Die Inschriften des Grosskreises Karlsruhe

6. Die Schriftformen der originalen Inschriften

Für das Inschriftenmaterial des vorliegenden Bandes gelten im wesentlichen die gleichen Aussagen wie für das Material des angrenzenden und bereits bearbeiteten Rhein-Neckar-Kreises95). Die Inschriftenüberlieferung setzt erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mit Beispielen ein, deren Wortlaut und Zeitansatz als gesichert angesehen werden können. Der gesamte Inschriftenschatz des frühen und hohen Mittelalters ist als verloren zu betrachten96). Daher hat sich kein einziges Beispiel einer frühen Majuskelschrift vor dem Einsetzen der gotischen Majuskel erhalten.

Die gotische Majuskel

Das älteste, einwandfrei datierte Inschriftendenkmal, die Bauinschrift des Bischofs Gerhard von Ehrenberg von 1358 (nr. 7), zeigt bereits die voll entwickelte Majuskelform mit den gestreckten Proportionen der Jahrhundertmitte. Zahlenmäßig gesehen ist die gotische Majuskel gegenüber den übrigen Schriftformen mit nur zwölf vollständig erhaltenen Exemplaren sehr spärlich vertreten. In zehn Fällen ist sie als Grabschrift und zweimal als Bauinschrift verwendet worden; dabei sind eine Reihe kleinformatiger Bruchstücke mit Inschriftfragmenten nicht mitgezählt, da sich nur noch die Schriftform, aber kein Textzusammenhang bestimmen läßt. Daß es sich auch hier um Grabplatten handelte, ist zu vermuten. Angesichts dieser spärlichen Belege lassen sich weder Aussagen zur lokalen Entwicklung der gotischen Majuskel noch zu ihrer speziellen Gestaltung machen, zumal die Verbreitung im Bearbeitungsgebiet auf die kurze Zeitspanne zwischen 1358 und 1415 (nr. 28) beschränkt ist. Besondere Erwähnung verdient lediglich die in auffallender Größe (H. 11 cm) ausgeformte, steil proportionierte Majuskel eines Durlacher Grabsteins von 1399 (nr. 17), deren meisterhafte Ausführung über die sonst übliche, schlanke und flächige Spätform hinausgeht.

Die Kapitalis

Wie es bei der historischen Situation des Bearbeitungsgebietes nicht anders zu erwarten ist, wurde die Renaissance-Kapitalis relativ spät aufgenommen, während sie in den nächstgelegenen kulturellen Zentren unter dem Einfluß humanistisch gebildeter Kreise schon im vorletzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts vorkommt97). Bekanntlich wurde die Renaissance-Kapitalis im Zuge der Antikenrezeption im frühen 15. Jahrhundert in Italien geschaffen; die Monumentalschrift der römischen Kaiserzeit diente dabei als Vorbild, jedoch wurden auch Einflüsse der vorgotischen Kapitalis verarbeitet98). Daß sich der Übergang von der [Druckseite XXIX] römisch-klassischen Kapitalschrift in Italien mühelos bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts vollzog, mag einen Grund darin haben, daß die gotische Majuskel dort die vorherrschende epigraphische Schrift bis zur Frührenaissance geblieben war. Nördlich der Alpen hatte etwa von der Parlerzeit an die gotische Minuskel die Großbuchstabenschrift in wenigen Jahrzehnten fast vollständig verdrängt. Bemerkenswerterweise war die Gattung der Münzen und Medaillen als Inschriftenträger davon ausgenommen; hier wurde die gotische Majuskel in vielen Fällen bis zum Anschluß an die Renaissance-Kapitalis zu Beginn des 16. Jahrhunderts weiterverwendet. Die Gründe für diese retrospektive Haltung waren vermutlich politischer Art und müßten noch geklärt werden. In diesem Rahmen sei lediglich auf markgräflich badische und kurpfälzische Münzprägungen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts hingewiesen99).

