Die Inschriften der Stadt Lüneburg

5. Inschriften und Inschriftenträger

Die 1012 hier in Katalogartikeln behandelten Inschriften der Stadt Lüneburg setzen schon im 10. Jahrhundert mit einer Elfenbeintafel aus dem Schatz der Goldenen Tafel ein (Nr. 1). Aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammte ein ebenfalls zur Goldenen Tafel gehörendes, verlorenes Kruzifix (Nr. 2).94) Eine konstante Inschriftenüberlieferung für die Stadt Lüneburg beginnt jedoch erst im frühen 14. Jahrhundert. Aus dem 14. Jahrhundert stammen 30 Inschriften, aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts 74 Inschriften, aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunders 115 Inschriften, 152 Inschriften aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, 359 aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und 280 Inschriften aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.

Die in den bisher edierten Inschriften niedersächsischer Städte besonders zahlreich vertretenen Gruppen der Grab- und Hausinschriften zeigen in Lüneburg ein etwas anderes Bild. Die Gruppe der Grabdenkmäler macht mit insgesamt 397 Inschriften den dominierenden Teil des Gesamtbestands aus, allerdings mit der Besonderheit, dass mit 35 Inschriften weniger als 10 Prozent im Original erhalten sind. Trotz der in Lüneburg zumindest an den Fassaden vorherrschenden Backsteinbebauung sind immerhin 56 Hausinschriften überliefert, von denen sich 35 im Original erhalten haben, hinzu kommen etliche in Anhang 1 erfasste Baudaten – ein im Vergleich zu den Fachwerkstädten wie Braunschweig, Hannover oder Hildesheim jedoch sehr geringer Bestand. Aus dem Bereich der Kirchenausstattung ist die recht große Gruppe von 60 Kelchinschriften erwähnenswert, von denen sich ein Drittel im Original erhalten hat. Von den 33 bis 1650 überlieferten Inschriften auf Glocken sind immerhin noch 19 im Original vorhanden. Die 30 ausnahmslos kopial überlieferten Inschriften von Geschützen dürften angesichts der Zeughausinventare nur einen kleinen Teil der ehemals vorhandenen Inschriften auf Geschützen darstellen. Inschriften an der Stadtbefestigung, vor allem auch an den Stadttoren,95) sind hier eher wenige überliefert.

Unter den öffentlichen Gebäuden sind die Ratsapotheke mit ihren Inschriften an der Fassade (Nr. 667) wie mit ihrer Innenausstattung (Nr. 669, 673) und das Rathaus (vgl. Kap. 5.6.1.) zu nennen. Letzteres allerdings stellt mit seinen innen wie außen angebrachten Inschriftenprogrammen (vgl. a. Kap. 3.3.7.) ein Alleinstellungsmerkmal der Stadt Lüneburg im Vergleich mit den Rathäusern der anderen niedersächsischen Städte dar. Das schon vor 1650 als Touristenattraktion in Lüneburg vorgeführte Ratssilber, dessen 24 prunkvollste Stücke heute im Kunstgewerbemuseum Berlin gezeigt werden – zwei weitere sind seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen –, ist mit seinen Inschriften eine weitere Lüneburger Besonderheit, ebenso wie die 31 zumeist nur fragmentarisch erhaltenen Holzbalken- und zwei Stuckdecken der Bürgerhäuser mit Inschriften, die einen guten Eindruck von der patrizischen Wohnkultur in der Renaissance vermitteln.

5.1. Grabdenkmäler und Grabinschriften

Über die Gestaltung der Grabdenkmäler in der Stadt Lüneburg sind kaum allgemeine Aussagen zu machen, da die 35 erhaltenen Grabplatten, Epitaphien und Totenschilde in der ganzen Stadt bis zum Jahr 1650 wenig Anschauungsmaterial bieten, das die Grundlage allgemeiner Erkenntnisse bilden könnte. Die Terminologie zur Bezeichnung der Denkmäler aus dem Bereich des Totengedenkens in diesem Band entspricht dem bisherigen Gebrauch in den anderen Bänden dieser [Druckseite 51] Reihe.96) Die Benennung des Inschriftenträgers wird allerdings in etlichen Fällen erschwert, wo sich in der kopialen Überlieferung keinerlei Angaben zur Gestaltung des Inschriftenträgers finden. Es bleibt dann nur die sehr allgemeine Bezeichnung als Grabdenkmal. In der kopialen Überlieferung fehlen häufig nicht nur Angaben zur Gestaltung der Grabdenkmäler, sondern auch die dort angebrachten Inschriften, bei denen es sich nicht um Grabschriften, sondern diesen beigegebene Bibelzitate, Sentenzen oder Ähnliches handelt.97) Da die kopialen Überlieferer in den Regel nur an den in der Grabschrift enthaltenen biographischen Daten interessiert waren, sind diese Inschriften häufig nicht mit überliefert.

Die 35 erhaltenen Grabdenkmäler können aufgrund der beschriebenen Umstände nur als Einzelfälle behandelt werden. Es handelt sich dabei um 18 ganz oder fragmentarisch erhaltene Epitaphien aus der zweiten Hälfte des 16. und ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, um 14 ganz oder fragmentarisch erhaltene Grabplatten, davon nur eine aus dem 15. Jahrhundert (Nr. 120), die meisten aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, sowie um drei Totenschilde. Auch über die für die Grabdenkmäler verwendeten Materialien lässt sich nur sehr wenig sagen, da sich in der kopialen Überlieferung nur selten entsprechende Angaben finden. Unter den im Original erhaltenen Stücken findet sich nicht eine einzige Grabplatte mit Metalleinlagen, und nur drei Epitaphien aus Holz haben die Zeiten überdauert (Nr. 507, 887), eines davon mit einer Metalltafel (Nr. 854). Für den Kreis der Personen, auf die sich die Grabinschriften beziehen, gelten die in Kap. 4 gemachten Ausführungen.

Die älteste Grabschrift in deutscher Sprache ist erst auf einer Grabplatte für ein 1439 bzw. 1446 verstorbenes Ehepaar überliefert (Nr. 90), zahlreicher werden deutsche Grabschriften verhältnismäßig spät seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Latein bleibt jedoch bis 1650 die vorherrschende Sprache der Grabschriften. Zwischen den verschiedenen Inschriftenträgern des Totengedenkens gibt es dabei durchaus Unterschiede in der Verteilung der Sprachen. 150 Grabplatten mit lateinischen Inschriften stehen 87 Grabplatten mit deutschen Inschriften gegenüber, auf 18 Grabplatten finden sich beide Sprachen. Deutlicher noch überwiegt die lateinische Sprache bei den Epitaphien: es gibt 60 Epitaphien mit lateinischen Inschriften, vier Epitaphien mit lateinischen und deutschen Inschriften, aber nur zehn Epitaphien mit rein deutschen Inschriften. Von den insgesamt 11 Totenschilden trugen nur drei Inschriften in deutscher Sprache, bei den nicht näher zu definierenden Grabdenkmälern stehen 34 Inschriftenträger mit lateinischen Texten fünf Inschriftenträgern mit deutschen Texten gegenüber.

Das Formular der Lüneburger Grabschriften unterscheidet sich in seiner Entwicklung nicht von dem der bisher ausgewerteten niedersächsischen Bestände. Während sich über die Gestaltung der mittelalterlichen Grabplatten in Lüneburg nur Spekulationen anstellen lassen – vermutlich trugen sie zumeist umlaufende Inschriften und im Innenfeld Darstellungen von Verstorbenen oder ihrer Wappen –, entsprechen ihre zunächst durchgehend in Prosa verfassten Grabschriften mit dem knappen Sterbevermerk anno domini ... obiit .. und der Fürbitte cuius anima requiescat in pace dem allgemein gebräuchlichen Formular, in der deutschen Entsprechung anno domini ... starb ... mit der Fürbitte dem/der Gott gnade/gnädig sei. Die lateinischen Bestandteile Anno domini und uxor zur Bezeichnung der Ehefrau (vgl. z. B. Nr. 589) werden in sonst deutschen Grabschriften ganz selbstverständlich gebraucht. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts treten neben die knappen Sterbevermerke zunehmend längere Prosagrabschriften, die umfangreichere biographische Informationen enthalten. Als besonderes Beispiel hierfür kann die Prosagrabschrift für den Braunschweiger Joachim von Broitzem (Nr. 760) genannt werden, die eine Art späte Rechtfertigung für den aus seiner Heimatstadt Vertriebenen darstellt. Die Sterbevermerke und umfangreicheren Prosagrabschriften werden häufig – vor allem auf den mehr Platz bietenden Epitaphien – mit Versgrabschriften, Bibelzitaten oder auch auf Bibelzitate zurückgehenden Versinschriften kombiniert.

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Die frühesten lateinischen Versgrabschriften finden sich auf dem im Original erhaltenen Epitaph für den Syndikus der Stadt Martin Glöde (Nr. 314) und auf dem nur kopial überlieferten Epitaph für den Protonotar Gregor Tilitz (Nr. 315), beide aus dem Jahr 1536 und beide für studierte städtische Bedienstete. Die Verbreitung und Beliebtheit der Versepitaphien in Lüneburg ist zunächst ganz eng an die Person des Lucas Lossius gekoppelt. Nachdem Lossius, der 1531 zusammen mit Urbanus Rhegius nach Lüneburg gekommen war, um diesen bei der Einführung der Reformation in der Stadt zu unterstützen, hier die zweite Rektorenstelle an St. Johannis angetreten hatte, schrieb er lateinische Versepitaphien in Serie zu verschiedenen Anlässen, insbesondere aber anlässlich der Todesfälle von Lüneburger Patriziern, Geistlichen und Stadtbediensteten (zu Lossius s. a. Kap. 2.2.). Nur ein Bruchteil der von Lossius gedichteten und handschriftlich wie im Druck überlieferten Versgrabschriften wurde auch inschriftlich ausgeführt (eine Tabelle der literarischen Versgrabschriften in Anhang 2). Es gibt durch die übrige Überlieferung bzw. durch Lossius selbst aber in den allermeisten Fällen sehr sichere Indizien für eine inschriftliche Ausführung, auch wenn die Grabdenkmäler nicht erhalten sind. Die bereits erwähnte Versgrabschrift für Gregor Tilitz stammt sicher aus der Feder des Lucas Lossius, der auch für sein eigenes Epitaph eine Versgrabschrift verfasste (Nr. 541). Dass Lossius über seinen Tod im Jahr 1582 hinaus prägend für die Lüneburger Grabinschriften war und weitere Geistliche und Rektoren Lüneburgs wie seinen Schwiegersohn Thomas Mawer (Nr. 513) zur Abfassung von Versgrabschriften anregte, zeigt die große Zahl von insgesamt 71 Texten dieser Art bis zum Jahr 1650, die zum ganz überwiegenden Teil in elegischen Distichen geschrieben sind. Der Vergleich mit der Stadt Hannover (DI 36) mit immerhin noch 30 Versgrabschriften, der Stadt Braunschweig (DI 56), deren Inschriftenbestand nur 19 Versgrabschriften enthält, und der Stadt Hildesheim (DI 58) mit 24 Versgrabschriften, belegt die besondere Rolle dieses Texttyps in Lüneburg.

