Die Inschriften der Stadt Lüneburg

Hinweis: Dieses Kapitel enthält Abweichungen gegenüber der Druckfassung. Der Lageplan der Kapellen in St. Johannis auf S. 29 wurde verändert.

3. Die Stadtgeschichte Lüneburgs im Spiegel der Inschriften

3.1. Die Ursprünge

Angesichts der zahlreichen in den vergangenen Jahrzehnten erschienenen Publikationen, in denen die Geschichte und Entwicklung der Stadt Lüneburg immer wieder in Kurzform referiert wird,16) [Druckseite 22] soll hier auf eine solche Darstellung weitgehend verzichtet werden. Stattdessen seien eingangs nur die wesentlichen Eckdaten genannt, bevor die Lüneburger Inschriften daraufhin befragt werden, inwieweit sich in ihnen die wesentlichen Ereignisse der Stadt spiegeln und inwieweit sich an ihnen Entwicklungen der Stadt und ihrer Bürgerschaft ablesen lassen.

In einer Edition der Lüneburger Inschriften kommt man wohl nicht umhin, zur Charakterisierung der Ausgangssituation der Stadtentwicklung die meistzitierte Lüneburger Inschrift erneut zu strapazieren, die 1585 über dem damals baulich veränderten Eingang zur Saline (Nr. 563) angebracht wurde und in deren zweitem Distichon der Berg, die Quelle und die Brücke als Gottesgaben bezeichnet werden (Mons pons fons tua dona Deus), denen die Stadt ihren Wohlstand verdankt. Gemeint sind: der Kalkberg (mons), auf dem die Billunger eine später an die Welfen übergehende Burg errichteten und auf dem in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts das Benediktinerkloster St. Michaelis begründet wurde; der Übergang (pons) über die Ilmenau, an dem sich wohl schon seit dem 9. Jahrhundert die Ansiedlung Modestorpe befand, später mit seiner Kirche St. Johannis Archidiakonatssitz des Bistums Verden; und schließlich die Solequelle (fons) und die seit 956 nachweisbare Saline, auf der der Reichtum der späteren Stadt beruhte. Wichtiger als das aus Reimgründen gewählte Wort pons ist der damit implizierte Fluss Ilmenau, der den Schiffsverkehr nach Hamburg und Lübeck sowie nach Uelzen ermöglichte. Zwischen dem Kalkberg mit der namensgebenden Burg und Ansiedlung am Fuß des Berges im Westen, der Saline im Südwesten und der Ilmenau bzw. der Ansiedlung Modestorp im Osten vor der Ilmenau entwickelte sich das urkundlich erstmalig 956 erwähnte Luniburc, über dessen frühe Zeit nur wenig bekannt ist.

Das Zusammenwachsen der einzelnen Siedlungsbestandteile zu einer Stadt verbunden mit der Ausbildung einer Ratsverfassung lag zu dem Zeitpunkt, an dem die inschriftliche Überlieferung mit dem Beginn des 14. Jahrhunderts einsetzt, schon etwa ein halbes Jahrhundert zurück. Die Stadtgrenzen verfestigten sich in dieser Zeit und wurden nur 1371 im Erbfolgekrieg (s. u.) auf der Nordwestseite noch einmal verschoben und vor den Kalkberg verlegt. Die am Fuß des Kalkbergs gelegene alte Pfarrkirche St. Cyriakus verlor dadurch bereits im 14. Jahrhundert ihre Bedeutung, da sie damit aus dem Stadtgebiet ausgeschieden wurde. Sie wurde 1639 endgültig abgerissen. Das einem Rechteck ähnelnde, von einem Befestigungsring umschlossene Stadtgebiet mit den vier Stadtbezirken Sand-, Markt-, Salinen- und Wasserviertel blieb bis zum endgültigen Abriss der Befestigungsanlagen im 19. Jahrhundert weitgehend unverändert.

Von Beginn an eng miteinander verflochten waren Stadt und Saline, da die Betreiber der im 13. und 14. Jahrhundert immer rentabler werdenden Pfannen bzw. Siedehütten der Saline, die Sülfmeister, den Personenkreis stellten, aus dem mit sehr wenigen Ausnahmen bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts die Ratsherren gewählt wurden (vgl. Kap. 4). Voraussetzung für die Tätigkeit als Sülfmeister war neben dem Lüneburger Bürgerrecht die Siedebefugnis für mindestens vier Pfannen oder eine Siedehütte. Die Zahl der Sülfmeister, die sich zugleich um eigenes, aber im Auftrag auch um fremdes Pfanneneigentum kümmerten, war wie die Zahl der Siedehütten auf 54 beschränkt.17) Die Geschlossenheit dieses Kreises von untereinander verschwägerten Sülfmeisterfamilien erlaubt es im Fall Lüneburgs, von einem Patriziat zu sprechen, das nicht nur die Stadt, sondern – ganz im Sinne ihrer um die Memoria bemühten Auftraggeber – auch die Lüneburger Inschriften dominierte. Einer sehr umfangreichen kopialen Inschriftenüberlieferung (vgl. Kap. 2) vor allem von Grabinschriften und den zahlreichen für die Kommentierung zur Verfügung stehenden Archivalien des Stadtarchivs ist es zu verdanken, dass sich anhand der Lüneburger Inschriften und ihrer Einordnung in die Stadtgeschichte für die Zeit von 1371 bis 1650 ein bemerkenswert dichtes Bild des damaligen städtischen Lebens ergibt. Dies gilt allerdings weitgehend nur für die städtische Oberschicht der Sülfmeisterfamilien sowie für einen ausgesuchten Kreis von besonders gebildeten Geistlichen und Juristen. Zwischen den einzelnen Inschriften und den in ihnen genannten Personen gibt es ein sehr enges Netz an Verflechtungen, das durch zahlreiche Verweise zwischen den Katalogartikeln deutlich [Druckseite 23] wird. Oft verweisen nicht nur die Inschriften eines oder mehrerer Grabdenkmäler auf eine Person, sondern darüber hinaus auch Inschriften auf Kirchengerät, an Privathäusern oder auf den für das Ratssilber gestifteten Kleinodien. Dass dies nicht nur für Lüneburger ‚Prominente‘ wie die Bürgermeister Franz und Heinrich Witzendorff zutrifft, zeigt das Beispiel des Hinrich Kroger, eines äußerst vermögenden, aber nicht zum Kreis der Patrizier gehörenden Lüneburger Bürgers, für den Inschriften seiner Grabplatte (Nr. 689), eines Gemäldes mit seinem Porträt (Nr. 476), eines für das Ratssilber gestifteten Pokals (Nr. 558), eines Kronleuchters in St. Johannis (Nr. 559) sowie Inschriften an zwei Bürgerhäusern (Nr. 465, A1 44) überliefert sind.

3.2. Topographie der Lüneburger Inschriften

Es sind in Lüneburg zwei topographische Schwerpunkte, um die herum sich die Inschriften in besonderer Weise konzentrieren: zum einen die Kirche St. Johannis mit ihren zahlreichen Vikarien, Begräbnisplätzen und Familienkapellen, dem Friedhof sowie Propstei und Lateinschule, zum anderen der in der hier behandelten Zeit ständig wachsende Rathauskomplex mit seinen großen Bild- und Inschriftenprogrammen. Diesen beiden Standorten sind im Folgenden eigene Kapitel gewidmet (Kap. 3.3.3./3.3.5. sowie Kap. 3.3.7.). Die Lüneburger Saline, für deren Bauten naturgemäß nur wenig Inschriften überliefert sind, dominiert den Inschriftenbestand auf andere Weise, indem der inschriftlich relevante Personenkreis zu einem großen Teil aus den Sülfmeisterfamilien stammt. Dass aus der erstmalig 1269 erwähnten Kirche St. Lamberti im Salinenviertel, die aufgrund von Baufälligkeit schon 1860/61 abgerissen wurde, nur verhältnismäßig wenige, beim Abriss auf andere Kirchen verteilte Ausstattungsstücke erhalten sind, ist angesichts des wenig pfleglichen Umgangs mit älteren Ausstattungsstücken im 19. Jahrhundert ebenso erklärlich wie die spärliche kopiale Überlieferung weiterer Inschriften. Die Nutzung der Kirche bzw. des Kirchhofs von St. Lamberti als Begräbnisstätte belegen einige kopial überlieferte Grabinschriften und die Bodenfunde der von der Stadtarchäologie seit 1998 durchgeführten Grabungen.

Seit 1407 wurde im Wasserviertel die jüngste der Lüneburger Kirchen St. Nicolai errichtet, die wie St. Lamberti als Kapellengemeinde St. Johannis unterstellt war. War St. Lamberti die Kirche der Salinenangehörigen, so bildete St. Nicolai den geistlichen Mittelpunkt für die Schiffer, aber auch für die Böttcher und Brauer. Das Innere der Kirche ist stark von der Umgestaltung im 19. Jahrhundert geprägt, es finden sich in der Kirche aber noch verschiedene Inschriftenträger aus der Zeit vor 1650, darunter vor allem die bemerkenswerten Kommuniontücher Nr. 346 und Nr. 348. Der heutige Hochaltar von St. Nicolai stammt aus St. Lamberti (Nr. 94); im Chorumgang sind die einzelnen Bestandteile des ehemaligen Altars aus dem Kloster Heiligenthal (Nr. 95) angebracht.

Aus der außerhalb der Stadtmauern gelegenen und schon 1639 abgebrochenen Cyriakuskirche am Kalkberg ist nur die Inschrift eines einzigen Kelchs überliefert (Nr. 231). Die Mitte des 14. Jahrhunderts begründete und 1447 an neuem Platz errichtete Kapelle St. Gertrudis ist im Zusammenhang mit den Lüneburger Inschriften vor allem als Friedhofskapelle bedeutsam; ihre Ausstattung dürfte allerdings auch recht bescheiden gewesen sein. Auf dem Friedhof St. Gertrudis, für den einige Grabinschriften kopial überliefert sind, wurden neben Fremden vor allem auch die Einwohner Lüneburgs bestattet, die kein Bürgerrecht erworben hatten und die die hohen Gebühren auf dem Friedhof von St. Johannis für Nichtbürger nicht bezahlen konnten (vgl. Kap. 3.3.5.). Es hat aber den Anschein, als ob im 17. Jahrhundert dort auch Bürger beigesetzt wurden, die der weniger vermögenden Bevölkerungsschicht angehörten.

Die Inschriftenüberlieferung aus den ehemals in den Mauern der Stadt Lüneburg gelegenen Klöstern und aus den Hospitälern ist äußerst gering (zu dem außerhalb gelegenen Kloster Lüne vgl. DI 76). Im Fall der Hospitäler Zum Heiligen Geist, Gral oder Roter Hahn erklärt sich das auch durch ihre vergleichsweise bescheidene Ausstattung. Das gegenüber dem Rathauskomplex gelegene Franziskanerkloster St. Marien, dessen Gründung schon auf die Zeit um 1235 zurückgeht, spielt in den Inschriften nur als Begräbnisstätte eine Rolle (Nr. 7, 42, 50 u. a.), wenn man von der 1516 für das Kloster gegossenen Glocke absieht, die heute in St. Nicolai hängt (Nr. 247). Die auch nach der Reformation weiter genutzte Kirche war 1574 so baufällig, dass sie abgebrochen und neu errichtet [Druckseite 24] wurde. Aber auch der Neubau war ständig reparaturbedürftig und wurde schließlich 1818 abgerissen. Von den ehemaligen Klostergebäuden ist ein kleiner Teil in der heutigen Ratsbücherei erhalten. Das 1382 in die Stadt verlegte Prämonstratenserkloster Heiligenthal (vgl. dazu Kap. 2.3.), dessen Gebäude sich auf einem Areal zwischen den Straßen Am Berge und Wandfärberstraße befanden, war schon vor der Durchführung der Reformation personell stark verkleinert und verschwand nach der Auflösung des Klosters langsam aus dem Stadtbild.

Dass der Inschriftenbestand des geschichtlich so bedeutsamen Benediktinerklosters St. Michaelis (vgl. a. Kap. 2.3.), das über die Reformation hinaus als Kloster bestehen blieb, nur verhältnismäßig klein ist und die Kirche heute eher puristisch wirkt, kann als höchst zweifelhaftes Verdienst des Landschaftsdirektors Friedrich Ernst von Bülow gelten, der die Kirche Ende des 18. Jahrhunderts nach dem damaligen Zeitgeschmack umgestalten und zahlreiche von Gebhardi noch als in der Kirche vorhanden beschriebene Ausstattungsstücke entfernen ließ.18) Hierzu gehörten auch etliche Epitaphien und Grabplatten, deren Inschriften wenigstens teilweise durch die kopiale Überlieferung bewahrt sind.19) Laut Gebhardi war das Epitaph des Herbord von Holle (Nr. 384) schon im Jahr 1792 das einzige Abts-Epitaph in der Kirche, das die Umgestaltung überdauert hatte.20)

Durch die Lüneburger Inschriftensammler Gebhardi und Büttner sind auch die an den Toren der Stadt angebrachten Inschriften aufgezeichnet worden (Nr. 478, 539, 624, 917), Reinecke überliefert zudem die Inschriften von 12 Schlüsselanhängern aus Kupfer, die verschiedene zu den Befestigungsanlagen passende Schlüssel bezeichneten (Nr. 210). Die Inschriften benennen die kleineren in der Stadtmauer gelegenen Pforten und die Türme der Stadtbefestigung. Die Lüneburger Bürgerhäuser, deren Backsteinfassaden zur Straße hin weniger inschriftenfreundlich sind als die Fachwerkfassaden in anderen Städten, tragen an einigen in Fachwerk gebauten Hinterhäusern erstaunlich qualitätvoll ausgeführte Inschriften auf den Schwellbalken (vgl. Kap. 5.2.). Die Besonderheit der Lüneburger Bürgerhäuser liegt aber in ihrem Inneren: hier finden sich die zahlreichen – wenn auch oft nur fragmentarisch – erhaltenen Balkendecken der Renaissance, deren Bildprogramme häufig durch Tituli und Inschriften erklärt werden (vgl. Kap 5.6.3.).

3.3. Stadtgeschichtliche Ereignisse und Entwicklungen in den Inschriften

3.3.1. Die Ursulanacht

Der erste stadtgeschichtlich bedeutsame Vorgang, der sich in den Inschriften dokumentiert und zugleich eng mit der Konsolidierung einer selbständigen Stadt Lüneburg auch im Bewusstsein ihrer Bürger verknüpft ist, sind die Ereignisse um die Ursulanacht 1371 im Lüneburger Erbfolgekrieg. Bis zum Ausbruch des Erbfolgekriegs lebte die Stadt mit den Lüneburger Herzögen in einem friedlichen Verhältnis, das durch die Ausstellung von herzoglichen Privilegien für die Stadt untermauert wurde. Nach dem Tod Herzog Wilhelms II. 1369 und dem Aussterben der Lüneburger Linie kam es jedoch zum Streit zwischen den Braunschweiger Herzögen und den vom Kaiser mit dem Herzogtum Lüneburg belehnten Herzögen von Sachsen-Wittenberg. Nachdem der Braunschweiger Herzog Magnus II. Torquatus versucht hatte, die Stadt durch Drohungen einzuschüchtern, stellte sich diese auf die Seite Sachsen-Wittenbergs und besetzte im Februar 1371 den Kalkberg, dessen Festung geschleift wurde. Herzog Magnus versuchte im Gegenzug in der Ursulanacht, der Nacht vom 21. auf den 22. Oktober 1371, die Stadt einzunehmen, was jedoch misslang. Zur Memoria für die in dieser Nacht bei der erfolgreichen Verteidigung ihrer Stadt gegen Herzog Magnus gefallenen Bürger Gebhard von der Molen, Nikolaus Garlop und Heinrich Viskule setzte man drei Gedenksteine jeweils an der Stelle, wo die drei Ratsmitglieder bei dem nächtlichen Überfall getötet bzw. [Druckseite 25] tödlich verwundet worden waren (Nr. 13, 14, 15). Bemerkenswert ist, dass in den Inschriften aller drei Steine das eigentliche Ereignis nicht weiter angesprochen wird; seine Kenntnis setzte man als selbstverständlich voraus. Das Gedenken an diese Nacht und an die für ihre Stadt gefallenen Bürger, deren Totenschilde in St. Johannis aufgehängt wurden (Nr. 16), wurde über Jahrhunderte aufrechterhalten als Beispiel dafür, was eine wehrhafte und geeinte Bürgerschaft zu leisten im Stande war. Das zeigt auch die Inschrift für Nikolaus Garlop auf dem ihm gewidmeten Medaillon der Häuser in der Reitende-Diener-Straße (Nr. 383): die einzige längere Inschrift der insgesamt 14 Wappenmedaillons weist hier 1554 noch einmal auf den Tod des Ratsherrn PRO PATRIAE LIBERTATE in der Ursulanacht hin. Dass sich das historische Andenken im Laufe der Zeit verschob und an die Stelle der tapfer kämpfenden Ratsmitglieder aus den alten Sülfmeisterfamilien ein einzelner Bäcker trat, der in der Ursulanacht allein 22 Feinde erschlagen haben soll (vgl. Nr. 698), könnte durchaus im Zusammenhang mit der Entmachtung der Sülfmeisterfamilien im 17. Jahrhundert und der damaligen Änderung der Ratsverfassung stehen.

