1. Vorbemerkungen und Hinweise zur Benutzung

Die vorliegende Arbeit erfaßt die Inschriften der Stadt Hameln bis zum Jahr 1650. Mit eingeschlossen ist auch das Epitaph des Bürgermeisters Johannes Kulemann, der zwar vor 1650 gestorben ist, dessen Grabdenkmal aber erst 1666 gesetzt wurde. Aufgenommen wurden auch die Inschriften der St. Annen-Kapelle in Wangelist, da diese, ursprünglich als Leprosenkapelle gegründet, unmittelbar dem Stift St. Bonifatii unterstellt war und innerhalb der Hamelner Warten lag.1) Die Edition berücksichtigt sowohl original erhaltene als auch abschriftlich überlieferte Inschriften. Dabei ist Vollständigkeit angestrebt, sie kann jedoch aufgrund der unübersichtlichen Quellenlage kaum verwirklicht werden. Insbesondere bei den Hausinschriften ist damit zu rechnen, daß Restaurierungs- und Sanierungsmaßnahmen weitere heute nicht sichtbare Texte zu Tage fördern.2)

Die Aufnahme und Anordnung der Inschriften sowie die Einrichtung der einzelnen Artikel folgen den Richtlinien der Interakademischen Kommission für die Herausgabe der deutschen Inschriften. Dementsprechend wurden alle Inschriften aufgenommen, die nicht Gegenstand anderer Disziplinen wie der Sphragistik oder Numismatik sind. Jahreszahlen ohne weiteren Text sind am Schluß des Katalogs (Nr. 188) in einer Übersicht zusammengestellt. Hausmarken, Steinmetz- und andere Meisterzeichen wurden nur dann erfaßt, wenn sie im Zusammenhang von Inschriften vorkommen. Sie sind im Anhang wiedergegeben: Anhang 1 enthält die Hausmarken (Sigle H), Anhang 2 die Meistermarken (Sigle M) und Anhang 3 die Hausmarken des Krameramtspokals (Sigle HK). Die jeweilige Sigle verweist in Verbindung mit einer Nummer vom Artikel des Katalogteils auf die Zeichnung im Anhang.

Die Inschriften des Katalogteils sind chronologisch angeordnet. Die Kopfzeile enthält links die fortlaufende Nummer, der ein Kreuz hinzugefügt wird, wenn das Original verloren ist, in der Mitte die Angabe des Standorts, rechts die Datierung.

  • Für undatierte Inschriften wurde eine möglichst enge Bestimmung ihres Entstehungszeitraums versucht. Sie sind jeweils am Ende des ermittelten Zeitraums eingeordnet.
  • Konnte ein terminus ante oder post quem ermittelt werden, ist der Artikel vor oder hinter der Inschrift mit dem nächstliegenden Datum eingeordnet.
  • Eine genaue Datierung, die nicht aus der Inschrift selbst hervorgeht, ist durch runde Klammern gekennzeichnet, eine zweifelhafte Datierung mit einem Fragezeichen versehen.

Der erste Abschnitt eines Artikels enthält Angaben über den Inschriftenträger, dessen Material, die Überlieferungsgeschichte, den Platz der Inschrift und eventuell eine Beschreibung des ikonographischen Zusammenhangs.

  • Sofern sich auf einem Inschriftenträger mehrere Inschriften befinden, sind diese durch A, B, C usw. bezeichnet.
  • [Druckseite X] Die Beschreibung erfolgt vom Blickpunkt des Betrachters aus. Bei Wappen ist der heraldische Standort maßgeblich.
  • Bei kopial überlieferten Inschriften ist die zitierte Quelle angegeben.
  • Original überlieferten Inschriften stehen die Angaben über die Maße des Inschriftenträgers, die Buchstabenhöhe und die Schriftart voran. Bei Hausinschriften konnten in den meisten Fällen nur geschätzte Maßwerte angegeben werden. Die Angaben der Buchstabenhöhe orientieren sich an n und N.

Zur Wiedergabe des Inschriftentexts:

  • Eckige Klammern schließen Ergänzungen ein. Textverlust, der nicht ergänzt werden kann, ist durch leere eckige Klammern angedeutet. Das Ausmaß des Textverlusts wird durch eine den fehlenden Buchstaben schätzungsweise entsprechende Zahl von Punkten bezeichnet.
  • Runde Klammern enthalten aufgelöste Abkürzungen.
  • Der Schrägstrich markiert das Zeilenende.
  • Bögen unter der Zeile bezeichnen Ligaturen.
  • Spitze Klammern enthalten nachträglich auf dem Inschriftenträger angebrachte Texte, sofern diese noch aus dem Berichtszeitraum stammen.

Lateinischen Inschriften folgt unmittelbar eine Übersetzung. Bei metrischen Inschriften ist außerdem das Versmaß angegeben.

Der Kommentar behandelt die Inschriften unter inhaltlichen Gesichtspunkten. Je nach Problemlage ist er mehr oder weniger ausführlich. Da die meisten der hier edierten Inschriften bisher noch nicht für stadtgeschichtliche Untersuchungen ausgewertet worden sind, lag es nahe, die in den Bänden der Göttinger Reihe geübte Praxis des ausführlichen Kommentars auch für die Hamelner Inschriften beizubehalten.

Der Apparat gliedert sich in Buchstaben- und Ziffernanmerkungen.

  • Buchstabenanmerkungen beziehen sich auf textkritische Probleme, sie enthalten Varianten, weisen auf Unsicherheiten der Lesung sowie auf orthographische Besonderheiten der Überlieferung hin.
  • Ziffernanmerkungen enthalten Erläuterungen sowie Quellen- und Literaturnachweise.
  • Am Schluß des Artikels stehen in chronologischer Folge Nachweise der wichtigsten kopialen Überlieferungen und Abbildungen der Inschrift. Sofern das Original verloren ist, steht die Quelle, nach welcher der Text wiedergegeben wird, an erster Stelle.