Die von Lossius in großer Zahl verfassten Versgrabschriften bestehen zum überwiegenden Teil aus Versatzstücken, die immer wieder neu kombiniert bzw. modifiziert werden. Seine Lieblingswendung, die Bezeichnung der Stadt Lüneburg als Stadt der Phoebe, der als Mondgöttin mit dem Beinamen Phoebe versehenen Diana, findet sich in sechs Versgrabschriften98) und in zwei weiteren Versinschriften99). Das in Verse umgesetzte Totenlob ist häufig so allgemein formuliert, dass man dort, wo über den Verstorbenen aus anderen Quellen oder aus einem zusätzlich überlieferten Sterbevermerk nichts zu entnehmen ist, auch keine weiteren Anhaltspunkte aus der Versgrabschrift enthält (vgl. das Epitaph für den Musiker Georg Stein Nr. 461). Im Falle der verstorbenen Ratsherren und Sülfmeister oder der städtischen Bediensteten werden deren Verdienste um die Stadt und ihre hervorragenden Eigenschaften gepriesen, die lutherischen Geistlichen für ihre Verdienste um die Gemeinde und ihre Glaubenstreue (vgl. a. Kap. 3.3.6.). Am Beginn der Versgrabschriften steht oft eine Grabbezeugung wie Hic iacet (z. B. Nr. 314, 388), am Ende wird häufig die Auferstehung oder die Aufnahme in das Himmelreich thematisiert und die Vergänglichkeit alles Irdischen betont. Lossius und die anderen Verfasser der Inschriften bedienten sich hierfür der in der Renaissance verbreiteten und schon seit der Antike in Versgrabschriften üblichen Textbausteine.100)

Nur ganz wenige Texte sind persönlicher formuliert und individuell auf den Verstorbenen zugeschnitten wie die Versgrabschrift auf den 1536 verstorbenen letzten katholischen Propst von St. Johannis, Johannes Koller (Nr. 318), in der Lossius trotz konfessioneller Gegensätze seine eigene Wertschätzung und die Wertschätzung der Lüneburger Bürger gegenüber diesem Mann eindrucksvoll formuliert hat. Thomas Mawer verfasste eine Versgrabschrift auf den 1570 verstorbenen Pastor von St. Michaelis Simon Braun, die neben etlichen biographischen Details auch die Information enthält, dass Braun fünf Ehefrauen gehabt habe, ein Umstand, der inschriftlich als res memoranda, also als besonders bemerkenswert gekennzeichnet ist (Nr. 456). Der Pastor von St. Nicolai Hiob Gigas sorgte schon zu Lebzeiten durch die Anbringung gleich mehrerer auf seine Person bezogener Denkmäler für sein Andenken, darunter ein Epitaph mit der von ihm selbst verfassten Biographie in 16 Distichen (Nr. 756), die nach seinem Tod um weitere Verse ergänzt wurde. Eine ungewöhnliche Kombination bot die mit einer knappen lateinischen [Druckseite 53] Versgrabschrift und einer griechischen Sentenz in Versen versehene Grabplatte des Ratsherrn Jakob Puffen (Nr. 405), auf der auch noch ein Sterbevermerk und ein Bibelzitat in deutscher Sprache standen.

Für Frauen sind nur wenige lateinische Versgrabschriften überliefert, was möglicherweise auch darauf zurückzuführen ist, dass diese in der kopialen Überlieferung seltener berücksichtigt wurden. Im Fall der Ehefrauen des Thomas Mawer (Nr. 513) lag die Wahl dieses Texttyps nahe, da sowohl der Ehemann als auch der Vater der zweiten Ehefrau, Lucas Lossius, selbst Versgrabschriften verfassten. Darüber hinaus gibt es noch fünf weitere Versgrabschriften für Frauen, in drei Fällen für verheiratete Angehörige von Patriziergeschlechtern (Anna Stöterogge Nr. 460, Anna Töbing Nr. 568, Anna Semmelbecker Nr. 607), für die Ehefrau eines Arztes (Jees Wiebrand Nr. 692) und für die unverheiratete Anna von Weihe, die Schwester des Priors von St. Michaelis Johann Wilken von Weihe (Nr. 817). Zu erwähnen sind hier noch zwei Grabdenkmäler mit lateinischen Versinschriften für Kinder. Die Inschriften auf dem Epitaph für die vier früh verstorbenen Kinder des Ludolph von Dassel (Nr. 612) sprechen eigenartigerweise nur von dem trauernden Vater, nicht jedoch von der Mutter der Kinder. Sehr poetisch ist die Versgrabschrift für das im Alter von nur einem Jahr verstorbene Kind Ernst von Dassel (Nr. 657).

Deutsche Versgrabschriften bleiben auf den Lüneburger Grabdenkmälern mit nur zehn Beispielen101) die Ausnahme. In deutschem Reimvers abgefasst sind die Grabschriften für die Adligen Levin von Meding (Nr. 470) und Anton von Holle (Nr. 472) in St. Michaelis, die beide aus dem Jahr 1573 stammen. Die noch zu Lebzeiten des Ehemanns verfassten Reimverse auf den Kantor von St. Johannis Christoph Praetorius und seine Ehefrau Anna (Nr. 644) erwecken zumindest beim heutigen Leser streckenweise eher Heiterkeit: Mit mir zoch sie an einm ioch / Sie ruhet nuhn ich ziehe noch. Jeweils eine lateinische und eine deutsche Version einer Versgrabschrift findet sich auf den Grabdenkmälern des Jodocus Matthias (Nr. 652) und des Andreas Sithmann (Nr. 830).

Über die Anbringung von Bibelzitaten auf den Grabdenkmälern lässt sich zunächst kaum eine Aussage treffen, weil sie in der kopialen Überlieferung weitgehend unberücksichtigt blieben. Auf Grabplatten scheinen sie aber erst seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts üblicher zu werden. Die allgemein in Grabinschriften immer wieder verwendeten und weit verbreiteten Bibelzitate Phl. 1,21 Christus ist mein Leben, sterben ist mein Gewinn und Hi. 19,25 Ich weiß, dass mein Erlöser lebt kommen in Lüneburg nachweisbar erstmals 1588 auf einer Grabplatte (Nr. 588) vor, das Philipperzitat bis 1650 siebenmal, das Hiobzitat in deutscher und lateinischer Version zehnmal. Protestantisch geprägte Inschriften und die Thematisierung der Reformation in den Grabinschriften sind bereits im Kap. 3.3.6. ausführlich behandelt worden. Hier ist aber noch einmal auf gewisse Änderungen im Formular der Inschriften einzugehen, die sich in protestantischer Zeit vollzogen. Das übliche lateinische Formular des kurzen Sterbevermerks Anno ... obiit ... cuius anima requiescat in pace findet in Lüneburg bis ins 17. Jahrhundert hinein Verwendung, allerdings immer seltener.102) Die deutsche Version der Fürbitte dem/der Gott gnade oder gnädig sei ist weiterhin gebräuchlich, zumal sie dem lutherischen sola gratia entspricht. In den lateinischen Sterbevermerken finden sich nach 1531 zunehmend die Formeln obiit bzw. obdormivit in Christo, und es wird ein sanftes Sterben betont durch Formeln wie placide in Christo obdormivit. In deutschen Sterbevermerken wird seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts häufig die Formel gottselig im Herrn entschlafen verwendet. Bemerkenswert ist, dass die Fürbitte cuius anima requiescat des öfteren abgelöst wird durch die Feststellung cuius corpus hic (in Domino) requiescit. Damit tritt an die Stelle der Fürbitte eine Grabbezeugung.

Auf einen weiteren Texttyp, der seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts auftritt, soll hier noch hingewiesen werden. Es handelt sich dabei um die auf Grabplatten angebrachten Besitzvermerke, z. B. auf der Grabplatte des Lutke Rikemann von 1577 auf dem Friedhof von St. Johannis (Nr. 504): Lutke Rikemann und sine Erben. Derartige Inschriften waren zur Sicherung von Besitzrechten von Bedeutung, da es gerade um Grabplatten, deren Zugehörigkeit wegen fehlender oder verwitterter Inschriften und Wappen nicht geklärt werden konnte, immer wieder zu Streitigkeiten kam.

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Abschließend soll hier noch auf die besondere Gestaltung von fünf im Original erhaltenen Epitaphien aufmerksam gemacht werden, die mit ihren verschiedenen Materialien stellvertretend für zahlreiche andere Epitaphien stehen, die mit dem Verschwinden der Familienkapellen aus den Kirchen, ganz besonders aus St. Johannis (vgl. Kap. 3.3.5.), entfernt wurden. In vier Fällen handelt es sich um vielteilige Epitaphien mit mehreren Bild- und Textfeldern. Die beiden steinernen Epitaphien der Familie Stöterogge von 1552 (Nr. 377, 378), die die beiden westlichen Pfeiler des Mittelschiffs in St. Johannis umfangen, beeindrucken den Kirchenbesucher noch heute durch die ungewöhnliche Art ihrer Anbringung, ihre Größe und die farbig gefassten Bild-/Textprogramme. Der Ort ihrer Anbringung und damit verbunden ihre den Pfeilern angepasste halbrunde Gestaltung war auch in der Mitte des 16. Jahrhunderts sehr ungewöhnlich und damit ein geplanter Blickfang, der der besonderen Memoria der Familie Stöterogge dienen sollte.

In ganz anderer Weise erfüllte diese Funktion das Epitaph des Heinrich Witzendorff, das in der Witzendorffschen Familienkapelle auf der Südseite des Turms von St. Johannis angebracht war und heute in der Kirche in Seedorf (Lk. Herzogtum Lauenburg) hängt. Das aus farbig gefasstem Holz sowie einer Metalltafel im Mittelteil bestehende Epitaph von 1617 (Nr. 854) beeindruckt nicht durch seine Größe – mit einer Höhe von 200 cm und einer Breite von 115 cm ist es eher klein –, sondern durch ein äußerst ausgefeiltes Bild-/Textprogramm, dem verschiedene Vorlagen der zeitgenössischen Druckgraphik zugrundeliegen. Während die bunte farbige Fassung auch bei dem Witzendorff-Epitaph eine große Rolle spielt, ist das steinerne und zum Teil aus Marmor bestehende Epitaph für Albert Elver und seine Ehefrauen von 1628 in St. Johannis (Nr. 893) ganz in Schwarz/Weiß mit einzelnen Vergoldungen vor allem der Inschriften gehalten. Das mit zahlreichen Figuren und Reliefs, Tituli, Bildbeischriften in lateinischen Versen sowie lateinischen Prosagrabschriften geschmückte Epitaph kann wohl als besonders aufwendige Variante für einen Typ von Epitaphien stehen, die es in den Lüneburger Kirchen – ganz besonders in St. Johannis – noch häufiger gegeben hat, von denen aber nur noch die Vers- oder Prosagrabschriften kopial überliefert sind.