3.3.2. Die Verlegung der Klöster St. Michaelis und Heiligenthal in die Stadt

Am Ende des Lüneburger Erbfolgekriegs hatten die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg zwar ihre Herrschaft über das Territorium gesichert, waren aber wirtschaftlich geschwächt, während die Stadt Lüneburg ihre Position gegenüber den Herzögen immer weiter ausbaute und vor allem aufgrund des aus der Saline resultierenden Reichtums eine weitgehende politische Unabhängigkeit erreichte. Rein äußerlich hatte sich dieser Vorgang schon in der Schleifung der herzoglichen Burg auf dem Kalkberg im Februar 1371 dokumentiert, die die Verlegung des dort gelegenen Benediktinerklosters St. Michaelis samt der dort befindlichen Begräbnisstätten der welfischen Herzöge in die Stadt Lüneburg zur Folge hatte. Der Bau der Klosterkirche in der Stadt wurde 1376 begonnen, ist aber nicht durch Inschriften bezeugt. Aus dem Kloster auf dem Kalkberg wurden eine Glocke von 1325 in die Stadt überführt (DI 24, Nr. 8) sowie zwei Grabplatten der herzoglichen Grablege von 1330 (DI 24, Nr. 9), außerdem wohl auch die Bronzetaufe der Kirche (Nr. 9). Alle vier Objekte aus der alten Klosterkirche sind verloren; man entfernte sie bei der von dem Landschaftsdirektor Friedrich Ernst von Bülow 1791 durchgeführten Umgestaltung von St. Michaelis aus der Kirche. Zu dem in der Zeit um 1420 in der Goldenen Tafel aufgestellten Kirchenschatz von St. Michaelis (DI 24, Nr. 16) gehören als Inschriftenträger aus dem alten Kloster ein Kreuzfuß (DI 24, Nr. 2), ein Reliquienkästchen (DI 24, Nr. 7) und eine Elfenbeintafel (Nr. 1) aus einem Reliquiar, alle heute im Museum August Kestner Hannover. Zwei Armreliquiare (DI 24, Nr. 3 u. 4) und ein durch sein besonderes Bild-/Textprogramm herausragendes Standkreuz (Nr. 2) sind heute verloren.

Ebenfalls mit der Verlegung des Klosters St. Michaelis in die Stadt in Verbindung stehen könnten die Inschriften von neun Reliquienkästen aus Blei, auf denen die jeweiligen Inhalte bzw. die Zugehörigkeit zu einem Altar vermerkt sind (Nr. 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220). Es liegt nahe, dass die Kästen bei der Entnahme aus den Altären vor dem Umzug gekennzeichnet wurden. Die Bedeutung des Hochaltars von St. Michaelis, der Goldenen Tafel sowie des in ihr präsentierten Kirchenschatzes und seiner Inschriften ist bereits in dem Band DI 24 behandelt worden. Ergänzend dazu erlaubt es die Restaurierung der Goldenen Tafel nun auch, die Inschriften zu präsentieren, mit denen die Figuren bzw. ihre farbigen Fassungen bezeichnet sind (Nr. 43) und damit einen Einblick in die Altar-Werkstatt zu geben. Als herzogliche Grablege wurde St. Michaelis letztmalig im Jahr 1471 genutzt (DI 24, Nr. 27), da die Lüneburger Herzöge seit 1433 in Celle residierten und auch dort beigesetzt wurden. St. Michaelis blieb über die Reformation hinaus die Begräbniskirche des Lüneburger Adels (vgl. Kap. 3.3.5.).

Nur sechs Jahre nach dem Baubeginn des neuen Michaelisklosters zog 1382 das 1314 in Kirchgellersen gegründete und 1316 nach Heiligenthal verlegte Prämonstratenserkloster nach Lüneburg um, wo es auch weiterhin als ‚Kloster Heiligenthal‘ bezeichnet wurde. Die Geschichte des Einzugs in die Stadt wurde später inschriftlich sehr ausführlich dokumentiert, indem man alle beteiligten Personengruppen zu Wort kommen ließ (Nr. 192). Darüber hinaus ist nur die Inschrift einer Grabplatte aus dem Kloster überliefert (Nr. 37) und der heute in St. Nicolai befindliche und in seine [Druckseite 26] Einzeltafeln zerlegte ehemalige Hochaltar der Klosterkirche (Nr. 95) aus der Zeit vor 1448, der jedoch nur wenige Inschriften trägt.

3.3.3. St. Johannis als städtische Pfarrkirche und Propstei

Die wachsende Unabhängigkeit der Stadt Lüneburg seit dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts bewirkte auch eine Umgestaltung der kirchlichen Verhältnisse, deren endgültigen Abschluss die Inschrift auf einer Messingtafel von 1445 (Nr. 88) verkündet: die inzwischen vollzogene Umwandlung der dem Bistum Verden unterstellten Archidiakonatskirche Modestorp in die dem Patronat der Stadt unterstehende Pfarrkirche St. Johannis (dazu a. Nr. 22). In einer Inschrift von 1415 wird Eghard Oldendorp noch als ehemaliger Archidiakon in Modestorp bezeichnet (Nr. 41); schon zuvor, im Jahr 1406, hatte das Bistum Verden der Stadt Lüneburg bereits das Patronat über St. Johannis überlassen und damit das Recht, den Pfarrer zu ernennen. Die Position des Archidiakons von Modestorp existierte jedoch weiter, bis sie 1444 durch eine päpstliche Urkunde mit dem Amt des Pfarrers vereinigt wurde, das 1445 in das Amt eines Propstes umgewandelt wurde. Die anderen Pfarrkirchen der Stadt waren St. Johannis als Filialkirchen unterstellt.

Für die Lüneburger Bürger, insbesondere für die Patrizierfamilien, bildete die Kirche St. Johannis, die seit dem Ende des 13. Jahrhunderts nach und nach zu der großen fünfschiffigen Hallenkirche ausgebaut wurde, den geistlichen Mittelpunkt der Stadt. Knapp 400 Inschriften aus der Zeit von 1309 bis 1650 belegen anschaulich, wie wichtig die Kirche für die vermögenden Sülfmeisterfamilien war, die hier Vikarien an den Altären stifteten und diese mit Kirchengerät ausstatteten, Familienkapellen und Grabgewölbe errichten ließen und für möglichst große Begräbnisstätten in der Kirche beträchtliche Summen ausgaben (vgl. Kap. 3.3.5.). Die weniger vermögenden Familien erwarben Plätze für ihre Begräbnisse auf dem Friedhof von St. Johannis, seit dem Ende des 16. Jahrhunderts in zunehmendem Maße auch auf dem Friedhof von St. Gertrudis vor den Toren der Stadt. Neben der Propsteikirche und späterem Sitz der Superintendentur St. Johannis (Sand- und Marktviertel) nehmen sich die beiden anderen großen Kirchen, die ehemaligen Kapellengemeinden St. Lamberti als Kirche der Salinenangehörigen in dem zugehörigen Stadtviertel und St. Nicolai als Kirche im Wasserviertel, mit zusammen ca. 100 Inschriften im Gesamtbestand sehr bescheiden aus.

3.3.4. Der Prälatenkrieg und die Gründung der Theodori-Gilde

Unter den Begriff des Prälatenkriegs21) werden Auseinandersetzungen der Jahre 1446 bis 1462 in Lüneburg gefasst, die auf die hohe Verschuldung der Stadt zurückgingen. Der Versuch, die Schulden durch eine stärkere Heranziehung der auswärtigen Besitzer von Salinenanteilen, bei denen es sich großenteils um geistliche Besitzer bzw. um Kirchen und Klöster (‚Prälaten‘) handelte, in den Griff zu bekommen, führte zu gerichtlichen Auseinandersetzungen und schließlich sogar auf Betreiben der ‚Prälaten‘ zur Verhängung des päpstlichen Banns über die Stadt. Im Zuge der Auseinandersetzungen bildete sich eine innerstädtische Opposition, die 1454 den Alten Rat absetzte und einen Neuen Rat wählte, der jedoch auch keine Lösung der bestehenden Probleme herbeiführen konnte. Nach seiner Wiedereinsetzung 1456 gelang dem Alten Rat in langwierigen Verhandlungen eine Einigung mit den Prälaten. Zugleich führte das Scheitern der innerstädtischen Opposition zu einer Verfestigung des aus den Sülfmeisterfamilien stammenden Lüneburger Patriziats.

Die einzige Lüneburger Inschrift, in der ausdrücklich Bezug auf die Vorgänge des Prälatenkriegs, oder besser gesagt auf die Wiedereinsetzung des Alten Rats am vorläufigen Ende der Auseinandersetzungen genommen wird, ist die nur kopial überlieferte Inschrift in einem Chorfenster von St. Johannis: Theodori L tal Schar / M CCCC VI ihar / De olde rath wedder kam / beter idt wardt / Alse Man vornam (Nr. 115). Diese Inschrift, die auf die Wiedereinsetzung des Alten Rats am Tag des heiligen [Druckseite 27] Theodor (9. November) 1456 und damit auf das Scheitern des Neuen Rats hinweist, ist in zahlreichen Chroniken überliefert, teilweise bis zur völligen Unverständlichkeit entstellt. Nach dem Theodoritag benannte sich auch die 1461 gegründete Theodori-Gilde, ein Zusammenschluss der alten Rats- und Sülfmeisterfamilien, der die Position dieser Familien in der Stadt stärken sollte. Die Mitglieder der Theodorigilde waren angehalten, bei Zusammenkünften und an Feiertagen ein Schmuckstück zu tragen, dessen Inschrift (‚Gott behüte Leib, Ehre und Besitz‘) als Devise der Gilde gelten kann (Nr. 122).

Dass zwar für zahlreiche Angehörige des Alten Rats, der 1454 abgesetzt und 1456 wieder eingesetzt wurde, Grabinschriften überliefert sind, der Prälatenkrieg aber mit keinem Wort in diesen Inschriften Erwähnung findet, ist kein Zufall, sondern erklärt sich aus den stereotyp formulierten Sterbevermerken des 15. Jahrhunderts, die keinen Platz für biographische Details lassen. An einer Stelle allerdings fällt das Fehlen eines solchen Bezugs auf die historischen Ereignisse um 1455 besonders auf: die Grabplatte des in der Lüneburger Historiographie zu einer Art Märtyrer des Prälatenkriegs stilisierten Bürgermeisters Johann Springintgut (Nr. 120) trägt ebenfalls nur einen sehr schlichten Sterbevermerk und eine kurze Fürbitte. Springintgut, der aufgrund seiner wenig kompromissbereiten Haltung Ende April 1455 vom Neuen Rat im Gefängnis festgesetzt wurde, starb dort am 15. Juli desselben Jahres. Aus dem von konservativen Kräften zunächst nur wortreich betrauerten Tod des Bürgermeisters wurde in der Chronistik im Laufe der Zeit seine Vergiftung durch den Neuen Rat und das Vergraben des Leichnams an unwürdiger Stelle, schließlich in der Schomaker-Chronik in einer Art Apotheose gekrönt durch die Beschreibung der feierlichen Exhumierung und Überführung der Gebeine nach St. Johannis im Jahr 1463. Dass das Grab Springintguts archivalisch sicher als 1461 in St. Johannis vorhanden belegt ist, wird dabei bis in die neueste Literatur hinein gerne übersehen (vgl. dazu ausführlich Nr. 120). Die schlichte Grabplatte und ihre Inschrift sprechen jedoch für eine Beisetzung des Johann Springintgut in St. Johannis unmittelbar nach seinem Tod.

3.3.5. Memoria und Repräsentation: Vikariestiftungen, Familienkapellen und Begräbnisplätze in St. Johannis

Im Überblick betrachtet ergeben die Lüneburger Inschriften untereinander ein dichtes Netz von Verflechtungen, ganz besonders konzentriert um die Pfarrkirche St. Johannis mit ihren zahlreichen mittelalterlichen Altären, Kapellen und Begräbnisstätten in und außerhalb der Kirche. Die Familien, die sich in der Kirche beisetzen ließen, stifteten auch die Altäre und sorgten für deren Ausstattung, um so dauerhaft ihre Memoria zu gewährleisten. Als Medium dienten die Stifterinschriften auf den Ausstattungsstücken und den Grabdenkmälern. Die enge Verbindung zwischen den geistlichen Stiftungen und den Begräbnissen in der Zeit vor der Reformation wird schon daran deutlich, dass sich die entsprechenden Verfügungen zu beidem meistens in den in großer Zahl überlieferten Testamenten der Lüneburger Bürger und Geistlichen findet. Man traf also in der Regel angesichts des Todes Vorsorge für das eigene Seelenheil und die eigene Memoria, nur selten erfolgten Stiftungen dieser Art mitten aus dem Leben heraus. In den Testamenten wurde den Testamentsvollstreckern vielfach aufgetragen, eine Vikarie zu stiften, sie mit Büchern und einem Kelch auszustatten und für ein Begräbnis an einem bestimmten Platz in der Kirche ebenso zu sorgen wie für die Abhaltung der Seelenmessen (vgl. u. a. Nr. 51 u. 139). In dem Lüneburger Inschriftenkatalog steht hierfür beispielhaft der aus Hamburg stammende Heinrich Hoyer, der in die Sülfmeisterfamilie Springintgut einheiratete und selbst als Sülfmeister fungierte, mit Inschriften auf seiner Grabplatte Nr. 108, auf dem Kelch Nr. 107 der von ihm gegründeten Kommende und auf der Testamentslade Nr. 110, in der die zu seiner Testamentsverwaltung gehörenden Aktenstücke verwahrt wurden.

Durch die Stiftung von Altären und den Erwerb von Begräbnisplätzen sicherten sich die vermögenden Lüneburger Familien ‚ihre‘ Plätze in der Kirche, nach und nach auch durch den Ausbau oder den Erwerb von Familienkapellen, unter denen größere Grabgewölbe angelegt wurden. Vor 1531 gab es in St. Johannis 41 Altäre, zu denen 165 Vikarien und Kommenden gehörten. Die Gesamtzahl aller geistlichen Pfründen an den Kirchen der Stadt belief sich vor der Reformation auf [Druckseite 28] 376 Vikarien und Kommenden an 113 Altären.22) Die große Zahl der spätmittelalterlichen Vikariestiftungen spiegelt sich in den Inschriften von 57 Kelchen aus der Zeit vor 1531 in diesem Bestand wider, die die Namen ihrer Stifter, aber auch die Namen der Altäre tragen, zu denen sie gehörten (z. B. Nr. 142, 240); die Gesamtzahl der ehemals an den Altären vorhandenen Vasa sacra kann aus der Zahl der Vikarien hochgerechnet werden. Dass ein großer Teil dieser zu den Vikarien gehörenden Kelche nur in den Verzeichnissen aus der Reformationszeit (s. o.) genannt ist, nicht jedoch in den Inventarverzeichnissen der Pfarrkirche, erklärt sich daraus, dass die Altarausstattung im Besitz der Patronatsinhaber blieb und nicht in das Eigentum der Kirche überging. So wurde auch nur ein Teil der Kelche im Zuge der allmählichen Auflösung von Vikarien im Rathaus abgeliefert, um dort dem Vermögen des Armen- und des Kirchenkastens zugeführt zu werden. Es ist zumindest zu vermuten, dass dort, wo die Familien der Stifter noch das Patronatsrecht innehatten, diese die von ihrer Familie gestifteten, nun funktionslos gewordenen Vasa sacra zum Teil auch wieder an sich nahmen, an Goldschmiede veräußerten oder umarbeiten ließen. Die zahlreichen aus spätmittelalterlichen Versatzstücken zusammengesetzten Kelche in Niedersachsen23) lassen auf ein solches Vorgehen schließen. Dort, wo die Stiftungsvermögen nicht in den Armen- und Kirchenkasten flossen, blieben die Vikariestiftungen über die Reformation hinaus häufig in Form von Stipendienstiftungen einzelner Familien bestehen.24)

Im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts bildeten sich die Familienkapellen in St. Johannis heraus, die zunächst nach den in ihnen befindlichen Altären benannt wurden (s. Lageplan der Kapellen S. 2925)), später und besonders in der Zeit nach der Reformation nach den Familien, die hier das Patronatsrecht innehatten bzw. Begräbnisgewölbe besaßen. Die Brüder Leonhard und Barthold Lange richteten 1459 eine solche Familienkapelle im nördlichen äußeren Seitenschiff von St. Johannis vor dem Chor ein, die sie einer dort im Gewölbe angebrachten Inschrift zufolge ihrem Urahnen Barthold Lange widmeten (Nr. 116). An dem in dieser Kapelle bereits vorhandenen Altar St. Leonardi stifteten sie eine weitere Vikarie. Dabei liegt der Gedanke nahe, dass es bei der Wahl des Altarpatroziniums eine Rolle gespielt haben könnte, dass der Vorname Leonhard seit dem 13. Jahrhundert in der Familie Lange nachweisbar war. Im Jahr 1470 stiftete der Propst Leonhard Lange einen Kelch für diesen Altar (Nr. 132), zehn Jahre später wurde er in der Kapelle seiner Familie begraben, wo man ihm eine Grabplatte setzen ließ (Nr. 145).