2. Die Hamelner Inschriften im Zusammenhang von Stifts- und Stadtgeschichte

Das Stift St. Bonifatii3) wurde im Jahr 802 oder 812 als adlige Eigenkirche durch den im Weserraum begüterten Grafen Bernhard und seine Frau Christina gegründet (vgl. Nr. 11). Die Kirche sollte als Grablege des Grafenpaares dienen (Naß, S. 94, 133). Nach dem Tod des Grafen fiel sie an die Abtei Fulda. Von dort überführte man um 851 die Reliquien des hl. Romanus nach Hameln und baute die Kirche zu einem Fuldaer Filialkloster aus. Die monastische Phase dauerte jedoch nicht lange: Bereits im 10. Jahrhundert wurde das Kloster in ein Kollegiatstift umgewandelt (Naß, S. 168), aus den Mönchen wurden Stiftsherren, die sich nicht den strengen Regeln eines Ordens zu unterwerfen hatten. Für die Einkünfte der Stiftsherren standen 12 Vollpräbenden4) zur Verfügung, maximal 14 Kanoniker konnten mit einer Pfründe versehen werden (Naß, S. 153). Aus dieser frühen Zeit des Bonifatiusstifts sind außer dem Stein unter dem nordöstlichen Vierungspfeiler (Nr. 1) keine inschriftlichen Zeugnisse vorhanden, da 1209 ein Brand den größten Teil des Kirchenbaus und der Ausstattung zerstörte (Naß, S. 44). Nach dem Wiederaufbau wurde die Kirche spätestens 1241 neu geweiht und in diesem Zusammenhang der hl. Bonifatius zum Hauptpatron der Kirche erhoben, während das alte Romanus-Patronat nur noch für die Krypta galt. Der Anlaß für diesen Wechsel ist darin zu sehen, daß die Wahl des hl. Bonifatius als Patron die enge Beziehung zwischen der Hamelner Filialkirche und dem Mutterkloster Fulda betonte, wodurch mögliche Ansprüche des Bischofs von Minden auf das Stift abgewehrt werden konnten. Bis 1259 war das Bonifatiusstift als Fuldaer Filialkirche exemt, der Mindener Bischof hatte lediglich das Amt des geistlichen Oberherrn (Naß, S. 176). Während des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts gab es immer wieder Bemühungen der Filialkirche, sich vom Mutterkloster zu lösen. Ein ständiger Streitpunkt war dabei die Stiftspropstei, die bis zum Ende des 12. Jahrhunderts jeweils einem Fuldaer Mönch übertragen wurde, bis sie 1234 die Eversteiner Grafen vom Fuldaer Abt zu Lehen erhielten.5) Damit hatten die Grafen von Everstein sowohl die Propstei wie auch die Vogtei über Stift und Stadt in Händen. Die Emanzipationsbestrebungen der Hamelner Filialkirche in Verbindung mit der Finanznot des Mutterklosters veranlaßten 1259 den Fuldaer Abt Heinrich IV. von Erthal (1249–1261), seine Hoheitsrechte über Stift und Stadt Hameln für 500 Mark Silber an den Mindener Bischof Wedekind von Hoya zu verkaufen (vgl. Nr. 137). Gegen den aus diesem Verkauf resultierenden Herrschaftsanspruch der Diözesangewalt protestierten die Hamelner [Druckseite XI] Bürger und die Eversteiner Grafen. Der Bischof von Minden verteidigte seine Rechte, und es kam 1259 bei Sedemünder zum Kampf zwischen den bischöflichen Truppen und der Hamelner Bürgerwehr. Der Bischof gewann die Schlacht, während auf Seiten der Stadt Hameln große Verluste zu beklagen waren. Die Stadt bat daraufhin Herzog Albrecht von Braunschweig-Lüneburg um Hilfe. Dieser belagerte Minden und zwang dem Bischof unter anderem das Zugeständnis ab, die Stadt zur Hälfte dem Herzog zu überlassen.6) Die Vogtei sollte demnach künftig gemeinschaftlich von beiden ausgeübt werden. 1265 klärten dann die Grafen von Everstein ihrerseits die hoheitsrechtlichen Verhältnisse über Stift und Stadt Hameln mit dem Bischof von Minden (HUB I, 57). Dabei verpflichtete der Bischof die Eversteiner, den Besitz der Stadt Hameln keinesfalls in die Hände des Herzogs von Braunschweig fallen zu lassen (HUB I, 58). Bis zu diesem Zeitpunkt war die Macht des Mindener Bischofs und der Grafen von Everstein ungebrochen.

Das änderte sich 1274, als Bischof Otto von Minden die Besetzung der Stiftspropstei dem Hamelner Kapitel überließ und sich lediglich das Recht vorbehielt, den gewählten Propst absque difficultate zu bestätigen (HUB I, 70). 1277 verkauften die Eversteiner die Vogtei an den Welfen-Herzog und gaben damit ihren Einfluß in der Stadt Hameln ebenfalls auf. Im selben Jahr bestätigte Herzog Albrecht von Braunschweig die Rechte der Stadt (HUB I, 79) und besiegelte so für die Bürgerschaft weitgehende Freiheiten; u.a. bekam der Rat das Recht, einen Stadtschultheißen zu benennen; die Münz- und Zollregalien erhielt er vom Propst als Lehen. Am Ende der Auseinandersetzungen, die mit dem Verkauf des Stifts an den Bischof von Minden begonnen hatten, stand also die an allem nur peripher beteiligte Stadt als ein vom Landesherrn mit umfangreichen Freiheiten ausgestattetes Gemeinwesen da. Diese Freiheiten konnte die Stadt bis zur Reformation weiter ausbauen, nicht zuletzt deshalb, weil die welfischen Landesherren durch wiederholte, nicht ohne Kämpfe vollzogene Teilungen ihrer Erblande geschwächt waren.6) Die chronische Finanznot der Welfen führte dazu, daß Teilrechte – wie etwa die Vogtei – oder auch die ganze Stadt immer wieder an unterschiedliche Gewalten verpfändet wurden (HUB I, 117; 287; 304; 369 u. ö.). Dies brachte ständig wechselnde Herrschaftsverhältnisse mit sich, die der Stadt aber nicht schadeten, da Hameln sich aus den kriegerischen Auseinandersetzungen der jeweiligen Pfandinhaber weigehend heraushalten konnte. Die Stadt sicherte ihre Rechte und Freiheiten durch die Mitgliedschaft in mehreren Städtebündnissen, unter anderem trat sie 1360 dem sächsischen Städtebund bei, der das Ziel hatte, städtische Rechte gegen die Fürstengewalt zu wahren. 1426/1427 wurde Hameln offiziell Mitglied der Hanse, nachdem schon in der Mitte des voraufgegangenen Jahrhunderts Kontakte mit dem Hansebund bestanden hatten (HUB I, 433; 560; 564; 610). 1392 schloß Hameln einen Bündnisvertrag mit den Welfen-Herzögen Bernhard und Heinrich (HUB I, 701). In späterer Zeit trat die Stadt mehrfach als Geldgeber der Herzöge auf und sicherte sich auch dadurch ihre Machtposition (HUB II, 709) gegenüber dem Territorialherrn. Das Verhältnis zum Stift entwickelte sich in den drei Jahrhunderten vom Verkauf des Stifts bis zur Reformation ebenfalls zugunsten der Stadt. Das Stift mußte ständig darauf bedacht sein, seine angestammten Rechte gegenüber dem Magistrat geltend zu machen. 1351 verfügte der Rat, daß kein Bürger einem Geistlichen in der Stadt Haus oder Hof vererben oder verkaufen durfte (HUB I, 173). Wenige Jahre später nahmen die Streitigkeiten ein solches Ausmaß an, daß sich die beiden Parteien auf Schiedsrichter einigen mußten (HUB I, 173 … in arbitros convenire). Am Ende des 15. Jahrhunderts (1486/87) war der Magistrat bestrebt, auf Belange des Stifts Einfluß zu nehmen, indem er in einer langwierigen Auseinandersetzung mit dem Kapitel die Zustände in der Stiftsschule bemängelte und deren Leitung an sich zu bringen versuchte (HUB II, 559; 560; 561; 562). Dies gelang ihm jedoch nicht. Das einberufene Schiedsgericht entschied lediglich, daß die Schule wieder in den alten Zustand (… ad pristinum statum) kommen sollte (HUB II, 570). Die Hartnäckigkeit des Rates in diesen Auseinandersetzungen zeigt, daß kurz vor der Reformation dem ehemals beherrschenden Stift eine starke Bürgerschaft gegenüberstand, die darauf bedacht war, ihre Rechte auszudehnen. Grundlage für die starke Position des Magistrats in den Beziehungen zum Stift und zum Landesherrn war der wirtschaftliche Aufschwung, den die Stadt seit dem 13. Jahrhundert genommen hatte. Neben Getreide- und Fischhandel trug vor allem das Mühlengewerbe, das auch den Verkauf von Mühlsteinen einschloß, zu ihrem Reichtum bei.7)