Neben der klassischen Renaissance-Kapitalis und der gotischen Majuskel existiert eine schlank ausgeformte Kapitalschrift, die wegen ihres relativ frühen Vorkommens in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Bezeichnung Frühkapitalis oder frühhumanistische Kapitalis erhielt; noch treffender erscheint die von J. L. van der Gouw vorgeschlagene Benennung „Bastard-Kapitalis“ (bastaardkapitaal)100). Es ist noch nicht geklärt, ob diese dekorative und raumsparende Zierschrift eine spezielle cisalpine Variante oder aber eine Übergangsschrift zur eigentlichen klassischen Kapitalis darstellt. Da diese Schrift vorzugsweise in der franco-flämischen Tafelmalerei der Brüder van Eyck und ihrer deutschen Nachfolger Verwendung fand, wurde ein burgundischer Ursprung vermutet101); jedoch sei daraufhingewiesen, daß diese Schrift ebenfalls im Kunstkreis Kaiser Friedrichs III. weite Verbreitung gefunden hat, nicht zuletzt in dem Schriftzug seiner Devise AEIOU102).

Im Bearbeitungsgebiet sind beide Formen der Kapitalis nebeneinander nachweisbar; die frühesten Beispiele liegen nur wenige Jahre auseinander. Die erste Frühkapitalis begegnet mit dem Grabstein des Odenheimer Abtes Christoph von Nippenburg 1491/94 (nr. 94†). Es folgen die Bauinschrift der Kirrlacher Pfarrkirche 1507/8 (nr. 136) und die Grabschrift des Theologen Eucharius Reutter (gest. 1520; nr. 148), dessen Verwandtschaftsverhältnis mit Melanchthon ihn dem Humanistenmilieu zuweist. Späte Beispiele sind die fein gestaltete Bauinschrift der Menzinger Wasserburg von 1529 (nr. 175) und die Grabplatte des speyerischen Fauts zu Kißlau von 1540 (nr. 177). Das Schwert des Markgrafen Christoph I. von 1495 (nr. 100) ist als Importstück nur insofern von Belang, als es aufzeigt, daß diese Schriftart in der Markgrafschaft Baden vor der Wende zum 16. Jahrhundert bekannt war, auch wenn sich im badischen Teil des Untersuchungsgebietes kein Beispiel erhalten hat103).

Die erste klassisch geformte Renaissance-Kapitalis mit breit proportionierten Buchstaben von fast quadratischem Aufriß trägt ein Brettener Grabmal von 1514 (nr. 141), dessen Werkstatt sehr wahrscheinlich in Heidelberg beheimatet war. Eine ausgesprochen kalligraphische Gestaltung weist die Schrift eines ebenfalls in Bretten erhaltenen Grabmals von 1520 (nr. 149) auf: Ligaturen und „litterae insertae“ sind so gehäuft, daß dem Entziffern des Textes Grenzen gesetzt werden. Hier ist die Schrift, nicht das Figürliche oder Heraldische, zum wichtigsten künstlerischen Gestaltungsmittel geworden. Damit erscheint das Denkmal innerhalb der Produktion des Bearbeitungsgebietes als Unikum. Die gravierte Stifterinschrift eines Kelches von 1523 (nr. 158) zeigt, daß die Goldschmiedekunst die Renaissanceschrift längst rezipiert hatte, im Formalen aber noch der Spätgotik verpflichtet blieb. Etwa ab 1530/40 scheint sich die Kapitalschrift im Bearbeitungsgebiet bei offiziellen Bauaufgaben und Grabmälern für Verstorbene von Rang allgemein durchgesetzt zu haben. Die einzelnenWerkstätten (vgl. oben S. XXVff.) entwickelten offensichtlich eigene Schriftmuster, nach denen jahrzehntelang unverändert gearbeitet wurde. Künstlerisch besonders hervorragende Schrifttypen mit jeweils eigenständiger Prägung verwenden der Meister der Sickinger Grabmäler von 1547 (Conrad Forster?) (nrr. 189, 190), der „Meister der Carlsburg“ (nr. 231) und die Werkstatt des Jeremias Schwarz in Leonberg (vgl. oben S. XXVIf.). Schriftgeschichtlich besonders interessant ist der Fall der Ettlinger Neptunsinschrift von 1554 (nr. 207); hier wurde um 1569 eine antike römische Inschrift so täuschend genau kopiert, daß die Fälschung nur durch Stilkritik des Reliefs erkannt werden kann; die humanistische Beischrift, in den Typen dem „Meister der Carlsburg“ nahestehend, ist eine Schöpfung des 16. Jahrhunderts. [Druckseite XXX] Auch im 17. Jahrhundert war die Renaissance-Kapitalis für anspruchsvolle Denkmäler die vorherrschende Schrift, wie z.B. dieWerkgruppe um das Brettener Ried-Epitaph von 1617 (nr. 371) zeigt. Ihre ausgesprochen feinlinige und doch kraftvoll wirkende Schrift erhält ein besonderes Schmuckelement durch die Verwendung überhöhter Anfangsbuchstaben in jedem Wort.