Ganz anders gestaltet und damit wieder stellvertretend für eine weitere Gruppe sonst nicht erhaltener, sehr viel schlichterer Epitaphien aus Holz ist das Grabdenkmal für sieben 1626 an der Pest verstorbene Kinder des Pastors Sigismund Schererz (Nr. 887), das aus St. Lamberti stammt und heute in St. Nicolai hängt. Dabei handelt es sich um einen hölzernen Rahmen mit seitlichem Rollwerk und Giebel. In dem mit vorgebauten Säulen besetzten Rahmen oben ein Gemälde, das die Familie in Bethaltung zeigt, darunter die deutsche Prosagrabschrift, an deren Ende eine Fürbitte steht: der trewe Gott ... gnade ihren Seelen im Himmel: erwecke ihre leiber zum Ewigen leben: vnd tröste die betrübten Eltern; durch Christum AMEN.

5.2. Hausinschriften

Der vergleichsweise kleine Bestand von 56 Lüneburger Hausinschriften ist neben der Backsteinbebauung wohl auch darauf zurückzuführen, dass es hier keine systematische ältere kopiale Überlieferung gibt, die auch die an inzwischen längst abgerissenen Hintergebäuden in Fachwerk angebrachten Inschriften erfasst hätte. Von einigen an den Backsteinfassaden angebrachten Inschriftentafeln mit Bauinschriften und den Wappen der Bauherren abgesehen, stehen die längeren Lüneburger Hausinschriften zum großen Teil auf den Schwellbalken der Fachwerkobergeschosse, der Giebel oder der hofseitigen Fachwerkanbauten.

Die beiden ältesten Hausinschriften dieser Art stehen auf Schwellbalken an den Häusern Baumstr. 3 (Nr. 327: niederdeutsche Bauinschrift an der Fassade) und Große Bäckerstr. 19 (Nr. 329: lateinische Bauinschrift, niederdeutscher Spruch und niederdeutsches Bibelzitat). Die 1538 am Hofflügel Große Bäckerstr. 19 angebrachte beliebte protestantische Devise Dat wort Godes blift Ewich (1. Pt. 1,25) findet in der lateinischen Version VERBVM DOMINI MANET IN ETERNVM am Hofflügel des Hauses Große Bäckerstr. 18 (Nr. 349, 1543) sowie an fünf weiteren Häusern Verwendung.103) [Druckseite 55] Der überall beliebte Spruch Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut kommt auch an Lüneburger Häusern in niederdeutscher und hochdeutscher Version vor,104) das zumeist in Spruchform abgewandelte Zitat Ps. 127,1 (Wo der Herr nicht das Haus baut ...) in deutscher bzw. in lateinischer Version fünfmal.105) Der überwiegende Teil der Hausinschriften ist in deutscher Sprache abgefasst, nur 15 Hausinschriften in Latein, in drei weiteren sind beide Sprachen kombiniert. Insgesamt handelt es sich bei den Lüneburger Hausinschriften um ein buntes Gemisch aus Sprüchen und Bibelzitaten, in einem Fall am Haus Schröderstr. 12 von 1578 um ein Kirchenlied (Vorlene Vns frede gnedichlick Her godt Tho Vnsen Thiden ... , EG Nr. 421, Nr. 521).

Eine Entwicklung innerhalb der Hausinschriften lässt sich nicht beobachten, wenn man von dem langsamen Übergang von der niederdeutschen zur hochdeutschen Sprache in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts absieht. Die lateinischen und deutschen Sprüche sind ganz überwiegend religiösen Inhalts, die als Hausinschriften in anderen Städten vorkommenden Sprüche zu Neid und Missgunst der Mitmenschen fehlen hier mit einer Ausnahme (Nr. 848). Der Undank der Welt wird in Lüneburg einmal thematisiert (Nr. 551), am Haus Grapengießerstr. 12 drückte der Bauherr Hinrich Kroger mit dem Spruch LOVE LEVE TROWE EHR / SLAPEN ALE 4 (‚Glaube, Liebe, Treue, Ehr’ schlafen alle vier‘) seine Verzweiflung an der Welt aus (Nr. 465). Als Besonderheit sind hier noch die verschiedenen Inschriften der Garlopenhäuser in der Reitende-Diener-Str. 3–6 zu nennen. Neben den nur unvollständig erhaltenen Inschriften auf den Schwellbalken (Nr. 463), einer deutschen Bauinschrift und einer lateinischen Versinschrift religiösen Inhalts, gehören zum Schmuck der Häuser hölzerne Wappenmedaillons, die sich auf die in Umschriften genannten Vorfahren des Bauherrn beziehen (Nr. 383) und drei Bronzetafeln. Auf einer der Bronzetafeln wird ausführlich die Baugeschichte der Häuser erzählt, die von der Familie Garlop und von dem Schwiegersohn Heinrich Garlops, Franz Witzendorff, als Dienstwohnungen für die Reitenden Diener der Stadt Lüneburg errichtet wurden (Nr. 386), zwei weitere Tafeln tragen Zitate antiker Autoren (Nr. 385), in denen die Themen ‚Freiheit‘ sowie ‚Krieg und Frieden‘ behandelt werden.

Nicht präzise mit dem Begriff ‚Hausinschrift‘ zu fassen, aber doch zu dieser Gruppe von Inschriftträgern gehörend, sind die – zumeist nur fragmentarisch erhaltenen – ehemals vor den Bürgerhäusern aufgestellten Beischlagwangen. Inschriftlich sind sie nur als Träger von Baudaten (Nr. 143, 146, 685, A1 25, A1 44, A1 92) von Bedeutung oder geben durch die angebrachten Wappen über die Bauherren Auskunft (Nr. 176, 696).

5.3. Kirchenausstattung

In den großen Bereich der Kirchenausstattung, bei dem die im Anschluss noch einzeln zu behandelnden Glocken zunächst ausgeklammert bleiben (vgl. Kap. 5.4.), fallen Inschriftenträger der unterschiedlichsten Art und Größe von den Altären der Kirchen, ihren Taufbecken, den Vasa Sacra, bis hin zu den Textilien und den Gemälden. Viele dieser Gegenstände werden heute in den Museen aufbewahrt, sehr viele sind dem sich wandelnden Zeitgeschmack zum Opfer gefallen, ohne dass ihre Inschriften aufgezeichnet wurden. Das eindrucksvollste Beispiel hierfür bietet das heutige Erscheinungsbild der ehemaligen Klosterkirche St. Michaelis, das kaum noch etwas mit dem Aussehen der noch von Gebhardi beschriebenen Kirche und ihren zahlreichen Ausstattungsstücken zu tun hat.106) Dasselbe gilt, wenn auch in etwas modifizierter Form, für die Lüneburger Stadtkirchen St. Johannis und St. Nicolai. Die ehemalige Ausstattung der Kirche St. Lamberti beschreibt Bode107) 1860 noch kurz vor deren Abbruch, so dass man anhand dieser Beschreibung und anhand der auf die übrigen Kirchen und das Museum Lüneburg verteilten Ausstattungsstücke [Druckseite 56] aus St. Lamberti wenigstens ein ungefähres Bild vom Inneren dieser Kirche zusammensetzen kann. Anders ist dies bei den schon früh aufgelösten Klosterkirchen und Hospitalkapellen, für die zwar einzelne Inschriften auf Ausstattungsstücken überliefert sind, sich aber kein Bild der Innenausstattung rekonstruieren lässt. Eine Ausnahme bildet die kleine Benedikt-Kapelle, deren Ausstattung eine Zeichnung bei Gebhardi festhält.108)

Die großen spätmittelalterlichen Hochaltäre der Lüneburger Kirchen, deren Inschriften aus Tituli der dargestellten Figuren sowie wenigen Bildbeischriften bestehen, sind mit Ausnahme des ehemaligen Hochaltars von St. Nicolai ganz oder in Teile zerlegt erhalten. Die wenigen ganz oder teilweise erhaltenen Nebenaltäre tragen im Wesentlichen Tituli oder die Namen von Jesus und Maria auf den Rahmenleisten (Nr. 244, 266). Der als einziger inschriftlich datierte Hochaltar von St. Lamberti (Nr. 94) ist heute in St. Nicolai als Hochaltar aufgestellt. Seine Predella zeigt in Halbfigur dargestellt Moses und fünf Propheten, alle mit Schriftbändern, die Zitate aus ihren Bibelbüchern tragen. Die typischen spätmittelalterlichen Nimbeninschriften – leider teilweise durch Restaurierung verfälschend überarbeitet – tragen die heute ebenfalls in St. Nicolai befindlichen Tafeln des Heiligenthaler Altars (Nr. 95), des ehemaligen Hochaltars des Klosters Heiligenthal. Der Hochaltar von St. Johannis trägt nur wenige Bildbeischriften in den Gemälden (Nr. 152). Die überwiegend aus Tituli bestehenden Inschriften der Goldenen Tafel aus St. Michaelis sind bereits im Band DI 24, Nr. 16 veröffentlicht. Interessant sind aber die auf der Rückseite der in den Altarflügeln stehenden Figuren angebrachten Tituli und die Farbangaben zu den Gewändern, die einen Einblick in die Arbeitsweise der Werkstatt geben (Nr. 43).

Die in den Lüneburger Kirchen stehenden Orgeln waren mit Inschriften versehen, die über ihre Entstehung Auskunft gaben und die Funktion des Instruments als Mittel zum Gotteslob betonten. Erhalten hat sich nur die Inschrift an der Orgel in St. Johannis, die sich auf die umfassende Restaurierung durch den Orgelbauer Heinrich Bannith in den Jahren 1633 bis 1635 bezieht (Nr. 905). Die älteste Lüneburger Orgelinschrift stammt aus dem Jahr 1491 und datiert in einen Hexameter gefasst die Entstehung des Instruments in St. Lamberti (Nr. 164). St. Nicolai bekam um 1503 gleich zwei von dem Orgelbauer Andreas Smedeken errichtete Orgeln. Dies berichten lateinische Inschriften in elegischen Distichen (Nr. 223, 224), die an der großen und an der kleinen Orgel angebracht waren, und die zugleich auf das tönende Gotteslob der Musikinstrumente Bezug nahmen. In den Jahren 1521 bzw. 1528 erhielten auch die Kirchen St. Lamberti und St. Johannis kleine Orgeln. Während die lateinische Versinschrift der Lamberti-Orgel nur den Wohlklang des Instruments zum Lobpreis Christi ausdrückte (Nr. 256), war die Johannis-Orgel inschriftlich datiert und nannte in der lateinischen Versinschrift den Namen des Orgelbauers Hermann Bartold (Nr. 285). Nicht direkt zur Orgel gehörend, aber in deren unmittelbarer Nähe an der Orgelempore angebracht waren umfangreiche lateinische Versinschriften, die die Geschichte des Klosters Heiligenthal erzählten (Nr. 192).