Weitreichende Zollfreiheiten in Bremen, in der Diözese Minden, in Schaumburg und seit dem 15. Jahrhundert auch in Hildesheim begünstigten den Hamelner Handel. Nicht zuletzt dürfte auch die verkehrsgünstige Lage zum Wohlstand der Stadt [Druckseite XII] beigetragen haben. Sie lag zum einen an der schiffbaren Weser mit Brückenübergang, zum anderen an den beiden wichtigen Verkehrswegen, die von Paderborn über Elze nach Hildesheim und von den thüringischen Städten über Einbeck nach Bremen führten.

Neben dem Stift St. Bonifatii stand der Hamelner Bürgerschaft seit dem 12. Jahrhundert als zweite Pfarrkirche die Marktkirche St. Nicolai zur Verfügung. Sie wird 1239 zum ersten Mal urkundlich genannt (HUB I, 23), baugeschichtliche Erwägungen legen jedoch nahe, daß sie bereits in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts als schlichte, flachgedeckte Kapelle bestanden hat.8) Die frühesten inschriftlichen Zeugnisse (Nr. 3, 4) aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts sind wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Erweiterung zur gotischen Hallenkirche entstanden.9) Zum Stift St. Bonifatii stand die Marktkirche in einem Tochterverhältnis: der Pleban der Marktkirche mußte dem Dekan des Stifts Obedienz geloben und eine jährliche Korn- oder Geldabgabe leisten. Diese Abhängigkeit blieb bis zur Auflösung des Stifts bestehen. Als 1466 der Rat eine Orgel in der Marktkirche bauen lassen wollte, erhob das Kapitel Einspruch, der Landesherr schlichtete den Streit dann aber zugunsten des Rates, so daß die Orgel gebaut werden konnte.10) Für den Inschriftenbestand wirkt sich das Obedienzverhältnis zum Stift St. Bonifatii vor allem in einem Punkt aus: St. Nicolai hatte bis ins 17. Jahrhundert kein Begräbnisrecht, es gab also keinen Friedhof bei dieser Kirche und folglich auch keine Grabdenkmäler mit Inschriften. Über die mittelalterliche Ausstattung der Kirche ist kaum etwas bekannt (Nr. 30).

Im 15. Jahrhundert wurde außerhalb des vom Wall umgebenen Stadtgebietes an der Straße nach Pyrmont bei dem ehemaligen Dorf Wangelist ein Leprosorium gegründet.11) 1466 gestattete Bischof Albert von Minden den Provisoren des Siechenhauses, wegen der zu großen Entfernung vom Stift St. Bonifatii in Wangelist eine Kapelle zu errichten (HUB II, 407). Die Stiftung der Kapelle unter dem Patrozinium der hl. Anna geht auf den Aerzener Kirchherrn Johann Kreygenberg zurück (HUB II, 428). Über die Ausstattung der Kapelle teilt Sprenger keine Einzelheiten mit.12) Die wenigen nachgewiesenen Inschriften (Nr. 164) bezeugen Stiftungen Hamelner Bürger für die Kapelle. Sie stammen allerdings erst aus nachreformatorischer Zeit, in der das ehemalige Leprosorium bereits in ein Armenhaus umgewandelt worden war. Geistlich betreut wurde die Kapelle vom Bonifatiusstift, dessen jeweils jüngster Prediger den Gottesdienst zu halten hatte. Der Rat bestellte aus der Bäcker- und der Schuhmachergilde zwei Provisoren, denen die Aufsicht über das Siechenhaus anvertraut war (HUB II, 504). Die Zuständigkeiten für das Siechenhaus Wangelist zeigen exemplarisch, wie die Machtverhältnisse zwischen Rat und Stift kurz vor der Reformation verteilt waren: Alle weltlichen Angelegenheiten kontrollierte der Rat, während dem Stift nur der Gottesdienst blieb.

In den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts wurden in der Bevölkerung zunehmend Proteste gegen die Amtsführung der Stiftsherren laut.13) Störungen des katholischen Gottesdienstes durch de Dudeschen Lutherschen senge und leisen (HUB II, 738) sind für das Jahr 1538 urkundlich bezeugt, zum endgültigen Durchbruch der Reformation in Hameln kam es jedoch erst 1540 (HUB II, 743).14) Offenbar schufen erst die Ereignisse dieses Jahres die Bedingungen, unter denen sich die neue Lehre in Hameln durchsetzen konnte. In diesem Jahr nämlich starb der katholisch gesonnene Landesherr Erich d. Ä. von Calenberg-Göttingen. Die Herrschaft ging vormundschaftlich für den noch unmündigen Erich d. J. auf seine der lutherischen Lehre zugeneigte Mutter, Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Calenberg, über. Außerdem kehrte 1540 Justus von Walthausen von seinen Wittenberger Studien bei Luther und Melanchthon nach Hameln zurück, um das Amt des Syndicus zu übernehmen [Druckseite XIII] (Nr. 73).15)

