Die Inschriften des Regensburger Doms (I)

2. Die Baugeschichte des Regensburger Doms

von Achim Hubel

Nach der Gründung des Bistums Regensburg im Jahr 739 durch den hl. Bonifatius dürfte bald eine erste selbständige Bischofskirche entstanden sein. Seit 778 bezeugen auch Quellen die Existenz einer Domkirche St. Peter, deren Lage bisher nicht eindeutig geklärt werden konnte. Da aber die bischöfliche Residenz von der „Porta Praetoria“, dem nördlichen Torturm des Römerkastells, ihren Ausgang nahm, wird bereits die erste Domkirche im Bereich des heutigen Dombezirks zu vermuten sein. Recht genau kennen wir dagegen den karolingischen Domneubau, dessen Grundriss durch Karl Zahn 1924/25 ergraben wurde: eine dreischiffige, flachgedeckte Pfeilerbasilika ohne Querhaus, wahrscheinlich auch ohne Türme, und mit einer stark eingezogenen, halbrunden Apsis. Die in den Außenmaßen immerhin etwa 58 x 33 m große Anlage stand an der Stelle des heutigen Domgartens, östlich des Hauptchores des gotischen Doms, von ihm teilweise überschnitten. In den Außenmauern des nördlich anschließenden Domkreuzgangs stecken noch Teile der Nordmauer des alten Doms. Nicht klar beantwortet werden kann bisher die Frage nach der Entstehungszeit des karolingischen Doms. Einerseits deutet vieles auf eine Vollendung bereits unter Kaiser Karl dem Großen, der 791–793 in Regensburg weilte, andererseits gibt es Vermutungen, der Bau sei erst nach dem verheerenden Stadtbrand von 891, also unter Kaiser Arnulf von Kärnten, errichtet worden.

Besser datiert werden kann eine aufwendige Erweiterung des Doms nach Westen, die im frühen 11. Jh. erfolgte. An das karolingische Langhaus wurde ein etwa 15 m tiefes Querhaus angefügt, das mit einem eingezogenen, wohl rechteckigen Westchor und einer Krypta vervollständigt war. Den Chor flankierten zwei Türme, von denen der nördliche, der sog. Eselsturm, bis heute erhalten ist (vor der Nordquerhausfassade des gotischen Doms). Außerdem entstand – etwa 35 m weiter nach Westen gerückt – ein dem hl. Johannes d. T. geweihtes Baptisterium. Zwischen dieser Taufkirche und dem Dom errichtete man ein Atrium, einen Innenhof, der nach Norden und Süden mit überdachten Bogengängen abgeschlossen war. 1127 wurde die Taufkirche in eine Chorherrenstiftskirche umgewandelt. In den folgenden Generationen wurde die Domanlage immer wieder umgestaltet und ausgeschmückt. Beispielsweise wissen wir seit den Ausgrabungen 1984/85, dass die einfachen Bogengänge des Atriums um 1200/1210 durch Kreuzrippengewölbe auf mächtigen Pfeilern und Diensten ersetzt wurden. Um 1230 erhielt der Dom – wahrscheinlich im Ostchor – ein prachtvolles Stammbaum-Christi-Fenster, von dem Fragmente im gotischen Dom, im Triforium des Südquerhauses, wieder verwendet worden sind (Kat.-Nr. 4).

Als Regensburg im 13. Jahrhundert in größter wirtschaftlicher Blüte stand, dürfte der karolingische Dom den anspruchsvollen Bürgern hoffnungslos veraltet erschienen sein. Der Kontrast wurde umso stärker, als in den Jahren von etwa 1225 – 1250 direkt südlich des Doms die Kirche St. Ulrich errichtet wurde, welche in vielen Baudetails die neuen Stilformen der französischen Gotik präsentierte. Dennoch war an einen Neubau der Kathedrale nicht zu denken, da damals der Bischof, der bayerische [Druckseite XIII] Herzog und die Bürger der Stadt untereinander in heftigem Streit lagen und jeweils die alleinige Stadtherrschaft beanspruchten. Die Bürger errangen schließlich den Sieg: 1245 wurde Regensburg freie Reichstadt. Dennoch gab es weitere erbitterte Fehden, bis 1260 mit dem hl. Albertus Magnus eine herausragende Persönlichkeit zum Bischof gewählt wurde. Obwohl er nur zwei Jahre regierte, gelang es ihm, die streitenden Parteien zu versöhnen und der Stadt Frieden zu bringen.

Während bei früheren Bränden der Dom immer nur repariert worden war, gab nunmehr ein Brand 1273 den Ausschlag zu einer ganz anderen Entscheidung: Reichtum und politischer Friede ermöglichten es, an ein ehrgeiziges Neubauprojekt in aufwendigster Bautechnik zu denken! Der nach Albertus Magnus gewählte Bischof Leo (1262–1277, Kat.-Nr. 7) stammte selbst aus einer Familie des Regensburger Patriziats, das sich in großem Umfang an der Finanzierung beteiligte. Die steinernen Wappen der Familien Zant und Tundorfer, die am Chor des Neubaus angebracht sind, dürften beispielsweise auf bedeutende Stiftungen solcher Patrizier hinweisen. Auch der wichtige Verwaltungsleiter der Dombauhütte, der procurator fabricae, wurde nicht aus dem Klerus, sondern aus dem Kreis der Bürger berufen.

Der gotische Dom wurde nicht über den Fundamenten des Vorgängerbaus errichtet. Man verzichtete auf die bisherige Anbindung an den Kreuzgang, verschob den Bauplatz nach Westen, rückte damit dem Stadtzentrum näher und erreichte gleichzeitig, dass der alte Dom - wenn auch verkürzt und mit einer behelfsmäßigen Trennwand abgeschlossen - noch etwa 50 Jahre in Verwendung bleiben konnte. Beim Neubau entschloss man sich, offenbar aus städtebaulichen Gründen, den Dom auf einen hohen Sockel zu stellen, der das Fußbodenniveau des Vorgängerbaus um 3,40 m überhöhte. Dafür musste man gewaltige Fundamentmauern hochziehen und die Binnenflächen mit Bauschutt füllen, bis man die Höhe des gotischen Fußbodens erreicht hatte. Da mit den Ostteilen begonnen wurde, legte man so die Fundamente des gesamten Chorbereichs fest. Gewählt wurde ein altertümlicher Bautypus mit gestaffelten, jeweils polygonal schließenden Chören. Den Hauptchor begleiten kürzere Nebenchöre, an die sich östlich jeweils mehrgeschossige, massive Anbauten mit separaten Sakristei- und Kapellenräumen anschließen. Über die Sockelzone wuchsen als erstes die südlichen Wände hoch, die eine Schauwand zur belebten Straße hin bildeten. Um darüber hinaus als ersten größeren Bauteil den Südchor nutzen zu können, führte man gleichzeitig den Kapellenanbau und die Südwand des Hauptchors hoch.