Einen Eindruck von dem romanischen Taufbecken in St. Michaelis (Nr. 9), das nur zwei sehr kurze Bildbeischriften trug, vermitteln lediglich Zeichnungen bei Gebhardi. Da sich für Bronzeobjekte hohe Metallpreise erzielen ließen, wurde das wohl noch aus der Kirche auf dem Kalkberg stammende Taufbecken bei der Umgestaltung der Kirche Ende des 18. Jahrhunderts ohne Rücksicht auf sein Alter und seine Geschichte verkauft. Bei dem Taufbecken von St. Lamberti (Nr. 338, 1540) mit seinen auf den Akt der Taufe bezogenen niederdeutschen Bibelzitaten handelt es sich um das früheste protestantische Stück aus dem Bereich der Kirchenausstattung (vgl. Kap. 3.3.6.).

Unter den mit Inschriften versehenen Vasa Sacra der Lüneburger Kirchen spielen die Kelche mit 64 Katalognummern die mit Abstand bedeutendste Rolle, zumal sich andere mit Inschriften versehene Vasa sacra aus der Zeit vor 1650 kaum erhalten haben. Allerdings ist auch nur knapp ein Drittel der Inschriften tragenden Kelche im Original erhalten, zwei Drittel der Kelchinschriften sind nur kopial überliefert und wurden zur besseren Identifizierung der Stücke in Inventaren zu den Altären bzw. in einem bei der Auflösung der Vikarien nach der Reformation angelegten Register verzeichnet (vgl. Kap. 2.9. u. 3.3.5.). Die Kelche sind zumeist – soweit sich das aus der Überlieferung oder den erhaltenen Originalen ersehen lässt – mit Stifterinschriften sowie mit kurzen Fürbitten, [Druckseite 57] auf die zugehörigen Altäre verweisenden Besitzvermerken und Zueignungen oder auch mit den Namen von Jesus (Christus) und Maria auf den für spätmittelalterliche Kelche typisch gestalteten Schaftstücken und mit Kreuzestituli an den kleinen Kruzifixen auf dem Fuß versehen. Die im Original erhaltenen Kelche tragen gelegentlich Gewichtsangaben unter dem Fuß.109) Als textlich besonders interessantes Stück ist der aus St. Lamberti stammende Kelch Nr. 102 zu nennen, dessen um den Fuß laufende lateinische Versinschrift den die Messe lesenden Geistlichen anweist, für den Stifter zu beten. Da man davon ausgehen kann, dass es nur wenige Kelche ohne jegliche Inschrift gab, ist angesichts einer Zahl von 113 Altären und 376 Vikarien in den Kirchen und Hospitälern unmittelbar vor der Reformation mit einer hohen Verlustrate an Inschriftenträgern zu rechnen.

Unter Einrechnung des Anhangs 1 finden sich 24 Inschriften auf zur Kirchenausstattung gehörenden Textilien. Aus der Zeit vor der Reformation ist besonders die aus dem Hospital im Gral stammende Altardecke (Nr. 99) zu erwähnen, deren zahlreiche szenischen Darstellungen neben den Initialen der Stickerinnen kurze Bildbeischriften auf Schriftbändern tragen, die aus Bibelzitaten und liturgischen Texten bestehen. Bei drei Textilien handelt es sich um lange Kommuniontücher aus der Zeit unmittelbar nach der Reformation, außerdem um ein Fragment eines Tuchs, die alle in derselben Art gestaltete Stickereien bzw. deren Vorzeichnungen zeigen.110) Ihre von Rankenwerk umgebenen szenischen Darstellungen werden auf zwei Tüchern (Vita Abrahams, die Darstellungen auf dem zweiten Tuch nicht mehr identifizierbar) durch niederdeutsche Bildbeischriften erläutert, ein weiteres Kommuniontuch mit Darstellungen der klugen und törichten Jungfrauen durch auf das Bibelkapitel Mt. 25 bezogene lateinische Bildbeischriften. Das vierte Kommuniontuch trägt ebenfalls lateinische Inschriften, die dem Bibelbuch des mehrfach dargestellten Propheten Jesaia entnommen sind. Eine seiner Inschriften kann als alttestamentlicher Beleg für die Ablehnung der Werkgerechtigkeit interpretiert werden. Ebenfalls aus der Zeit nach der Reformation stammen fünf Pallae,111) von denen vier gestickte Stifterinschriften aufweisen, in drei Fällen wohl zugleich die Namen der Stickerinnen. Zwölf Kissen, die bei festlichen Veranstaltungen in St. Johannis auf das Kirchengestühl im Chor gelegt werden sollten, tragen das Lüneburger Stadtwappen und das Entstehungsdatum 1606 (A1 99). Als besondere Inschriftenträger der mittelalterlichen Lüneburger Kirchenausstattungen ist eine Gruppe von Reliquienkästchen aus Blei zu nennen, die aus St. Michaelis stammen. Von den heute im Museum August Kestner in Hannover verwahrten Kästchen tragen neun in Gebrauchsschrift eingeritzte inschriftliche Bezeichnungen, die über die Altarzugehörigkeit oder die Reliquien Auskunft geben und vermutlich im Zusammenhang mit dem Umzug des Klosters in die Stadt in Verbindung stehen, sich aber nur ungefähr auf das 14./15. Jahrhundert datieren lassen.112)

Ebenfalls aus St. Michaelis stammen zwei erhaltene Gemälde eines seit 1495 entstandenen Benediktzyklus, der ursprünglich 30 Gemälde mit umfangreichem Text-/Bildprogramm umfasste. Das komplette Inschriftenprogramm, ist durch Gebhardi überliefert (Nr. 169). Es besteht neben Tituli aus unter den Darstellungen stehenden lateinischen Versinschriften, größtenteils nach einem auf die Vita Benedikts bezogenen Gedicht des Paulus Diaconus, die das Dargestellte erläutern, sowie Schriftbändern in den Szenen, deren Texte zumeist wörtlich oder leicht abgewandelt der Benediktvita Gregors des Großen entnommen sind. Das Schicksal der 30 Gemälde, von denen nur zwei erhalten und restauriert sind, zeigt, wie groß die Gefährdung dieser Art von Inschriftenträger generell ist. Die übrigen 28 Ende des 18. Jahrhunderts noch vorhandenen Bildtafeln, die damals wohl durchweg in keinem guten Erhaltungszustand mehr waren, wurden als nicht erhaltenswert empfunden und entsorgt. Dasselbe dürfte für einen Großteil der Gemälde aus den Lüneburger Kirchen gelten, über deren Anfertigung beispielsweise die Kirchenrechnungen von St. Johannis und andere Archivalien Auskunft geben, von denen sich aber keine Spur mehr finden lässt. Erhalten hat sich in St. Michaelis noch die große, Mitte des 16. Jahrhunderts entstandene Abtstafel, von der bereits in Kap. 3.3.6. die Rede war.

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Die heute in St. Johannis hängenden Gemälde können in ihrer unterschiedlichen Gestaltung noch einen Eindruck von der Vielfalt der ehemaligen Ausstattung in der zweiten Hälfte des 16. und ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts geben. Dazu gehörten den Archivalien zufolge verschiedene Bilder aus der Werkstatt des Daniel Frese, von denen sich in St. Johannis zwei kleinere nur mit einer Jahreszahl und einem Renovierungsvermerk versehene Bildtafeln mit der Darstellung des Abendmahls und der Auferstehung (Nr. 466, 1572) sowie ein großes, wohl ehemals als Bekrönung eines Beichtstuhls angebrachtes Gemälde mit der Verklärung Christi als Hauptszene erhalten haben (Nr. 555, 1584?). In letzterem sind die aus Bibelzitaten bestehenden deutschen Inschriften auf die Darstellungen bezogen, aber zu stark durch Restaurierung überarbeitet, als dass man etwas zur Sprachform sagen könnte. Das hinter dem Hochaltar aufgehängte Gemälde ‚Christus als Lebensborn‘ (Nr. 758), das um 1603 von Lucas up dem Born oder Anton Jaster – beides Lüneburger Maler – gemalt wurde, trägt im Gemälde hochdeutsche Bibelzitate, die auf den Tod Christi und die Erlösung der Menschen durch ihn bezogen sind. Am Lebensborn versammelt sind die zur Zeit der Anfertigung des Bildes amtierenden Lüneburger Pastoren. Das Gemälde steht in engem Zusammenhang mit einem Epitaph, das das gleiche Bildthema zeigt (Nr. 747), dem aber eine Grabschrift zur sicheren Zuweisung fehlt. Vermutlich war es für den im Gemälde in einer Gruppe von Geistlichen dargestellten Superintendenten Caspar Gödemann bestimmt, von dem auch ein inschriftlich bezeichnetes Porträt in der typischen Art der Pastorenbilder der damaligen Zeit erhalten ist (Nr. 746, 1603).

5.4. Glocken

Für die Lüneburger Kirchen und die öffentlichen weltlichen Gebäude sind die Inschriften von 33 Glocken überliefert, von denen sich 19 im Original erhalten haben. Die älteste mit Inschriften versehene Glocke stammt aus dem Jahr 1385 (Nr. 23) und hing früher im Rathausturm; heute befindet sie sich im Museum Lüneburg. Sie trägt eine Meisterinschrift des Glockengießers Johannes sowie das Gussdatum und ein auf die Glocke bezogenes Psalmzitat LAVDATE EVM IN SIMBALIS BENESONANTIBVS (Ps. 150,5). Drei Glocken aus den Jahren 1436 (St. Johannis, Nr. 73, 74) und 1445 (St. Lamberti, Nr. 89) wurden von dem in Norddeutschland überregional tätigen Glockengießer Gerd Klinge gegossen. Die drei sorgfältig gestalteten und je nach Größe mit anspruchsvoller Zier versehenen Glocken zeigen die unterschiedlichen Möglichkeiten der hier anzubringenden Inschriften. Auf der größten Glocke, der ‚Apostelglocke‘ von St. Johannis (Nr. 73), stehen neben dem Gussdatum eine Widmung an die Patrone, eine Fürbitte und eine Glockenrede, in der die Glocke ihren Namen nennt, sowie eine Gießerinschrift, alles in niederdeutschem Reimvers; in den Nimben der auf dem Glockenmantel dargestellten Figuren Johannes des Täufers und Marias stehen die aus der Liturgie stammende kurze lateinische Fürbitte ... ora pro nobis sowie das lateinische Mariengebet nach Lc. 1,28. Dagegen nehmen sich das Gussdatum und das Mariengebet nach Lc. 1,28 auf der Glocke Nr. 74 eher bescheiden aus, ebenso das Gussdatum, die kurze niederdeutsche Glockenrede mit Nennung des Namens und die mit einer Fürbitte kombinierte Gießerinschrift in niederdeutschen Reimversen auf der Glocke Nr. 89.