Das Beispiel des Propstes und seiner Familie zeigt, dass in den Familienkapellen verschiedene Inschriften das Gedächtnis an die Stifter und ihre Verwandten wachhielten. An den Altären in diesen Kapellen wurden die Seelenmessen für die Verstorbenen über den mit Grabplatten abgedeckten Grabgewölben gelesen. Über die Gestaltung der in den Familienkapellen aufgestellten und nach der Reformation spurlos verschwundenen Altäre lässt sich nur spekulieren, da für sie weder Beschreibungen noch Inschriften überliefert sind. Sicher fanden sich hier die in den spätmittelalterlichen Altargemälden verbreiteten Stifterdarstellungen und -inschriften. Die nach 1531 nicht mehr benötigten Altäre der Familienkapellen werden nach und nach abgebaut worden sein, auch um den nun immer üblicher werdenden Epitaphien Platz zu machen, die in den Familienkapellen aufgehängt wurden und den Kapellen zunehmend den Charakter von Begräbniskapellen verliehen haben dürften.26)

[Druckseite 29]

St. Johannis, Lageplan der Kapellen.

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Über weibliche Familienmitglieder konnten die Kapellen in den Besitz anderer, angeheirateter Familien übergehen, so z. B. ein Teil der Familienkapelle Garlop in den Besitz der Familie Töbing, der andere in den Besitz der Familie Witzendorff (vgl. Nr. 129). In der Zeit nach der Reformation war es aber auch möglich, dass die Kapellen bzw. Begräbnisplätze durch erneuten Verkauf an eine andere Familie ausgegeben wurden. Dass die neuen Besitzer nicht unbedingt respektvoll mit den dort bereits befindlichen Gräbern umgingen, wenn die eigenen Begräbnisplätze eingerichtet werden sollten, zeigt ein Vorgang im Jahr 1602, der die westliche Kapelle im südlichen Seitenschiff von St. Johannis betraf. Diese Kapelle (mittelalterlich Annunciationis Maria/Sepulcrum Christi) war durch die Heirat der Elisabeth Viskule, der letzten Lüneburger Vertreterin ihrer Familie, mit dem aus Stettin stammenden David Brunswig in den Besitz der Familie Brunswig/Braunschweig übergegangen.27) David Brunswig heiratete nach dem Tod seiner ersten Ehefrau 1570 in zweiter Ehe Elisabeth Witzendorff, und diese sorgte im Jahr 1602 durch ihren allzu leichtfertigen Umgang mit den vorhandenen Denkmälern und den Gräbern der Familien Viskule und Miles für Empörung (vgl. a. Nr. 749). Ihr wurde vorgeworfen, dass sie etliche alte Monumente habe wegräumen und eine höher als mannshohe Grube habe graben lassen. Den Aushub aus der Grube häufte man auf dem Kirchhof auf, wo eine aus drei Gutachtern bestehende Untersuchungskommission des Rats in dem Haufen Erde zahlreiche menschliche Knochen und sogar Büschel roter Haare fanden. Der daraufhin befragte Kirchenvorstand gab an, von der Sache so nichts gewusst zu haben, nur von einem neu anzulegenden Gewölbe, das 24 Fuß lang und 16 Fuß breit werden sollte. Dabei war das dort bereits bestehende 5 ½ Fuß breite und 10 Fuß lange Gewölbe mit sechs immer noch darin stehenden Särgen der Familien Viskule und Miles und vielen anderen Knochen offensichtlich im Wege, ebenso eine alte Grabplatte mit dem Wappen Viskule. Die Kirchenvorsteher verfügten schließlich, dass die Bestatteten in ihrer Totenruhe nicht gestört werden dürften – was nun allerdings längst passiert war. Auf der anderen Seite bestanden die Mitglieder der Familie Braunschweig auf ihrem Recht, ein neues Grabgewölbe anzulegen. Da sich beide Parteien unversöhnlich gegenüberstanden und der alte Zustand nicht wiederherstellbar war, wurde vom Rat beschlossen, das alte Gewölbe mit den Särgen darin so zu belassen und daneben das neu angefangene Grabgewölbe fertigzustellen und verschließen zu lassen. Oben darüber sollte der alte Zustand wiederhergestellt und dafür gesorgt werden, dass dan das monument oder sepulcrum Christi oben ... wider dahin gesetzt wurde mit den literis und wapen, wie es zuvoren gewesen. Aus dieser Anweisung lässt sich entnehmen, dass die Witwe Braunschweig sich nicht gescheut hatte, das in der alten Viskule-Kapelle stehende Heilige Grab, über das sonst nichts bekannt ist, auch gleich mit beiseiteräumen zu lassen. Der Rat warf den Kirchenvorstehern vor, dass sie sehr nachlässig gehandelt hatten und durch zeitiges Eingreifen vieles hätten verhüten können. Zugleich wurde verfügt, die nun einmal auf den Kirchhof verbrachten Gebeine dort zu beerdigen.28)

Der Kirchenraum von St. Johannis war im Spätmittelalter wie in der Zeit nach der Reformation der bevorzugte Begräbnisplatz der Rats- und Sülfmeisterfamilien. Die seit 1559 beinahe lückenlos überlieferten Kirchenrechnungen geben in einer eigenen jährlichen Rubrik detaillierte Aufschlüsse über den Erwerb von Begräbnisplätzen, die sich so auch bereits auf das 15. Jahrhundert übertragen lassen. Eine Begräbnisordnung von 1422 ist in einer Abschrift aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts überliefert.28) Sie zeigt, dass die Gebühren von 1422 bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts konstant blieben. Der Erwerb einer einzelnen Grabstelle in der Kirche kostete 30 Mark, eine Grabstelle auf dem Kirchhof 10 Mark. Für die Legung einer Grabplatte wurde eine zusätzliche Gebühr von 10 Mark erhoben. Diese Tarife galten aber nur für Bürger der Stadt. Auswärtige bzw. Nichtbürger durften in der Kirche wie auch auf dem Friedhof von St. Johannis nur mit einer Sondergenehmigung beigesetzt werden und hatten die doppelten Gebühren zu zahlen, die im Fall um die Stadt verdienter Personen aber vom Rat erlassen werden konnten. Dies geschah häufiger, wurde allerdings durchaus nicht immer vom Kirchenvorstand gutgeheißen. Von vornherein von Begräbnisgebühren befreit waren nach der Begräbnisordnung von 1422 der Protonotar, der Syndikus, der Propst von St. Johannis, die Ärzte (vgl. Nr. 692) und Apotheker samt ihren Witwen sowie einige weitere Stadtbedienstete.

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Auf dem vor den Toren der Stadt gelegenen Friedhof St. Gertrudis wurden die Auswärtigen und die Einwohner ohne Bürgerrecht begraben. Die Gebühren hierfür entfielen ganz nach ihrem Vermögen und nach der Art der Grabstelle. Für die Einwohner war das Begräbnis selbst hier frei, sie zahlten lediglich für die Setzung eines Steins je nach Größe 2 oder 3 Mark (vgl. u. a. Nr. 802).

Die Berechtigung zur Errichtung eines Epitaphs in der Kirche wurde häufig zusammen mit einem größeren Begräbnisplatz gegen eine höhere Gebühr erworben. Abgesehen von der Einrichtung der bereits erwähnten Familienkapellen war man auch sonst bemüht, die Grabstellen einer Familie an bestimmten Plätzen in der Kirche zu konzentrieren (vgl. Nr. 570). Teilweise wurden diese Areale im Kirchenschiff durch Setzung einer Einfassung aus grün glasierten Ziegelsteinen markiert wie im Fall der Grabstätte der Familie Töbing unter der Orgel.29) Nur bei unerwarteten Todesfällen (vgl. Nr. 554) erfolgte die Anschaffung des Begräbnisplatzes in der Kirche erst unmittelbar nach dem Tod. Die Angehörigen der vermögenden Bürgerfamilien kümmerten sich dagegen der Kirchenrechnung zufolge in der Regel schon zu Lebzeiten um ihre Begräbnisplätze. Hiermit hängt es wohl auch zusammen, dass sich mehrfach Verheiratete oft zusammen mit dem ersten Ehepartner beisetzen ließen. Da Eheleute in der Regel ein Doppelbegräbnis erwarben, stand der Begräbnisplatz weiterhin zur Verfügung und wurde auch nach einer Wiederverheiratung noch in Anspruch genommen.

Den ‚rechtzeitigen‘ Erwerb des Begräbnisplatzes belegen auch die vielen in Rikemanns Libellus aus der Zeit um 1600 überlieferten Grabinschriften, in denen der Platz für den Nachtrag des Sterbedatums noch freigelassen war. Zugleich belegen Rechnungsvermerke in den Quellen, dass häufig jemandem eine Grabplatte ‚nachgelegt‘ wurde, d. h. dass die Grabplatte oder auch ein Epitaph erst mehrere Jahre nach dem Begräbnis gesetzt wurde. Die in den Bänden der DI übliche Datierung einer Grabinschrift nach dem Sterbedatum, wenn andere Anhaltspunkte fehlen, relativiert sich damit und kann nur ungefähr der zeitlichen Einordnung des Inschriftenträgers dienen.

In der Zeit um 1600 lassen sich anhand der Kirchenrechnungen wie auch an den Inschriften gewisse Veränderungen im Begräbniswesen rund um St. Johannis beobachten. Die Vergabe großer Begräbnisstätten in der Kirche wurde in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts seltener, ein Zeichen dafür, dass der hier zur Verfügung stehende Platz weitgehend ausgeschöpft war. Zugleich hatte man auch damit begonnen, alte Grabplatten aus der Kirche auf den Friedhof von St. Johannis, den Begräbnisort für die weniger vermögenden Bürger, zu verlegen. Wenn niemand mehr ein Anrecht auf einen solchen alten Stein anmeldete, die Inschriften unleserlich und die Wappen unkenntlich geworden waren, konnte er erneut verkauft und als Grabplatte zweitverwendet werden.30) Das Verzeichnis der Grab- und Leichensteine in St. Johannis aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts belegt, dass in dieser Zeit kaum noch Grabplatten aus der Zeit vor der Reformation innerhalb der Kirche lagen.31) Zugleich demonstriert dieses Verzeichnis, das einen Rundgang durch die Kirche beschreibt, wie eng die Grabplatten in der Kirche nebeneinanderlagen.

In der Zeit um 1600 wurde es immer üblicher, die Grabplatten zunächst mit einem Besitzvermerk samt Erwerbsdatum zu versehen, zu dem dann später noch Sterbevermerke hinzugefügt werden konnten (zum Formular der Grabinschriften vgl. Kap. 5.1.). Zur selben Zeit wird in der Kirchenrechnung eine schon in der Begräbnisordnung von 1422 vorgesehene Art des Begräbnisses auf dem Friedhof genannt, die seit 1598 separat in der Kirchenrechnung aufgeführt ist: das Schleng (vgl. u. a. Nr. 778) stellte offenbar eine bescheidenere Art des Begräbnisses dar und bestand wohl nur aus einer Umgrenzung des Begräbnisplatzes, auf den ein Grabkreuz gesetzt oder ein kleiner Stein gelegt wurde. Möglicherweise fanden sich die kurzen Besitzvermerke, die Rikemann überliefert, auf solchen Begräbnissen. Dies lässt sich jedoch nicht nachweisen, da nur ein verschwindend geringer Teil der Grabplatten im Original überliefert ist. Dass sich auch der Friedhof um St. Johannis herum immer mehr füllte, belegt die Bezeichnung der einzelnen ‚Steinwege‘, also die in Reihe liegenden [Druckseite 32] Grabplatten. Schon 1587 hatten sich die Kirchenvorsteher darüber beklagt, dass der Friedhof immer voller werde, und die Ursache auch darin gesehen, dass die Wände der Eichensärge immer dicker angefertigt würden und diese dadurch kaum mehr verwesten. Während sich der Friedhof um St. Johannis zunehmend füllte, gewann auch der Gertrudenfriedhof immer mehr an Bedeutung für die weniger vermögenden Lüneburger Einwohner; die dortigen Begräbnisse sind seit 1598 separat in der Kirchenrechnung von St. Johannis verzeichnet.32)

Der Katalog der Lüneburger Inschriften enthält vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zum Jahr 1614, in dem die Überlieferung der Grabinschriften durch Rikemann endet, neben den Grabinschriften für die Mitglieder der Patrizierfamilien auch eine beträchtliche Zahl von Grabinschriften der nicht den Sülfmeisterfamilien angehörenden ‚Normalbürger‘. Hinweise auf ihre Begräbnisse finden sich – soweit sie auf den Friedhöfen von St. Johannis und St. Gertrudis begraben wurden – außer in den Inschriften auch in der Kirchenrechnung. Mit dem Abbrechen der Inschriftenüberlieferung durch Rikemann nach 1614 ändert sich grundlegend der Personenkreis, für den noch Grabinschriften kopial überliefert sind: hierbei handelt es sich nun nur noch um Mitglieder der prominenten Familien. Dieser Sachverhalt beschreibt schon ein gewisses Dilemma der Lüneburger Grabinschriftenüberlieferung: dank Rikemann und der archivalischen Quellen wie dem Verzeichnis der Grab- und Leichensteine33) bekommt man zwar einen sehr anschaulichen Eindruck davon, wie stark der Kirchenraum von St. Johannis und später auch der um die Kirche herum angelegte Friedhof durch Grabdenkmäler dominiert war – erhalten geblieben ist davon fast nichts.

Das Erscheinungsbild des Kircheninneren, das Gebhardi noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschreibt,34) hat sich seither komplett gewandelt. Seit dem 18. Jahrhundert wurden zunehmend auch die Familienkapellen aufgelöst. Nachdem in der Zeit nach der Reformation die Epitaphien die Altäre und anderen mittelalterlichen Ausstattungsstücke aus den Kapellen verdrängt hatten, wurden nun auch die Familienbegräbnisse nach und nach aus der Kirche entfernt, und die Grabplatten wurden als begehrtes Baumaterial verkauft. Man kann der Familie Stöterogge nur eine besondere Weitsicht attestieren, die ihre großen Epitaphien (Nr. 377 u. 378) um die Pfeiler des Mittelschiffs von St. Johannis herum baute, wo man sie offenbar nicht so ohne Weiteres entfernen konnte. Anfänglichen Protesten einzelner Familien gegen die Auflösung ihrer Kapellen und die Entfernung ihrer Grabdenkmäler, die unweigerlich auch das Ende der familiären Memorialkultur bedeuteten, begegneten die Kirchenvorsteher zunehmend mit Forderungen nach Übernahme der Baukosten für die immer maroder werdenden Nebenkapellen. Dauerhaft hatte dies zur Folge, dass bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts eine Familie nach der anderen ihre Rechte an den Kapellen an die Kirchengemeinde zurückgab, da kaum noch jemand bereit war, sich an den Baukosten von St. Johannis zu beteiligen. Die Entfernung des Witzendorffschen Epitaphs Nr. 854 zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus der nun aufgegebenen Familienkapelle stellt eine Art Schlusspunkt dieser Entwicklung dar.35)

Lediglich die Familie von Dassel war auch weiterhin bereit, die Kosten für ihre Familienkapellen zu tragen. Sie hatte 1544 in dem als Segenhus bezeichneten Anbau im Nordwesten der Kirche eine Familienkapelle erworben und 1585 noch die daneben gelegene ehemalige Beginenkapelle dazugekauft mit der Berechtigung, deren Ostmauer samt den davor gelegenen Altären, die hier 50 Jahre nach Durchführung der Reformation offenbar noch standen, abzubrechen und einen Durchgang zum Kirchenschiff zu schaffen. Noch 1780 legte die Familie hier ein neues Grabgewölbe an, zu einer Zeit, als die anderen Lüneburger Familien ihre Grabgewölbe in der Kirche nach und nach [Druckseite 33] aufgaben.36) Dem Festhalten an ihrer Familienkapelle ist es sicherlich zu verdanken, dass der Lüneburger Inschriftenkatalog immerhin neun in St. Johannis im Original erhaltene Grabdenkmäler der Familie von Dassel aus der Zeit vor 1650 umfasst,37) angesichts einer Gesamtzahl von nur 26 erhaltenen Grabdenkmälern in St. Johannis aus diesem Zeitraum eine bemerkenswerte Menge.