Wahrscheinlich auf seine Anregung kam Magister Rudolf Moller aus Hannover nach Hameln und hielt am Katharinentag (25. November) die erste evangelische Predigt im Bonifatiusstift. Der Rat stand der neuen Lehre wohlwollend gegenüber und erließ um 1541 eine Willkür, daß in unsern kirchen, schulen undt gemeine die ware Augspurgische confessio (…) behalten werden sulle (HUB II, 743). Die Stiftsherren sperrten sich zunächst gegen die neue Lehre, sie überließen aber die Pfarrkirche der lutherischen Gemeinde und gewährten auch dem protestantischen Superintendenten, dem Pfarrer und dem Lehrer Unterhalt (HUB II, 745; 750). 1563 wurde Johannes Hornemann als erster Stiftsherr evangelisch (Nr. 79, A. 1), 1576 trat das gesamte Kapitel zur lutherischen Lehre über. Nach und nach wurden aus der Kirche die Altäre und andere mittelalterliche Ausstattungsgegenstände entfernt. An ihrer Stelle errichtete man nun Priechen (Nr. 72). Zur selben Zeit wurden große Epitaphien (Nr. 75, 78, 80 etc.) im Kircheninneren angebracht. Einen regelrechten Bildersturm wie in Goslar15) hat es allem Anschein nach in Hameln aber nicht gegeben. Ebenso lassen sich in der Überlieferung keine Indizien dafür finden, daß die reformatorische Bewegung von politischen und sozialen Forderungen der Bürgerschaft gegen den Rat begleitet war.16) Eine Durchsicht der Ratslisten (HUB II, S. 677–722) aus den einschlägigen Jahren ergibt, daß nach der Reformation dieselben Familien die Ratsmitglieder stellten wie vorher.17) Die Neuordnung des Stadtregiments, wie sie in Lüneburg und in Göttingen im Zusammenhang der Reformation zu beobachten ist,18) hat in Hameln allem Anschein nach schon wesentlich früher – zu Ende des 14. Jahrhunderts – stattgefunden.19) Überhaupt konnte die Reformation zu diesem späten Zeitpunkt ohne große Konflikte eingeführt werden, da die drei beteiligten Kräfte – Bürgerschaft, Rat und Landesherrin – einvernehmlich dieselben Interessen verfolgten.

Die Zeit von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg war für Hameln gekennzeichnet von einem allgemeinen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Gegenüber dem Territorialherrn konnte die Stadt ihre Machtposition aufgrund ihres Wohlstands weiter ausbauen, da der Landesherr ständig in Geldnöten war und der finanziellen Unterstützung durch die Städte bedurfte (HUB II, 782, 797, 798). Die Zahlungen erfolgten freilich nicht ohne Widerspruch,19) aber es gelang der Hamelner Bürgerschaft auf diese Weise, weitreichende Privilegien von den Calenberger Herzögen zu erwirken. Vor allem konnte die Stadt am lutherischen Bekenntnis festhalten,20) obwohl der Landesherr Herzog Erich II. von Calenberg-Göttingen, der mit Erreichen der Mündigkeit die Regentschaft von seiner Mutter Elisabeth übernommen hatte, dem katholischen Bekenntnis zuneigte. Ohne die Erlaubnis des Landesherrn einzuholen, besetzte der Magistrat nach der Reformation die Predigerstellen an St. Bonifatii und wandelte die ehemalige Stiftsschule in eine städtische Lateinschule um. Die Lehrerstellen wurden ebenfalls vom Rat vergeben.21) 1572 trat Hameln gemeinsam mit Hannover, Göttingen und Goslar aus der Hanse aus und gründete 1576 mit Hannover, Braunschweig, Göttingen, Einbeck und Northeim einen neuen Städtebund.22) Nach dem Tode Erichs d. J. im Jahr 1584 fiel das Herzogtum Calenberg und damit Hameln an Herzog Julius von Wolfenbüttel. Im Gegensatz zu dem politisch schwachen calenbergischen Haus gewährte der Wolfenbütteler Herzog den Städten für ihre regelmäßigen Geldbewilligungen keine neuen Privilegien, vielmehr mußten sie darauf bedacht sein, daß ihnen ihre alten Rechte erhalten blieben. Sie leisteten im Jahr 1585 einen Huldigungseid gegenüber dem welfischen Herrscher, selbständige Städtebündnisse wurden ihnen untersagt.23) 1589 starb Herzog Julius, und sein Sohn Heinrich Julius trat die Nachfolge an. Als dieser 1613 starb, waren die städtischen Selbstbestimmungsrechte weitgehend eingeschränkt. Die innerstädtische Entwicklung [Druckseite XIV] wurde dadurch indes kaum behindert. Auch Naturkatastrophen wie Hochwasser (Nr. 54), Brände und Mißernten,24) sowie die Pest (Nr. 70, 76, 96 u. ö.)25), die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Stadt mehrfach in Mitleidenschaft zogen, konnten die finanzielle Stabilität nicht ernsthaft erschüttern. Äußeres Zeichen für diese Prosperität ist der Bau des „Neuen Gebäudes“ – des Hochzeitshauses (Nr. 111) – , das in den Jahren 1610–1617 vor allem deshalb gebaut wurde, damit den Bürgern ein großer Festsaal für Feiern zur Verfügung stand.

Einen deutlichen Einschnitt in die wirtschaftliche Blüte der Stadt brachte der Dreißigjährige Krieg.26) Im Jahr 1622 wurde Hameln zum ersten Mal vom Kriegsgeschehen berührt, und der Rat beschloß die Anwerbung von Söldnern zum Schutz der Stadt. Bis 1624 konnte sich die Stadt noch von fremden Soldaten freihalten. 1625 trat dann König Christian IV. von Dänemark als Bündnispartner der norddeutschen Fürsten, also auch des Welfenherzogs Ferdinand Ulrich, in den Krieg ein. Er bezog am 14. Juli 1625 mit seinen Truppen in Hameln Quartier, verließ aber die Stadt nach einem Unfall bereits 14 Tage später27)

und ließ sie schutzlos zurück. Am 2. August besetzte daraufhin Tilly die Stadt mit kaiserlichen Soldaten. Die unmäßigen Forderungen der Besatzungstruppen riefen den Unmut der Bevölkerung hervor, die sich 1626 zu einer Verschwörung gegen Tilly entschloß. Der Plan scheiterte jedoch, und der Druck durch die Besatzung wuchs. 1629, nach dem Sieg Tillys über Christian IV. bei Lutter am Barenberg, schien die kaiserliche Partei auf der ganzen Linie siegreich, und der Kaiser erließ das Restitutionsedikt, das die Rückgabe aller nach 1552 in protestantischen Besitz gekommenen geistlichen Gebiete forderte. Da das Stift St. Bonifatii erst 1576 evangelisch geworden war, fiel auch Hameln unter dieses Edikt. Das Stift wurde rekatholisiert, die Jesuiten übernahmen die Schule, und der protestantische Propst Anton Walthausen (Nr. 158) wurde vertrieben. Doch mit dem Eingreifen des schwedischen Königs Gustav Adolf wendete sich das Kriegsgeschehen. Herzog Georg von Lüneburg trat zu den Schweden über mit dem Ziel, die welfischen Lande von Besetzung freizuhalten. Hameln war zu dieser Zeit noch immer Quartier der kaiserlichen Truppen, so daß der Landesherr die Stadt erst nach einer halbjährigen Belagerung einnehmen konnte. Die Kaiserlichen zogen ab, und das Stift St. Bonfatii wurde wieder protestantisch. Die Schule baute man unter dem Rektor Samuel Erich in den Jahren 1645/46 neu auf (Nr. 155ff.). Nach dem Abzug der kaiserlichen Truppen 1633 war Hameln am eigentlich Kriegsgeschehen nicht mehr beteiligt, gleichwohl mußte die Stadt weiterhin Kontributionszahlungen leisten. Am Ende des Krieges war sie finanziell schwer geschädigt und verlor durch die starke Position der fürstlichen Landesherren weite Teile ihrer städtischen Freiheiten.