Die schlichte Form einer aus dem Gussdatum und der Gießerinschrift bestehenden Glockeninschrift zeigt auch die im Jahr 1440 für St. Michaelis von dem Lüneburger Gießer Hans Snitker gegossene Glocke (Nr. 78). Die abgesehen von der ‚Apostelglocke‘ Gerd Klinges schönste Glocke Lüneburgs ist die 1491 von dem berühmten niederländischen Gießer Gerhard de Wou für St. Lamberti gegossene ‚Marienglocke‘ (Nr. 165). Sehr typisch für diesen Gießer ist neben der kunstvollen Buchstabengestaltung und Glockenzier, hier mit einem Relief der Maria als Himmelskönigin auf dem Glockenmantel, die in lateinischen Distichen formulierte Inschrift, die aus einer längeren Glockenrede und einer mit dem Gussdatum kombinierten Gießerinschrift besteht.

In der Zeit von 1516 bis 1519 goss Heinrich von Kampen insgesamt acht Glocken für die Kirchen St. Johannis, St. Nicolai und die Klosterkirche St. Marien,113) von denen nur zwei erhalten sind (Nr. 241, 251). Die meisten dieser Glocken tragen oder trugen lateinische Versinschriften, unter denen [Druckseite 59] die um die Schulter laufenden Versinschriften der Glocken Nr. 241, 242, 243 und 250 besonders interessant sind, weil sie jeweils zweiteilig aufgebaut und auf die jeweils zwei Reliefs auf dem Glockenmantel bezogen sind, die Christus, Maria und verschiedene Heilige zeigen. Fünf dieser Glocken sind zudem mit einer Gießerinschrift versehen.

Aus der Zeit vor der Reformation sind noch die 1526 gegossenen vier Glocken eines Glockenspiels im Rathausturm mit an den Salvator, Maria, Katharina und Johannes Baptista gerichteten Fürbitten zu erwähnen (Nr. 279, 280, 281, 282). Die beiden von dem Gießer Andreas Heinecke 1597 und 1600 für St. Nicolai und St. Johannis gegossenen Glocken tragen Inschriften eines im 17. Jahrhundert zunehmend verbreiteten Typs mit den Namen des Kirchenvorstands, des Gießers und dem Gussdatum (Nr. 663, 688). Anspruchsvoller sind die Inschriften auf vier von der Gießerfamilie Voß seit 1607 gegossenen Glocken, auf denen sich in drei Fällen wieder lateinische Distichen mit einer Glockenrede finden, einmal kombiniert mit einer Glockenrede in deutschen Reimversen auf den Gießer (Nr. 786), in zwei Fällen kombiniert mit lateinischen Prosainschriften mit den Namen des Kirchenvorstands und dem Gussjahr (Nr. 908, 960). Eine weitere Glocke von Paul Voß II. von 1650 für St. Nicolai trug eine deutsche Inschrift bestehend aus einer Glockenrede aus Reimversen und der Nennung von Kirchenvorstand, Gießer und Gussdatum in Prosa (Nr. 963).

5.5. Geschütze

Die insgesamt 30 Geschützinschriften der Stadt Lüneburg sind ausnahmslos kopial überliefert. Sie stellen ganz sicher nur einen kleinen Bruchteil der auf den Geschützen der Stadt angebrachten Inschriften dar. Dabei umfasst eine Katalognummer öfter die gleichlautenden Inschriften mehrerer Geschütze derselben Art. Den Geschützguss der Stadt Lüneburg dominierten im 16. Jahrhundert mehrere Generationen der Gießerfamilie Barchmann, deren Namen sich auf den Geschützen finden und die in den Kämmereirechnungen dieser Zeit ständig genannt sind.114) Die älteste überlieferte Geschützinschrift stammt aus dem Jahr 1522 und besteht wie einige andere Geschützinschriften auch nur aus der Jahreszahl und den Initialen des Gießers Sivert Barchmann (Nr. 260). Textlich interessanter sind die vom selben Gießer 1532 gefertigten Geschütze Nr. 307 und Nr. 308, die in deutschen Reimversen selbst sprechen, ihren Namen nennen und ihre Gefährlichkeit zum Ausdruck bringen. ‚Der Drache‘ sagt über sich: ICH BIN DE DRAKE UNGEHVR / WEN ICH STEKE DEM WART DAT LAGGEN DWRE (‚Ich bin der ungeheure Drache, wen ich steche, den kommt die Belagerung teuer zu stehen‘). ‚Die Sängerin‘ warnt: De Sengerinne bin ick genant / Försten und Herrn bin ick wol bekant / Den mein Ghesang isth nicht söte / Sich umme es gheilt dir hände und föte (‚Die Sängerin bin ich genannt, Fürsten und Herren bin ich gut bekannt, denn mein Gesang ist nicht süß. Sieh dich vor, es kostet dich Hände und Füße.‘). Derartige Reden der Geschütze, die in deutschen Reimversen ihre durchschlagende Wirkung anpreisen, finden sich auch auf drei nach den Heiligen Drei Königen benannten, 1563/64 von Valentin Barchmann gegossenen Geschützen (Nr. 413, 424, 425). Auf Geschützen dieses Gießers steht wiederholt eine Reihe von nicht auflösbaren Initialen (OGKMG, u. a. Nr. 358), die vermutlich für eine Devise stehen.

Eine weitere Art von Inschriften ist für vier Geschütze überliefert; sie tragen deutsche Stifterinschriften, in denen sich die Sülfmeister (Nr. 356, 357) bzw. die Angehörigen der Barbaragilde (Nr. 334) und die Angehörigen der Gertrudengilde (Nr. 325) nennen, auf deren Kosten das jeweilige Stück gegossen wurde. Offenbar waren sehr viele Geschütze der Stadt mit derartigen Inschriften versehen, denn anlässlich des Verkaufs unbrauchbar gewordener Geschütze im Jahr 1799 wurde angemerkt, dass die meisten nach Ausweis der auf ihnen angebrachten Nahmen und Bildzeichen durch Stiftungen von Bruderschaften und Gilden finanziert worden waren. Daher baten die Vorsteher der Bürgerschaft den Rat, mit diesen Beweisen für den Patriotismus der Bürger bei einem möglichen Verkauf achtsam umzugehen.115) In den Jahren 1626/27 und 1638 kaufte die Stadt Lüneburg [Druckseite 60] mehrere Geschütze bei dem Hamburger Gießer Hans Nuesel, deren Gießerinschrift jeweils als lateinische Geschützrede M(agister) Hans Nuesel me fecit Hamburgi formuliert ist.116)

5.6. Die Ausstattung profaner Gebäude

Sowohl aus den Bürgerhäusern als auch aus den öffentlichen Gebäuden der Stadt sind zahlreiche Inschriftenträger überliefert. Bei den Inschriftenträgern aus Privatbesitz reicht dies von Gemälden und Gegenständen der privaten Andacht wie einem Hausaltar (Nr. 270) über zahlreiche Truhen117) und Laden118) hin zu kleinen praktischen Gegenständen wie Waffeleisen (Nr. 833, 952) oder einer Elle (Nr. 183). Die Inneneinrichtungen der Bürgerhäuser bieten Inschriften vor allem auf Zimmertüren119) und Balkendecken (vgl. Kap. 5.6.3.). Abgesehen von den Balkendecken sind die Inschriftenträger derart vielfältig, dass sie nur in den jeweiligen Katalogartikeln behandelt werden können.

5.6.1. Die Ausstattung des Rathauses

Von der Ausstattung des Lüneburger Rathauses an den Fassaden und in den Prunkräumen des Fürstensaals und der Großen Ratsstube in der zweiten Hälfte des 16. und im beginnenden 17. Jahrhundert war bereits ausführlich die Rede (Kap. 3.3.7.). Daneben gibt bzw. gab es in den verschiedenen Gebäuden des Rathauskomplexes noch diverse zur Inneneinrichtung gehörende Ausstattungsstücke mit Inschriften aus der Zeit vom Spätmittelalter bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums 1650.

Bei den ältesten im Rathaus erhaltenen Inschriftenträgern handelt es sich um die Glasmalereien in den Fenstern der Gerichtslaube (Nr. 69, 70), die möglicherweise auf das Jahr 1434 zu datieren sind und in der Südwand Neun Gute Helden in Ganzfigur zeigen. Sie sind durch ihnen beigegebene Tituli identifiziert und berichten selbst in den lateinischen Inschriften, die in elegische Distichen gefasst sind, von ihren eigenen Taten. Den oberhalb der Helden dargestellten Weisen sind lateinische Sentenzen zum Thema ‚gute Rechtsprechung‘ beigegeben, die sich in den Fenstern auf der Ostseite des Raums in einem entsprechenden Bild-/Textprogramm fortsetzen und im Wesentlichen aus den Werken von Seneca, Cicero und Publilius Syrus stammen. Inhaltlich verknüpft sind diese auch mit den lateinischen Bibelzitaten zum Thema Gericht und Rechtsprechung, die den Figuren im großen Weltgerichtsbild im Bogenfeld über den beiden nördlichen Arkadenbögen im selben Raum beigegeben sind (Nr. 177). Hier wurde sogar der Apostel Jakobus in das Weltgerichtsbild aufgenommen, um ihm die Inschrift aus dem Jakobusbrief 2,13 Judicium sine misericordia fiet illi qui misericordiam non fecit (‚Ein unbarmherziges Gericht wird über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit geübt hat.‘) zuordnen zu können. Die inschriftliche Lehrstunde für Bürgermeister und Ratsherren setzt sich in den aus der Zeit von 1491 bis 1493 stammenden Glasmalereien in dem Fenster der Bürgermeister-Körkammer fort (Nr. 166). Dem dort in Ganzfigur dargestellten Gremium aus den vier amtierenden Bürgermeistern sind ebenfalls lateinische Sentenzen – in diesem Fall auf Terenz und Cicero zurückgehend – zugeordnet, in denen vorausschauendes Handeln, sofortige Bekämpfung jeden Übels, sowie die Bedeutung von Gerechtigkeit und Pflichterfüllung thematisiert sind. Auch die im Jahr 1529 durch Marten Jaster ausgeführte Bemalung der Holzverkleidung der südlichen Westwand der Gerichtslaube (Nr. 290), hinter der sich Schränke verbergen, und der Schränke vor den Pfeilern der Südwand blieb in diesem Konzept, den in modischer Kleidung dargestellten Personen lateinische Sentenzen zum Thema Gerechtigkeit und Rechtsprechung verschiedener klassischer Autoren beizugeben. Seine Fortsetzung findet dieses Konzept einige Jahrzehnte [Druckseite 61] später in den bereits behandelten Inschriftenprogrammen des Richthauses und der Nordfassade (Kap. 3.3.7.2.).

