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Inschriften zwischen Realität und Fiktion - Vom Umgang mit vergangenen Formen und Ideen

Rubrik: Veranstaltungen

Tagungsbericht der 12. Internationale Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik, Mainz, 5.–8. Mai 2010

 

Die Forschungsstelle „Die Deutschen Inschriften“ der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz hatte sich zum Ziel gesetzt im Rahmen einer internationalen Fachtagung das Problem nachgefertigter Inschriften, also von Kopien, Restaurierungen, Fälschungen guten Glaubens und mit krimineller Energie, zu beleuchten und so die Methodenkompetenz der mit Inschriftentexten arbeitenden Wissenschaftler zu erweitern. Das sollte im Diskurs von technisch ausgewiesenen Fachleuten für ausgewählte Inschriftenträger (Glasmalerei, Wandmalerei, Textilkunst) und Paläographie, von Editoren und von Wissenschaftlern geschehen, die Inschriften für ihre Forschungen nutzen. Zeitlich wurde der Bogen von der Antike bis ins 19. Jahrhundert gespannt, regional auf West- und Südeuropa konzentrier. Die an der Tagung teilnehmenden Wissenschaftler kommen aus nahezu allen Deutschland umgebenden Staaten.

Die Vorträge

Außerhalb der Tagungsthematik stand der erste Vortrag des Mittwochabends (5. Mai), in dem Torsten Schrade (Mainz) den Entwicklungsstand des Projekts DIO (Deutsche Inschriften Online, www.inschriften.net) vorstellte, das in seiner Pilotphase von den Arbeitsstellen Göttingen und Mainz betrieben wird. Schrade informierte über den Stand der Dateneinspielung (mehr als 2000 Inschriftennummern) aus den Beständen Rhein-Hunsrück-Kreis I, Göttingen-Land, Helmstedt, Hildesheim-Stadt, Braunschweig-Stadt II, Goslar), über Modalitäten der Recherche und die bisherigen Zugriffe nach verschiedenen Parametern. Die Internetveröffentlichung der Reihe wird parallel zu den gedruckten Bänden voll zitierfähig sein und gekennzeichnete Nachträge enthalten.

Als Einstimmung in die Tagungsthematik beschäftigte sich Johannes Fried (Frankfurt) im öffentlichen Abendvortrag mit „Inschriften für das Gedächtnis?“, indem er anhand von Frankfurter, Mainzer, Ravennater und römischen Inschriften – dort der Antike und des Mittelalters – den Zusammenhang von Anbringungsort bzw.–art und Gelesenwerden bzw. Verstandenwerden von Inschriften untersuchte. Aus seiner Gesamtschau mahnt Fried das Verstehen des Inschriftenraumes an und skizziert als mahnende Gegenbeispiele das als Konstantin-Statue missgedeutete Reiterstandbild Kaiser Marc Aurels und hochmittelalterliche Stifterinschriften am Lateran in Rom.

In die Tagungsthematik führten am Donnerstag (6. Mai) zwei Doppelvorträge zu Wand- und Glasmalerei ein. Susanne Kern (Mainz) breitete aus Material von Mittelrhein und Mosel den sich erst spät (in der jüngsten Generation) entscheidend wandelnden Umgang mit mittelalterlichen Wandmalereien aus. Hinsichtlich der Inschriften stellte Kern gegenüber alten Dokumentationen (Fotos, Befund in Nachzeichnungen) unnötig verfälschte und verstümmelte Texte, stilistisch ungenügende Wiedergabe der Schrift und sogar eklatante Vertauschung von Tituli heraus. Eine Beschäftigung mit Wandmalerei und ihren Inschriften kann daher nicht aus dem Augenschein, sondern nur mittels Studium der Restaurierungsakten erfolgen. Karen Keller (Köln) untermauerte diese Aussagen anhand moderner technischer Analysenmethoden und demonstriert etwa am Beispiel der Renaissancemalerei im Schloss von Diez das moderne Verfahren der Bestandsicherung und behutsamen Rekonstruktion formaler Bestandteile der Malerei.