Die meisten in diesem Abriß verzeichneten Ereignisse aus der Stadtgeschichte haben in den Inschriften keine oder nur undeutliche Spuren hinterlassen. Es stellt sich daher die Frage, worin der spezifische Wert inschriftlicher Zeugnisse für die Stadtgeschichtsschreibung im allgemeinen28) und für das Verständnis der Hamelner Verhältnisse im besonderen zu sehen ist. Als fruchtbar erweisen sich die Inschriften im besonderen Maße für die Personengeschichte der Stadt. Hier sind in erster Linie die Grabschriften ergiebig. Besonders die jüngeren, umfangreicheren Texte gehen meistens erheblich über das hinaus, was andere Quellen zu den einzelnen Personen oder Familien überliefern.29) Allerdings erschöpfen sie sich oft genug in äußeren Daten einer Biographie, wie z.B. der Zahl der Kinder, dem Namen der Ehefrau oder dem Todesjahr (Nr. 69, 131 u.a.). In günstigeren Fällen erfahren wir et-[Druckseite XV]-was über den Bildungsgang des Verstorbenen (Nr. 131 D, 133), die Zahl und Art seiner Ämter (Nr. 105, 131), die Todesursache (Nr. 116, 132, 136); nur selten wird hinter den stark formelhaften Grabschriften eine Persönlichkeit erkennbar.30) Außerdem ist der Personenkreis, über den aus Grabschriften etwas zu erfahren ist, eng begrenzt. Für Hameln sind dies nur die Kanoniker des Stifts St. Bonifatii, die Angehörigen der städtischen Oberschicht und einige wenige Adlige.

Über die personenbezogenen Daten hinaus lassen sich aus den Inschriften auch Anhaltspunkte gewinnen, die indirekt auf allgemeine historische Entwicklungen innerhalb des städtischen Gemeinwesens verweisen, so z. B. die Beziehungen zwischen Stift und Stadt. Bis zum Jahr 1500 stammen die Inschriften mit zwei Ausnahmen (Nr. 12 und 29) aus dem Stift St. Bonifatii und der Filialkirche St. Nicolai. Mehr als die Hälfte davon sind Grabschriften. Darin deutet sich eine der wichtigsten Funktionen des Stifts innerhalb der Stadt an. Auch wenn es, wie oben dargestellt, seit der Mitte des 13. Jahrhunderts deutlich an Macht verlor, behielt es seine Bedeutung, auch über die Reformation hinaus, als Begräbnisort.

Seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts nimmt der Anteil der Inschriften aus dem profanen Bereich erkennbar zu, und von da an spiegeln sich in den Texten sowohl aus dem kirchlichen als auch aus dem profanen Bereich die städtischen Verhältnisse viel deutlicher. In den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts klingen in den Inschriften die ersten Töne der neuen reformatorischen Lehre an. Das 1537 erbaute Haus des Bürgers Jürgen Fredebolt trägt schon vor der offiziellen Einführung des Augsburger Bekenntnisses einen der Kernsprüche der Reformation, das Bibelzitat des heren wort blift in ewichheit31) Im Jahr 1556 ließ der Hamelner Patrizier Johann Reiche drei niederdeutsche Bibelverse an seiner neu erbauten Renaissancefassade anbringen (Nr. 60). Neben diesem neuen Bibelbewußtsein sind noch andere Facetten des Gesamtphänomens Reformation in den Inschriften wiederzuerkennen. 1568 bezeugt ein Epigramm eine zeittypische Änderung in der Ausstattung der Pfarrkirche (Nr. 72): anstelle eines Altars wird eine Prieche, d.h. eine Empore, errichtet. Interessant ist aber nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form dieses Epigramms. Es ist in einem Horazischen Epoden-Versmaß verfaßt und bezeugt so ein mit der Reformation einhergehendes neues humanistisches Bildungsbewußtsein, das sich vielfach in den Grabschriften der Zeit (Nr. 65, 69, 74) wiederfinden läßt.32)

Weiterhin spiegeln die Inschriften des 16. Jahrhunderts die stadtgeschichtlich bedeutsamen Katastrophen wie Hochwasser (Nr. 54) und Hungersnot (Nr. 96). Insbesondere die im Abstand von wenigen Jahrzehnten immer wieder auftretende Pest wird in den Inschriften vielfach erwähnt, in den Grabschriften tritt sie uns als am häufigsten genannte Todesursache entgegen (Nr. 71, 74, 116). Einzelne Hausinschriften (Nr. 70, 96, 98) bezeugen das Auftreten der Seuche für die Jahre 1566 und 1597. Außer diesen die Existenz der Bürger unmittelbar bedrohenden Geschehnissen hat nur noch ein zeitgenössisches Ereignis, das „Pyrmonter Wundergeläuf“, in den Inschriften Niederschlag gefunden (Nr. 40). Hingegen ist ein „historisches“ Ereignis, der fast 300 Jahre zurückliegende Hamelner Kinderauszug, seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in Inschriften bezeugt. 1556 nimmt eine lateinische Inschrift am Stadttor (Nr. 45) darauf Bezug, 1617 ein deutscher Spruch am Hochzeitshaus (Nr. 111). Neben diesen städtisch-repräsentativen Publikationen des spektakulärsten Ereignisses der Lokalgeschichte finden sich ähnlich lautende historische Sprüche auch an privaten Gebäuden (Nr. 40, 107). Dies deutet daraufhin, daß sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts innerhalb der städtischen Oberschicht Hamelns ein Bewußtsein für die Bedeutung der eigenen Geschichte ausgeprägt hat.32) Insgesamt vermitteln die Inschriften an der Wende zum 17. Jahrhundert den Eindruck eines stark von humanistischen Einflüssen geprägten Stadtbürgertums. Hausinschriften bestehen oft aus la-[Druckseite XVI]-teinischen Sprichwörtern (Nr. 92, 108, 114) oder benutzen Bilder und Formeln aus der antiken Literatur (Nr. 114), viele Grabschriften sind in lateinischen elegischen Distichen verfaßt (Nr. 104, 115, 116, 118 u.a.), während nur ein einziges Grabgedicht in deutscher Sprache nachweisbar ist (Nr. 106). In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ändert sich nichts Wesentliches an den Inschriftentypen und -inhalten. Drei mit der Renovierung der städtischen Lateinschule im Zusammenhang stehende Inschriften (Nr. 155, 156, 157) weisen auf das christlich-humanistische Bildungsziel der Schule hin und zeigen damit eine der Voraussetzungen des stadtbürgerlichen Humanismus auf. Aus der Ereignisgeschichte ist die Pest von 1626 (Nr. 132) als Todesursache in einer Grabschrift erwähnt, eine Hochwasserkatastrophe von 1643 (Nr. 151) wird durch eine Flutmarke bezeugt. Überraschend ist, wie wenig die Wirren und Nöte des Dreißigjährigen Krieges in den Texten thematisiert wurden. Obwohl der Tod des in Nr. 145 genannten Legaten Erdwin Hermeling und vielleicht auch der des Soldaten Eilhard Fockerelle (Nr. 170) in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen standen, nehmen beider Grabschriften keinen ausdrücklichen Bezug auf den Krieg. Lediglich eine 1646 verfaßte Hausinschrift an der Kurie des Anton Walthausen, dessen Lebensweg mehrfach von den Kriegsereignissen in andere Bahnen gelenkt wurde, läßt die Erfahrung unsicherer Zeiten erkennen (Nr. 158).