An Inschriftenträgern aus dem Bereich der Bildhauerwerkstätten ist an Holzarbeiten neben den bereits erwähnten Portalen des Albert von Soest sowie seinem Gestühl für die Große Ratsstube noch einmal das von Warneken Burmester gefertigte Gestühl der Gerichtslaube zu nennen, das neben den auf die Darstellungen bezogenen Tituli ein lateinisches Psalmzitat DOMINVS CVSTODIAT INTROITVM ET EXITVM TVVM VSQVE IN SECVLVM (‚Der Herr beschütze deinen Eingang und Ausgang bis in Ewigkeit.‘) trägt mit der Angabe der Bibelstelle nach der Psalmenzählung der Lutherbibel (Nr. 633). Inschriften an Bildhauerarbeiten in Stein finden sich im Rathaus außer an den Fassaden noch an drei als Skulpturenschmuck dienenden Löwenfiguren, die mit deutschen Bibelzitaten versehene Schilde in den Vordertatzen halten (Nr. 885, 757), sowie an drei Kaminen im Rathaus. Ein heute in der Großen Kommissionsstube angebrachter Kamin von 1598 (Nr. 675), dessen Provenienz nicht bekannt ist, zeigt den Triumph der guten Mächte, demonstriert am Beispiel des verleumdeten Apelles, kombiniert mit der Darstellung von Gesetz und Gnade im Bild des Baumes. Die lateinische Versinschrift in elegischen Distichen ist als Ekphrasis formuliert, die das Bildgeschehen ausdeutet. Ein zwei Jahre später durch Lucas up dem Born angefertigtes Gemälde (Nr. 695) im Rathaus zeigt dasselbe Bildmotiv, die inschriftlichen Erläuterungen beschränken sich hier aber auf den dargestellten Figuren beigegebene Tituli. Auf dem Kaminsturz im Fürstensaal von 1606 mahnt eine lateinische Versinschrift die Ratsherren, die Mühen ihres Amtes willig auf sich zu nehmen (Nr. 784). Sie passt damit zu den vielen als Verhaltensregeln formulierten Rathausinschriften. Der dritte Kamin in der Sodmeister-Körkammer ist nur ungefähr auf die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zu datieren (Nr. 722). Er trägt mit Abrahams Opfer und der Auferstehung Christi biblische Motive, denen passende lateinische Bibelzitate beigegeben sind.

Unter den zahlreichen Gemälden und Bild-/Textprogrammen des Rathauses ist noch eine besondere Gruppe von Inschriftenträgern aus der Zeit um 1600 zu erwähnen, mit der sich die weitgehend aus den Lüneburger Patrizierfamilien stammenden Ratsherren in Szene setzten. Insgesamt sind aus der Zeit bis zum Jahr 1650 neun große, querformatige Wappentafeln erhalten, weitere gibt es aus jüngerer Zeit, wahrscheinlich sind auch nicht alle ehemals vorhandenen Wappentafeln überliefert. Die Überschrift der im Jahr 1597 angefertigten ältesten Tafel (Nr. 664) beschreibt treffend deren Inhalt: Hier stehn gezeichnett vberall. / Der Richthern Schildt. Nahme(n) vnd Zall. In neun Reihen stehen darunter für die einzelnen Jahre paarweise angeordnet und mit dem jeweiligen Jahr überschrieben die Vollwappen der beiden amtierenden Richteherren über deren Namen, im Fall dieser Tafel also 202 Wappen und Namen für die Jahre 1500 bis 1600. Fortgesetzt ist die Reihe auf einer weiteren im Jahr 1600 angelegten und in Etappen bemalten Tafel, die die Richteherren der Jahre 1600 bis 1699 nennt. Offenbar veranlassten diese Beispiele die Kämmerer, ihre Namen und Wappen und die ihrer Vorgänger im Jahr 1604 ebenfalls verewigen zu lassen: drei bereits im Jahr 1450 einsetzende Wappentafeln (Nr. 761, 762, 763) sind bis zum Jahr 1651 geführt. Deutlich kleiner und im Aufbau anders gestaltet sind die vier Wappentafeln der Apothekenherren (Nr. 880, 881, 882, 883), die die Zeitspannen von 1496 bis 1509 und von 1534 bis 1546 umfassen und nicht mehr vollständig sind. Für die Anfertigung aller Wappentafeln griff man offensichtlich auf die Registerbücher des Archivs zurück, in denen jährlich die Amtsträger verzeichnet wurden. Die sich ständig auf diesen Tafeln wiederholenden Wappen der Lüneburger Patriziergeschlechter demonstrieren deren Macht in der Stadt.

Wie die Wappentafeln von den Inschriftentexten her nicht besonders spektakulär, in sich sehr heterogen, aber als Ensemble betrachtet interessant ist eine andere Gruppe von Inschriftenträgern des Lüneburger Rathauses, die unter dem Oberbegriff der Stadtverwaltung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit zusammenzufassen wäre. Das älteste und weitaus kostbarste Stück ist ein nach seiner Funktion als ‚Bürgereidkristall‘ bezeichnetes Reliquiar von 1443 (Nr. 86), das kurze, auf die Darstellung des Weltenrichters bezogene lateinische Bibelzitate trägt sowie Tituli der dargestellten Evangelistensymbole und einen Kreuzestitulus. In dem großen Kristallgefäß auf dem Dach des hausförmigen Schreins befand sich bis zur Reformation eine Reliquie, auf die Neubürger der Stadt den Bürgereid schworen. Das zusammen mit dem Ratssilber verkaufte und heute im Kunstgewerbemuseum Berlin befindliche Reliquiar wurde 1597 in Holz nachgebaut und damit ein weiterer [Druckseite 62] Schwurblock angeschafft, den man bei der Vereidigung von Neubürgern nutzen konnte (Nr. 662). Dieser trägt lediglich den Namen des ausführenden Bildschnitzers und die Wappen der amtierenden Richteherren. Einen Eindruck von der täglichen Arbeit im Rathaus in der frühen Neuzeit geben die teilweise noch in situ, teilweise im Museum Lüneburg befindlichen Gegenstände aus den Räumen der Alten Kanzlei und des Alten Archivs. Soweit es die Inschriftenträger betrifft, handelt es sich um Schachteln (Nr. 304), größtenteils Spanschachteln, in denen die Archivalien verwahrt wurden und die mit Ordnungsbuchstaben sowie mit den Titeln der Schriftstücke bezeichnet wurden, sowie um Kisten mit Jahreszahlen zur Bezeichnung der darin chronologisch geordneten Archivalien (A1 124, 1639ff.). In mit Ordnungsbuchstaben und Ziffern versehenen Schrankfächern der Alten Kanzlei wurden ebenfalls Archivalien einsortiert (Nr. 732). Die im Rathaus abgelieferten Steuereinnahmen wurden an einem mit den Währungseinheiten und römischen Ziffern bezeichneten Rechentisch gezählt (Nr. 206). Zwei Eichgewichte (Nr. 199), laut Inschriften ein und zwei Pfund schwer und Besitz des Lüneburger Rats, garantierten das korrekte Abwiegen von Waren. Die im Rathaus aufbewahrten Schlüssel zu verschiedenen Toren und Pforten der Stadtbefestigung waren zu ihrer Identifizierung mit beschrifteten Schlüsselanhängern versehen (Nr. 210, 373).

5.6.2. Das Lüneburger Ratssilber

Hab niemalen so vil diser sachen by sammen gesehen, und ein groß guett, wertt und wirdig zu sehen und zue notieren vermerkte der Freiherr Augustin von Mörsperg 1590 angesichts der ihm in den geöffneten Schränken der Gerichtslaube präsentierten Kleinodien des Lüneburger Ratssilbers.120) Anders als die Reisenden des 16. und 17. Jahrhunderts, denen im Lüneburger Rathaus das in den verschiedenen Schenkschieven (Schränken) verwahrte Lüneburger Ratssilber gezeigt wurde, um in eindrucksvoller Weise den Reichtum der Stadt zu demonstrieren, muss der Tourist heute das Kunstgewerbemuseum in Berlin aufsuchen, um dort die 1874 von der Stadt an den preußischen Staat verkauften Originale im Ensemble zu betrachten und sich einen – wenn auch sicherlich unzureichenden – Eindruck von der ehemaligen Pracht zu verschaffen. Die als ‚Ersatz‘ für die Stadt Lüneburg angefertigten galvanoplastischen Kopien, die inzwischen im Gewandhaus des Rathauses zu besichtigen sind, vermitteln nur einen sehr unzureichenden Eindruck dieser Meisterwerke der Lüneburger Goldschmiedekunst.121) Der Katalog Bursches verzeichnet 37 Goldschmiedearbeiten, von denen 34 zum Bestand des Kunstgewerbemuseums – ehemals Deutsches Gewerbemuseum – in Berlin gehören bzw. gehörten, denn zwei bedeutende Stücke, das Trinkhorn (Nr. 153) und das Große Gießbecken (Nr. 387) sind seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen. Mit einer Ausnahme stammen die Kleinodien aus der Zeit vor 1650. 22 der 37 Stücke sind mit Inschriften der unterschiedlichsten Art versehen; sie stammen aus der Zeit von 1473 bis 1606. Größtenteils handelt es sich um (Deckel)pokale, Becher und Schalen des späten Mittelalters und der Renaissance sowie um zwei als Löwen gestaltete große Aquamanile (Nr. 336, 343).

Dass die erhaltenen Stücke nur einen Bruchteil des ehemals vorhandenen Schatzes ausmachen, zeigen die alten Inventare des Ratssilbers.122) Das Inventar von 1598/99 verzeichnet 253 Kleinodien, häufig mit dem Namen des Stifters, der sich aus einer jeweils auf dem Stück angebrachten Inschrift entnehmen ließ, wie z. B. auf dem Wurzel-Jesse-Pokal (Nr. 403), der die Inschrift D(OMINVS) NICOLA(VS) STOTEROGGE CONSVL CIVITAT(IS) LVNEBVR-G(ENSIS) INCLITO : SENATVI : LEGAVIT · 1560 trägt. Hier lautet der Eintrag im Inventar: Der Stam Jesse ... so herr Claus Stöteroggen gegeben.123) Das Beispiel zeigt, dass die meisten Einträge der Inventare zwar die Namen der Stifter enthalten, aber nicht als kopiale Inschriftenüberlieferung betrachtet werden [Druckseite 63] können. Dies ist nur bei fünf Einträgen der Fall; die jeweiligen Kleinodien, auf die sie sich beziehen, sind nicht erhalten.124) Oft sind in den Inventaren auch nur die Wappen der Stifter genannt, die auf den Goldschmiedearbeiten angebracht waren.