Die gotische Minuskel

Die gotische Minuskel als die typische Monumentalschrift der Spätgotik kommt im Bearbeitungsgebiet mit allen ihren Erscheinungsformen vor und setzt bereits zusammen mit der gotischen Majuskel auf den ersten überlieferten Denkmälern ein. Das älteste ist zwar nicht mit Sicherheit datierbar, jedoch aufgrund stilistischer Erwägungen um 1360/70 anzusetzen (nr. 11); der besondere Rang der Gattung des Stifter-Hochgrabes mit der Stifterfigur in Hochrelief mag die Wahl der neuartigen Schrift beeinflußt haben. Noch im 14. Jahrhundert folgen drei weitere Grabsteine mit Minuskel-Umschriften (nrr. 9, 15, 18). Ab 1400 hat die gotische Minuskel die Majuskel bereits weitgehend verdrängt und bleibt bis weit ins 16.Jahrhundert hinein die vorherrschende Schrift für alle monumentalen Aufgaben, wobei in ländlichen Gegenden in der Spätzeit auch Mischschriften mit kursivem Einschlag oder mit Frakturcharakter vorkommen (nrr. 193, 200). Dieser Befund deckt sich mit den in den Nachbargebieten gemachten Beobachtungen. Nach der strengen, kurz und breitfüßig wirkenden Frühstufe (nrr. 29, 31, 32, 34) ohne Versalien nimmt die Schrift um 1430/40 zunehmend Versalien auf, die zunächst dem Alphabet der gotischen Majuskel entnommen werden. Später erhalten die Versalien je nach Können der Werkstatt eine individuelle Ausgestaltung durch Zierstriche, Zähnung, schwalbenschwanzförmige Spaltung der Ober- und Unterlängen und Verdopplung des Anstrichs. Die Vorbilder sind in den Schmuckinitialen der Handschriften und Inkunabeln zu sehen.

Besonders sorgfältig ist die dekorative Gestaltung von Bauinschriften „offiziellen“ Charakters, deren hohe Qualität durch den Zusammenhang mit dem Speyerer Domkapitel zu erklären ist (nrr. 40, 44, 77). In einigen Fällen lassen sich mehrere Werke einer Werkstatt nachweisen, weil die Kriterien, die das Schriftbild ausmachen, unverwechselbar und sogleich zu erkennen sind, wie z. B. bei der Grabmal-Serie der Familie von Sternenfels in Kürnbach (nrr. 72, 85, 88) oder bei den Sulzfelder Kniegrabsteinen (nrr. 132, 133). Letztere sind Arbeiten eines Heidelberger Anonymus, dessen Inschriftschöpfungen – als mehrzeiliger Schriftblock auf einem illusionistisch am Rand sich einrollenden Pergamentblatt komponiert – besonders qualitätvoll sind. Hier erscheint das sog. runde r neben dem bis dahin üblichen geraden r (Schulter-r) (nr. 133). Ausgesprochene Spätformen der Minuskel zeigen die Grabmäler der Werkstatt der Flehinger Rittergrabmäler von 1542 (s. oben S. XXV und nrr. 180, 181). Die Grabmäler der Frauenalber Äbtissinnen (nrr. 172, 258, 322) halten bis zum späten 16. Jahrhundert nicht nur am Schema des mittelalterlichen Äbtissinnengrabsteins fest, sondern auch an der Verwendung der gotischen Minuskel, die besonders bei nr. 258 eine übertrieben steile, manirierte Formgebung zeigt.

Für die Glockeninschriften des Bearbeitungsgebietes ist fast ausschließlich die gotische Minuskel benutzt worden. Die älteste Glocke von 1412 in Menzingen (nr. 26) mischt noch in willkürlicher Weise Minuskel- und Majuskel-Lettern auch im Wortinneren. Die Glocken der Speyerer Werkstatt des Georg von Guntheim (nrr. 66, 83, 103) und der Heilbronner Werkstatt des Bernhard Lachaman (nrr. 145, 147) tragen voll ausgebildete, in der Gestaltung für die jeweilige Meisterhand typische Minuskelschriften. Besonders bemerkenswert ist die Glocke von 1468 in Kleinsteinbach (nr. 59); sie konnte nicht zuletzt aufgrund ihrer charakteristischen Inschrift in der Form der Band-Minuskel als Werk der lothringischen Werkstatt der Lamprecht erkannt werden. Noch die Glocke von 1598 von Wolfgang Neidhart (I) verwendet neben der Kapitalis die Minuskel (nr. 315).