Damals baute man nach einem Plan, der ein völlig anderes Gesamtbild des Doms vorsah: In der flächigen, mauerhaften Konzeption wäre er in der Tradition älterer deutscher Bischofskirchen verblieben, deutlich niedriger und ohne die wandauflösende Gliederung eines Triforiums. Einen Eindruck von der für die Zeit der 1270er/ 1280er Jahre ausgesprochen retrospektiven Architekturvorstellung vermittelt der südliche Nebenchor, der - mit Ausnahme des südöstlichen Vierungspfeilers und der Gewölbe - nach der Erstplanung hochgeführt wurde. Dabei verbinden sich durchaus moderne Detailformen, wie die Profile der von Figurenkonsolen getragenen Blendarkaden, mit einer Architektursprache, die erheblich älter wirkt und auf eine zunächst wohl eher konservative Einstellung des Domkapitels deutet. Hingewiesen sei etwa auf die kräftigen Dienstbündel, die glatten Kelchkapitelle und die Anordnung der Kapitelle in springendem Rhythmus. Dazu passt auch die Entscheidung, in den Arkadennischen des Südchorpolygons zwei Säulchen aus der Zeit um 1220 einzusetzen, die wohl aus dem alten Dom stammten und als Spolien die Erinnerung an die lange Tradition der Regensburger Kathedrale wach halten sollten. Die Schwierigkeiten, derartige aus verschiedenen Architekturvorstellungen übernommene Ordnungen systematisch zusammenzufassen, kennzeichnen bis heute den heterogen wirkenden Südchor.

Unter diesen Voraussetzungen begann um etwa 1290 ein spannender Prozess, dessen Ziel darin bestand, die altertümliche Formensprache systematisch in die architektonische Gliederung der französischen Hochgotik überzuführen. Wir wissen nicht, von wem die Impulse hierfür ausgegangen waren, ob sich also das Domkapitel zu einer zeitgemäßeren Gestaltung durchgerungen hatte, ob man dem Drängen des Baumeisters nachgab oder ob – was am wahrscheinlichsten ist – ein neuer Dombaumeister zum Zuge kam. Jedenfalls wurde nun auf der Grundlage der bereits begonnenen Bauteile eine völlig neue und zeitgemäße Neuplanung erarbeitet. Der Architekt begann mit vorsichtigen Änderungen, entwickelte diese jedoch so konsequent weiter, dass er – ohne einen direkten Bruch am Bau selbst erkennen zu lassen – den ursprünglichen Bauplan vollständig umänderte. Sein Entwurf verwandelte den Dom in eine gotische Kathedrale höchster künstlerischer Qualität und erwies sich auch für die kommenden Generationen als so überzeugend, dass er bis zur Einstellung der Bauarbeiten um 1500 grundsätzlich berücksichtigt blieb.

Der südöstliche Vierungspfeiler, den man für die Fertigstellung des Südchors brauchte, zeigt als hochgotischer Bündelpfeiler bereits die neuen Formen, ebenso das bis etwa 1300 vollendete Gewölbe des Südchors. Durch provisorische Trennwände wurde dieser Chor geschlossen und konnte [Druckseite XIV] bereits als Sakralraum genutzt werden; gleichzeitig wurden hier die ersten farbigen Glasfenster eingesetzt.

Die Begeisterung über den Domneubau brachte in den ersten Jahrzehnten reiche finanzielle Zuwendungen, so dass die Arbeiten rasch voranschritten. Im weiteren Bauverlauf bis etwa 1310 wurden der Nordchor und seine Kapellenanbauten fertig gestellt; außerdem wuchsen die Wände des Hauptchorpolygons einschließlich aller Fenstermaßwerke bis zum Dachansatz hoch. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war der alte Südturm des Vorgängerbaus vollständig abgebrochen, so dass das Fundament für den südwestlichen Vierungspfeiler gelegt werden konnte. Dann konzentrierte man sich auf das Südquerhaus und das erste Joch des südlichen Seitenschiffs. Der südwestliche Vierungspfeiler und der erste südliche Langhauspfeiler wuchsen gleichzeitig hoch und waren durch große Arkadenbögen untereinander und mit der südlichen Außenwand verbunden. Auch die Wände waren einschließlich des Triforiums hoch geführt worden.

Bis um 1315 konnten alle Wände des Hauptchores und des südlichen Querhauses bis zum Dachansatz hochgezogen werden. Dann standen nur noch die Obergadenwände des Nordquerhauses an, bis der Dachstuhl aufgesetzt und die Gewölbe eingezogen werden konnten. Gleichzeitig musste auch das erste Joch der beiden Seitenschiffe eingewölbt werden, weil der Schub der Querhausgewölbe aufzufangen war. Nur den geplanten Vierungsturm hatte man damals noch ausgespart, - er wurde im Mittelalter auch nicht mehr fertig gestellt. Nachdem man das erste Joch des Mittelschiffs mit einem Notdach in Triforiumshöhe versehen und den Bau nach Westen zu mit behelfsmäßigen Trennwänden abgeschlossen hatte, konnte man den Dom um 1320 in die volle liturgische Nutzung überführen. Bischof und Domkapitel zogen um; der alte Dom wurde nun abgebrochen.

Anschließend errichtete man das jeweils zweite Joch der beiden Seitenschiffe, wölbte sie ein und versah das Mittelschiff dazwischen wieder mit einem Notdach, so dass relativ rasch - gegen 1330 - die provisorischen Trennwände versetzt und ein weiteres Joch des Langhauses genutzt werden konnte. Erst in der nächsten Bauphase wurden dann die noch fehlenden Obergadenwände des Mittelschiffs hochgezogen und die beiden Mittelschiffjoche gleichzeitig gewölbt; um 1335 konnten die Notdächer entfernt und die beiden Langhausjoche in ihrer gesamten - auch vertikalen - Raumwirkung erlebt werden.