3.3.6. Reformation und Inschriften

Im vorangegangenen Kapitel spielte die Durchführung der Reformation bzw. ihre Auswirkung auf den Innenraum von St. Johannis schon mehrfach eine Rolle. Im Folgenden sollen die Auswirkungen der Reformation auf die Lüneburger Inschriften allgemein dargestellt werden. Dabei bleiben die Inschriften der Großen Ratsstube hier zunächst einmal ausgeklammert, da sie im Zusammenhang mit den Rathausinschriften im nächsten Kapitel (Kap. 3.3.7.3.) behandelt werden.

Die Stadt Lüneburg führte die von Urbanus Rhegius in ihrem Auftrag entworfene evangelische Kirchenordnung am 4. September 1531 ein. Auch wenn diesem Akt gelegentlich Auseinandersetzungen in der Bürgerschaft vorausgegangen waren, die als turbulent bezeichnet werden können, so ist die Durchführung der Reformation in Lüneburg in der Gesamtsicht eher als besonnen zu charakterisieren. Seit 1531 wurde in allen Pfarrkirchen evangelischer Gottesdienst gehalten. Das Prämonstratenserkloster Heiligenthal, das ohnehin nur noch schwach besetzt war, wurde ebenso aufgelöst wie das Franziskanerkloster St. Marien, dessen Mönche bis auf wenige Alte und Kranke sowie die gebürtigen Lüneburger die Stadt verließen. Die Klosterkirche wurde zur Ratskirche umgewandelt. Es gab aber 1555 noch drei Mitglieder des ehemaligen Konvents, die vermutlich im Herbst desselben Jahres endgültig die Stadt verließen.38) Der bemerkenswerteste Wechsel vollzog sich in dem Benediktinerkloster St. Michaelis, das nach dem Abtswechsel Ende 1532 die Reformation einführte und seine Existenz als evangelisches Kloster in der Folgezeit absichern konnte.39)

Das beste Beispiel für die allmähliche und vorsichtige Umstellung auf die neuen evangelischen Verhältnisse ist die sich über eine ganze Generation erstreckende Auflösung der Vikarien, die sich in der Ablieferung der Kelche in der Zeit von 1540 bis 1562 widerspiegelt. Auch wenn die Sülfmeisterfamilien sich früher oder später dem evangelischen Glauben zuwandten, so waren sie doch zu sehr an die Altarstiftungen ihrer Familien gebunden, als dass sie an einer radikalen Beseitigung der vorhandenen Strukturen interessiert sein konnten. Die Tatsache, dass der Familie von Dassel 1585 das Recht eingeräumt wurde, bei der Entfernung der Ostmauer ihrer Kapelle auch die vor der Mauer stehenden Altäre zu entfernen (s. o.), zeigt, dass sich hier ein halbes Jahrhundert nach der Reformation noch – inzwischen bedeutungslos gewordene – Nebenaltäre befanden. Die Erhaltung der spätmittelalterlichen Hochaltäre in den Lüneburger Kirchen demonstriert noch heute, dass man es zunächst bei den vorhandenen Kirchenausstattungen beließ und keine durchgreifende Neugestaltung der Kirchenräume im protestantischen Sinn vornahm. Eher scheint man [Druckseite 34] erst einmal die Entwicklungen abgewartet zu haben. Dies belegen nicht nur die Testamente aus dieser Zeit (vgl. Nr. 316 u. 377), sondern auch die fehlenden Hinweise auf bedeutende Neuanschaffungen in den Kirchen.

Lediglich St. Lamberti erhielt im Jahr 1540 ein neues Taufbecken (Nr. 338), das die Sülfmeister finanzierten. Über die Gestaltung der Taufe mit einem im Ergebnis wenig aussagekräftigen Bild- und Textprogramm gab es längere Streitereien, deren Inhalt leider nicht bekannt ist. Möglicherweise setzte sich hier eine eher vorsichtige und konservative Meinung unter den Beteiligten durch, so dass man als Inschriften ganz unverfänglich auf den Akt der Taufe bezogene, wenn auch niederdeutsche Bibelzitate ohne explizit protestantische Aussagekraft auswählte. Wieweit der Angabe von Gebhardi zu trauen ist, der evangelische Abt Herbord von Holle habe die Goldene Tafel zusammen mit dem Chor von St. Michaelis mit der Einführung der Reformation 1532 verschließen lassen und dort sei erst wieder 1595 das Abendmahl gefeiert worden,40) lässt sich bislang nicht überprüfen. Sollte die Angabe stimmen, so hätte sich der Hochaltar über Jahre sehr schlicht mit den Gemälden der Ehernen Schlange und der Kreuzigung (DI 24, Nr. 16) auf den zugeklappten Außenflügeln präsentiert, und seine Skulpturen (Nr. 43) ebenso wie einer der größten mittelalterlichen Kirchenschätze mit seinen zahlreichen kostbaren Reliquiaren wären als Zeugen der ‚katholischen Zeit‘ weggeschlossen gewesen. Im Jahr 1592 wurde die Goldene Tafel allerdings bereits Reisenden als eine Art Touristenattraktion gezeigt.41)

Mit der spätestens 1562 entstandenen Abtstafel (Nr. 408) hat bemerkenswerterweise gerade die Klosterkirche St. Michaelis noch ein mit Inschriften versehenes großes Ausstattungsstück vorzuweisen, das im direkten Zusammenhang und in einigermaßen zeitlicher Nähe zur Reformation steht. Hier wird der amtierende Abt in die Tradition der Äbte seit Gründung des Klosters gesetzt, um den Fortbestand des Klosters St. Michaelis in evangelischer Zeit zu legitimieren. Zugleich betont eine Inschrift ausdrücklich, dass sich Herbord von Holle sofort zur Reformation bekannte. Dies wird auch auf seinem Epitaph (Nr. 384) durch die Anbringung von sechs Reformatorenporträts zum Ausdruck gebracht, die inschriftlich nicht bezeichnet sind und sich daher heute nicht mehr sicher identifizieren lassen, den Zeitgenossen aber wohl noch bekannt gewesen sein werden. Weitere Reformatoren-Bildnisse in den Lüneburger Kirchen stammen erst aus den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts (Nr. 481, 482, 483, 526, 714).

Anders als auf den kirchlichen Ausstattungsstücken wird die Reformation textlich und bildlich auf den unterschiedlichsten Inschriftenträgern aus dem bürgerlichen und privaten Bereich sehr viel mehr thematisiert, besonders wenn man die am Schluss dieses Kapitels zu behandelnden Grabdenkmäler mit einbezieht. Hausinschriften, die in anderen Städten ein wichtiges Medium gerade auch zur öffentlichen Präsentation ‚lutherischer‘ Bibelzitate sein können, spielen in Lüneburg aufgrund der vorherrschenden Backsteinbebauung nur eine untergeordnete Rolle, auch wenn es gerade in den Hinterhöfen einige erstaunlich anspruchsvoll geschnitzte Inschriften gibt. Ein Beispiel hierfür ist die auf das Jahr 1543 datierte Inschrift am Hofflügel des Hauses Große Bäckerstr. 18, das dem Kaufmann und Ratsherrn Lukas Daming gehörte (Nr. 349): VERBVM · DOMINI · MANET · IN · ETERNVM. Das Bibelzitat (1. Pt. 1,25), das in späterer Zeit sehr weit verbreitet und dadurch in seiner Aussagekraft eher abgeschwächt wird, kann im Jahr 1543 noch als protestantische Devise gewertet werden. Es kommt unter den wenigen Lüneburger Hausinschriften bis zum Ende des 16. Jahrhunderts noch in weiteren fünf Inschriften vor (Nr. 398, 412, 631, 655, 709).

Lukas Daming hatte enge Beziehungen zu der ebenfalls schon früh als protestantisch geltenden Patrizierfamilie Witzendorff und begleitete seinen eigenen Sohn sowie Heinrich Witzendorff seit 1565 auf einer dreieinhalbjährigen Bildungsreise u. a. durch Italien (vgl. Nr. 349). Heinrich Witzendorff erbte den von seinem Vater Franz für den Privatgebrauch wohl 1554 in Auftrag gegebenen und im Familienbesitz bewahrten ‚Interimsbecher‘ (Nr. 381), einen besonders aufwendig gestalteten Deckelpokal, den er selber 1617 durch testamentarische Stiftung in das Ratssilber (vgl. Kap. 5.6.2.) gab. Als Sieg des Protestantismus wird hier in Bild und Text die Aufhebung des Augsburger [Druckseite 35] Interims 1552 gefeiert. Während durch den segnenden Christus, der ein dreiköpfiges Ungeheuer mit den Köpfen des Papstes, des Teufels und eines Türken überwindet, und durch die Darstellung der die katholische Kirche verkörpernden babylonischen Hure als Deckelbekrönung eine dezidierte Propaganda im Sinne Luthers als Bildthemen umgesetzt wird, die sich so häufig in der zeitgenössischen Druckgraphik findet, stellen die auf dem Pokal angebrachten Inschriften eine sehr viel sachlichere Untermauerung der lutherischen Lehre durch ausgewählte Bibelzitate dar, die die Konzentration auf Christus und sein Wort einfordern. Ebenso sachlich wird die Aufhebung des Interims auf der um den Fuß verlaufenden Inschrift dargestellt, die knapp den historischen Vorgang schildert.

Während der Vater bzw. Großvater der beiden genannten Witzendorffs, der 1493 geborene und 1551 verstorbene Ratsherr Hieronymus, in seiner Grabschrift als Kämpfer für den wahren Glauben gepriesen wird (Nr. 459), wird die Konfession in den Grabschriften der beiden Nachfahren nicht mehr thematisiert (Nr. 503, 854), in denen nun aus gutem Grund die Stadtpolitik und die Stabilität des Stadtregiments im Mittelpunkt stehen (vgl. dazu allgemein Kap. 3.3.8.). Zunächst sind es allerdings besonders die Grabinschriften, in denen sich mit der Einführung der Reformation in Lüneburg Grundlegendes verändert, was sowohl personell bedingt ist als auch durch die mit der Durchführung der Reformation eng verknüpfte Schulreform. Denn zusammen mit dem Reformator Urbanus Rhegius kam der Dichter, Theologe und Musiker Lucas Lossius zunächst als Sekretär von Rhegius nach Lüneburg und bekleidete dann hier für ein halbes Jahrhundert bis zu seinem Tod die zweite Rektorenstelle an der Johannisschule, der städtischen Lateinschule (Nr. 541).

Damit bricht 1531 in Lüneburg das Zeitalter der Versepitaphien an – im Vergleich mit den Inschriftenbeständen anderer Städte sehr früh und außerordentlich zahlreich –, die in den umfangreicheren Texten zumindest die Möglichkeit zu detaillierten biographischen Angaben bieten. (Zum Formular der Grabinschriften des Lucas Lossius und zu den Grabinschriften allgemein s. Kap. 5.1.). In der aus Lossius’ Feder stammenden Versgrabschrift für den 1536 verstorbenen Protonotar Gregor Tilitz wird in dichterischer Überhöhung auf die Verdienste des Verstorbenen um die Durchführung der Reformation in Lüneburg verwiesen (Nr. 315), ohne dass bekannt wäre, dass er hierbei eine bedeutende Rolle gespielt hätte. Glücklicherweise war das ‚rohe Volk‘ vermutlich nicht in der Lage, die ebenfalls von Lossius verfasste Inschrift auf dem Epitaph des 1539 verstorbenen Bürgermeisters Leonhard Töbing ohne Weiteres zu übersetzen, denn dort hätte es erstaunt lesen können, dass dieser als friedliebender Bürgermeister zahlreiche Umsturzversuche des Pöbels unterdrückt hatte: Pacis amans sano conamine multa repressit / Consilio vulgi seditiosa trucis (Nr. 332).

Als einer der ersten evangelischen Geistlichen in Lüneburg wurde Gerhard Herberding in seiner ebenfalls von Lossius verfassten Versgrabschrift in St. Nicolai gepriesen (Nr. 468), dasselbe gilt auch für Caspar Romshagen an St. Lamberti (Nr. 388). Dagegen enthält die Versgrabschrift für einen der Protagonisten der Reformation in Lüneburg, den ersten Rektor der Johannisschule Hermann Tulichius, nur ein sehr allgemein formuliertes Totenlob (Nr. 342, 1540). Für eine ganze Reihe der lutherischen Pastoren sind die Inschriften ihrer Grabplatten und Epitaphien kopial überliefert. Neben vergleichsweise schlicht formulierten lateinischen Sterbevermerken und längeren lateinischen Versinschriften, in denen gerne die Bildung und die Gelehrsamkeit der Geistlichen (Nr. 493, 513, 516) – in vier Fällen mit einem Hinweis auf ein Studium bei Melanchthon (Nr. 456, 652, 756, 836) – sowie deren vorbildliche Amtsführung und Beliebtheit betont wird, stehen nur wenige etwas aus dem Rahmen fallende Grabinschriften.

Die Spannbreite der Möglichkeiten wird deutlich, wenn man die Inschriften der Grabplatte für den 1564 verstorbenen Pastor an St. Johannis, Wilhelm Sandfurt, mit den Inschriften der beiden Grabdenkmäler des 1614 verstorbenen Pastors an St. Nicolai, Hiob Gigas, miteinander vergleicht. Sandfurt wählte noch zu Lebzeiten einen knappen lateinischen Sterbevermerk und einen Teil des Glaubensbekenntnisses Credo remissionem peccatorum Expecto carnis resurrectionem Et vitam venturi saeculi Amen für seine Grabplatte aus (Nr. 415). Hiob Gigas dagegen machte seinem Namen alle Ehre und ließ sich zu Lebzeiten ein Epitaph setzen, auf dem neben einem Sterbevermerk in Prosa in 16 Distichen sein Lebensweg beschrieben wird (Nr. 756), fünf weitere Distichen mit der Amtszeit und dem Sterbedatum wurden nach dem Tod des Pastors noch hinzugefügt. Auch seine Grabplatte (Nr. 836) ließ Gigas bereits zu Lebzeiten mit mehreren Inschriften versehen, darunter eine lateinische Versinschrift, [Druckseite 36] die neben dem Hinweis auf ein Studium bei Melanchthon drei Distichen enthält, in denen der Glaube des Geistlichen an die Vergebung der Sünden durch das Blut Christi, an die Auferstehung und an die Aufnahme ins Himmelreich formuliert sind.

Im Fall der bisher genannten Inschriften sind nur die Texte überliefert, nicht jedoch das Bildprogramm und nur selten – zumeist nur im Falle der Geistlichen – die zusätzlich angebrachten Bibelzitate oder Sentenzen, die die protestantische Aussagekraft eines Grabdenkmals verstärkt haben. So ist in der Versgrabschrift für Hartwig Stöterogge auf seinem im Original erhaltenen Epitaph in St. Johannis (Nr. 377, 1552) seine Frömmigkeit und Glaubenstreue betont. Das Relief über dieser Inschrift zeigt – ganz im lutherischen Sinne – den auferstandenen Christus als Überwinder des Todes, auf seiner Fahne die Inschrift: CONFIDITE EGO VICI / SATANAM MVNDVM (nach Jh. 16,33). Praktisch die Quintessenz der lutherischen Lehre findet sich auf dem nur noch fragmentarisch erhaltenen Epitaph aus St. Michaelis für das adlige Ehepaar Eitel Rau von Holzhausen und Margaretha von Badendorff (Nr. 507, vor 1578). Beide sind unter dem Kreuz kniend dargestellt. Das Bekenntnis des Ehepaars zur Lehre Luthers steht auf den beiden Kartuschen oben unter dem Kreuzbalken, auf die sich ein elegisches Distichon verteilt: VNA SALVS NVLLAM EX MERITIS SPERARE SALVTEM, / IVSTIFICAT GRATIS SOLA FIDES HOMINEM (‚Das einzige Heil ist, aus den Verdiensten kein Heil zu erhoffen. Allein der Glaube rechtfertigt den Menschen ohne Entgeltung.‘).