Auch für die Einschätzung von Inschriften in Glasmalerei sind die Entstehungsweisen, also die technischen Grundlagen der Glasbereitung und -bemalung, entscheidend. Ivo Rauch (Koblenz) führte diese Grundlagen und die davon abhängige Herstellung und Restaurierung von Inschriften vor. In einem weiten Bogen vom hohen Mittelalter bis in die neueste Zeit konnte er die wechselnden Bedingungen für die Herstellung, Bewahrung und Restaurierung von Inschriften aufzeigen und außerdem anhand ausgelegter Objekte demonstrieren. Die vom Vorredner angerissenen technischen Voraussetzungen bettete Daniel Parello (Freiburg) in die Rekonstruktion der Verglasung des Freiburger Münsters durch den Künstler(!) Fritz Geiges ein, dessen insgesamt erfolgreiche Rekonstruktion der Zwischenkriegszeit von nachahmenden Ergänzungen begleitet wurde.

Die eher technisch und formal geprägte Sektion schloß das „Paläographische Zwiegespräch“ von Walter Koch (München) und Rüdiger Fuchs (Mainz) ab. Nach einer allgemeinen Positionsbestimmung der beiden Gesprächspartner präsentierten beide aus einer Fülle vorbereiteten Materials jeweils zwei Fälle: Den Klosterneuburger Gedenkstein der Herren von Mödling (Koch) und eine Reliquienauthentik für St. Matthias in Trier (Fuchs). Darauf folgend referierte Koch über die verschönernde Erneuerung eines Karmelitergrabsteins aus Augsburg;  Fuchs brachte Zweifel vor bezüglich der Authentizität einiger Trierer Scheiben in Shrewsbury (England, Shropshire). Die Präsentation der vier Themenkomplexe war eingebunden in methodische Diskussionen der Gesprächspartner und der Tagungsteilnehmer, in der Fuchs die Forderung wiederholte, die Paläographie in Autopsien von gemalten Inschriften früh einzubinden.

Mit einem gleichfalls paläographischen Ansatz arbeitete Ilas Bartusch (Heidelberg) innerhalb einer ausführlichen Darlegung des Neuaufbaus der badisch-markgräflichen Grablege in Lichtenthal (Baden-Baden) die Merkmale der nachgeahmten Gotischen Majuskel aus der Werkstatt des Steinmetzen Johann Belzer heraus. Waren diese Aktionen der Jahre 1829 bis 1832 gut bekannt, so konnten durch die Analyse auch bisher unverdächtig erschienene Steine, die Sterbefälle des 13 und 14. Jahrhunderts betreffen, einer Nacharbeitung zugewiesen werden.

Mit der sogenannten Clematius-Inschrift in St. Ursula zu Köln greift Clemens M.M. Bayer (Lüttich/Bonn) in einen seit über einem Jahrhundert schwelenden Streit um die Datierung und damit naturgemäß verbunden um die Echtheit jener Inschrift ein, die am Beginn der Ursula-Verehrung steht. Neben philologischen Argumenten und der Frage nach der zeitlichen Relevanz der Textinformationen stützte er sich dabei vor allem auf eine paläographische Analyse, die nicht nur Einzelformen, sondern auch auf Kürzungen einging.

Franz Fuchs (Würzburg) untersuchte die Zeitumstände der stilistisch und paläographisch oft, aber nicht immer zweifelsfrei datierbaren Monumente in St. Emmeram in Regensburg. Hier machte sich die bereits angesprochene Mode, eine nicht der Nachschaffungszeit konforme Schrift zu benutzen, hinderlich bemerkbar. Die Mönche von St. Emmeram instrumentalisierten Grabmäler, auch fiktive um alte und möglicherweise prekäre Stiftungen, die größtenteils in den Inschriften genannt sind, abzusichern.

Das Bistum Freising betonte in ähnlicher Weise ihren Rang auch mit Hilfe rekonstruierter Grabmäler und wieder vervollständigter Denkmäler. Ingo Seufert (München) stellte die schon im Hochmittelalter beginnenden, vor allem frühneuzeitlichen und sogar das bis ins 18. Jahrhundert reichenden Rekonstruktionen im Kontext vor und überprüft deren Historizität. In den Auseinandersetzungen des Hochstifts werden Inschriften zu einem wichtigen Teil der Traditionsvermittlung.