Einem Weiterbau des Doms nach Westen standen nun die damals noch bestehende, mittlerweile einem Kollegiatstift gehörende Kirche St. Johann und die südlich anschließende Nikolauskapelle im Wege. Die Kleriker von St. Johann widersetzten sich lange dem Abbruch dieser Bauten, wohl um eine möglichst hohe Entschädigung zu erzwingen. Deshalb konnte zunächst nur die Außenwand des südlichen Seitenschiffs – außerhalb der Nikolauskapelle – bis zur geplanten Westfassade weitergebaut werden. Erst im Jahre 1341 erteilte das Stiftskapitel von St. Johann die Erlaubnis zum Abbruch der Nikolauskapelle, so dass bis um 1350 das Erdgeschoss des Südturms und die südlichen Mittelschiffspfeiler errichtet werden konnten. Die Kirche St. Johann stand aber immer noch, so dass in den folgenden Jahren bis um 1360/70 lediglich das erste Obergeschoss des Südturms hoch geführt werden konnte; außerdem schloss man die südliche Obergadenwand zwischen dem Turm und den fertigen Ostteilen des Mittelschiffs. Da in den 1370er Jahren immer noch keine Einigung mit dem Stift St. Johann gelang, führte man schließlich das zweite Obergeschoß des Südturms, das Glockengeschoß, hoch und vollendete es bis gegen 1380, einschließlich des als Provisorium gedachten Pyramidendachs. Von der Südseite her sah der Dom damals schon fast vollendet aus; erst wenn man um die Ecke nach Westen weiter ging, wurde deutlich, wie viel noch zu bauen war.

Am 29. Juni 1380 stimmte das Kapitel von St. Johann in einem Vertrag endlich der Verlegung und dem Abbruch seiner Kirche zu, so dass der Weg für den Weiterbau der Westfassade frei war. Sofort wurden die Fundamente für den Nordturm und den Mitteltrakt einschließlich des Hauptportals gelegt. Zwischen etwa 1385 und 1415 errichtete man das Hauptportal einschließlich seiner dreieckigen Vorhalle und dem reichen Skulpturenschmuck; gleichzeitig wuchs das Erdgeschoss des Nordturms bis zur Höhe des Portalabschlusses hoch.

1415 wird mit dem Dombaumeister Wenzel Roriczer erstmals ein Mitglied dieser berühmten Baumeisterfamilie archivalisch fassbar. Nach dessen frühem Tod (1419) heiratete der wohl aus Köln stammende Andreas Engel die Witwe Roriczers und übernahm das Amt des Dombaumeisters bis zu seinem Tod 1456. Unter ihm konnten bis gegen 1430 das Erdgeschoß des Nordturms und die anschließenden Joche des nördlichen Seitenschiffs vollendet werden; ebenso begann er mit dem Mitteltrakt der Westfassade über dem Hauptportal. Ursprünglich hatte er hier eine große Fenstergruppe geplant, bestehend aus zwei je zweibahnigen, bis zum Laufgang herunterreichenden Maßwerkfenstern, die in der Mitte von einem Rundfenster bekrönt wurden, ähnlich den Fenstern im Erdgeschoß über dem südlichen Westportal und im südlichen Seitenschiff. Noch während des Baus entschloss sich Andreas Engel jedoch zu einer Planänderung und verdeckte die unteren Bahnen der beiden Maßwerkfenster wieder durch einen altanartigen Laufgangkasten, der die Erreichbarkeit dieses Bereichs [Druckseite XV] innen wie außen ermöglichte und überdies ein reich dekoriertes, mit Maßwerk verblendetes Zierband zufügte. Bis etwa 1435 wurde – wohl auf ausdrücklichen Wunsch des Domkapitels – über diesem Laufgangkasten noch das domkapitelsche Wappen (St. Petrus im Schifflein) aufgesetzt.

Dann aber konzentrierte man alle Kraft auf die Fertigstellung des Dominneren. Dafür wurden bis etwa 1440 die nördliche Obergadenwand des dritten und vierten Jochs von Osten und die südliche Wand des ersten Obergeschosses des Nordturms errichtet, so dass 1443 (dendrochronologisch exakt datierbar) der Dachstuhl über dem Mittelschiff aufgesetzt werden konnte. Nach dem Abbruch der behelfsmäßigen Trennwand von 1335 und dem Verschluss des noch offenen Mitteltrakts über dem Hauptportal durch eine provisorische Bretter- oder Fachwerkwand konnte man seitdem das Mittelschiff in seiner ganzen Ausdehnung erleben, wenn auch die drei westlichen Gewölbe noch fehlten.

Die nächste Bauphase war der Vollendung des ersten Nordturm-Obergeschosses gewidmet. Im Jahre 1459 wurde – nach einer erhaltenen Dombaurechnung aus diesem Jahr –der Glockenstuhl in diesem Geschoss aufgebaut. Mittlerweile war nach dem Tod des Andreas Engel im Jahre 1456 sein Stiefsohn Konrad Roriczer (1456–1477) Dombaumeister geworden. Sein Anteil am Dombau dürfte – neben Arbeiten für die Innenausstattung – die Vollendung des mittleren Obergeschosses der Westfassade gewesen sein. Hier vollendete er die bereits begonnene große Fenstergruppe mit ihren reichen Schmuckformen. Die schon fertig gestellte Wandfläche wurde noch bereichert durch die monumentale Kreuzigungsgruppe (Christus am Kreuz vor dem zentralen Rundfenster, seitlich Maria, Johannes Ev. und zwei trauernde Engel), die nachträglich, aber sehr geschickt in die Komposition integriert wurde. Es ist nicht ganz klar, was die auffällig große Jahreszahl 1482 (Kat.Nr. 274), die auf dem Laufgangkasten über dem Hauptportal eingemeißelt wurde, ausdrücken will: Bezeichnet sie die Fertigstellung dieses mit seinen Planänderungen besonders arbeitsintensiven mittleren Obergeschosses, oder möchte sie mitteilen, dass nun alle Wandflächen des Innenraums der Kathedrale geschlossen waren?