Das hier leitmotivisch gesetzte Bekenntnis bleibt möglicherweise deshalb die Ausnahme unter den zahlreichen Inschriften der Lüneburger Epitaphien, weil die kopialen Überlieferer häufig nur an den Sterbevermerken und Versgrabschriften, nicht jedoch an den sie begleitenden Bildprogrammen und anderen Texten interessiert waren. In der Überlieferung der Grabschriften bei Rikemann kommen Bibelzitate oder Sentenzen nur ausnahmsweise vor, wie auf der Grabplatte für ein unbekanntes Mitglied der Familie Ratke, auf der sich neben der Grabschrift Anno 1537 Die 21 Julÿ starff [......] Ratke, dem Gott gnedig sÿ auch ein lutherisches Glaubensbekenntnis fand: Christus hefft den doth vor mi sine macht genamen, dem duvl sine macht vorstoret (Nr. 324). Die hier wie auch schon vor der Reformation in deutschen Grabschriften in Lüneburg mehrfach belegte Fürbittformel dem/der Gott gnädig sei (Nr. 97, 227, 252, 283) passt zu Luthers Leitgedanken sola gratia und findet sich daher in evangelischer Zeit häufig auf Grabplatten, während die Hoffnung auf eine fröhliche Auferstehung hier eher selten thematisiert ist. Diese ist dafür umso öfter Gegenstand immer wieder variierender Formulierungen der lateinischen Versgrabschriften, ebenso wie die Erwartung der Aufnahme in das Himmelreich. Zum Formular der Grabinschriften allgemein s. u. Kap. 5.1.

Abschließend soll hier noch eine Gruppe von vier Inschriftenträgern behandelt werden, die durch dieselbe Person miteinander verbunden sind: den letzten altgläubigen Propst von St. Johannis Johannes Koller. Am Beispiel der auf Koller bezogenen Inschriften eines Pokals (Nr. 313), eines Gemäldes (Nr. 319), eines Epitaphs oder Gemäldes (Nr. 318) und einer Grabplatte (Nr. 316) aus der Zeit um 1536 lässt sich anschaulich zeigen, wie sich deren Inschriften zur Memoria eines von allen hochgeachteten Mannes verknüpfen, der im hohen Alter den grundlegenden Veränderungen seiner Zeit nicht mehr folgen mochte und dies auch inschriftlich zum Ausdruck brachte. Koller erlebte im Alter von 65 Jahren, dass das von ihm bekleidete Amt des Propstes von St. Johannis zugunsten der neugegründeten Superintendentur wesentliche Befugnisse verlor und er seither nur noch gewisse Aufsichtsbefugnisse und die Rechtsprechung über die verbliebenen Benefizien innehatte. Er war sich keineswegs sicher, dass die Umgestaltung des Kirchenwesens von Dauer war und hoffte noch auf eine Wiederherstellung der alten Verhältnisse. Das zeigen sein Testament und die darauf bezogenen Zusätze aus den Jahren 1532 bis 1535 (vgl. Nr. 316), in dem er auch verfügte, dass man ihn in der Kirche des aufgehobenen Franziskanerklosters St. Marien und nicht in seiner Propsteikirche St. Johannis begraben sollte.

Das Bewusstsein Kollers, in Zeiten unberechenbarer Veränderungen zu leben, drückt die in Lüneburg berühmte und immer wieder in ihrer Kurzform zitierte Inschrift des von ihm gestifteten, von einem Januskopf bekrönten Pokals aus: BEI DISER MVNT SOL MAN LEREN / WI SICH DIE WELT TVT VORKEREN. Diese Kurzform der Inschrift steht auf dem Gemälde Nr. 319, das den Propst zusammen mit dem von ihm gestifteten Pokal zeigt. Die Langversion auf dem Pokal lautet: DE WISE MAN SICHT HINDEN VNDE [Druckseite 37] VOR / WES VORGANGEN ITZICH VND NOCH VOR DER DOR / AFBROCK DER MVNTE DEIT VNS LEREN / WO SICK DER WERLDE SCHEFTE VORKEREN. Die Inschrift seiner Grabplatte betont, dass der Propst, der sich in den Verhandlungen um die Einführung der Reformation bis zuletzt unnachgiebig zeigte, zu Lebzeiten allen lieb gewesen sei und niemandem Unrecht getan habe. Im selben Tenor ist auch die ausführliche Würdigung verfasst, die Johannes Koller durch die Verse von Lucas Lossius in seiner Versgrabschrift Nr. 318 erfuhr. Auch hier wird noch einmal auf das wechselhafte Schicksal Bezug genommen, das Koller erfahren musste, und damit auch auf den Januskopf und die Inschrift des Pokals.

3.3.7. Ein Verhaltenscodex für die Bürger – Die Inschriftenprogramme des Lüneburger Rathauses um 1600

PAX urbes munit PAX cives auget et unitBeati Pacifici quoniam filii Dei vocabuntur
PAX docet atque regit PAX fovet atque tegit42)Pax et Salus populi suprema lex et actionum scopus est 43)

Genau einhundert Jahre lang, von 1604/5 bis 1704 präsentierte die Fassade des Lüneburger Rathauses zum Markt hin in einer Nische vor dem mittleren und höchsten ihrer fünf Türme die in dieser Weise inschriftlich bezeichnete und gepriesene Figur der Pax, die gegenüber den Figuren der Tugenden Fortitudo, Prudentia, Justitia und Temperantia zwischen den fünf Türmen eine deutlich überhöhte Position einnahm (vgl. Nr. 775). Mit der Fertigstellung dieser neuen fünftürmigen Fassade, der 1607 abgeschlossenen Erbauung des Richthauses rechts davon auf der Ecke zum Ochsenmarkt (Nr. 796) und der gleichzeitig fertiggestellten Ausmalung des Fürstensaals (Nr. 797, 798) fand die ca. 30 Jahre zuvor begonnene prächtige Ausgestaltung des Rathauses einen vorläufigen Abschluss.44) Die Bild- und Inschriftenprogramme des Rathauses aus dieser Zeit (zur übrigen Ausstattung vgl. Kap. 5.6.1.) tragen viel zum Bild des glanzvollsten Zeitalters in der Geschichte der Stadt bei,45) das schon von Lucas Lossius in seinem Werk ‚Luneburga Saxoniae‘ hymnisch gefeiert wurde.46) Das mit enormem Aufwand betriebene Bau- und Ausstattungsprogramm, von dem das Innere des Rathauses noch heute einen guten Eindruck gibt, stand allerdings bei genauerem Hinsehen in proportional umgekehrtem Verhältnis zur langsam schwindenden Selbstständigkeit Lüneburgs und dem Machtverlust der Stadt nach außen sowie der sich verändernden Rolle des Lüneburger Patriziats. Daher ist zu fragen, ob die bildlich wie inschriftlich immer wieder vor Augen gestellte Macht eines nur durch die Erhaltung des Friedens starken Gemeinwesens nicht eher beschwörend auf den Betrachter einwirken sollte, an den überkommenen politischen Verhältnissen im Inneren festzuhalten.

Die Reformation im Fürstentum Lüneburg hatte eine Erstarkung der Position der Herzöge zur Folge, die – durch die Einziehung von Klosterbesitz finanziell gestärkt – in der Lage waren, die durch Verpfändung aus der Hand gegebenen Schlösser, Vogteien und Rechtspositionen nach und nach wieder auszulösen. Der Ausbau der Territorialherrschaft und die Etablierung einer Ämterstruktur schwächte dauerhaft die Selbständigkeit der Stadt, deren Einflussgebiet mit dem Verlust von Pfandschlössern sowie Rechten an Handelswegen und Wasserstraßen zunehmend auf den Grenzverlauf ihrer Landwehr eingeschränkt wurde.47) Nach der Kündigung aller Privilegien durch Herzog Franz Otto im Jahr 1556 bedurfte es langwieriger Verhandlungen, bis es 1562 zu einer [Druckseite 38] Einigung zwischen den inzwischen regierenden Herzögen Heinrich und Wilhelm und der Stadt Lüneburg kam, die durch eine Huldigungsfeier in Lüneburg im Sommer 1562 besiegelt wurde. Die im Jahr 1572 durch Herzog Wilhelm eingelöste Stadtvogtei konnte Lüneburg 1576 gegen eine jährliche Zahlung von 1000 Talern zurückerwerben. Dies wurde zwar ebenso als Erfolg für die Stadt Lüneburg verkauft wie die Huldigung von 1562, konnte aber nicht über die zunehmende Erstarkung der herzoglichen Position hinwegtäuschen.48) Dieser Schwächung nach außen begegnete die Stadt mit einem hohen Aufwand an Repräsentation im Inneren. Die Gestaltung des Fürstensaals und der Großen Ratsstube als Prunkräume – ergänzt durch die Präsentation des Ratsssilbers in den Schenkschieven der Gerichtslaube (s. Kap. 5.6.2.) – sollten dem Besucher ebenso den Eindruck einer mächtigen Stadt vermitteln wie die an den drei Seiten des Rathauskomplexes nach Osten, Norden und Süden hin angebrachten Inschriftenprogramme. Sie gaben dem lateinkundigen Leser ein Kompendium an Richtlinien mit auf den Weg, nach denen eine Stadt im Idealfall funktionieren sollte, in der die Bürger in Frieden und Harmonie miteinander lebten. Die Anbringung des herzoglichen und des städtischen Wappens im Wechsel zwischen den Inschriften sollte das gute Verhältnis der Stadt zu den Landesherren ausdrücken, um das in der Realität immer wieder mühsam gerungen werden musste. Die Abbildung von Fürsten- und Kaiserreihen in aufwendigen Bildprogrammen diente dazu, den Platz der Stadt Lüneburg innerhalb des Heiligen Römischen Reichs zu bestimmen.

Die Bildprogramme im Lüneburger Rathaus sind gerade in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand kunsthistorischer Untersuchungen gewesen. Dabei standen vor allem die Gemälde Daniel Freses in der Großen Ratsstube häufig im Mittelpunkt der Betrachtungen besonders auch im Hinblick auf die druckgraphischen Vorlagen.49) Es erscheint daher wenig sinnvoll, hier erneut detailliert auf die Ikonographie einzugehen. Sofern dies für den einzelnen Inschriftenträger von Bedeutung ist, finden sich entsprechende Angaben in den Katalogartikeln. In den Fokus gerückt werden sollen hier stattdessen die zahlreichen Inschriftenprogramme sowohl im Hinblick auf ihren Inhalt als auch im Hinblick auf ihre Sprache. Dadurch, dass die Inschriftenprogramme der Rathausfassaden bislang von der Forschung unberücksichtigt geblieben sind, ergeben sich hier durchaus neue Aspekte.

3.3.7.1. Pax als Schirmherrin der Res publica

Die eingangs zitierten Inschriften, die der Statue der Pax vor dem mittleren Turm der Rathausfassade zum Markt zugeordnet waren, beschreiben die überragende Bedeutung des Friedens innerhalb einer Stadt. Die von Daniel Frese entworfene und in der baulichen Ausführung offenbar noch modifizierte Ostfassade (Nr. 775) mit der deutlich erhöhten Figur der Pax in einer Nische, der die vier freistehenden Tugenden Fortitudo, Prudentia, Justitia und Temperantia zwischen den Türmen unter- oder zumindest nebengeordnet waren, ist ungewöhnlich, da in der Regel Justitia im Mittelpunkt der auf Rathäuser oder andere offizielle Gebäude zugeschnittenen Bildprogramme steht. Jeder der fünf Frauenfiguren war außer einem Titulus ein lateinisches Distichon zugeordnet und eine die Verse erläuternde lateinische Prosainschrift, der in drei Fällen ein Bibelzitat zugrundeliegt. Nimmt man alle Inschriften der Ostfassade zusammen, so verkündete die Stadt hier an besonders prominenter Stelle eine Art Grundgesetz oder einen allgemeinen Verhaltenskodex für ihre Bürger. Die Texte sind anderweitig so nicht nachweisbar, vermutlich wurden sie für die Neugestaltung der Fassade abgefasst. Dass man hierfür ausschließlich die lateinische Sprache verwendete und nicht auf lateinische Verse mit deutscher Erläuterung zurückgriff, zeigt wie auch die anderen Inschriftenprogramme der Rathausfassaden den hohen Bildungs- und Repräsentationsanspruch der Auftraggeber.

Nicht nur an der Ostfassade nimmt Pax im Lüneburger Rathaus eine beherrschende Stellung ein, sondern auch in den Gemälden der Großen Ratsstube und auf einer Gestühlswange der Gerichtslaube [Druckseite 39] (Nr. 633).50) In vier der neun inhaltlich aufeinander abgestimmten Gemälden der Großen Ratsstube aus der Werkstatt des Daniel Frese steht Pax im Mittelpunkt der vielfigurigen Bilder. Das in Lüneburg noch in fünf anderen Ausführungen vorkommende Motiv der schlafend oder ruhend an die hinter ihr thronende Res publica, in einem Fall an Concordia, angelehnten Frauenfigur ist das Thema des Bildes Nr. 518,51) über dem leitmotivisch die Inschrift DA PACEM DOMINE IN DIEBVS NOSTRIS (‚Gib Frieden, Herr, in unseren Zeiten.‘) auf einem Schriftband schwebt. Die unter der Darstellung angebrachte deutsche Inschrift aus dem Psalm 85 drückt den Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit aus. Begleitet wird die Darstellung der ruhenden Pax von Putten, die auf Fahnen die Wappenmotive des Fürstentums und der Stadt tragen. Sie zeigen damit die Notwendigkeit eines friedlichen Zusammenwirkens von Herzogtum und Stadt.

Drei weitere Gemälde Freses in der Großen Ratsstube zeigen die Figur der Pax in unterschiedlichen Zusammenhängen, aber immer in die Bildmitte gerückt. Im Gemälde Nr. 498 hält Pax die Laster im Zaum; die deutsche Bildunterschrift besteht aus verschiedenen Bibelzitaten zum Thema Frieden. Der Umstand, dass die graphische Vorlage zu diesem Gemälde Justitia zeigt, die die Laster an Ketten hält, bestätigt die besondere Hervorhebung der Pax in Lüneburg.52) Im Gemälde des Staatsschiffs (Nr. 495) steht Pax zusammen mit Concordia in der Bildmitte auf dem Schiff; im Gemälde Nr. 496, auf dem seitlich die Rechtsprechung durch Salomo und Daniel dargestellt ist, sitzt in der Bildmitte Pax angelehnt an Sapientia. Dieselbe Darstellung der ruhenden Pax wurde 1594 von Warneken Burmester in Holz geschnitzt (Nr. 633), als er das Gestühl für die Gerichtslaube anfertigte. Im Bild Freses mit der Darstellung der gottesfürchtigen Stadt (Nr. 502) wird inschriftlich unterschieden zwischen weltlichem und geistlichem Frieden (pax mundana/pax spiritualis). Auch in den lateinischen Inschriften des Sülztors nimmt das Thema Frieden einen bedeutenden Platz ein (Nr. 624, 1593). Auf wessen Initiative hin Pax gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu einer Art Schutzpatronin der Stadt erkoren wurde, lässt sich nicht ermitteln, auch wenn ein gewisser Verdacht auf Heinrich Witzendorff fällt, der das Motiv der ruhenden Pax sowohl für einen Kaminfries seines Hauses (Nr. 575) als auch für sein Epitaph (Nr. 854) auswählte.

3.3.7.2. Recht, Gerechtigkeit und Bürgertugenden im Rundgang um das Rathaus

Passend zu dem Inschriftenprogramm der Ostfassade präsentierte das an der Nordostecke angebaute Richthaus dem lateinkundigen Betrachter eine kurze Zusammenfassung der Rechtsgeschichte seit der Antike, verkörpert durch Statuen Justinians, Karls des Großen, Friedrichs II. und Karls V., deren Verdienste als Gesetzgeber inschriftlich kurz zusammengefasst wurden (Nr. 795). Ihnen zur Seite gestellt waren die namentlich bezeichneten Tugenden Justitia, Severitas, Clementia, Veritas und Prudentia, deren Rolle bei der Rechtsfindung inschriftlich erläutert wurde. Ergänzt wurde dieses Bild-/Textprogramm durch die mit Inschriften versehenen Gemälde Daniel Freses in der offenen Halle des Richthauses (Nr. 799), die sich mit der Rolle des Richters befassen. Von den Fassadeninschriften – aber auch von den Inschriften der Großen Ratsstube – unterscheiden sich die Bildbeischriften dadurch, dass hier Bibelzitate in lateinischer Sprache und sinnentsprechende deutsche Reimverse, die den Charakter von Merkversen haben, kombiniert sind.