Betrachtet man die auf den Stücken des Ratssilbers angebrachten Stifterinschriften und die mit der Anfertigung der Kleinodien in Verbindung stehenden Archivalien wie Testamente oder Kämmereiregister, so gibt es mehrere Möglichkeiten, wie eine Goldschmiedearbeit in das Ratssilber gelangte. Sie konnte auf privaten Auftrag hin speziell für das Ratssilber angefertigt werden – oft testamentarisch veranlasst –, oder zunächst in einem Privathaushalt in Gebrauch sein und später – z. B. beim Tod des Besitzers – dem Rat übergeben werden. Da man Goldschmiedearbeiten immer wieder an durchreisende Würdenträger überreichte, hatte der Rat zumeist jedoch auch einen von ihm selbst bei den Goldschmieden in Auftrag gegebenen Vorrat an Pokalen oder Schalen in seinen Schränken stehen. Was passierte, wenn einmal nichts Passendes in den Schränken stand, ist noch zu demonstrieren. Im Gegenzug erhielt die Stadt Lüneburg von durchreisenden Fürsten ebenfalls Goldschmiedearbeiten überreicht. Das älteste mit einer Inschrift versehene Stück des Lüneburger Ratssilbers, der Jaspispokal (Nr. 134), dokumentiert eine solche Schenkung durch Herzog Friedrich II. den Frommen von Braunschweig-Lüneburg im Jahr 1472. Die Stifterinschrift ließ der Rat jedoch erst 1473 auf dem nun zusätzlich auf Kosten der Stadt angefertigten Deckel anbringen.

Dass die Stiftung eines Kleinods für das Ratssilber der Memoria des Schenkenden dienen sollte, zeigt die Kirchenväterschale von 1476 (Nr. 139), die im Schalenboden eine um das Wappen des Stifters verlaufende Inschrift HANC APOTECARIVS TRIBVIT DOMINIS(!) MATHIAS MVST 1476 trägt. In seinem Testament hatte der Apotheker verfügt, dass seine Testamentsvollstrecker eine solche Schale anfertigen lassen sollten uppe dat radhusz, dar scholen se myner dencken. Wie wichtig der Aspekt der Memoria bei der Stiftung des Ratssilbers war, zeigen drei mit lateinischen Sterbevermerken der Stifter versehene Pokale (Nr. 225, 284, 309), von denen der jüngste aus dem Jahr 1533 auch noch die in Grabschriften übliche Fürbitte cuius anima requiescat in pace trägt.

Die Behauptung Bursches, der Lüneburger Rat habe im Gegensatz zu anderen Städten die Erinnerungsstücke konsequent bewahrt,125) ist zwar nicht ganz falsch, aber von konsequenter Bewahrung der gestifteten Stücke selbst kann keine Rede sein, auch wenn nach einem Ratsbeschluss vom 4. November 1476 die Veräußerung von dem Rat geschenkten Kleinodien verboten sein sollte und diese auf ewige Zeit im Rathaus verbleiben sollten, es sei denn, man wäre durch die äußere Not gezwungen.126) Der Begriff der äußeren Not ist allerdings recht dehnbar. Das illustriert das Beispiel des eben erwähnten Pokals von 1533 anschaulich, den der 1505 verstorbene Lüneburger Bürgermeister Cord Lange dem Rat testamentarisch vermacht hatte. Dieser Pokal, der dem Andenken des Bürgermeisters dienen sollte, wurde 1519 an den durchreisenden Herzog Heinrich I. von Braunschweig-Lüneburg verschenkt und anschließend ein Ersatzpokal durch den Goldschmied Hinrick Grabow angefertigt. Allerdings verblieb auch dieser Pokal nicht lange im Ratssilber, denn schon im Jahr 1533 wurde er Herzog Heinrich V. von Mecklenburg überreicht. Das heute erhaltene ‚Erinnerungsstück‘ hat auch insofern nicht mehr viel mit dem Original zu tun, als zwar offensichtlich die Stifterinschrift bei den Neuanfertigungen jeweils übernommen wurde, aber in der heute erhaltenen Version von 1533 Fehler aufweist, darunter das falsch ausgeführte Todesdatum des Bürgermeisters. Das Schicksal dieses Pokals ist kein Einzelfall. Die Lüneburger Kämmereiregister des 16. Jahrhunderts verzeichnen zahlreiche ähnliche Neuanfertigungen verschenkter Pokale, die eigentlich das Andenken ihrer Stifter bewahren sollten.127) Die Ausgaben des Rats für solche Goldschmiedearbeiten waren den jährlichen Einträgen in den Kämmereiregistern zufolge beträchtlich; zugleich gewährleistete der große Bedarf im 16. Jahrhundert den Lüneburger Goldschmieden eine wichtige Einkommensquelle.

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Nicht alle Pokale des Lüneburger Ratssilbers wurden eigens zur Stiftung an die Stadt angefertigt. Das zeigt der als ‚Interimspokal‘ bezeichnete, unter den Stücken des Ratssilbers an Qualität und Thema herausragende Pokal (Nr. 381), den der Lüneburger Bürgermeister Franz Witzendorff 1554 für den Gebrauch bzw. zur Präsentation im eigenen Haus herstellen ließ und testamentarisch seinem Sohn Heinrich überließ. Dieser stiftete ihn dann 1617 testamentarisch dem Rat, vermutlich auch, weil das Bild- und Inschriftenthema des Augsburger Interims inzwischen nicht mehr von Bedeutung war, wie die etwas unsensible Umgestaltung der Pokalbekrönung zeigt. Der von dem Bürgermeister Nikolaus Stöterogge 1562 testamentarisch gestiftete Wurzel-Jesse-Pokal, ebenfalls eine der besonders aufwendigen Goldschmiedearbeiten des Ratssilbers, sollte zwar zum Zweck der Stiftung neu angefertigt werden, sich dabei aber genau an einem im Haushalt Stöterogge bereits vorhandenen Stück orientieren, von dem eine Kopie angefertigt werden sollte. Das Original sollte laut Testament jeweils an den ältesten Sohn der Familie weitervererbt werden; über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

Die auf den Goldschmiedearbeiten angebrachten, zumeist lateinischen Stifterinschriften sind von sehr unterschiedlicher Länge. Sie reichen von kurzen Inschriften, die nur aus einem Namen und einer Jahreszahl bestehen (z. B. Nr. 558, 686) über Widmungen an den Rat (Nr. 336, 403), die mit einem Sterbevermerk kombiniert sein können (Nr. 284, 387), bis hin zu einer ausführlichen Schilderung der Geschichte des Stücks auf dem Brandenburger Pokal, für die der Platz außen nicht reichte, so dass man auf dem Fuß nur den Verweis VIDE INFRA anbrachte, der auf eine unter dem Fuß angebrachte Inschriftenplatte mit langem lateinischen Text verweist.

Abgesehen von den Stifterinschriften trägt ein Teil der Goldschmiedearbeiten Bildbeischriften, die die Darstellungen erläutern. Die durchaus als polemisch zu bezeichnenden Darstellungen des Interimspokals von 1554 (Nr. 381), die die lutherische Bildpropaganda zur Vorlage haben, kontrastieren mit einer sachlichen lateinischen Inschrift, die den Vorgang des Augsburger Interims schildert, sowie mit ausgesuchten lateinischen Bibelzitaten, die die Lehre Luthers untermauern und als Bildbeischriften zu biblischen Szenen angebracht sind. Ansonsten können die Bildbeischriften aus einfachen Tituli bestehen wie auf dem Töbing-Pokal, wo sie die dargestellten Herrscher benennen (Nr. 743), oder aus längeren lateinischen Erläuterungen der dargestellten Szenen wie auf dem Großen Gießbecken (Nr. 387) mit seinen Heldendarstellungen aus der Antike oder der dargestellten biblischen Figuren wie auf dem Wurzel-Jesse-Pokal (Nr. 403). Als einziger unter den Pokalen des Ratssilbers trägt dieser Pokal zudem eine Inschrift in niederdeutschen Reimversen, die Bezug auf die Gastfreundschaft und das Essen und Trinken nimmt und dies mit dem Lob Gottes verbindet. Zur Gottesverehrung und Frömmigkeit fordert die lateinische Inschrift des Töbing-Bechers von 1566 auf (Nr. 429). Der von Hinrich Kroger 1585 zu seinen Lebzeiten gestiftete Doppelpokal (Nr. 558) trägt zweimal die oben um die Öffnung eingravierte Inschrift DER SEGEN DES HERN MACHET REICH OHNE ALLE MVHE, ein Spruch, der sonst eher in Hausinschriften gebräuchlich ist. Der mit deutschen Reimversen wie mit lateinischen Vers- und Prosainschriften versehene, von Johannes Koller 1536 gestiftete Münzpokal (Nr. 313), der inschriftlich wie in der Janusdarstellung auf dem Deckel Bezug auf die Wechselfälle des Lebens nimmt, ist bereits ausführlich behandelt worden (Kap. 3.3.6.). Aufgrund der verbreiteten Rezeption seiner deutschen Versinschrift BEI DISER MVNT SOL MAN LEREN / WI SICH DIE WELT TVT VORKEREN ist er neben dem Interimspokal wohl das prominenteste Stück des Lüneburger Ratssilbers.