Konrad Roriczers Sohn und Nachfolger Matthäus (1477–1495) errichtete über dem Mittelteil der Westfassade den steinernen Dreiecksgiebel mit dem bekrönenden Eicheltürmchen (nach den Jahreszahlen 1486 und 1487 fertig gestellt, Kat.-Nr. 284); dann wandte er sich dem zweiten Obergeschoß des Nordturms zu, wie die Jahreszahl 1493 (Kat.-Nr. 299) im unteren Viertel dieses Stockwerks kundtut. Als letzter Dombaumeister aus der Familie der Roriczer vollendete sein jüngerer Bruder Wolfgang (1495–1514) dieses Turmgeschoß, das ein flaches Notdach mit schlanker Spitze erhielt. Da er aber dann – ab etwa 1502 - mit dem aufwendigen Umbau des Domkapitelhauses beauftragt wurde, scheinen die Arbeiten am Dom eingestellt worden zu sein. 1514 wurde Wolfgang Roriczer als angeblicher Rädelsführer bei den damaligen Unruhen Regensburger Bürger zum Tod verurteilt und hingerichtet. Unter den letzten Dombaumeistern Erhard Heydenreich (1514–1524) und dessen Bruder Ulrich Heydenreich (1524–1538) wurde der Domkreuzgang ausgestaltet und mit - teilweise besonders prächtigen - Fensterumrahmungen geschmückt. Am Dom wurde nicht mehr weitergebaut, zumal das Domkapitel in den Wirren der Reformation mit ganz anderen Problemen konfrontiert war. So blieben die Türme unvollendet und die Westfassade in dem Zustand, den sie gut 350 Jahre behalten sollte, bis 1859 der Ausbau der Türme und die Vollendung des Doms begannen.

Erst in der Barockzeit widmeten sich Bischöfe und Domkapitel wieder der Ausgestaltung des Doms. Bischof Albert IV. von Törring (1613—1649) stiftete zwei Marmoraltäre, große Tafelbilder für den Schmuck der Domwände und die beiden heute noch den Hochaltar flankierenden monumentalen Bronzeleuchter. Außerdem ließ er die drei noch unvollendeten Joche des Mittelschiffs einwölben, beschaffte eine neue Orgel und ein schmiedeeisernes Chorgitter, das den abgebrochenen alten Lettner ersetzte. Die mittelalterliche, ganz in Weiß gehaltene Farbfassung des Innenraums wurde durch eine ockergelbe Bemalung ersetzt, akzentuiert durch vergoldete Kapitelle und anderen Golddekor. Später (um 1700) wurde die Raumfassung sogar zu einem Olivgrau abgedunkelt; Reste dieser vielfach abgepuderten Farbschicht bestimmen in Verbindung mit der älteren Ockerfassung, die besser erhalten ist und deshalb dominiert, die heutige Farbigkeit des Innenraums. 1697 erhielt der Dom schließlich die seit dem 14. Jh. geplante Vierungskuppel, wenn auch als bunt bemaltes Barockgewölbe mit üppigen Stukkaturen (Gebrüder Carlone). Im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts wurden immer mehr Ausstattungsstücke eingebracht, die den Innenraum des Doms verwandelten. Es entstanden Musiktribünen und Oratorien, neue Gestühle in Langhaus und Chor, aufwendige Grabdenkmäler. Vor allem wurden Altäre in den Dom gestiftet; gegen Ende des 18. Jahrhunderts lassen sich 17 Altäre nachweisen. Durch alle Jahrhunderte hindurch wurde der Dom stets sorgsam gepflegt und instandgehalten.

Im 19. Jahrhundert führten die Geringschätzung des Barock und die romantische Vorstellung von stilreiner Architektur zu einschneidenden Maßnahmen. Der bayerische König Ludwig I. wandte sein besonderes Interesse dem mittelalterlichen Dom zu. Zunächst stiftete er ab 1827 farbige Glasfenster, [Druckseite XVI] um die Lücken im Bestand der mittelalterlichen Glasmalereien zu schließen. Dann ordnete er 1834 eine radikale Purifizierung des Inneren an, die unter der Leitung des Münchner Architekten Friedrich von Gärtner bis 1839 durchgeführt wurde. Bis auf den Hochaltar entfernte man alle barocken Altäre sowie das Chorgitter, die Oratorien und Tribünen. Die Barockkuppel wurde durch ein gotisches Rippengewölbe ersetzt. Verschwinden mussten alle barocken Grabdenkmäler und die großen an den Wänden hängenden Gemälde. Auch die Orgel wurde abgebrochen; für sie entstand ein neues Werk, das unsichtbar hinter dem Hochaltar eingebaut wurde. Gleichzeitig erhielten die den ganzen Innenraum umziehenden Laufgänge Brüstungen aus dekorativen Maßwerkformen. Auch zahlreiche Konsolfiguren für die Blendarkaden der Südwand wurden geschaffen.

Nach der Restauration des Innenraums wandte man sich dem Äußeren zu: Getragen von künstlerischer, religiöser und nationaler Begeisterung sollte - ähnlich wie in Köln, Ulm und Prag - der unvollendete Außenbau fertig gestellt werden. Mit großer Unterstützung durch König Ludwig I. und Bischof Ignatius von Senestréy (1858—1906) begann 1859 der Ausbau der Domtürme. Innerhalb von zehn Jahren errichtete der Dombaumeister Franz Denzinger Oktogongeschosse und Helme der beiden Türme; 1870/72 folgten der Ausbau der Querhausgiebel und des hölzernen, mit Kupfer verkleideten Dachreiters über der Vierung. Damit waren von der Grundsteinlegung bis zur Fertigstellung des Doms ziemlich genau 600 Jahre vergangen.

Während die östlichen Teile und das Langhaus des Doms größtenteils aus Kalkstein bestehen, wurden die späteren Teile der Westfassade ab etwa 1410/20 und die meisten Ergänzungen des 19. Jh. aus Grünsandstein gefertigt, der schon ab den 1880er Jahren starke Verwitterungserscheinungen zeigte. Von da an waren ständig aufwendige Reparaturarbeiten nötig, die seit 1923 der Staatlichen Dombauhütte anvertraut sind. 1954–1958 musste man die beiden Turmhelme vollständig erneuern. 1974–1986 erfolgte eine Außenschutzverglasung aller wertvollen Glasmalereien des Doms. 1985–1988 wurde eine behutsame, sorgfältig vorbereitete Restaurierung des Innenraums durchgeführt, die sich auf Reinigungs- und Konservierungsarbeiten beschränkte. Das Innere zeigt deshalb nicht eine wie auch immer geartete historisierende Neufassung nach Befund, sondern präsentiert eine Kathedrale mit vielen Spuren ihres Alters und ihrer Geschichte, aber auch mit ihrer Würde und ihrer in Jahrhunderten geprägten Dichte der Ausstrahlung. Seit 1989 wurde systematisch der schadstoffhaltige Krustenüberzug auf den Außenflächen entfernt; gegenwärtig wird - als Abschluss dieser Maßnahme - das reiche Hauptportal restauriert. Insgesamt dominiert seitdem wieder die weiße Farbe des Kalksteins. Wie die Befunduntersuchungen ergaben, war auch im Mittelalter der Dom als weißer Baukörper im Stadtbild hervorgehoben gewesen, ergänzt an der Westfassade durch die grünlichen Flächen der späteren Bauteile und bereichert durch sparsame farbige Akzente der - auch am Außenbau - teilweise farbig bemalten Figuren und Wappenschilde.