An der Nordfassade des Rathauses zum Ochsenmarkt hin und am Kämmereiflügel setzte sich das Inschriftenprogramm fort. Möglicherweise fanden sich hier an dem als ‚Neues Rathaus‘ bezeichneten [Druckseite 40] Gebäudeteil (Nr. 418) und den nach Westen angrenzenden Teilen des Rathauskomplexes sowie am Kämmereiflügel53) bereits seit 1564 Inschriftenprogramme auf den von Taustäben eingefassten Friesen, sicher jedoch seit der Überarbeitung der Fassaden durch Daniel Frese und seine Werkstatt 1609. Wie lange diese Inschriften erhalten blieben, ließ sich nicht feststellen. Da Büttner sie um 1710 aufzeichnete, als sie mit ganz wenigen Ausnahmen noch gut lesbar waren, später von diesen Inschriften aber nicht mehr die Rede ist, könnten sie schon im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Ostfassade zu Beginn des 18. Jahrhunderts entfernt worden sein. Erhalten sind bis heute – abgesehen von einer Tafel mit dem Baudatum 1564 (Nr. 418) – lediglich die langen mit Taustab gerahmten Friese, die durch ebenfalls mit Taustab gerahmte, heute teilweise leere Medaillons und Wappenschilde begleitet bzw. unterbrochen sind. Die Schilde zeigen im Wechsel das Wappen der Stadt und des Fürstentums und betonen damit die Bedeutung der Landesfürsten für eine florierende Stadt. In den Inschriften war allerdings ausschließlich von der Res publica und ihren Bürgern die Rede.

Auch an der Nordfassade waren es mit wenigen Ausnahmen in Prosa abgefasste lateinische Sentenzen und Zitate – teilweise aus den Werken klassischer Autoren wie Cicero, Tacitus oder Seneca –, die man sicherlich zum überwiegenden Teil aus den im 16. Jahrhundert weit verbreiteten gedruckten Florilegien entnommen hat, die sich auch im alten Katalog der Lüneburger Ratsbücherei neben den dort verzeichneten Klassiker-Ausgaben nachweisen lassen.54) Möglicherweise wurden solche Florilegien aber auch eigens für die Umsetzung in Inschriften aus den in der Ratsbücherei oder in den privaten Bibliotheken vorhandenen Buchbeständen zusammengestellt.55) In Inschriften umgesetzt gaben die Sentenzen zumindest den lateinkundigen Bürgern täglich allgemeine Lebensweisheiten mit auf den Weg, deren Beherzigung zu einem funktionierenden Gemeinwesen (res publica florens) beitragen konnte. Insgesamt handelte es sich auf den Friesen der Nordfassade um 34 Sentenzen in lateinischer Prosa, zu denen an der Westseite des Kämmereiflügels weitere 7 Sentenzen in Prosa sowie ein Distichon hinzukamen. Teilweise waren hierfür kurze und pägnante Texte gewählt wie Felix Respublica amata bonis civibus56), teilweise aber auch längere Zitate wie Non viribus aut celeritate corporum res magnae gerentur sed consilia et autoritate57). Wie die unterschiedlich langen Inschriften auf die taustabgerahmten Friese verteilt waren, ist leider ebensowenig überliefert wie die Ausführungstechnik. Geht man davon aus, dass die zahlreichen vermutlich in Kapitalis ausgeführten Inschriften durch eine goldene Fassung hervorgehoben waren, so ergibt sich für die Nordfassade des Rathauskomplexes ein ganz anderes Bild, als es die leeren Friese heute vermitteln.58) Der ehemalige, in hohem Maße repräsentative Charakter dieser Rathausseite ist heute verloren. Dass diese in ihren Inschriften die Werte der Res publica betonende Fassade dem Herzoglichen Schloss zugewandt war, das gegenüber am Ochsenmarkt lag, ist von großer Bedeutung und zeigte das demonstrativ zur Schau gestellte Bemühen des Rats um die Bewahrung der städtischen Unabhängigkeit.59)

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Bemerkenswert am Inhalt dieser großen inschriftlichen Spruchsammlung ist die Tatsache, dass es sich ausschließlich um ganz allgemeine und seit der Antike gültige Lebensweisheiten handelte, in denen der Glaube und die Konfession keinerlei Rolle spielten. Alles dreht sich hier um das Wohlergehen der Res publica und deren Bürger. Das gilt auch für die teilweise auf Bibelzitaten beruhenden Inschriften der Ostfassade. Damit standen die außen an den Fassaden angebrachten ausschließlich lateinischen Inschriften des Rathauses im deutlichen Gegensatz zu den meisten Inschriften im Inneren des Rathauses, die in deutscher Sprache häufig der Lutherbibel entnommen oder auch aus dieser ins Lateinische übertragen waren und die zentralen Inhalte der Lehre Luthers vermittelten.

3.3.7.3. Welt- und Heilsgeschichte unter protestantischen Vorzeichen

Im Gegensatz zu den im Grunde zeitlos gültigen Inschriftenprogrammen, die das Rathaus außen umgaben, findet sich in den zwischen 1568 und 1607 umgestalteten Repräsentationsräumen im Inneren, in der Großen Ratsstube und im Fürstensaal, ein Kosmos der großen ikonographischen Themen der Zeit nach der Reformation. Die hier umgesetzten Bildprogramme entsprechen – mit Ausnahme der lediglich modernisierten Fürstenpaare im Fürstensaal (Nr. 474) – den in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ‚modernen‘, protestantisch geprägten Sujets und beruhen, wie zahlreiche kunsthistorische Untersuchungen der jüngeren Zeit zeigen, zumeist auf mehr oder weniger modifizierten druckgraphischen Vorlagen. Bei aller ikonographischer Verschiedenheit ist den Bildprogrammen gemeinsam, dass sie ohne inschriftliche Erläuterung des Dargestellten nicht auskommen. Verhältnismäßig stereotyp sind diese Inschriften im Fürstensaal, indem sie knapp in deutscher Sprache (Fürstenbildnisse an den Wänden, Nr. 474) oder in einem sich ständig wiederholenden lateinischen Formular (Kaiserbildnisse an der Decke, Nr. 798) in Kurzform die Lebensdaten der Dargestellten angeben. Anders ist dies bei den neun großen von Daniel Frese und seiner Werkstatt zwischen 1575 und 1578 ausgeführten Gemälden der Großen Ratsstube.60) Zum Verständnis der zumeist höchst komplizierten und aus verschiedenen Motiven zusammengesetzten Bildinhalte sind die den Darstellungen innerhalb der Gemälde beigegebenen Tituli unabdingbar. Während diese häufig in lateinischer Sprache ausgeführt sind, tragen die Gemälde unter den Darstellungen ausnahmslos deutsche Bibelzitate. Hier wird das Resümee aus den jeweiligen Darstellungen gezogen und die Bildaussage zugleich durch die Rückbindung an die Bibel bekräftigt. Die Auswahl der Bibelzitate wie auch der Bildthemen ist stark konfessionell geprägt und zeigt, wie selbstverständlich in der Stadt Lüneburg inzwischen das Bekenntnis zum evangelischen Glauben war. Hier wurde zumindest ynnwendig umgesetzt, was Luther in seiner Schrift ‚Wider die himmlischen Propheten‘ wünschte: Ja wollt Gott, ich kund die herrn und die reychen da hyn bereden, das sie die gantze Bibel ynnwendig und auswendig an den heusern fur ydermans augen malen liessen, das were ein Christlich werck.61)

Das Bemerkenswerte an der Auswahl der Bibelzitate für die Große Ratsstube ist, dass sich vier der neun Bildunterschriften explizit mit dem Thema Obrigkeit befassen,62) verstärkt durch die ebenfalls diesem Thema gewidmeten Zitate an der Fensterfront (Nr. 473), die ihren hier in Ganzfigur dargestellten ‚Autoren‘ Moses (Richter vnd Amptleute soltu dir setzen in allen deinen Thoren, die dir der HERR dein Gott geben wird) und David als Vertretern des Alten Testaments sowie Petrus (Seid vntertan aller Menschlicher ordnung vmb des HERRN willen) und Paulus als Vertretern des Neuen Testaments zugeordnet sind. Während in diesen Inschriften die Bürger aufgefordert werden, sich der Obrigkeit unterzuordnen, können andere Bildbeischriften wie das unter der Darstellung des Staatsschiffs stehende Sirach-Zitat als Anweisung für die Ratsmitglieder verstanden werden: Ein Weiser Regent ist strenge, vnd Wo ein verstendige Oberkeit Jst, da Gehet es Ordentlich Zu. Wie der Regent ist, so sind Auch seine Amptleute. Wie der Rat ist, So sind Auch die Burger. In gleicher Weise ist auch das Sapientia-Zitat unter dem Gemälde mit der Darstellung des Kaisers und der Kurfürsten zu verstehen: Horet ir Konige vnd [Druckseite 42] mereket Lernet ir Richter auff Erden. Nemet zu ohren die ir ober viel herrschet die ihr euch erhebt vber den Volckern. Denn Euch ist die Oberkeit gegeben vom HERRN vnd die gewalt vom Hohesten welcher wird fragen wie ir handelt vnd forschen was ihr ordnet. Denn ir seid seines Reiches Amptleute. Auch eines der von Albert von Soest geschnitzten Portale der Großen Ratsstube ist dem Thema Obrigkeit gewidmet (Nr. 505, 1577). Hier tragen die Figuren der Apostel Petrus und Paulus große Schrifttafeln mit entsprechenden Zitaten aus ihren Bibelbüchern. Die Inschrift des Paulus nach dem Römerbrief QVAE VERO SVNT POTESTATES A DEO ORDINATAE SVNT stellt eine Übertragung des Luthertextes Wo aber Oberkeit ist / die ist von Gott verordnet ins Lateinische dar und ist zugleich einer der Kernsätze, auf die sich Luthers Obrigkeitsverständnis gründet. Alle auf die Obrigkeit bezogenen Bibelzitate wurden für das Inschriftenprogramm der Großen Ratsstube sehr sorgfältig ausgewählt, um den Lüneburger Bürgern hier nachdrücklich ganz im Sinne Luthers und seiner Schrift ‚Von der Freiheit eines Christenmenschen‘ vor Augen zu führen, dass die Obrigkeit von Gott als weltliche Ordnungsmacht eingesetzt und unabdingbar sei, damit der wahre Christ in Frieden seinen Glauben leben kann.63) Das Bild-/Textprogramm der Großen Ratsstube zielte damit – neben der Vermittlung religiöser Inhalte – ganz dezidiert darauf ab, die machtvolle Position des Rats innerhalb der Stadt Lüneburg zu legitimieren. Zugleich sollten sich die Ratsmitglieder aber jederzeit bewusst machen, dass sie als von Gott eingesetzte Obrigkeit auch nach Gottes Willen die Stadt regieren sollten.

Der Legitimation des bestehenden Systems und der Einordnung der Stadt Lüneburg in die Heils- und Weltgeschichte dienten auch die eingangs bereits erwähnten Kaiser- und Fürstendarstellungen des Fürstensaals, ebenso wie der auf der Tür des Fürstensaals angebrachte, seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts besonders beliebte und verbreitete Quaternionenadler (Nr. 797), dessen Wappen hier unbezeichnet geblieben sind. Der Adler und die ursprünglich 150 Kaiserbilder der Decke verkörpern in besonderer Weise das Heilige Römische Reich, in das sich auch die Lüneburger Fürsten einreihen. Aber auch der Lüneburger Rat ist hier durch die Namen und Wappen der mit ihren Funktionen genannten Ratsmitglieder vertreten (Nr. 798), die auf dem Unterzugsbalken der Fürstensaal-Decke stehen und damit sinnbildlich eine Stütze des Heiligen Römischen Reichs bilden. Weitere Herrscherstammbäume mit einem großen, jedoch nicht überlieferten Inschriftenprogramm, das nach Gebhardi einen geübten Leser einen Tag lang beschäftigt hätte, befanden sich in dem nach den Darstellungen benannten Stammgemach (Nr. 262). Wie die Fürstenbildnisse wurden auch diese bereits vorhandenen Stammbäume von Daniel Frese und seiner Werkstatt überarbeitet und bis zu seiner Zeit ergänzt.

Die Bildbeischriften dieser Herrscherreihen sind zwar außerordentlich umfangreich, textlich für sich genommen aber wenig ergiebig. Interessant sind jedoch die Zusammenhänge zwischen den hier gelisteten Lebensdaten der Herrscher, insbesondere der Kaiser, und den in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts besonders beliebten Weltchroniken bzw. Genealogien, die deren Grundgerüst bildeten. Mit Hieronymus Henninges, von 1563 bis zu seinem Tod 1597 Pastor an St. Johannis, war in Lüneburg ein Autor umfangreicher genealogischer Werke tätig (vgl. Nr. 436 u. 665), der auch auf die Inschriften seiner Zeit in Lüneburg maßgeblich Einfluss genommen haben dürfte. Sein Hauptwerk, das Theatrum Genealogicum, folgt in der Grundstruktur der von Melanchthon überarbeiteten Chronica Carionis, erweitert diese aber um eine Vielzahl von Fürstenstammbäumen. Dem Theatrum und Melanchthons Chronica gemeinsam ist die Einteilung in die vier aufeinanderfolgenden Monarchien, die auf die Deutung von Nebukadnezars Traum durch Daniel (Dan. 2,31–45 in der interpretierenden Fassung der Lutherbibel), besonders aber auf die Interpretation dieser Bibelstelle durch Luther in der Vorrede zum Buch Daniel zurückgehen (hierzu Nr. 665). Das hier beschriebene, aus vier Metallen bestehende Standbild, das die vier Monarchien verkörpert und von einem Stein zerschmettert wird, ist die Schnittstelle zwischen den langen Fürsten- und Kaiserreihen, die alle in die vierte Monarchie, das Heilige Römische Reich, fallen und den allegorischen Darstellungen des Monarchienmannes, die das Weltende implizieren. Deutlich wird die Endzeitvorstellung auch an der Verknüpfung des Standbildes mit den vier apokalyptischen Tieren (Dan. 7,3–8), die Luther in seiner Vorrede den vier Monarchien zuordnet.

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Rechnet man das wohl nicht von Beginn an für das Rathaus bestimmte größte Gemälde mit der Darstellung des Monarchienmannes (Nr. 665) mit ein, so zeigen vier Gemälde Daniel Freses im Rathaus Darstellungen der vier Monarchien. Das Gemälde der Großen Ratsstube Nr. 494 mit der Darstellung des von den apokalyptischen Tieren umgebenen Monarchienmanns trägt zahlreiche erläuternde Bildbeischriften sowie ebenfalls zur Erläuterung des Dargestellten die zentralen Bibelzitate aus den Danielkapiteln 2 und 7 der Lutherbibel, kombiniert mit einem Bibelzitat zum Thema Obrigkeit unter dem Bild. Das Gemälde des Himmlischen Jerusalems zeigt folgerichtig die bereits zerschmetterte, am Boden liegende Statue, deren Körperteile durch Tituli bezeichnet sind (Nr. 520). Eine andere Darstellung der vier Monarchien findet sich im Staatsschiff (Nr. 495), wo vier rudernde Herrscherpaare durch ihre Tituli und die apokalyptischen Tiere auf den Wappenschilden als die Vertreter der vier Monarchien bezeichnet sind. Während die Inschriften dieser drei Gemälde vor allem dem Verständnis der komplizierten Bildinhalte dienen, lassen die im vierten Gemälde (Nr. 665, nur der obere Teil erhalten) auf allen freien Flächen rund um die Figur des Standbilds angebrachten weltlichen und biblischen Stammbäume nur den Schluss auf einen didaktischen Zweck des Gemäldes zu, zumal die Buchstaben der Inschriften in Relation zur ehemaligen Gesamthöhe des Gemäldes von ca. 4,5 Metern sehr klein und dadurch schwer lesbar sind. Die Darstellung zeigt hier nicht mehr die durch den auf sie zurasenden Felsbrocken mit der Vernichtung bedrohte Statue, sondern einen Mann in Herrscherposition mit einem Szepter in der rechten Hand auf der weltgeschichtlichen Seite und einer mit einem Kreuz besetzten Weltkugel mit der Endzeitvision aus Dan. 8 auf der heilsgeschichtlichen Seite. Die apokalyptischen Tiere sind auf den verschiedenen Teilen der Rüstung dargestellt und durch Tituli und Wappen als die Monarchien bezeichnet. Den didaktischen Zweck des Gemäldes dürfte auch die Ausführung der Inschriften in deutscher Sprache belegen. Das Inschriftenprogramm des Gemäldes geht nachweisbar auf das bereits erwähnte Theatrum Genealogicum des Hieronymus Henninges bzw. auf dessen Vorarbeiten zu diesem Werk zurück, dessen lateinische Texte für die Ausführung als Inschriften ins Deutsche übertragen wurden (hierzu ausführlich Nr. 665 mit Einzelnachweisen).