Die Inschriften-Fraktur

Überraschenderweise ist die Fraktur im Untersuchungsgebiet mit 28 Exemplaren relativ zahlreich vertreten, wenn man bedenkt, daß diese komplizierte Schriftform besondere Anforderungen an die ausführenden Steinmetzen stellte und daher in den Nachbargebieten gegenüber der Renaissance-Kapitalis deutlich in der Minderzahl blieb. Bekanntlich ist diese Minuskelschrift ursprünglich als Buchschrift konzipiert worden und wurde schließlich im 16. Jahrhundert zu einer der führenden Druckschriften; in der Monumentalschrift hatte sie stets untergeordnete Bedeutung104). Da die Inschriften-Fraktur – wie sie zur Unterscheidung von der Druck-Fraktur genannt werden sollte – selbst in ihrem Zentrum Nürnberg erst in den Jahren 1533, 1539, 1541 und 1543 zögernd auf Grabmäler übertragen und zunächst ausschließlich in Metallguß ausgeführt wurde105), sonst aber erst nach der Jahrhundertmitte zu finden ist, kommt der Ettlinger [Druckseite XXXI] Gedenkinschrift von 1542 (nr. 179) auf Sandstein besondere Bedeutung zu. Ein weiteres, ebenfalls meisterhaft gestaltetes Beispiel ist die Bauinschrift eines Speyerer Kanonikers in Bruchsal, datiert 1562 (nr. 223); ihre Schleifenverzierungen sind vermutlich Vorlagen aus Schreibmeister-Alphabeten zu verdanken. Seit den 1580er Jahren hat die Leonberger Werkstatt des Jeremias Schwarz (s. oben S. XXVIf.) – vielleicht unter dem Einfluß des Heidelberger Hofes? – eine besondere Form der Inschriften-Fraktur entwickelt, die an den großen Epitaphien allein oder zusammen mit der Renaissance-Kapitalis auftritt und vorzugsweise für deutschsprachige Texte verwendet wird. Diese Schrift wirkt in ihrer engen Führung mit wenigen Versalien und durch den Verzicht auf besondere Schmuckformen eher trocken und sachlich als dekorativ; sie ist geradezu ein Erkennungszeichen der reifen Spätwerke der Werkstatt (nrr. 314, 339, 352). Dies unterstreicht ein Vergleich mit den reicheren Schriftformen der Sulzfelder Grabmäler von 1620 (nr. 381) und 1628 (nrr. 398, 399), deren Schriftbild untereinander deutlich unterschieden ist, jedoch gegenüber der Leonberger Werkstatt durch die Verwendung zahlreicher prachtvoll gezeichneter Versalien viel bewegter wirkt. Die gegen Ende des Untersuchungszeitraums entstandene Fraktur des einzigen gemalten Epitaphs von 1632 (nr. 407) ist trotz des leichter zu handhabenden Schreibstoffes der Farbe keineswegs reicher gestaltet als die Fraktur in Stein und geringer in der Qualität der Ausführung.