3. Inschriften, Inschriftenträger und Überlieferung

Von den 188 Hamelner Inschriften entfallen 140 zu fast gleichen Teilen auf Hausinschriften und Grabinschriften. Eine dritte wesentlich kleinere Gruppe bilden die Texte auf kirchlichen Ausstattungsgegenständen, wozu hier auch die Vasa sacra gezählt werden. Da das Verhältnis zwischen originaler und kopialer Überlieferung in jeder der drei Gruppen verschieden ist und jede ihre eigene Überlieferungsgeschichte und einen eigenen Überlieferungszeitraum hat, sollen im folgenden die drei Inschriftengruppen je für sich behandelt werden.

3.1. Grabinschriften

Von den 74 Grabinschriften des Hamelner Bestands sind nur noch 30 original erhalten, die übrigen sind kopial überliefert. Die überwiegende Zahl der erhaltenen Grabsteine ist bei der letzten Renovierung im Jahr 1975 in das Innere des Münsters St. Bonifatii gebracht worden, allerdings nur einer von ihnen (Nr. 115) an seinen ursprünglichen Standort. Vier kleine Gedenksteine (Nr. 140, 146, 154, 161) befinden sich am originalen Platz außen an der südlichen Wand des Hohen Chores, einer (Nr. 74) am Haus Münsterkirchhof 2, fünf weitere im Museum (Nr. 69, 88, 106, 144, 149). Die heutigen Standorte der Steine können also keinen Eindruck von ihrer ursprünglichen Lokalisierung vermitteln. Dank der kopialen Überlieferung einer großen Zahl der Hamelner Grabschriften in den Collectanea des Magister Johann Daniel Gottlieb Herr läßt sich jedoch die um 1760 gültige Anordnung der Denkmäler rekonstruieren. Zwar entspricht diese nicht mehr in allen Fällen den mittelalterlichen Verhältnissen, sie dürfte jedoch – mit Ausnahme der Bodenplatten in der Kirche – annähernd den Befund vom Ende des Berichtszeitraums wiedergeben. Der überragende Wert der Herr’schen Sammlung liegt somit nicht nur in der Beschreibung der verlorenen Grabdenkmäler und der Überlieferung ihrer Inschriften, sondern auch darin, daß sie wichtige Informationen über die ursprünglichen Standorte der erhaltenen Grabdenkmäler enthält.

3.1.1. Kopiale Überlieferung der Grabinschriften: Die Sammlung Johann Daniel Gottlieb Herrs

In den Jahren 1757 bis 1763 legte der Hamelner Pastor primarius an St. Bonifatii, Johann Daniel Gottlieb Herr, seine „Collectanea zur Geschichte der Stadt Hameln“ an. Die 870 Folio-Seiten umfassende Handschrift ist eine „Sammlung des Stoffes zu einer Geschichte der Stadt Hameln“, in der „viele Kleinigkeiten, blos curiositatis gratia notiert“ worden sind.33) Sie enthält eine Auswahl von Quellen zur Gründungsgeschichte des Bonifatiusstifts neben einer aus Herrs aktuellem Erleben geschriebenen Chronik über das „Wohl und Wehe der Stadt Hameln im Siebenjährigen Krieg“.34) Eine Baugeschichte des 1610–1617 entstandenen Hochzeitshauses, des sogenannten „Neuen Gebäudes“, nimmt ein ganzes Kapitel ein; außerdem berichtet Herr über den Ort und den Erhaltungszustand der Warten und Mühlen der Stadt. Auch zum Hamelner Kinderauszug hat Herr (S. 685–699) Quellen zusammengestellt. Sein wesentliches Interesse galt aber der Geschichte der beiden Kirchen St. Bonifa-[Druckseite XVII]-tii und St. Nicolai, auf die er ausführlich und mit vielen Details eingeht. Er stellt die baulichen Verhältnisse dar und verzeichnet die zu seiner Zeit vorhandenen kirchlichen Ausstattungsgegenstände sowie die meisten Grabdenkmäler aus dem Kircheninneren, dem Kreuzgang und vom Münsterkirchhof mit ihren Inschriften. Ferner stellt er Listen der Hamelner Kanoniker, Pastoren, Organisten und Lehrer der Stiftsschule zusammen und bietet einen Katalog der in der Stiftsbibliothek vorhandenen Bücher (S. 847ff.). Die Collectanea erhalten also nicht nur Bedeutung als wichtigste kopiale Inschriftenüberlieferung, sie bieten darüber hinaus auch wesentliches Material für die Kommentierung der einzelnen Texte.

Überlieferungsgeschichte der Herr’schen Collectanea

Die handschriftlichen Aufzeichnungen des Magister Herr sind in den Jahren 1757 bis 1763 entstanden. Zwei Jahre nach Abschluß dieser Arbeit starb Herr im Alter von 37 Jahren. 1771 kaufte der Magistrat der Stadt Hameln aus dem Herr’schen Nachlaß die Originalhandschrift der Collectanea, die im Zweiten Weltkrieg nach Hannover ausgelagert und dort zerstört wurde. Vom Original sind zwei vollständige Kopien und wenigstens zwei Teilabschriften angefertigt worden, die im folgenden mit den Siglen Herr 1, 2, 3, 4 bezeichnet sind.

Die Handschrift Herr 1 wurde wahrscheinlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts vom Original abgeschrieben. Sie liegt heute in zwei Bände gebunden im Stadtarchiv Hameln unter den Signaturen MS 29 und 30. Die Abschrift gibt das Original vollständig wieder, die Lagepläne und Zeichnungen, die im Original wahrscheinlich vorhanden waren, sind jedoch nur zum Teil kopiert worden. Hinsichtlich der Inschriften ist die Abschrift vollständig und bis auf die durch zahlreiche Abschreibfehler entstellten lateinischen Grabschriften weitgehend zuverlässig.

Die Handschrift Herr 2 ist 1901 als Abschrift von Herr 1 im Hamelner Bezirksgefängnis entstanden. Ihr Auftraggeber war der stadtgeschichtlich interessierte Hamelner Bürger Georg Pflümer, aus dessen Nachlaß das Stadtarchiv 1944 die Handschrift erworben hat. Sie wird heute dort unter der Signatur MS 28 aufbewahrt. Der Text weist durchgehend Korrekturen auf, die von Pflümer selbst nach dem Vergleich mit der Originalhandschrift ausgeführt wurden. Diese Korrekturen werden ergänzt durch eine Errata-Liste am Schluß (S. 877).35) Aufgrund der Korrekturen, die aber keineswegs alle Fehler des Schreibers von Herr 1 tilgen, bietet Herr 2 an vielen Stellen den besseren Text. Leider hat Pflümer die Zeichnungen, die auch in Herr 1 fehlen, nicht nach der Originalhandschrift ergänzt, sondern – wie im Falle des „Siebenlinge-Steins“ (Nr. 106) – eine Photographie des aktuellen Zustands eingeklebt.