Gesamtwürdigung

Als einzige Kirche Deutschlands östlich des Rheins verkörpert der Regensburger Dom den in Frankreich geprägten Typus der klassischen gotischen Kathedrale. Charakteristisch sind hierfür – neben dem kühn konstruierten Skelettsystem mit Strebepfeilern und Strebebögen – die basilikale Anlage mit dreigeschossigem Aufriss des Mittelschiffs, das Querhaus und eine imponierende Westfassade mit zwei Türmen, alles aus sorgfältig behauenen Werksteinen hergestellt. Ursprünglich war noch ein dritter Turm vor der nördlichen Querhausfassade geplant, der den sog. Eselsturm ummanteln sollte und das hohe Anspruchsniveau für den städtebaulich wirksamen Blick von der Donauseite her unterstrichen hätte. Er wurde bereits im frühen 14. Jh. aufgegeben zugunsten einer hoch aufragenden Vierungskuppel, die leider nie zur Ausführung kam. Bei allem Aufwand fallen jedoch einige Veränderungen gegenüber den französischen Vorbildern auf: Der dreischiffige, durchgehend gewölbte Bau besitzt ein verhältnismäßig kurzes Langhaus mit nur fünf Jochen (einschließlich des Fassadenmassivs). Außerdem kragt das Querhaus nicht aus, vor allem aber fehlt der übliche Chorumgang mit Kapellenkranz. Dafür findet sich in Regensburg eine ausgesprochen altertümliche Lösung mit drei gestaffelten Chören, die sämtlich nicht ganz regelmäßig mit fünf Seiten eines Achtecks schließen. Solche Dreichoranlagen haben in Regensburg eine alte Tradition (St. Emmeram, Niedermünster, St. Jakob, Dominikanerkirche); allen voran besaß aber bereits der alte Dom diese Chorgestaltung. Überhaupt erklären sich die ungewöhnlichen Dimensionen des breit, aber kurz gelagerten gotischen Doms damit, dass er ziemlich genau die Größe und die Maßverhältnisse seines Vorgängerbaus übernommen hat, obwohl er an anderer Stelle errichtet wurde. Die Abänderungen gegenüber einem modernen Grundriss bedeuten sicher kein Unvermögen, sondern beziehen sich auf den alten Dom, so dass der gotische Neubau mit seiner Übernahme der liturgischen Orte und der funktionalen Tradition den Vorgängerbau zitiert.

[Druckseite XVII]

Die künstlerische Qualität der Dom-Architektur lässt sich zutreffend würdigen, wenn man die faszinierenden Methoden des um 1290 neu berufenen Dombaumeisters analysiert. Ihm gelang es, aus einer im Grunde noch spätromanischen Anlage, die in den Ostteilen durch die fertigen Fundamente und einige aufragende Mauerzüge weitgehend definiert schien, nach einer wahrhaft kühnen Umplanung eine gotische Kathedrale zu verwirklichen. Dabei arbeitete er nicht mit harten Kontrasten gegenüber den vorgefundenen Bauteilen, sondern reagierte feinfühlig auf die älteren Formen, die er fast unmerklich in den neuen Stil überführte. Er entschloss sich deshalb auch für eine im späten 13. Jh. höchst ungewöhnliche Formensprache: Aus einem filigranhaften, zerbrechlichen Skelettsystem, wie es etwa die zum Vergleich häufig herangezogene Kirche Saint-Urbain in Troyes vorzeigt, wurde eine ausgesprochen körperhaft-kräftige Architektur, welche Durchdringung, Masse und räumlich-plastische Modellierung als wesentliche Gestaltungselemente einsetzt. Damit glückte zum einen die harmonische Anbindung an die ältere Bauphase, zum anderen nahm der Architekt aber auch Entwicklungen vorweg, wie man sie erst in der Spätgotik wiederfindet. Denn die beschriebene, aus der Masse heraus modellierte Architektur, als deren Kennzeichen etwa die vertieften Arkadenzwickel im Aufriss des Mittelschiffs genannt seien, wirkt wie eine Vorwegnahme von Gestaltungsweisen, die drei Generationen später, nach der Mitte des 14. Jh. allgemein verbreitet waren. Vielleicht erleichterte diese erstaunliche, zunächst immer moderner werdende Architektur auch den späteren Dombaumeistern die Entscheidung, den gotischen Plan in allen wesentlichen Teilen bis zur Einstellung der Bauarbeiten im frühen 16. Jh. beizubehalten. So präsentiert sich der Dom trotz der komplizierten anfänglichen Planänderungen und trotz seiner langen Bauzeit als einheitlicher und ausgewogener Bau von monumentaler Gesamtwirkung.

Der Außenbau

Die Nordseite des Domes ist auf Fernsicht angelegt. Von der Steinernen Brücke und vom jenseitigen Ufer der Donau aus beherrscht der Dom das Stadtbild. Der hohe Sockel lässt ihn weit über die anderen Häuser und Kirchen hinauswachsen. Ursprünglich sollte vor der nördlichen Querhausfassade ein mächtiger Turm errichtet werden, der den hier stehenden romanischen Eselsturm ummantelt hätte. Diese im frühen 14. Jh. nachweisbare Planung, die bald darauf zugunsten eines Vierungsturmes aufgegeben wurde, erinnert an die spätere Gestalt des Prager Veitsdoms, der an der Südseite zur Moldau hin ebenfalls einen — städtebaulich dominierenden — Querhausturm besitzt.

Der Chorbereich verzichtet weitgehend auf figürlichen Schmuck; hier herrscht das System der die großen Fenster entlastenden Strebepfeiler. Der ohne Kapellenkranz steil aufragende Hauptchor wirkt wie ein selbständiger, polygonaler Zentralbau. Die dreifach übereinander gestaffelten Fenster werden von Wimpergen bekrönt, welche die Maßwerkbrüstung am Dachansatz überschneiden. Die Strebepfeiler scheinen sich im Obergadenbereich in schlanke Baldachine zu verwandeln, von denen aus aufgeblendete Bögen und ein transparentes Maßwerkgitter zur Fensterwand führen. Hier wird also in raffinierter Weise ein offenes Strebewerk wie für einen Chor mit Chorumgang suggeriert, obwohl es einen derartigen Kathedralchor gar nicht gibt.