Die humanistische Minuskel

Die in der Monumentalschrift in Deutschland seltene, in Italien aber schon im frühen 15. Jahrhundert häufiger verwendete humanistische Minuskel ist im Kreis Karlsruhe zweimal vertreten. Besonders auffallend ist das frühe Vorkommen an dem spätgotischen Altarkreuz von 1450/70 (nr. 60); bisher wurde nicht gesehen, daß es auf seinen Kreuzarmen drei Spruchbänder mit der humanistischen Minuskel mit einem Spruchband mit gotischer Minuskel vereint. Dies stützt die auch vom stilistischen Befund her wahrscheinliche These, daß der heutige Zustand des Kreuzes Ergebnis einer noch in spätgotischer Zeit – um 1470 – notwendig gewordenen Reparatur ist, wobei die Spruchbänder mit der humanistischen Minuskel entstanden sein können. Nördlich der Alpen scheint diese Schrift zum ersten Mal in monumentaler Form am Ulmer Chorgestühl (1469/74) für die Schrifttafeln unter den Büsten der Propheten und Sibyllen gebraucht worden zu sein106). Auch in Mainz ist diese, von Bauer107) als „Minuskel von humanistischer Prägung“ bezeichnete Schrift schon in spätgotischer Zeit an zwei Grabmälern von 1484 und 1485 von der Hand des Adalbert-Meisters nachzuweisen108). Vereinzelte Beispiele am Ausgang der Spätgotik sind Beischriften auf den Flügeln des Salemer Altars von Bernhard Strigel, entstanden 1507/8109), dort mit anderen Schriftarten, die mit höchster Raffinesse von Flügelbild zu Flügelbild wechseln, vereint; ferner begegnet diese Schrift auf dem Grabmal des Philipp von Weinsberg (gest. 1506) und seiner Gemahlin Anna von Stoffelsheim (gest. 1509) in der Klosterkirche Schöntal (Hohenlohekreis) sowie auf dem Taufstein des Christoph von Urach in der Uracher Amanduskirche, datiert 1518110). Eine systematische Überprüfung der Inschriftendenkmäler aus ausgesprochen humanistisch ausgerichtetem Milieu würde die Zahl der Beispiele vermehren111). Offensichtlich ist diese Schrift mehr als andere Schriftarten an einen ganz bestimmten, humanistisch gebildeten Auftraggeberkreis gebunden gewesen. Das gilt auch noch für die Beispiele aus dem 16. Jahrhundert, obwohl diese Schrift zunächst durch Schreibmeister in vielen Varianten aufgenommen und dann durch die bedeutendsten Schriftgießer im Buchdruck eine weite Verbreitung erfuhr. R. M. Kloos hat die Geschichte der humanistischen Minuskelschriften seit Petrarca (1304–74) für die Paläographie der Handschriften und der Druckkunst ausführlich dargelegt112). Über die weitere Entwicklung dieser Schrift in der Inschriften-Paläographie des 16. und 17. Jahrhunderts kann noch kein abschließendes Urteil gewagt werden, da das Studienmaterial noch zu spärlich ist. Jedenfalls konnte R. Neumüllers-Klauser für Heidelberg eine erst 1546 einsetzende Reihe von Denkmälern für den Auftraggeberkreis der Universität nachweisen113). Im Bearbeitungsgebiet ist als einziges Werk des 16. Jahrhunderts das Bruchsaler Mespelbrunn-Epitaph von 1560 (nr. 220) anzuführen. Dieses hervorragende Werk einer noch nicht genauer [Druckseite XXXII] zu lokalisierenden Gießer-Werkstatt zeigt die humanistische Minuskel in ihrer späten Ausprägung. Diese gerundete Schrift von fließendem Duktus erlebte erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine Blütezeit in einer Reihe von Epitaphien, die zeitlich unmittelbar an den Untersuchungszeitraum anschließen und eine Variante der humanistischen Minuskel in Kursivform tragen114).

Zitationshinweis:

DI 20, Großkreis Karlsruhe, Einleitung, 6. Die Schriftformen der originalen Inschriften (Anneliese Seeliger-Zeiss), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di020h007e002.

