindes.

Textkritischer Apparat

  1. MLXII] Irrtümlich für MDCLXII. Neulateinische Zahlzeichen.

Anmerkungen

  1. Meier, Kunstdenkmäler, S. 73f.
  2. „liegen–lieblich“: Das Wortspiel SITAE / SCITAE ist im Deutschen nur schwer wiederholbar.
  3. Wappen Eichel: zwei geharnischte Arme, die Pfeil nach oben umfassen.
  4. Wappen Hahn: Hahn.
  5. Programma in funere .. Annae Kunigundae et Johannae .. Johannis Eichelii .. filiarum, Helmstedt o. J. (1662). Die übrigen biographischen Angaben ebendaher.

Nachweise

  1. Schultz, Grabmale 1964, S. 6.

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 209 (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0020906.

DI 56: Stadt Braunschweig II (2001)

Nr. 711 Dom St. Blasii

Beschreibung

Epitaph der Elisabeth von Dageforde. Holz, farbig gefaßt, Ölgemälde. Das Epitaph, das früher im südlichen Seitenschiff an einem Pfeiler hing, ist heute an der Westwand des südlichen Seitenschiffs angebracht. Den Mittelteil des Epitaphs bildet ein oben mit einem Bogen abgeschlossenes Ölgemälde, das die Verstorbene und ihren Ehemann in Bethaltung auf Kissen unter dem Kreuz kniend zeigt, am Kreuz der Titulus A, im Hintergrund eine Stadt. Auf dem das Gemälde umgebenden Rahmen sind beidseitig jeweils sechs Vollwappen angeordnet, je zwei weitere Vollwappen befanden sich der Sammlung Sack1) zufolge früher zu beiden Seiten in der Zone darunter. Diese fehlten jedoch schon in den 30er Jahren.2) Die Beischriften zu den Wappen (J) stehen auf vollplastischen, unter den Wappenschilden angebrachten Schriftbändern. Diese sind heute allerdings in einer vollkommen willkürlichen, in keiner Weise mit den Wappen in Zusammenhang stehenden Abfolge montiert. Im Magazin des ev.-luth. Stadtkirchenbauamtes befindet sich ein weiteres zu dem Epitaph gehöriges Schriftband mit einer Wappenbeischrift (K). Auf dem Fries über dem Mittelteil verläuft in zwei Zeilen die Inschrift B. In der Zone darüber ein Gemälde der Auferstehung Christi, links und rechts davon die Figur je einer Tugend, links Caritas. Außen auf dem Gesims über der mittleren Zone zwei Engelsfiguren. Drei weitere Tugendfiguren als Bekrönung auf dem Gesims über der oberen Zone. Auf dem Fries über dem Auferstehungsgemälde zwischen zwei plastischen Engelsköpfen die Inschrift C. Der Mittelteil wird begrenzt von zwei Säulen, neben denen sich außen links und rechts zwei kleine Gemälde befinden, die die tätige Liebe darstellen, das linke mit der Beischrift D darüber, das rechte mit der Beischrift E. Vier weitere Darstellungen dieses Themas in einer Reihe unterhalb des Mittelteils; die Beischriften zu diesen Szenen sind durchlaufend auf dem Gesims über den Gemälden angebracht (F). Links und rechts der Gemälde je ein plastischer Maskenkopf, außen seitlich je ein das darüberliegende Gesims tragender Putto. Den unteren Abschluß des Epitaphs bildet eine mit drei Maskenköpfen besetzte und von Rollwerk umgebene Tafel mit der Inschrift G, danach das Meisterzeichen des Malers (M5) aus dessen Initialen (H). Darunter auf dem den unteren Maskenkopf umgebenden Rollwerk das Meisterzeichen des Bildhauers (M8) aus dessen Initialen (I). Die Inschriften sind mit Ausnahme der in roter Farbe auf weißem Grund ausgeführten Beischriften F alle in Gold auf schwarzen Grund gemalt. Die in Fraktur ausgeführten u tragen übergeschriebene Häkchen oder Schlängel.

Maße: H.: ca. 500 cm; B.: 264 cm; Bu.: 2,5 cm (A), 3,5 cm (B), 3 cm (C, G–I), 2 cm (D, E, J, K), 2,5 cm (F).

Schriftart(en): Kapitalis (A, F, H, I), Fraktur mit Kapitalis (B, C, G), Fraktur (D, E, J).

  1. A

    · I(ESVS) · N(AZARENVS) · R(EX) · I(VDAEORVM) 3) ·

  2. B

    Jch bin die Aufferstehung vnnd das Leben , Wer an mich gleubet , der wird Leben , ob er gleich / stürbe , Vnnd wer da lebet vnnd gleubet an mich , der wird nimermehr sterben · IOHAN · AHM · 11 · CAP : 4)

  3. C

    Jch bin der Weg , vnd die // Warheit vnd das Leben · / Nimandt kommet Zum Vatter , // den durch mich · IOHAN : 14 · 5)

  4. D

    Jch bin hungerig gewesen , vnd ir habt mich gespeiset 6)

  5. E

    Jch bin durstig gewesen , vnd ir habt mich getrencket ·6)

  6. F

    ICH BIN EIN GAST GEWESEN , VND IR HABT MICH BEHERBERGET · ICH BIN NACKET GEWESEN , VND IR HABT MICH BE[KLEIDET · ICH BIN KRANCK GE]W[ESE]N , VND IR · HABT MICH BESVCHT · ICH BIN GEFANGEN GEWESEN , VND IR SEID ZV MIR KOMMEN [MAT]THEVS · 25 · CAP : 6)