5.6.3. Balkendecken

Die an außergewöhnlichen Inschriften und Inschriftenensembles reiche Stadt Lüneburg hat noch eine weitere Gruppe von Inschriftenträgern zu bieten, die in anderen norddeutschen Städten in dieser Zahl und Qualität nicht mehr erhalten ist: die bemalten Holzbalkendecken. Es handelt sich dabei mit Ausnahme der Decke des Fürstensaals im Rathaus (Nr. 798, s. Kap. 3.3.7.3.) um ehemals in privaten Räumen – häufig Festsälen – angebrachte, mit großen Bild-/Textprogrammen bemalte Decken aus der zweiten Hälfte des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. 30 in den meisten Fällen nur noch fragmentarisch erhaltene Balkendecken sind in Katalognummern behandelt, eine weitere in Anhang 1 (A1 112). Die wohl älteste mit Inschriften versehene Lüneburger Balkendecke [Druckseite 65] ist inschriftlich auf das Jahr 1564 datiert (Nr. 423, Schröderstr. 16) und gehörte zu einem Saal im Haus des Bürgermeisters Heinrich Töbing, dessen Vorraum etwas später ebenfalls eine Bemalung der Balkendecke erhielt (Nr. 565). Die Decke des ehemaligen Festsaals trägt zwischen Rankenwerk mit zahlreichen Verzierungen Medaillons, in denen durch Tituli bezeichnete Tugenden und Propheten sowie Johannes Baptista und der Salvator dargestellt sind. Das Medaillon mit dem Bild des Salvators ist von dem niederdeutschen Bibelzitat Ick bin de wech de warheit vndt dat leuent umgeben. Die Decke des ehemaligen Vorraums zeigt eine auf die zeitgenössische Druckgraphik zurückgehende Reihe von zwölf Köpfen der siegreichen Helden des Alten Testaments, die durch Tituli identifiziert sind. Wie bei vielen anderen Inschriftenträgern der Renaissance ist die Gestaltung der Lüneburger Balkendecken ganz eng mit der zeitgenössischen Druckgraphik verknüpft. Dies gilt – auch dort wo es bisher noch nicht nachgewiesen werden konnte – für die nur mit lateinischen Tituli versehenen Darstellungen der Tugenden (das häufigste Motiv, z. B. Nr. 708, 877, 968), der Jahreszeiten (Nr. 971), der Planeten und Künste (Nr. 974), der Fünf Sinne (Nr. 705), der Kaiser und Könige (Nr. 436, 564, 702, 878) ebenso wie für ein umfangreiches Inschriftenprogramm, in dem die Texte eine größere Rolle spielten als die Darstellungen: das auf die Zwölf ersten Könige und Fürsten Deutscher Nation bezogene Text-/Bildprogramm auf einer Holzbalkendecke von 1594 aus dem Haus Egersdorffstr. 1, von dem sich neben Fotos nur das Fragment einer Inschrift im Original erhalten hat (Nr. 625). Hier ist ein 1543 gedrucktes Werk des Burkhard Waldis unter Verkürzung der in deutschen Reimversen verfassten Texte, aber wortgetreu als Inschriftenprogramm umgesetzt worden.

Derart textlastig sind die anderen Bemalungen der Lüneburger Balkendecken in den Bürgerhäusern nicht, abgesehen von einer weiteren Ausnahme: die auf nicht erhaltene szenische Darstellungen aus der Bibel bezogenen, nur noch sehr fragmentarisch erhaltenen deutschen Bibelzitate an der Holzbalkendecke des Hauses Auf der Altstadt 37 aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Nr. 967). Ein Bildprogramm mit biblischen Szenen auf der Decke eines Raums im Haus Heiligengeiststr. 8 aus derselben Zeit ist durch kurze deutsche Bildbeischriften und Angaben der Bibelbücher erklärt (Nr. 973). Ganz aus dem Rahmen der üblichen Deckengestaltung fällt das in einem Raum im Haus In der Techt 1 im Mittelpunkt der ornamentalen Deckenverzierung stehende große Medaillon mit einer vielblättrigen Rose darin, deren umlaufende Inschrift nur fragmentarisch erhalten und durch Restaurierung entstellt ist (Nr. 626, wohl 1594). Es deutet alles darauf hin, dass der ursprüngliche Text in deutschen Reimversen abgefasst war. Die erhaltenen Deckenmalereien der Lüneburger Bürgerhäuser sind in ihrer Ausführung von sehr unterschiedlicher Qualität, die nicht nur auf den mehr oder weniger guten Erhaltungszustand zurückzuführen ist: teilweise sind sie sehr stereotyp gemalt, teilweise aber auch wie die aus dem Haus An den Brodbänken 3 stammenden, heute im Haus Große Bäckerstr. 27 öffentlich zugänglich eingebauten Medaillons mit den Tugenden FIDES, SPES und CARITAS mit sehr viel Liebe zum Detail gemalt (Nr. 708).

Zu den Deckenbemalungen mit umfangreicheren Texten gehört die heute teilweise ausgebaute, von Daniel Frese und seiner Werkstatt 1598 bemalte Holzbalkendecke eines Raums der Ratsapotheke Große Bäckerstr. 9 (Nr. 673), die lateinische Kurzbiographien von Medizinern und Naturwissenschaftlern des 16. Jahrhunderts sowie auf die Medizin bezogene lateinische Sentenzen zeigt. Ein weiterer öffentlicher Raum, der Fürstensaal des Lüneburger Rathauses, ist von einer Balkendecke mit ehemals 150 Porträtmedaillons römischer und deutscher Kaiser von Julius Caesar bis zu Rudolph II. überspannt, denen jeweils nicht nur ein Titulus und eine Ordnungszahl, sondern auch eine kurze lateinische Inschrift mit Regierungsantritt, Regierungsdauer und Lebenszeit – soweit bekannt – hinzugefügt ist. Auch diese Balkendecke mit ihrem großen Text-/Bildprogramm wurde 1607 von Daniel Frese und seiner Werkstatt bemalt, der auch die Wappen und Namen der amtierenden Ratsherren auf dem langen Unterzugbalken ausführte (Nr. 798).

Auf zwei besonders aufwendig gestaltete Decken in Lüneburger Bürgerhäusern soll hier abschließend noch hingewiesen werden. Es handelt sich um zwei mit Inschriften versehene Stuckdecken in den Häusern Am Markt 5 (Nr. 864, 1622 o. später) und Am Berge 35 (Nr. 913, 1637). Die beiden sehr unterschiedlich gestalteten Decken zeigen im ersten Fall durch Tituli bezeichnete Planetengötter, die an druckgraphischen Vorlagen orientiert sind, im zweiten Fall nahezu vollplastische Szenen des Neuen Testaments, die lediglich mit abgekürzten Angaben der Bibelbücher bezeichnet sind.

Zitationshinweis:

DI 100, Lüneburg (Stadt), Einleitung, 5. Inschriften und Inschriftenträger (Sabine Wehking), in: inschriften.net,   urn:nbn:de:0238-di100g019e009.

  1. Diese beiden Stücke sind im Band DI 24 nicht berücksichtigt. Bei den im Folgenden genannten Zahlen ist zu beachten, dass 32 Inschriften des Klosters St. Michaelis aus der Zeit vor der Reformation bereits im Band DI 24 enthalten sind und daher in dieser Auswertung unberücksichtigt bleiben. »
  2. Nr. 39, 478, 539, 624, 917»
  3. Vgl. dazu grundlegend DI 36 (Stadt Hannover), S. XXIIIXXIV: Die Grabplatte steht immer in enger Beziehung zum Begräbnisort und diente der Abdeckung des Grabes. Das Epitaph und der Totenschild sind nicht an den Begräbnisplatz gebunden. Sie werden häufig zusätzlich zur Grabplatte errichtet. »
  4. Zu unterscheiden ist hier zwischen dem allgemeinen Begriff ‚Grabinschrift’, der für alle Texte gilt, die sich auf Inschriftenträgern aus dem Bereich des Totengedenkens finden, und dem speziellen Begriff ‚Grabschrift’, der den Texttyp bezeichnet. »
  5. Nr. 318, 388, 404, 438, 493, 510»
  6. Nr. 407, 430»
  7. Dazu ausführlich DI 26 (Stadt Osnabrück), S. XVIIIXX; DI 36 (Stadt Hannover), S. XXIVf. »
  8. Nr. 470, 472, 644, 652, 672, 683, 770, 773, 830, 838»
  9. Belege zu den hier aufgeführten Formeln im Register 6. »
  10. Nr. 398, 412, 631, 655, 709»
  11. Nr. 465, 606, 623, 653, 745, 834»
  12. Nr. 636, 693, 727 (dt.) u. Nr. 475, 939 (lat.). »
  13. Lageplan, Gebhardi, Collectanea, Bd. 6, p. 381. »
  14. F. W. Bode, Die Kirchen der Stadt Lüneburg. In: Neue Hannoversche Zeitung, Mai/Juni 1860, Nr. 248–264 (St. Lamberti). Vgl. a. den Lageplan zur Kirchenausstattung von 1830, gedr. bei Ring/Vick, St. Lamberti, S. 294. »
  15. Gebhardi, Collectanea, Bd. 9, p. 313. »
  16. Nr. 406, 991, 992 sowie Nr. 710 (Weinschale). »
  17. Nr. 346, 347, 348, 350»
  18. Nr. 730, 909, 937, 938, 949»
  19. Nr. 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220»
  20. Nr. 241, 242, 243, 246, 247, 249, 250, 251»
  21. Beispielhaft für einzelne Jahre: StA Lüneburg, AB 56/3, p. 639 (1530), p. 677 (1531), AB 56/4 p. 142–144 (1538), p. 189–191 (1539). »
  22. StA Lüneburg, AA S8b Nr. 19. »
  23. Nr. 888, 889, 890, 891, 918»
  24. Nr. 351, 400, 592, 958»
  25. Nr. 110, 158, 368, 417, 621, 875, 906, 935, 953, 985, 986, 1008, A1 15, A1 43, A1 125»
  26. Nr. 203, 706, 970, A1 38, A1 95»
  27. Zit. nach Schwarzwälder, Reisen, S. 296. »
  28. Hierzu grundlegend Bursche, Ratssilber, passim. Auch in weiteren bei Schwarzwälder zitierten Reiseberichten ist von dem Lüneburger Ratssilber die Rede, das in der zweiten Hälfte des 16. und ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts neben der Goldenen Tafel in St. Michaelis und der Saline schon zu den gerne besichtigten Sehenswürdigkeiten der Stadt gehörte. »
  29. StA Lüneburg, AA S8g Nr. 1, Bd. 1, Inventare Ratssilber 1555/56 u. 1598. Inventar 1598 gedr. bei Bursche, Ratssilber, S. 184–189. »
  30. Bursche, Ratssilber, S. 184, Nr. 16. »
  31. Nr. 274, 303, 379, 401, 527»
  32. Bursche, Ratssilber, S. 17. »
  33. StA Lüneburg, AB 6,1 (Memorialbuch), fol. 53r: ... heft de Ersame Rad darsulves eyndrechtliken gesloten, Dat men neyne cleynode Se syn kleyn edder grot de demsulven Rade to der Stadt Eren van Sulverwercke gegeven und schencket werden, neynewijß wedder vor anderen vorschenken edder van dem Radhuße vorgeven scall Sunderen scollen dar ewygen bliven, Id were denn Dat dem Rade und der Stadt utherste noed wegen gripen moste, Dat god almechtich ymmer affkeren mote. »
  34. Willkürlich ausgewählte Beispiele: StA Lüneburg, AB 56/3, p. 408, 568, 678, 713, 749; AB 56/4, p. 99. »