Cécile Treffort (Poitiers) hob umfassend den Stellenwert der monastischen Gründungslegenden im Süden und Westen Frankreichs für Belange der Identität, der Politik und Wirtschaft hervor und zeigt, wie es den Gemeinschaften gelingt, Inschriften für ihre Revindikationsbemühungen, seien es berechtigte Ansprüche oder nur ausgedachte, zu nutzen, indem sie ihnen einen monumentalen Ausdruck und eine Glaubwürdigkeit verleihen, die das auf Pergament Geschriebene nicht allen vor Augen führen kann. Die Herstellung von derlei Inschriftentexten geht übrigens oft einher mit wichtigen Veränderungen betreffs der diplomatischen Dokumentation oder in Akten.

Mit Bezug auf ungewöhnlich lange Epitaphien, deren Texte von Paulus Diaconus, einer langobardischen Geisel am Hof Karls d. Gr., stammen und in dessen literarischer Produktion überliefert sind, hob Sebastian Scholz (Zürich) hervor, wie die Dynastie in einer Zeit geringen Kriegsglücks und großer Not in einer Reihe von Epitaphien edle Abstammung, altes Kriegsglück, die stetige Gnade des Herrn und heilbringende Tätigkeit für den „Staat“ vor Augen führt, eine in jeder Hinsicht ungewöhnliche Thematik für das Totengedächtnis. Es entwickelte sich daraufhin eine intensive Diskussion.

Thematisch ausgehend von einem falsch als Grabstein eines S(ANCTVS) VIAR[IVS] gedeuteten Restes eines Römersteins und am Ende dahin zurückkehrend stellte Klaus Hallof (Berlin) dem ‚Verstehenkönnen’ antiker Inschriften zwischen Antike und neuester Zeit nach, ausgehend vom sogenannten Themistokles-Dekret von Troizen, den Neptun-Stein von Ettlingen und seine Rolle in der Stadtlegende (1554), u. v. a. m. Treibt zwar die Antikensehnsucht der Neuzeit gelegentlich skurrile Blüten, so kann man doch vielfach den interessierten und sogar annähernd fachmännischen Umgang mit den Zeugnissen der Alten finden.

Schon im 14. Jahrhundert rekonstruierte man die Grabplatte König Edmund Eisenseites (Winchester). Was hier noch als Wiederbelebung einer altenglischen Königsmemorie gelten mag, kann nicht für zahlreiche Grabmäler in Pfarr- und Stiftskirchen in Anspruch genommen werden. Jerome Bertram (Oxford) zeigte anhand einer langen Reihe von Monumenten, vor allem aus Bronze, wie sich englische Familien mit nachgeschaffenen, d. h. meist auch frei erfundenen Grabmälern eine illustre Ahnenreihe verschafften.
 
Von einer gewissen wissenschaftlichen Eitelkeit zeugt der gelungene Versuch des Mainzer Juristen und Historikers Franz Josef Bodmann (1754-1820), mit Zeichnungen angeblicher Grabsteine einer Familie De Ageduch, die sonst in Urkunden nicht nachgewiesen ist zu einer schillernden Existenz zu verhelfen. Erst Josef Heinzelmann (†2010, Vortrag gelesen von Eberhard J. Nikitsch, beide Mainz) kam dem Fälscher auf die Spur und entlarvte seine Zeichnungen hochrechteckiger Grabplatten mit konventionellen Anno domini-Formularen des 13. und 14. Jahrhunderts als pure Phantasie und Fälschung wider besseres Wissen.

Hanns Hubach (Zürich) bezog sich auf die schon in Betty Kurths Standardwerk zu den deutschen Bildteppichen des Mittelalters erwähnte „Epistola de tapecijs antiquis in monasterio Morbacensi“ und ähnlich aussagekräftige Bildteppiche. Hubach griff mit zahlreichen Belegen die verschiedenen Anwendungen historisierender Bildteppiche auf, in denen die hohe Abkunft und Rang von Familien bewiesen werden, in denen eine Stadt ihr Alter und damit Ansehen dokumentierte u. v. m..

Die Exkursion nach Kiedrich und Eltville bot den Tagungsteilnehmern Gelegenheit, besondere Inschriften aus eigener Anschauung kennenzulernen und das Thema etwa am ausgebesserten Helfrich-Fenster und an den einen mittelalterlichen Eindruck bewusst hervorrufenden Wandmalereien der Michaelskapelle in Kiedrich, am sogenannten Willigis-Stein und an Malereien der Turmhalle sowie an der Empore in Eltville nachzuvollziehen.

Der Artikel findet sich in voller Länge hier.



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Dr. Rüdiger Fuchs
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