  7. G

    ANNO DOMIN(I) · 1604 · den · 25 · Februarij nachmit=/tages zvischen 3 vnd 4 · vhren ist die Edle vnd Ehren/vieltugentreiche Fraw Elisabeta geborne von Dageforde / des weijlandt Edlen Gestrengen vnd Ehrnuesten / Joachim von der Schulenburgk auff Leukenitz Lubenaa) / Luberojs vnd Penkuhn so dan der Hersschafft Strawitz Erbge/sessen · hinterlassene Witwe sehligklich entschlaffen , ihres alters / im 60 · ihare deren sehlen Godt gnade ;

  8. H

    · FM ·

  9. I

    GR

  10. J
    D(ie) · V(on) · Mandelschlo D(ie) · V(on) · Heim 
    D(ie) · V(on) · Putlitz D(ie) · V(on) · Marenholtz 
    D(ie) · V(on) · Schulenborcha) D(ie) · V(on) · Re[ve]ntlaw 
    D(ie) · V(on) · Estorff D(ie) · V(on) · Fischbecke 
    D(ie) · V(on) · Bulaw D(ie) · V(on) · Dageforde 
    D(ie) · V(on) · Plesen D(ie) · V(on) · Lattorp7) 
  11. K

    D(ie) · V(on) · Aluenschleuen

Wappen8)
Putlitz9)Mandelsloh10)
Rantzau11)Veltheim12)
Estorff13)Mahrenholtz14)
Bülow15)Schulenburg16)
Plessen17)Fischbeck18)
Reventlow19)Hoym20)

Kommentar

Für Elisabeth von Dageforde ist eine gedruckte Leichenpredigt erhalten, die jedoch keine weiteren Aufschlüsse über die Biographie der Verstorbenen gibt, sondern nur ihre christlichen Tugenden betont.21)

Das Epitaph trägt die Signaturen des Bildhauers Georg Röttger (I) und des Malers Floris von der Mürtel (H).

Textkritischer Apparat

  1. Lesung der drei letzten Buchstaben unsicher.

Anmerkungen

  1. Sammlung Sack, Nr. 129, Teil 1 (o. P.).
  2. Vgl. die Abb. bei Meier, Kunsthandwerk, Abb. 64.
  3. Io. 19,19.
  4. Jh. 11,25f.
  5. Jh. 14,6.
  6. Mt. 25,35f.
  7. Die Wappenbeischriften sind in der Abfolge wiedergegeben, wie sie heute unter den Wappenschilden angeordnet sind. Diese Zuordnung ist vollkommen willkürlich und stimmt in keinem Fall mit dem Inhalt des betreffenden Wappens überein.
  8. Es fehlen auf beiden Seiten die beiden ersten Wappen der Reihe, auf der Seite des Ehemanns die Wappen Schulenburg und Alvensleben, auf der Seite der Verstorbenen die Wappen Dageforde und Lattorp. Das fehlende Wappen Schulenburg ist heute irrtümlich an dem Epitaph des Valentin Möller (Nr. 842) angebracht.
  9. Wappen Putlitz (bekrönte Gans). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 6, Abt. 10, S. 36 u. Tafel 19.
  10. Wappen Mandelsloh (siebenmal umwundenes Jagdhorn). Vgl. ebd., Bd. 3, Abt. 2, S. 253 u. Tafel 303.
  11. Wappen Rantzau (gespalten). Vgl. ebd., S. 316 u. Tafel 370.
  12. Wappen Veltheim (viergeteilt: 1. u. 4. Baumstamm, beidseitig mit Lindenblättern, 2. u. 3. breiter Balken mit zwei Querfäden belegt). Vgl. ebd., Bd. 2, Abt. 2, S. 10 u. Tafel 9.
  13. Wappen Estorff (Lilie). Vgl. ebd., Bd. 2, Abt. 9, S. 6 u. Tafel 7.
  14. Wappen Mahrenholtz (Rose vor geteiltem Schild). Vgl. ebd., S. 12 u. Tafel 13.
  15. Wappen Bülow (Kugeln 4:4:3:2:1). Vgl. ebd., Bd. 3, Abt. 11, Teil 2, S. 15 u. Tafel 14.
  16. Wappen Schulenburg (viergeteilt: 1. u. 4. drei Vogelkrallen 2:1, 2. u. 3. schreitender wechselfarben gevierter Ochse mit einer mit Fahnen besteckten Krone). Vgl. ebd., Bd. 2, Abt. 9, S. 15 u. Tafel 17.
  17. Wappen Plessen (steigender Eber).
  18. Wappen Fischbeck (Fisch).
  19. Wappen Reventlow (Zinnenteilung). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 2, S. 324 u. Tafel 378: dreizinnige ausgefugte Mauer.
  20. Wappen Hoym (zwei Balken). Nach Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 2, S. 179 u. Tafel 227: fünf Balken.
  21. Vgl. Roth, Auswertungen, Nr. 7173.

Nachweise

  1. Sammlung Sack, Nr. 129, Teil 1 (o. P.) u. Teil 3, p. 8.
  2. Scherer, Röttger, S. 35 (G, I).
  3. Abb.: Meier, Kunsthandwerk, Abb. 64–66. Meier, Grabdenkmalkunst, S. 43.

Zitierhinweis:
DI 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 711 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di056g009k0071108.