Die Handschrift Herr 3 ist eine Teilabschrift mit dem Titel „Beschreibung der Inschriften und Epitaphiorum, welche sich in dem vormahligen sogenanten Stifts Creutzgange befunden haben“. Sie enthält nur die Seiten 215 bis 225 der Collectanea. Soweit die Filiation auf der Grundlage der recht geringen Textmenge zu bestimmen ist, stammt diese Teilabschrift ebenfalls von Herr 1 ab. Der Schreiber hat die Vorlage getreu kopiert und nur wenige Lesefehler gemacht.36) Diese Handschrift weist in keinem Fall textkritisch relevante Abweichungen auf. Sie gehört heute zu den Beständen des Hauptstaatsarchivs in Hannover und hat die Signatur Hann. 75, Nr.154.

Die Handschrift Herr 4 ist ebenfalls eine Teilabschrift, die aber im Unterschied zu Herr 2 und 3 auf das Original Herrs zurückgeht. Sie ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, möglicherweise im Zusammenhang mit dem Besuch des hannoverschen Königs Georg V. in Hameln im Jahr 1855/56, für den auch Urkundenabschriften angefertigt wurden.37) Ihr Inhalt beschränkt sich auf die Teile der Collectanea, die unmittelbar mit dem Stift in Beziehung stehen. Heute gehört sie zu den Beständen des Archivs der Münsterkirche St. Bonifatii unter der Signatur Bon. A. 110. Die Abschrift Herr 4 bietet einen stark verdorbenen Text, der Schreiber hatte offensichtlich keine Kenntnisse des Lateinischen, und auch das Entziffern der deutschen Textteile seiner Vorlage bereitete ihm große Schwierigkeiten. Fehler des Typs Waggen für Wappen, coniax für coniux, Sander für Tandem lassen sich in unzähligen Varianten beobachten. Auch mit den Hamelner Familiennamen war der Schreiber offenbar nur unzulänglich vertraut, wie das Beispiel Musmanni statt Murmannus zeigt. Neben diesen evidenten Lesefehlern finden sich in Herr 4 jedoch einzelne Formen, die den Vorzug vor der übrigen Überlieferung verdienen. Beim Epitaph der Anna Falke (Nr. 118): statt sic in foemineo fax (Herr 1, 2, 3) liest Herr 4 sicher richtig sic in foemineo lux, desgleichen beim Epitaph des Johannes Falke (Nr. 118) metrisch korrekt sine iure. In der Grabschrift des Ambrosius Glandorp (Nr. 132) hat Herr 4 die inhalt-[Druckseite XVIII]-lich sinnvollere Variante viator abi anstelle von viator obi der übrigen Textzeugen. Die zitierten Fälle legen den Schluß nahe, daß Herr 4 nicht die Schreibfehler von Herr 1, 2, 3 tradiert, sondern direkt auf die Originalhandschrift Herrs zurückgeht. Dies wird bestätigt durch die Tatsache, daß nur Herr 4 die Inschrift des Epitaphs der Familie Römer, des sogenannten Siebenlinge-Steins (Nr. 106), überliefert. Nach Auskunft Spanuths war diese im Original auf einem in die Handschrift eingelegten Zettel aufgezeichnet38), der bei der Abschrift von Herr 1, 2, 3 vermutlich unberücksichtigt geblieben ist.

Hinweise zur Edition der bei Herr überlieferten Inschriften

Der für die Überlieferung von Inschriften ungewöhnliche Fall einer Aufzeichnung der Texte in vier Handschriften macht gewisse Vorüberlegungen für die Edition notwendig. Wie in allen Bänden der Reihe ‚Die Deutschen Inschriften‘ gilt auch für die Edition der Hamelner Inschriften, daß bei kopial überlieferten Texten fehlerhafte Stellen gebessert werden. Die Lesarten der Überlieferung sind in diesen Fällen im Apparat vermerkt. Um jedoch den Apparat von unnötig vielen nichtssagenden Schreibervarianten zu entlasten, habe ich jeweils nur die der beiden auf das Original zurückgehenden Handschriften Herr 1 und Herr 4 berücksichtigt, wenn es sich um Differenzen handelt, die keine inhaltliche Abweichung anzeigen. Sofern Herr 1 und Herr 4 übereinstimmen, steht „Herr“ hinter den Lesarten, da diese aller Wahrscheinlichkeit nach aus Herrs Original stammen. Bei sinntragenden Varianten oder in Zweifelsfällen sind sämtliche Lesarten der Handschriften Herr 1–4 mitgeteilt.

3.1.2. Standorte der Grabdenkmäler um 1760

Die schriftlichen Aufzeichnungen Herrs enthielten ursprünglich offenbar mehrere Zeichnungen einzelner Inschriftenträger und zwei Lagepläne, die den Ort der Grabdenkmäler in der Kirche und im Kreuzgang angaben. Von diesen Plänen ist nur noch der des Kreuzgangs erhalten, der Plan des Kircheninneren ist entweder nie angelegt worden oder im Laufe der Überlieferungsgeschichte verlorengegangen. Daher können über den Ort der Grabdenkmäler in der Kirche keine exakten Angaben mehr gemacht werden. Da Herr jedoch die Texte in der Folge eines Rundgangs, der im südlichen Seitenschiff in der Vierung beginnt, aufgezeichnet hat, lassen sich aus der Reihenfolge und aus seinen knappen Angaben zur Lokalisierung in den meisten Fällen die ehemaligen Standorte der Inschriftenträger erschließen. Bei den Grabdenkmälern vom ehemaligen Münsterkirchhof ist dies hingegen nur ausnahmsweise möglich.

Grabdenkmäler im Kircheninneren

Unter der Überschrift „De monumentis sepulchralibus in ecclesia St. Bonifacii Hamelensis“ führt Herr S. 137ff. die folgenden Grabdenkmäler auf:

(Hinweis: Die laufende Numerierung stammt von Herr, die Nummern haben sich auf einen Lageplan bezogen, der verloren ist. Ein * nach der Nummer kennzeichnet Grabdenkmäler, die außerhalb des Berichtzeitraums entstanden sind. In runden Klammern steht die Nummer des entsprechenden Artikels im Katalogteil dieser Arbeit.)

1.* Johann Friedrich Schwartz † 1690, Anna Katharina Kerckmann, Holzepitaph.

2. Ernst von Reden † 1589 (Nr. 87). Das Epitaph war nach Angaben Herrs über dem sogenannten Stiftsstuhl an der Mauer angebracht. Demnach muß es sich in unmittelbarer Nähe des Spruchbands (Nr. 20) im südlichen Seitenschiff befunden haben.