Die südliche Querhausfassade ist deutlich zweigeteilt, mit einer geschlossenen Erdgeschoßzone, die noch zur ersten Bauphase (vor 1290) gehört. Das reich profilierte Portal flankieren schlanke Streben mit Fialenbekrönung, an die sich Spitzbogenblenden anschließen. In das große, mit aufgeblendeten Maßwerkformen verzierte Tympanonfeld wurden nachträglich Bildwerke eingefügt: unten die Steinfiguren der Apostel Petrus und Paulus (um 1360/70), oben in einem Fünfpass eine Reliefplatte mit der Darstellung der Kreuzigung Christi, einem vorzüglichen, schwäbisch beeinflussten Werk um 1320. Im Obergeschoß verbinden sich das durchfensterte Triforium und das neunbahnige Maßwerkfenster zu einer monumentalen, die Fassade beherrschenden Gitterstruktur. Darüber senkrecht aufsteigende Steinbalken führen das Motiv weiter und gipfeln in dem hohen Dreiecksgiebel, der über dem Laufgang mit der Maßwerkbrüstung erst 1868/71 durch Denzinger vollendet wurde.

Das westlich folgende Langhaus bleibt relativ schlicht; die Obergadenfenster und deren Wimpergbekrönung werden nach dem Vorbild des Hauptchors kontinuierlich weitergeführt. Das südliche Seitenschiff gliedern in jedem Joch zwei mit Maßwerk versehene Lanzettfenster, die ab dem zweiten Joch von Osten durch einen Oculus darüber und eine Figur vor dem schmalen Wandstück dazwischen zu einer charakteristischen Gruppierung kombiniert sind. Hervorzuheben ist die bedeutende Skulptur des hl.Christophorus (um 1325/30) am zweiten Joch; die anschließenden Apostelfiguren entstanden um 1330/40. An den Stirnflächen der Strebepfeiler finden sich qualitätvolle Reliefs allegorischen Inhalts (zwischen etwa 1325 und 1340): sog. Judensau (antisemitische Darstellung), Samsons Kampf mit dem Löwen, Jungfrau mit dem Einhorn, Gänsepredigt.

[Druckseite XVIII]

Mit dem reichsten Schmuck des Domes ist die Westfassade überzogen, wobei leere Konsolen und Baldachine von noch aufwendigeren Plänen zeugen. Türme und Mitteltrakt bedingten eine dreifache Gliederung, die durch die Strebepfeiler akzentuiert ist. Die Geschoßeinteilung wird markiert durch die Brüstungen der den Bau umziehenden Laufgänge, die als straffe Horizontalglieder die Fassade rhythmisieren. Statt einer ursprünglich wohl geplanten Fensterrose im Mitteltrakt entschied man sich (zwischen etwa 1430 und 1460) für eine von Kielbogen überfangene Fenstergruppe, über der in origineller Zweischichtigkeit ein steinernes Kreuz vor einem Rundfenster aufgerichtet ist. Unter dem Kreuz erscheint St. Peter im Schifflein, das Wappen des Regensburger Domkapitels. Obwohl die mittelalterlichen Teile der Westfassade eine Bauzeit von mehr als 150 Jahren benötigten, blieb die symmetrische Geschlossenheit der Anlage erhalten. Es ist ein Verdienst der Roriczer-Familie, dass der Grundplan beibehalten wurde und nur in Detailformen der Stil der Spätgotik zum Tragen kam. Wie erwähnt, konnten bis um 1500 drei Geschosse jedes Turms vollendet werden. Die von hohen Fenstern durchbrochenen Achteckkörper darüber mit den krabbenbesetzten Maßwerkhelmen sind neugotische, harmonisch angepasste Ergänzungen.

Von besonderer Bedeutung ist das Hauptportal des Domes: ein hohes Gewändeportal mit Trumeau, dreiteiligem Tympanon und reichem Archivoltenschmuck, bereichert durch eine kühn erfundene Vorhalle auf dreieckigem Grundriss, die auf einem vor die Mittelachse des Portals gestellten mächtigen Freipfeiler ruht. Die Bogenläufe der Vorhalle überhöht ein profiliertes Gesims; darüber steigt wie eine Krone eine Maßwerkbrüstung hoch, die eine - durch die Tür vom Dominnern aus betretbare - Altane umschließt.

Als Schmuck des Hauptportals erscheint die reichste figürlich-plastische Dekoration, die es in Regensburg je gegeben hat. Als Stiftung der reichen Patrizierfamilie Gamered von Sarching (Kat.-Nr. 107) entstand sie um 1385–1410. Archivolten und Tympanon füllt ein ausführlicher Zyklus des Marienlebens, der mit 22 Reliefdarstellungen in den Archivolten beginnt: Wurzel Jesse, Legende von Joachim und Anna, Geburt Mariens, Tempelgang, Vermählung mit Joseph, Verkündigung an Maria, Kindheitsgeschichte Jesu bis zur Flucht nach Ägypten und dem zwölfjährigen Jesus unter den Schriftgelehrten. Seinen Abschluss findet das Marienlebens im Tympanon: Dargestellt sind in drei Registern übereinander der Tod und die Grabtragung Mariens, ihre Aufnahme in den Himmel sowie die Inthronisation der zur Himmelskönigin gekrönten Muttergottes. Die zwölf Propheten in den Bogenläufen der Vorhallenarkaden bestätigen den von ihnen vorhergesagten Ablauf des Heilsgeschehens (teilweise durch Kopien ersetzt).

Am Trumeau steht erstaunlicherweise keine Marienfigur, wie man dies bei einem derart mariologischen Programm erwarten würde, sondern eine Skulptur des Apostels Petrus. Offensichtlich wandelte man nach einer Planänderung die Ikonographie zu einem apostolischen Programm um: Neben Petrus erscheinen im Gewände die beiden hl. römischen Diakone Stephanus und Laurentius sowie vier Apostel (zwei davon abgenommen). Die restlichen acht Apostel sind mitsamt ihren Figurentabernakeln wie ein Kranz um den Freipfeiler gelegt (Kopien von Joseph Sager, 1907/08; die aus Sandstein bestehenden stark verwitterten Originale stehen im Lapidarium des Domkreuzgangs und im Museum der Stadt Regensburg). Die Bildwerke des Hauptportals gehören zu den besten Leistungen der Kunst um 1400 in Mitteleuropa. Sie zeigen stilistische Zusammenhänge mit Prag (Umkreis des Bildhauers der Krumauer Madonna), bei den jüngeren Bildwerken auch Anregungen aus Burgund.