  1. 95.Vgl. DI. XII (Heidelberg), Einleitung S. XVIII (ohne Berücksichtigung des Heidelberger Stadtgebietes, für das andere Ergebnisse gelten); DI. XVI (Mannheim, Sinsheim) S. XVI»
  2. 96.Wie sehr die epigraphischen Gegebenheiten in weiter voneinander entfernten Gebieten unterschieden sind, zeigt sich an der Tatsache, daß das Bearbeitungsgebiet keine einzige Inschrift ausweisen könnte, wenn hier die Richtlinien der französischen und schweizerischen Inschriften-Forschungsunternehmen zugrunde gelegt würden, die vorläufig nur vor dem terminus ante „1300“ entstandene Denkmäler bearbeiten; vgl. CIFM u. CIMAH (Titel im Literaturverzeichnis). »
  3. 97.Die ältesten Beispiele sind in Basel (1433) und Mainz (1484) anzutreffen; es folgen zwei Bauinschriften in Dossenheim b. Heidelberg (um 1485); vgl. DI. XII (Heidelberg) S. XX u. nr. 138, 139; DI. II (Mainz) nr. 206. Ferner ist die Stifterinschrift des Bischofs und Heidelberger Kanzlers Johann Kämmerer von Worms gen. von Dalberg von 1488 im Wormser Domkreuzgang (heute Dom) zu nennen; vgl. R. Kautzsch, Der Dom zu Worms. Berlin 1938, 186ff. Das nächste Beispiel entstammt der Glasmalerei der Heidelberger Konberger-Werkstatt: die 1499 datierten Stifterscheiben der Hohenlohe in der Stadtkirche Langenburg (Hohenlohekreis); vgl. CVMA II 1, LIX u. Abb. 41. »
  4. 98.Grundlegend dazu: Kloos, Epigraphik 153ff. (mit weiterführenden Literaturangaben). »
  5. 99.Vgl. Kat. d. Ausst. Spätgotik am Oberrhein 332ff. u. Abb. 263; F. Wielandt, Badische Münz- u. Geldgeschichte. Karlsruhe 19732, 65, m. zahlr. Abb. »
  6. 100.Zuerst beschrieben von Bauer, Epigraphik 7; neuerdings dazu Kloos, Epigraphik 156. – Zu der neuen Definition vgl. J. L. van der Gouw, in: Nederlands Archievenblad 20 (1966) 90; Hinweis von R. Neumüllers-Klauser. »
  7. 101.Bauer a. a. O.; ders., in: DI. II (Mainz) Einl. S. (66).; Kloos, Epigraphik 156. »
  8. 102.Zahlreiche Beispiele auf verschiedenem Werkstoff im Kat. d. Ausst. Friedrich III. Wiener Neustadt 1966. Im vorliegenden Zusammenhang interessieren besonders die Grabschriften der Werkstatt des Nicolaus Gerhaerts für Kaiserin Eleonore (1469) und Kaiser Friedrich III. (entst. 1467–73?); ebd. nrr. 151, 204. »
  9. 103.Ein weiterer Beleg aus der Markgrafschaft ist die Stifterinschrift der Lichtentaler Äbtissin Margret Markgräfin von Baden von 1489 auf einem Flügel des ehemaligen Lichtentaler Hochaltars, jetzt Karlsruhe, Kunsthalle; vgl. J. Lauts, Schwäbischer Meister 1489. Bildhefte d. Staatl. Kunsthalle Karlsruhe 1. Karlsruhe 1966, 10f. m. Abb. »
  10. 104.Grundlegend Kloos, Epigraphik 141ff.; P. Zahn, Beiträge zur Epigraphik des sechzehnten Jahrhunderts. Kallmünz 1966; ders., in: DI. XIII (Nürnberg) S. XIXff. »
  11. 105.Ebd. XXIII u. nrr. 318, 437, 475, 528»
  12. 106.Dazu zuletzt: W. Deutsch, Der ehemalige Hochaltar und das Chorgestühl. In: 600 Jahre Ulmer Münster. Ulm 1977, 242ff. »
  13. 107.Vgl. DI. II (Mainz) Einleitung S. (65). »
  14. 108.Ebd. nrr. 209, 955»
  15. 109.Kat. d. Ausst. Spätgotik am Oberrhein Nrr. 170–175 m. Abb. »
  16. 110.Vgl. A. Schahl, in: Württembergisch Franken NF. 40 (1966) 105ff. mit Abb.; ferner Deutsche Kunstdenkmäler. Ein Bildhandbuch. (3.) Baden-Württemberg. Darmstadt 1970, Abb. 327. »
  17. 111.Hier sind als Desiderata etwa die Inschriften von Straßburg, Basel, Konstanz oder Augsburg zu nennen; zu Basel vgl. M. Steinmann, Die humanistische Schrift und die Anfänge des Humanismus in Basel. In: Archiv f. Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- u. Wappenkunde 22 (1976) 376–437. »
  18. 112.Kloos, Epigraphik 143ff. »
  19. 113.DI. XII (Heidelberg) Einleitung S. XXII u. nrr. 251, 337, 338, 555, 557 usw. »
  20. 114.Eine Auswahl aus dem Bearbeitungsgebiet und seiner nächsten Nachbarschaft sind folgende Epitaphien: Sulzfeld, Engelhard Göler von Ravensburg (datiert 1655), Rosula von Angelloch (datiert 1656); Hemmingen (Kr. Ludwigsburg), Joh. K. Varnbühler (gest. 1657); Neuenbürg (Enzkreis), Sohn eines ev. Predigers (um 1650); Zavelstein (Kr. Calw), Kind des J. F. Buwinghausen v. Wallmerode (gest. 1666). – Abbildungen im Photo-Archiv der Heidelberger Inschriften-Kommission. »