Eine Endzeitdarstellung der Großen Ratsstube mit besonders bemerkenswerten Inschriften ist bislang unberücksichtigt geblieben. Es handelt sich dabei um das von Albert von Soest bereits 1568 fertiggestellte Portal mit einem Relief des Jüngsten Gerichts (Nr. 447). Es trägt sechs auf die dargestellte Szene bezogene Bibelzitate in lateinischer Sprache, denen der deutsche Text der Lutherbibel zugrundeliegt, die also wohl für die Ausführung als Inschrift ins Lateinische übertragen wurden. Gerade an den späten Portalen der Großen Ratsstube, die erst 1580/84 und 1582 von Albert von Soest angefertigt wurden, ist ein gewisser Bruch im ikonographischen Programm des Raums zu erkennen, auch wenn von kunstgeschichtlicher Seite immer wieder betont wird, wie stark alle Ausstattungsteile hier inhaltlich miteinander verbunden seien und dass alles auf eine ausgeklügelte Gesamtkonzeption zurückgehe.64) Dass die auf den beiden späten Portalen dargestellten Helden, in einem Fall der Römer Titus Manlius Torquatus (Nr. 543), im anderen Fall die Römer Scipio, Marcus Curtius und Marcus Attilius Regulus sowie etliche Gute Helden und Heldinnen (Nr. 534) aufgrund ihres Vorbildcharakters zu einer allgemeinen Rathausikonographie passen, ist nicht zu bestreiten; aus dem ansonsten sehr stark an den Inhalten der Lutherbibel und an Luthers Obrigkeitsverständnis orientierten Bildprogramm fallen die Portale aber eindeutig heraus. Sehr deutlich wird dies auch an ihren lateinischen Inschriften, die abgesehen von knappen Bilderläuterungen lediglich auf die zu den bildlichen Darstellungen gehörenden Stellen bei Livius und Lucius Aennaeus Florus verweisen und sich damit an einen sehr gebildeten Betrachter wenden.

Das führt zu der bereits häufig erörterten, aber aus Mangel an Quellen nie beantworteten Frage, wer die Urheber des Konzepts oder der Konzepte waren, auf die die Umgestaltung des Lüneburger Rathauses in der Zeit zwischen 1565 und 1607 zurückging. Während die ältere Forschung dazu neigt, in dem Bürgermeister Franz Witzendorff mehr oder weniger den alleinigen Urheber des Konzepts für die Große Ratsstube zu sehen,65) wird in der neueren Forschung das Augenmerk doch auch auf die Lüneburger Theologen und Dichter Lucas Lossius und Thomas Mawer gerichtet und [Druckseite 44] der Maler Daniel Frese nicht mehr nur als ausführender Künstler angesehen.66) Als Bürgermeister war Franz Witzendorff, der die für die Patriziersöhne seiner Zeit typische humanistische Ausbildung erfahren hatte, ganz sicher einer der Hauptverantwortlichen für die das Rathaus betreffenden Planungen einer Neugestaltung. Allerdings starb er bereits im Januar 1574 (vgl. Nr. 503), als für die Große Ratsstube lediglich das Portal Nr. 447 und die Wandverkleidung Nr. 473 angefertigt worden waren. Dass schon bis 1573 detaillierte Pläne für sämtliche Fresegemälde und für die übrigen zwischen 1577 und 1584 entstandenen Portale vorlagen, ist wenig wahrscheinlich. Bisher nicht beachtet worden ist die Rolle, die der Sohn des Franz Witzendorff, der spätere Bürgermeister Heinrich Witzendorff (vgl. Nr. 854) als Berater gespielt haben könnte, der, was seine Bildung betraf, seinem Vater in nichts nachstand und nach dessen frühzeitigem Tod schon jung die Aufgaben seines Vaters übernahm. Auch der eifrige Genealoge Hieronymus Henninges hat in diesem Zusammenhang bislang zu wenig Beachtung erfahren.67)

Die beiden Bürgermeister Franz und Heinrich Witzendorff sind dank ihrer verhältnismäßig detailliert nachweisbaren biographischen Daten Beispiele dafür, wie gut Memorialkultur und Repräsentation bis in die heutige Zeit hinein funktionieren und wirken können. Der Vater, Franz Witzendorff, wurde – nicht zuletzt dank Lucas Lossius und Thomas Mawer –, aber auch durch seine eigenen Bemühungen um sein Andenken (vgl. Nr. 386, 503) im Laufe der Zeit zu einer Art Lichtgestalt, dem Idealtyp des hochgebildeten Lüneburger Bürgermeisters stilisiert. Immer wieder wird sein Studium bei Luther und Melanchthon betont,68) ohne dass genauer betrachtet wird, wie sich dieses Studium in die Biographie einfügt. Der 1520 geborene Franz Witzendorff immatrikulierte sich als 13jähriger 1533 an der Universität Wittenberg und ging bereits im Jahr darauf an die Universität in Frankfurt/Oder (vgl. Nr. 503). Über weitere Universitätsaufenthalte ist nichts bekannt, vermutlich schloss sich aber wie später bei seinem Sohn eine Bildungsreise durch Europa an.

Im Fall von Heinrich Witzendorff ist der Bildungsweg detaillierter nachzuverfolgen (vgl. Nr. 854). 1551 geboren, immatrikulierte er sich als 14jähriger 1565 an der Universität Jena, im Wintersemester 1566 an der Universität Ingolstadt, anschließend wohl in Erfurt, ging 1568/69 nach Leipzig und dann – natürlich immer in Begleitung eines Praeceptors – auf Reisen durch Europa. 1572 wurde er in Lüneburg zum Sülfmeister ernannt und übernahm zwei Jahre später die Aufgaben seines nun verstorbenen Vaters. Das Itinerar für diesen besonders privilegierten 14- bis 21jährigen lässt erkennen, dass die Studien allein durch die vielen Reisen nicht sonderlich intensiv gewesen sein können, und das jugendliche Alter spricht ebenfalls gegen eine Universitätsausbildung nach heutigem Verständnis.69) Die Einschränkungen, die Droste im Hinblick auf das Universitätsstudium der Lüneburger Bürgersöhne für das 15. Jahrhundert macht, bleiben auch im 16. Jahrhundert gültig.70) Droste betont zu Recht, dass nur eine Minderheit der Studierenden einen Universitätsabschluss anstrebte und dass das von den vermögenderen Patriziersöhnen absolvierte Grundstudium eher der späteren Ausbildung an einem humanistischen Gymnasium entsprach, dass die für den Beruf und die Ratsämter erforderlichen Kenntnisse aber anschließend in der Praxis erworben wurden. Die im Studium möglicherweise geweckten Interessen an den Wissenschaften und der Kunst konnten die Lüneburger Patrizier später pflegen, soweit ihnen die Ämter in der Saline und im Rat hierfür genügend Zeit ließen. Bücher fanden sie außer in den privaten Bibliotheken auch in der im ehemaligen Franziskanerkloster untergebrachten Ratsbücherei, deren umfangreichen alten Bestand die von Büttner angelegten Kataloge in eindrucksvoller Weise geordnet nach Sachgebieten dokumentieren.71) [Druckseite 45] Hier finden sich auch zahlreiche Werke, die für die Auswahl von Inschriften benutzt worden sein dürften (vgl. z. B. Nr. 534).

Ebenso wie die Drucke und Handschriften waren auch die zeitgenössischen Werke der Druckgraphik allgemein verfügbar und konnten bei der Auswahl von Bildmotiven herangezogen werden, auch von den ausführenden Künstlern. Manche der auf den ersten Blick kompliziert und besonders erlesen wirkenden Text-/Bildprogramme erweisen sich in dem Moment, wo sich die druckgraphischen Vorlagen nachweisen lassen, nur als deren exakte Umsetzung auf den Inschriftenträger, auch was die Inschriften betrifft. Ein Beispiel hierfür ist das Epitaph des Heinrich Witzendorff Nr. 854 von 1617, für das – offenbar von ihm selber – mehrere Druckgraphiken kombiniert wurden. In diesem Zusammenhang ist noch kurz auf die Rolle einzugehen, die der Maler Daniel Frese bei der Entstehung seiner Bilder gespielt haben wird und die er in den auf seinen Bildern angebrachten Künstlerinschriften zum Ausdruck bringen wollte. Auf acht der neun Gemälde Freses in der Großen Ratsstube nennt er seinen Namen und bezeichnet sich als INVENTOR. Zu unterscheiden ist dabei zwischen den Gemälden, die die Formel INVENTOR ET FECIT tragen (Nr. 494, 495, 497, 502) und den Gemälden, denen der FECIT-Vermerk fehlt (Nr. 496, 498, 519, 520). Letztere wurden von Gesellen Freses ausgeführt, die er immer in unterschiedlicher Zahl beschäftigte. Die Bezeichnung als INVENTOR impliziert aber, dass er als ‚Erfinder‘ des Bildes maßgeblich an der Zusammenstellung und Komposition der einzelnen, zumeist aus der Druckgraphik übernommenen Bildmotive beteiligt war, auch wenn ihm das Thema vorgegeben wurde (vgl. hierzu Nr. 494).

3.3.7.4. Außen zeitlos, innen protestantisch – Das Rathaus der Renaissance

Während sich die großen Text-/Bildprogramme aus den drei letzten Jahrzehnten des 16. und dem ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts im Inneren des Rathauses erhalten haben und dem Besucher noch heute einen Eindruck von dem repräsentativen Aufwand der damaligen Zeit vermitteln, hat das Rathaus die Außenwirkung der Renaissancezeit mit den dort angebrachten Inschriftenprogrammen verloren. Selbst die auf Repräsentation angelegte Ostfassade, in die Figuren der ehemaligen Bildprogramme integriert wurden, trägt heute nur noch wenige Inschriften. Die ehemals anspruchsvollen und aufeinander abgestimmten Bildprogramme der Fassade (Nr. 775) und des Richthauses (Nr. 796) wurden beim Neubau der Ostfassade zu Beginn des 18. Jahrhunderts bereits verändert und verloren dann 1869 endgültig die ursprüngliche Aussagekraft, als die Figuren – nun weitgehend ohne zugehörige Schrifttafeln – bei einem Umbau erneut umsortiert und auch etwas willkürlich postiert wurden.72) Durch den Verlust der nun offenbar nicht mehr zeitgemäßen Inschriften bedarf die Auswahl der hier aufgestellten Kaiserfiguren heute der Erklärung durch Stadtführer.

Wann die Inschriftenprogramme der Nordfassaden zum Ochsenmarkt hin und der Westfassade am Kämmereiflügel entfernt wurden, lässt sich nicht feststellen. Vermutlich verwitterten die Inschriften im Laufe des 18. Jahrhunderts und wurden nicht mehr erneuert, so dass im 19. Jahrhundert schon alle Hinweise auf die ehemalige Gestaltung fehlten und die Inschriften dementsprechend in der Literatur auch keine Erwähnung mehr finden. Die selbstbewusste Res Publica, wie sie sich hier um 1600 noch einmal nach außen wie im Inneren präsentiert und ihren Bürgern Maßgaben zu ihrer bestmöglichen Erhaltung mit auf den Weg gegeben hatte, existierte spätestens seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr in der alten Form. Ähnlich wie die Inschriftenprogramme an den Fassaden verloren auch die Bild-/Textprogramme im Inneren, ganz besonders in der Großen Ratsstube, inhaltlich an Bedeutung und behielten nur noch Wert als repräsentative Ausstattungsstücke. Das aus dem Danielbuch in Luthers Interpretation hergeleitete Geschichtsbild der vier Monarchien verbunden mit der Weltzeitrechnung und der Endzeiterwartung war schon bald nach Beginn des [Druckseite 46] 17. Jahrhunderts überholt. Der Umbruch, der sich zu dieser Zeit in der Stadt Lüneburg vollzog, wird auch in den Inschriften spürbar.

3.3.8. Die Änderungen der Ratsverfassung 1619 und 1638/39

Mit den bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts spürbaren Veränderungen der politischen Lage durch den Ausbau der Landesherrschaft korrespondierten auch Veränderungen der inneren Verhältnisse.73) Zunehmend drängten nun auch andere Kreise der Bürgerschaft auf eine Beteiligung an der bislang weitestgehend den Sülfmeistern vorbehaltenen Ratsherrschaft. Zu einer ersten offiziellen Änderung der Ratsverfassung kam es im Jahr 1619, als Herzog Christian in einen Streit zwischen Bürgern und Rat schlichtend eingriff – auch dies schon ein Indiz für die geänderten Verhältnisse – und der Rat sich nun bereiterklären musste, ab sofort fünf Mitglieder aus der ‚gemeinen Bürgerschaft‘ zu rekrutieren. Außerdem durften keine nahen Verwandten aus den Patrizierfamilien mehr gleichzeitig als Ratsherren amtieren.74)

Dass Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts gelegentlich auch die allgemeine Einwohnerschaft, d. h. nicht nur die Bürger, sondern auch die Inwohner ohne Bürgerrecht, in das Spektrum der Inschriften rückt, ist ein Zufall der kopialen Überlieferung bzw. dem Umstand zu verdanken, dass Jakob Rikemann unterschiedslos die Inschriften aller Grabdenkmäler der damaligen Zeit verzeichnete. So sind auch Grabinschriften für eine Hebamme (Nr. 802), einen Weißlader (Salzverkäufer, Nr. 590) und einen Grützmacher (Nr. 779) überliefert. Mit einer veränderten Ratsverfassung hat dies allerdings nichts zu tun, denn auch weiterhin sind es die Patrizierfamilien, die die Inschriften dominieren, ganz besonders nach dem Ende der Grabinschriften-Überlieferung durch Rikemann 1614. Anders als die 1619 vorgenommene Verfassungsänderung, die inschriftlich nicht thematisiert wird und nur an den nun in die großen Wappentafeln des Ratspersonals aufgenommenen Neulingen festzumachen ist (vgl. Nr. 694, 763), wird der deutlich gravierendere Umbruch in der Ratsverfassung von 1637/38 auch zum Thema mehrerer Inschriften.