Von den vielen anderen Skulpturen der Westfassade seien noch herausgegriffen: das Tympanon des südlichen Westportals, eine Darstellung der Befreiung Petri, um 1340/45 entstanden, bei welcher der Engel in köstlicher Naivität den Turm des Gefängnisses abklappt und den hl. Petrus herauszieht. Im Tympanon des nördlichen Westportals (um 1410/20) ist die Übergabe der Gesetzestafeln an Moses dargestellt. Auf gleicher Höhe mit diesem Tympanon sind die Stirnflächen der Nordturm-Strebepfeiler mit Reliefs besetzt: Opferung Isaaks (um 1385/90) und Anbetung des goldenen Kalbes (um 1410/20). Ikonographisch bemerkenswert sind noch die vier Skulpturen reitender Könige vor den Stirnwänden der Turmstrebepfeiler, in Höhe der Erdgeschoßfenster. Sie verkörpern die vier Weltreiche nach der Vision des Propheten Daniel; von Süd nach Nord: der babylonische König Nebukadnezar auf einem Löwen, der römische Herrscher Julius Cäsar auf einem Einhorn, König Alexander d. Gr. auf einem Panther und der persische König Cyrus auf einem Bären (Kopien von Xaver Müller 1898/99; die Originale aus der Zeit um 1350, um 1410 und um 1420/30 im Lapidarium des Domkreuzgangs und im Museum der Stadt Regensburg).

Der Innenraum

Der Hauptchor ist gegenüber dem Langhaus ungewöhnlich erhöht: sechs Stufen führen von der Vierung zum Langchor, das Sanctuarium mit dem Hochaltar steigt noch einmal fünf Stufen an. Der [Druckseite XIX] Grund hierfür dürfte der anachronistische, wohl von der kultischen Nutzung des Vorgängerbaus her übernommene Einbau eines unterirdischen Andachtsraums unter dem Hochaltar gewesen sein. Zu dieser sog. Confessio führten ursprünglich zwei seitliche Treppen hinab; wahrscheinlich sollte mit der Anlage unmittelbar an den Petersdom in Rom erinnert werden, der die berühmte Confessio des Hl. Petrus birgt und dessen Patrozinium ja auch der Regensburger Dom trägt. Vor allem aber wird der Hauptchor geprägt durch die gläserne Architektur der drei mittleren Seiten des Chorschlusses. Die großartige Wirkung der in drei Geschossen geordneten Glasfenster erfährt durch die räumliche Gliederung eine zusätzliche Dimension. Das untere Geschoß ist zusammen mit dem Triforium in zwei Wandschichten gegliedert: Während in der äußeren Ebene die Fenster liegen, schiebt sich innen vor die rechteckig gerahmten Fenstermaßwerke des Erdgeschosses je ein Spitzbogen, dessen Zwickel auffällig eingesetzte Oculi füllen. Die schmalen Kompartimente zwischen der inneren und äußeren Ebene lassen die Architektur raumhaltig erscheinen, so dass sich die Illusion eines Chores mit Chorumgang ergibt, - also eine suggestive Interpretation des Chorschlusses, die ähnlich auch bei der Außenansicht zu beobachten war. Vor den Triforienfenstern liegt in der inneren Ebene ein Maßwerkgitter, das sich mit den Obergadenfenstern darüber zu einer einheitlichen, monumentalen Maßwerkstruktur verbindet. Dabei sitzen die Obergadenfenster nun in der inneren Wandschicht.

Die Langseiten des Hauptchores zeigen dagegen eine - von der Baugeschichte her verständliche - heterogene Struktur. Die Südwand beschränkt sich im Erdgeschoß auf glatte Mauerflächen, die mit ungleichen Arkadenbögen zum Nebenchor hin geöffnet sind. Deutlich gehören diese Partien noch zur ersten Bauphase des Domes, während das voll entwickelte Triforium und die Obergadenzone die konsequente Umplanung des französisch geschulten Architekten widerspiegeln. Um die Symmetrie der Gesamtanlage zu wahren, wurde die etwas später entstandene nördliche Langseite des Hauptchores konsequent der Südseite angeglichen.

Die beiden Nebenchöre ähneln mit dem kreuzrippengewölbten Joch und dem fünfteiligen Polygonschluss der Gestalt des Hauptchores. Da sich aber östlich unmittelbar die Kapellenanbauten anschließen und im Zwickel zum Hauptchor hin auch noch je eine Wendeltreppe steckt, konnten im Schluss nur die beiden äußeren Polygonseiten durchfenstert werden, so dass blinde, teilweise durch Blenden belebte Wandflächen die Räume prägen.

Das Querhaus hätte seine volle architektonische Wirkung erst dann entfalten können, wenn der ursprünglich geplante und begonnene Vierungsturm vollendet worden wäre. Sein Grundriss war über dem Quadrat der Vierung durch Trompen zum gleichseitigen Achteck übergeleitet worden (ausgeführt, heute durch das Gewölbe des 19. Jh. verdeckt). Darauf sollte ein Triforium stehen, über dem man sich einen hohen überwölbten Lichtgaden vorstellen muss. In Erinnerung an diese Idee war noch 1697 eine barocke Vierungskuppel gebaut worden, die bei der Purifizierung im 19. Jh. zerstört und durch ein eher enttäuschendes Kreuzrippengewölbe ersetzt wurde. So bilden heute die Innenwände der Süd- und Nordfassade die architektonischen Schwerpunkte des Querhauses. Die Südwand wird geprägt von dem beachtlichen Aufwand um das Doppelportal, zu dem von den Seiten her aufsteigende Blendnischen führen und das die Treppenanlage des Laufgangs wirkungsvoll überhöht. Ganz oben schwebt darüber das prachtvolle neunbahnige Maßwerkfenster, das mit Abstand größte Fenster des Domes, welches zusammen mit dem verglasten Triforium eine vielteilige Komposition ausbildet und das Obergeschoß majestätisch beherrscht. Die innere Nordwand des Querhauses musste dagegen völlig anders gestaltet werden, da sich hinter ihr der sog. Eselsturm befindet, der bis auf die schmale westliche Portalöffnung und zwei Fensterbahnen im Obergeschoß darüber keine Öffnung in der Wand zuließ.

Das Mittelschiff verkörpert das klassische System gotischer Kathedralen mit seinem dreigeschossigen Aufriss in makelloser Ordnung. Zwischen die Bündelpfeiler spannen sich kräftig profilierte Scheidarkaden, darüber zieht sich das nicht belichtete Triforium entlang, und oben öffnen sich in den durch die Schildbögen eingefassten Rahmen die großen Fenster des Obergadens. Einige wenige Änderungen können die einheitliche Gesamtwirkung nicht stören, etwa der Wechsel von vier auf fünf Bahnen für Triforium und Obergadenfenster nach dem zweiten Joch von Osten, oder die unterschiedlichen Fenstermaßwerke, oder die konstruktiv bedingten Besonderheiten des zum Fassadenmassiv gehörenden Westjochs mit den erheblich verstärkten Bündelpfeilern und den mit Blendmaßwerk geschmückten, massiven Wänden der Obergeschosse.

Eine Analyse der architektonischen Gliederung verrät die herausragende Leistung des für die gotische Gesamtplanung verantwortlichen Baumeisters. Er wählte kein reines Skelettsystem, das die Wandflächen zu dünnen Membranen zwischen den tragenden Elementen reduziert, sondern verband Pfeiler und Wände zu einer gleichberechtigten, nicht voneinander lösbaren Mauerstruktur. Beispielsweise wurden die Bündelpfeiler durch schräg gestellte, an Pilaster erinnernde Streifen differenziert, die ohne Zäsur bis zum Schildbogen hochlaufen. Diese Streifen scheinen eher zur Wand als zum Pfeiler zu [Druckseite XX] gehören, distanzieren förmlich die einzelnen Dienste der Bündelpfeiler voneinander und verbinden sich eng mit den kräftigen Rechteckrahmen, welche die vertieften Zwickel über den Scheidarkaden einfassen. Auch Triforium und Obergaden, die ihrerseits von breiten, an Gewände erinnernden Wandprofilen gerahmt und zusammengefasst werden, sind mit dieser plastisch modellierten Architektur verwachsen. Untereinander wollen die Obergadenfenster und die Arkatur des Triforiums jeweils als Einheit gesehen werden, was sich in der gleichen Ordnung der Bahnen verrät, auch in der gemeinsamen Rückstufung, vor allem aber in den vor einige Stäbe gelegten Säulchen, die in jedem Joch einfach oder doppelt hochsteigen und vom Laufgang des Triforiums bis zum Couronnement der Fenster reichen. Eine derartige Tendenz des dreigeschossigen Aufrisses zur scheinbaren Zweigeschossigkeit ist typisch für die hochgotische Kathedrale französischer Ordnung und ähnlich bereits in Amiens und Köln vorbereitet.

Die Seitenschiffe ordnen sich in der Gestalt der Pfeiler, Dienste und Gewölbe einheitlich dem Kathedralschema unter. Lediglich die Außenwände wurden jeweils unterschiedlich gestaltet. Im südlichen Seitenschiff erscheint unter dem Laufgang eine durchgehende Bogenreihe, deren reich profilierte und genaste Spitzbögen über Kragsteine von kleinen Atlanten getragen werden (die meisten dieser lebhaft bewegten Figuren stammen aus dem 19. Jh.). Über dem Laufgang setzt eine interessante zweischalige Wandgliederung an, die zwischen der äußeren Mauerfläche mit den schlanken Spitzbogenfenstern und einer inneren Schicht aus Gewölbediensten, Schildbögen und Laufgangbrüstung differenziert ist. Das nördliche Seitenschiff besitzt eine ganz andere Sockelzone, da sich hier in den drei mittleren Jochen Portalbögen zu den ursprünglich außen angebauten Altarkapellen öffneten. Die damaligen Kapellendächer erzwangen eine andere Fensterlösung: große, die Wandfläche gänzlich füllende Maßwerkfenster, die aber in der unteren Hälfte jeweils blind werden und die Fensterbahnen mit aufgeblendeten Stäben weiterführen. Auch im Nordschiff wiederholt sich die beschriebene Zweischaligkeit der Außenwand.

Literatur:

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In: Ausst.-Kat. „Les batisseurs des cathédrales“, hrsg. von Roland Recht, Strasbourg 1989, p. 164–177. – Ausst.-Kat. „Der Dom zu Regensburg. Ausgrabung - Restaurierung - Forschung“, München-Zürich 1989, 3. Aufl. 1990. – Achim Hubel und Peter Kurmann, Der Regensburger Dom. Architektur - Plastik - Ausstattung - Glasfenster, Große Kunstführer Nr. 165, München-Zürich 1989. – Friedrich Fuchs, Das Hauptportal des Regensburger Domes. Portal - Vorhalle - Skulptur, München-Zürich 1990. – Achim Hubel, Der Erminoldmeister: Überlegungen zu Person und Werk, in: Regensburger Almanach 1993, hrsg. von Ernst Emmerig, Regensburg 1993, S. 197–207. – Achim Hubel und Manfred Schuller, unter Mitarbeit von Friedrich Fuchs und Renate Kroos, Der Dom zu Regensburg. Vom Bauen und Gestalten einer gotischen Kathedrale, Regensburg 1995 (mit ausführlichem Literaturverzeichnis). – Peter Kurmann, Der Regensburger Dom – französische Hochgotik inmitten der Freien Reichsstadt, in: Regensburg im Mittelalter. Beiträge zur Stadtgeschichte vom frühen Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit, hrsg. von Martin Angerer und Heinrich Wanderwitz unter Mitarbeit von Eugen Trapp, Bd.1, Regensburg 1995, S. 387–400. – Denkmäler in Bayern, Band III.37, Stadt Regensburg. Ensembles - Baudenkmäler - Archäologische Denkmäler, bearb. von Anke Borgmeyer, Achim Hubel, Andreas Tillmann und Angelika Wellnhofer, Regensburg 1997, S. 152–178. – Barbara Fischer-Kohnert, Das mittelalterliche Dach als Quelle zur Bau- und Kunstgeschichte. Dominikanerkirche, Minoritenkirche, Dom, Rathaus und Alte Kapelle in Regensburg, Petersberg 1999. – Renate Kroos, Quellensuche für einen Dom: Beispiel Regensburg. In: Kunst und Liturgie im Mittelalter, Akten des internationalen Kongresses der Bibliotheca Hertziana und des Nederlands Instituut de Rome (Rom, 28.-30. 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Zitationshinweis:

DI 74, Inschriften des Regensburger Doms (I), Einleitung, 2. Die Baugeschichte des Regensburger Doms (Achim Hubel), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di074m013e009.