Die Inschriften Nr. 921, 922, 931, 940 und 948 beziehen sich auf die Geschehnisse des Dreißigjährigen Kriegs, durch die das Ende von Lüneburgs Selbständigkeit als Stadt besiegelt wurde, auch wenn die genannten Grabschriften das Gegenteil zu vermitteln suchen. Nach der Einnahme des Kalkbergs und der Besetzung Lüneburgs durch die Schweden im August 1636 gelang es dem Lüneburger Herzog Georg im Einvernehmen mit Teilen der Bürgerschaft im Jahr darauf, die Schweden zum Abzug aus der Stadt zu bewegen. Da man dem Rat den Vorwurf machte, die Schweden in die Stadt gelassen zu haben, wurde dieser im Dezember 1637 abgesetzt. Zu dem Ratsjahr 1637/38 steht im Album Curiae dort, wo sonst nur die Namen der Ratsherren verzeichnet sind, ausnahmsweise ein Kommentar: Nach dem im Jahr 1637. I. fürstl. Gnd. Hertzoge Georg die Schwedische Guarnison durch gütlichen accord eingenommen, sein Krigesvolck hereingeleget, und also mehr gewalt, alß zu vore die Fürsten gehabt, in der Stadt bekommen. Auch allerhandt Mißverstände zwischen dem Rahte und der Bürgerschaft gewesen. Alß haben i.i. F.F. G.G. Hertzog Friederich und Hertzog Georg durch Ihre Rähte am tage Luciae 13. Xbr. den alten Raht abe- und einen newen eingesetzet.75) Dieser Interimsrat sollte vorübergehend bis zur Verabschiedung einer neuen Ratsverfassung regieren. Ähnlich wie schon während des Prälatenkriegs machte man allerdings auch jetzt die Erfahrung, dass die Stadt nicht ohne Weiteres durch unerfahrene Ratsmitglieder, an ihrer Spitze als Bürgermeister der Drucker Hans Stern (vgl. Nr. 940), geleitet werden konnte. So verzeichnet das Album Curiae für das Jahr 1639/40: Ao 1639 den 20. Mai ward der alte Raht integre restituiret und wieder eingesetzet. Doch ist aber von I. F. Gnad. diese Enderunge, das hinfüro so woll im Bürgermeister alß Rahts Herrn Stande eine gleiche anzahle an Pratricien undt bürgern sein solte, gemachet undt eingeführet worden.76) Auf die Wiedereinsetzung der ehemaligen Ratsmitglieder [Druckseite 47] und auf die Verfassungsänderung (ANTE TRANSPOSITIONEM SENATUS bzw. ante et post mutatum hujus Reipublicae statum), beziehen sich die oben genannten Inschriften auf den Totenschilden für Statius und Thomas Töbing, Ludolph von Lafferde und Ludolph Dithmers (Nr. 922, 948, 921, 940) sowie auf dem Epitaph des Ludolph von Lafferde (Nr. 931). Es ist zu vermuten, dass für sämtliche im Rat vor 1637 vertretenen Angehörigen der Patrizierfamilien entsprechende Schilde gefertigt wurden, um zu demonstrieren, dass die patrizischen Ratsherren ihre angestammten Positionen wieder einnahmen. Auf den großen im Rathaus hängenden Wappentafeln Nr. 694 (Richteherren) und Nr. 763 (Kämmerer) ist das Jahr des Interimsrats 1638 jeweils ausgespart. Das konnte dauerhaft jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stadt Lüneburg und die in ihrer Macht zunehmend geschwächten Sülfmeisterfamilien seit der durch die Herzöge Friedrich und Georg von Braunschweig-Lüneburg am 21. Mai 1639 verfügten und von allen Vertretern der Stadt mitbesiegelten Verfassung endgültig entmachtet und auf den Status einer Landstadt im Herzogtum zurückgesetzt worden war.77)

Zitationshinweis:

DI 100, Lüneburg (Stadt), Einleitung, 3. Die Stadtgeschichte Lüneburgs im Spiegel der Inschriften (Sabine Wehking), in: inschriften.net,   urn:nbn:de:0238-di100g019e009

  1. Zuletzt: Carolin Sophie Prinzhorn, Zur Topographie und Siedlungsgeschichte der Stadt Lüneburg. In: Das Lüneburger Rathaus, Ergebnisse der Untersuchungen 2012 bis 2014, hg. v. Joachim Ganzert, Petersberg 2015, S. 9–33. Sowie Petersen, Stadt, S. 53–78. Eine unverzichtbare Grundlage stellt immer noch – ungeachtet aller weltanschaulicher Probleme, subjektiver Bewertungen durch den Autor und fehlender Quellennachweise – Wilhelm Reineckes zweibändige Geschichte der Stadt Lüneburg dar (Wilhelm Reinecke, Geschichte der Stadt Lüneburg, 2 Bde., Lüneburg 1933), in der überall die phänomenale Quellenkenntnis des Autors zum Ausdruck kommt. Vieles von dem, was man bei der Lektüre von Reineckes Lüneburger Geschichte auf den ersten Blick für die Fabulierkunst des Autors halten mag, entpuppt sich bei der Lektüre von Archivalien als deren Umsetzung für das breite Lesepublikum. Das Folgende stützt sich außerdem auf den guten Überblick zur frühen Stadtentwicklung bei Droste, Schreiben, S.33–47. »
  2. Hierzu u. a. Reinecke, Geschichte, Bd. 1, S. 199–202. »
  3. Einen Eindruck von den zahlreichen in der Kirche angebrachten Denkmälern gibt der Lageplan des Kircheninneren: Gebhardi, Collectanea, Bd. 6, p. 381. »
  4. Die Familie von Meding protestierte noch 1822 dagegen, dass Bülow die Grabsteine über ihren Gräbern ohne Erlaubnis der Familie aus der Kirche habe entfernen lassen. Zum Ausgleich erhielt die Familie ein neues Begräbnis auf dem Kirchhof. StA Lüneburg, St. Mich. 2490. »
  5. Gebhardi, Collectanea, Bd. 14, p. 593. »
  6. Einen kritischen Überblick über die Literatur zum Prälatenkrieg bei Droste, Schreiben, S. 82–89. Wichtig ist vor allem die von Droste zu Recht konstatierte mangelnde Quellenkritik auch in den neueren Untersuchungen. Zum Prälatenkrieg in der Lüneburger Historiographie ebd., S. 89–194. »
  7. Matthaei, Vikariestiftungen, S. 198 u. 250. Die 1928 erschienene Arbeit von Georg Matthaei, in der sämtliche Vikarien im Einzelnen beschrieben sind, zeichnet sich durch die akribische Arbeit an den Quellen aus, die die Studie noch heute zu einer wichtigen Grundlage für die Erforschung der spätmittelalalterlichen Frömmigkeit in Lüneburg macht. »
  8. Vgl. DI 66 (Landkreis Göttingen), S. 23. DI 83 (Landkreis Holzminden), S. 29»
  9. Zu diesen Vorgängen vgl. Matthaei, Vikariestiftungen, S. 89–91. »
  10. Der Lageplan wurde aufgrund einer Durchsicht sämtlicher in den Kirchenakten des Stadtarchivs (besonders AA 2170, 2171 u. 2172) und des Kirchenarchivs Lüneburg sowie bei Matthaei (Vikariestiftungen) gefundener Hinweise zum Platz der einzelnen Kapellen in den Kirchen erstellt. Die Angaben von Volger und Krüger/Reinecke zur Lage der Kapellen sind teilweise falsch. Vgl. dazu Nr. 129»
  11. So auch Matthaei, Vikariestiftungen, S. 91, der ausdrücklich darauf hinweist, dass nicht der noch von Volger hochdramatisch angeführte Glaubenseifer zu einer absichtlichen Zerstörung der ehemals vorhandenen Ausstattungsstücke führte, sondern schlichte Gleichgültigkeit späterer Generationen. »
  12. Zu der Familienverbindung vgl. Büttner, Genealogiae, Stammtafel Braunschweig II. »
  13. StA Lüneburg, AA E1b45. »
  14. SKA Lüneburg, Kirchenrechnung St. Johannis I,5, fol. 85r. »
  15. Entsprechende Bestimmungen finden sich verschiedentlich in den Akten, auch weil es immer wieder Streit um weggeräumte Grabplatten gab. U. a. StA Lüneburg AA E1b45. Vgl. a. Nr. 692»
  16. Hierzu und zum Folgenden StA Lüneburg, AA E1b45. »
  17. SKA Lüneburg, Kirchenrechnung St. Johannis I,4. »
  18. Verzeichnüße der Grab- und Leichensteine, welche in der Hauptkirchen allhier zu St. Johannis befindlich. StA Lüneburg, AA E1b45. Das in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts angelegte Verzeichnis gibt einen guten Eindruck davon, dass der Kirchenboden nahezu vollständig mit Grabplatten bedeckt gewesen sein muss. Zugleich belegt es aber auch, dass die mittelalterlichen Grabplatten, die Rikemann vor 1615 noch in der Kirche vorgefunden hatte, inzwischen zu einem großen Teil entfernt worden waren. Inschriften sind in dem Verzeichnis nicht zitiert, die in räumlicher Abfolge verzeichneten Grabdenkmäler werden nur anhand der Namen, Wappen und Jahreszahlen identifiziert. »
  19. Gebhardi, Collectanea, Bd. 1, p. 495–500. »
  20. StA Lüneburg, AA 2170/1 u. AA 2171 (alte Sig. E1b3, E1b4). Vgl. a. Nr. 129»
  21. StA Lüneburg, AA 2172 (alte Sig. AA E1b 5). »
  22. Vgl. Krüger/Reinecke, Kunstdenkmale, S. 162. Die dort genannte Jahreszahl 1554 ist nicht zutreffend, denn am 24. September 1555 verständigte sich der Rat mit den drei noch in der Stadt ansässigen Franziskanern darüber, dass diese sich nicht weiter über eine schlechte Behandlung von Seiten der Stadt beklagen sollten. Ausgelöst worden war die Beschwerde dadurch, dass sich der Franziskaner Johann Niegenborch sehr erfolgreich als Wahrsager von überregionalem Ruf betätigte, wofür seine zahlreichen Kunden Wege von mehr als hundert Meilen in Kauf nahmen, wie der Rat missbilligend feststellte. Um den großen Zulauf zu unterbinden, hatte der Rat das Kloster verschlossen und wollte die drei verbliebenen Mönche innerhalb der Stadt umsiedeln, womit diese jedoch nicht einverstanden waren und stattdessen darum baten, wegziehen zu dürfen. Der Rat erklärte sich allerdings für nicht zuständig, eine solche Erlaubnis zu erteilen, verbat sich aber den Vorwurf, die Franziskaner schlecht zu behandeln mit dem Hinweis darauf, dass sie jederzeit gut versorgt würden und versorgt worden seien. StA Lüneburg, UA a: 1555 September 24. »
  23. Zu diesem Vorgang und dem Fortbestehen des Klosters St. Michaelis unter evangelischen Vorzeichen demnächst die Dissertation von Lukas Weichert (Göttingen). »
  24. Gebhardi, Collectanea, Bd. 6, p. 78. »
  25. Dem Reisebericht von Fynes Moryson zu entnehmen. Vgl. Schwarzwälder, Reisen, S. 307 u. 320. »
  26. ‚Der Frieden befestigt die Städte, der Frieden lässt die Bürgerschaft wachsen und eint sie. Der Frieden lehrt und lenkt, der Frieden fördert und schützt.‘ »
  27. ‚Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt.‘ (Mt. 5,9). ‚Der Frieden und das Heil des Volkes sind das oberste Gebot und das Ziel aller Handlungen.‘ »
  28. Hierzu grundlegend die Einzeluntersuchungen in dem dreibändigen Werk über das Lüneburger Rathaus: Das Lüneburger Rathaus. Ergebnisse der Untersuchungen von 2008 bis 2011, u. Ergebnisse der Untersuchungen 2012 bis 2014, hg. v. Joachim Ganzert. 3 Bde., Petersberg 2014/15. »
  29. Reinecke, Geschichte, Bd. 2, S. 176. »
  30. Lucas Lossius, Lunaeburga Saxoniae. Frankfurt 1566. Vgl. hierzu Droste, Schreiben, S. 271. »
  31. Hierzu Petersen, Stadt, S. 416–420. »
  32. Petersen spricht von den Verträgen als dem „Ergebnis eines schmerzhaften Anpassungsprozesses des Rates an die Gegebenheiten einer administrativ und finanziell gestärkten Landesherrschaft.“ Petersen, Stadt, S. 421. »
  33. Zu nennen sind hier besonders: Haupt, Ratsstube; Koch, Gemälde; Uppenkamp, Ikonographie; Rümelin/Jaacks, Bilder. »
  34. Die ungewöhnliche Rolle der Pax in den Gemälden der Großen Ratsstube ist bislang nur Koch (Gemälde, S.134) aufgefallen. Koch betont, dass Pax der Justitia übergeordnet wird. »
  35. Zu der von Tipton (Res publica, S. 158f.) nachgewiesenen graphischen Vorlage, die sich in einem Druck des Nürnberger Stadtrechts von 1564 findet, vgl. Nr. 518. Abgesehen von den Freseschen Gemälden im Rathaus findet sich das Motiv in Lüneburg noch auf zwei Kaminfriesen aus Privathäusern (Nr. 575, 577), einer Gestühlswange in der Gerichtslaube des Rathauses (Nr. 633) und einem Epitaph (Nr. 854). Das Haus Am Berge 37 zeigt die Figuren Pax und Justitia am Portal (Nr. 442). An einem Stich von Jost Amman orientiert sich die Darstellung auf dem Prunkspiegel (Nr. 578), die die Figuren der Pax und der Res Publica der thronenden Justitia unterordnet. »
  36. Haupt (Ratsstube, S. 174f.) weist einen undatierten Kupferstich des Luca Penni als Vorlage nach. »
  37. Nr. 422 Neuer Bau?, Nr. 419 Sekretarienhaus und Neue Schreiberei, Nr. 420 Giebelseite Kämmereiflügel, Nr. 421 Traufenseite Kämmereiflügel. »
  38. Der von Johann Heinrich Büttner um 1700 angelegte Katalog der Ratsbücherei StA Lüneburg, AA S10m10, Nr.1, wäre eine Fundgrube für weitergehende Forschungen auf diesem Gebiet. Die Möglichkeit, derartige Texte mit Hilfe einer Suche in den Datenbanken des Internets und zeitlich vertretbarem Aufwand nachzuweisen, steigt von Jahr zu Jahr, wie die Erfahrung bei der Erstellung dieses Bandes gezeigt hat. Trotzdem konnte eine beträchtliche Zahl dieser Texte bislang noch nicht auf ihre Quellen zurückgeführt werden. »
  39. In einem aus dem Alten Archiv des Rathauses stammenden, noch unverzeichneten Bestand des Stadtarchivs befinden sich beispielsweise verschiedene Blätter mit solchen Notizen aus der einschlägigen Zeit. »
  40. Bisher nicht nachweisbar: ‚Glücklich ist das Gemeinwesen, das durch die guten Bürger geliebt wird.‘ »
  41. Aus Cicero, Cato Maior de Senectute: ‚Nicht durch Körperkräfte und Geschwindigkeit werden große Dinge bewerkstelligt, sondern durch Überlegungen und Kompetenz.‘ »
  42. Dies entspricht der Einschätzung Adams (Rathauskomplex, S. 189), der – ohne die Inschriften zu kennen – konstatiert hat: „Der aus Laube und Neuem Rathaus gebildete Bau war somit bis ins 16. Jahrhundert hinein einer der für die Repräsentationswirkung des gesamten Rathauskomplexes wichtigsten Bereiche und hat Teile dieser Funktion erst durch die vereinfachenden Überformungen in jüngerer Zeit eingebüßt.“ Mit Blick auf die Inschriftenprogramme der Fassaden lässt sich der von Adam genannte Zeitraum in das 17. Jahrhundert hinein ausdehnen. »
  43. Adam (Rathauskomplex, S. 187/189) hat dies auch für die bauliche Gestaltung der Fassade zum Ochsenmarkt überzeugend nachgewiesen. »
  44. Nr. 494 (Monarchienmann und apokalyptische Tiere), Nr. 495 (Staatsschiff), Nr. 496 (Rechtsprechung Salomos und Daniels), Nr. 497 (Kaiser und Kurfürsten mit Tugenden), Nr. 498 (Pax und die Laster), Nr. 502 (Allegorie einer gottesfürchtigen Stadt), Nr. 518 (Städtischer Frieden), Nr. 519 (Gerechter Richter), Nr. 520 (Himmlisches Jerusalem und des Erscheinen Christi am Jüngsten Tag). »
  45. WA 18, S. 83. »
  46. Nr. 494, 495, 496, 497»
  47. Vgl. hierzu Reinhold Rieger, „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ Frei im Glauben, Gehorsam der Obrigkeit? Martin Luthers Freiheitsverständnis zwischen Glaube und Politik. In Kat. Luther und die Fürsten, Aufsatzband, Dresden 2014, S. 34–43. »
  48. Zuletzt Uppenkamp, Ikonographie, S. 338. »
  49. So noch bei Haupt, Ratsstube, S. 189–191. »
  50. Hierzu zuletzt Uppenkamp, Ikonographie, S. 337. »
  51. Henninges ist erst in jüngster Zeit in Zusammenhang mit den Bildnissen der Fürstenpaare im Fürstensaal (Rümelin/Jaacks, Bilder, S. 342f.) und im Zusammenhang mit der Darstellung des Monarchienmannes (Uppenkamp, Ikonographie, S. 348f.) in den Blick der Forschung gerückt. »
  52. Ausführlich bei Heintzmann, Holzbalken, S. 104. »
  53. Trotzdem steigt Heinrich Witzendorff bei Hipp (Bilder, S. 218) ohne jeden Nachweis zum promovierten Juristen auf. Nach Hipp (ebd.) wären sämtliche Lüneburger Ratsmitglieder der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Universitätsmatrikeln nachweisbar. Worauf sich diese Behauptung gründet, ist nicht nachvollziehbar. Die Suche nach inschriftlich erwähnten Ratsmitgliedern in den Matrikeln blieb in vielen Fällen ergebnislos. »
  54. Droste, Schreiben, S. 58. »
  55. StA Lüneburg, AA S10m10 Nr. 1. Viele dieser Bücher stammten aus den Privatbibliotheken der Patrizier oder wurden von diesen für die Ratsbücherei gestiftet, wie sowohl Einträge in den Büchern als auch Vermerke im Inventar Büttners belegen (vgl. z. B. Nr. 689). Ein Teil des Altbestands wurde bei einem Feuer 1959 vernichtet oder beschädigt. »
  56. Zur Umstellung der Figuren Rogacki-Thiemann, Marktfassade, S. 104–109. »
  57. Zur Rolle des während der Reformation in Lüneburg gebildeten Bürgerausschusses vgl. Mörke, Rat und Bürger, S. 251f. »
  58. Reinecke, Geschichte, Bd. 2, S. 229f. »
  59. StA Lüneburg, AB 44, fol. 197v. »
  60. StA Lüneburg, AB 44, fol. 198r. »