3. Jobst Reiche † 1587 (Nr. 84).

4. Jacobus Niehus † 1588 und Engel Hostmann (Nr. 85). Die Grabschrift war auf einer an einem Pfeiler befestigten Tafel ausgeführt.

5. Cunradus Reiche † 1626 (Nr. 133).

6.* Godofredus Ludwig † 1709. Das Epitaph war an einem Pfeiler befestigt.

7. Hieronymus Justus Hake † 1615 ? (Nr. 115). Das Epitaph war nach Angaben Herrs an einem Pfeiler befestigt, möglicherweise an demselben nordöstlichen Vierungspfeiler, an dem es heute angebracht ist.

8. Ilse von Reden † 1571 (Nr. 75). Die Grabschrift war auf einer an einem Pfeiler befestigten Tafel ausgeführt.

9. Johannes Reimerdes † 1576 (Nr. 78).

10. Justus und Katharina Murmann, vor 1632 ? (Nr. 136). Das Epitaph hing an einem Pfeiler.

11.* Johann Bernhard von Meucheln † 1678.

12.* Friedrich Ludwig Reiche † 1703, ein „prachtvolles großes Epitaph aus Holz an einem Pfeiler befestigt“.

[Druckseite XIX]

13. Johannes Bock † 1620 (Nr. 122). Das Epitaph war an einem Pfeiler neben dem Altar befestigt.

14. Heinrich Jürgen Reiche † 1627 (Nr. 134). Die Grabplatte war an der Mauer befestigt.

15. Lambertus Hermann † 1567 (Nr. 71). Das Epitaph war über dem des Rudolf von Holle an der Mauer angebracht.

16. Rudolf von Holle †1560 (Nr. 65).

17. Hans von Wingenrat †1547 (Nr. 49).

18. Familie von Helversen (Nr. 171). Das Holzepitaph befand sich an der Kapelle St. Johannis über dem Altar.

Grabdenkmäler an den Außenwänden der Münsterkirche

Herr beginnt seine Aufzeichnungen über die Grabdenkmäler, die sich an den Außenwänden der Kirche befunden haben, auf der Südseite, etwa dort, wo der Kreuzgang an die Kirchenmauer anschloß. Er nennt zunächst das Rupertische Epitaph von 1703, das in Form einer Pyramide gestaltet war und nahe der Kirche gestanden hat (Herr, S. 161). Dahinter war auf einem an der Wand befestigten Stein die Grabschrift des Johannes de Unne von 1558 (Nr. 63) angebracht, neben der Kirchentür auf einem kleinen Stein die Grabschrift der Anna Elisabeth Reiche von 1655, „hieneben auf einem kleinen Stein folgendes: Anna Margareta Elisabeth Catharina anonyma puella“. An der Bibliothek – der heutigen Elisabethkapelle – befand sich das große Epitaph der Familie Falke (Nr. 118), in der Kirchenmauer unterhalb des Hohen Chors die noch heute dort befindlichen Grabsteine der Familie Feltmann/Prätorius (Nr. 140, 146, 154). In die Ostwand war das Grabdenkmal der 1655 verstorbenen Anna Elisabeth Ludewig eingelassen, daneben, nach Norden zu, das Begräbnis der Familie Prätorius, das vorher der Familie Pole gehört hatte. An der Nordwand war an einem Pfeiler außen am Kapitelsaal das Epitaph des Johannes Havergo (vgl. Nr. 83) angebracht, desgleichen das Epitaph des Johannes Kulemann (Nr. 187). Zwischen diesen Pfeilern befand sich das mit einem eisernen Gitter umschlossene Rodewaldsche Begräbnis. Neben dem zweiten Pfeiler waren zwei ovale Bleche mit den Grabschriften des Melchior Westerholz und der Catharina Gehrdes angebracht, die außerhalb des hier erfaßten Zeitraums liegen. Am dritten Pfeiler hing das Tuntesche Epitaph (Nr. 80). Ebenfalls an der Nordwand, direkt gegenüber dem großen Kruzifix (Nr. 41), befand sich das Grabmal der Katharina Vogedes (Nr. 74).

Grabdenkmäler an der ehemaligen Stiftsschule

An der Schule befanden sich an der östlichen Außenwand folgende Epitaphien:38)

1. Epitaph der Familie Hagemann, nach 1600 (Nr. 105)

2. Epitaph der Familie Frese (Friesen), 1626 (Nr. 131)

3. Johann Moritz Spilcker † 1644 (Nr. 153)

4. Lucia Margreta Spilcker † 1643 (Nr. 152)

5. Epitaph der Familie Grund, nach 1623 (Nr. 128)

6. Adelheid von Walthausen † 1574 (Nr. 77)

Grabdenkmäler im Kreuzgang

Der Kreuzgang war spätestens seit 1330 (vgl. Nr. 5) Begräbnisstätte für Stiftsherren. Seine erste urkundliche Erwähnung datiert von 1282 (HUB I, 88). Nach Herrs Beschreibung war er zweigeschossig angelegt und verband die Schule mit der Kirche, so daß die Schüler über das obere Geschoß durch die Johannes-Kapelle zum Gottesdienst auf den Hohen Chor gelangen konnten. Im Jahr 1763 wurde der Kreuzgang abgebrochen und das Material für die Befestigungsanlagen verwendet. Da man 1763 zunächst nur zwei Seiten des Kreuzgangs abgetragen hatte, machten die Stiftsangehörigen nach 1824 gegenüber dem Magistrat ihr Recht geltend, kostenlos im Kreuzgang unter der Schule bestattet zu werden. Aus gesundheitspolizeilichen Gründen hob der Magistrat dieses Recht spätestens 1831 auf und ordnete an, daß die Stiftsangehörigen künftig auf dem allgemeinen Friedhof beigesetzt werden sollten.39)

Zu Herrs Zeiten hieß der Kreuzgang „Patricienkirchhof“ und diente sowohl für die Stiftsangehörigen als auch für die Familien der städtischen Oberschicht als Begräbnisort. Nach Herrs Aufzeichnung, die unmittelbar vor dem Abbruch des westlichen und des östlichen Kreuzgangflügels stattgefunden hat, befanden sich dort folgende Denkmäler:

[Druckseite XX] (Die laufenden Nummern der nachstehenden Liste stimmen mit den Ziffern in der nebenstehenden Zeichnung überein und bezeichnen die Standorte der Epitaphien).

1. Werner Spilcker † 1566 (Nr. 69).

2. Severin Spilcker, Epitaph nach 1616 gesetzt (Nr. 116).

3. Anna Katharina Bartling † 1634 (Nr. 138).

4.* Heinrich Rhynfisch, Epitaph nach 1659 gesetzt.

5. Margareta Reiche † 1599 (Nr. 99).

6. Johann Reiche † 1529, Jost Reiche † 1545, Anton Reiche † 1552 (Nr. 55).

7. Johann Reiche, Dorothea Leist, Conrad Florichen, Epitaph nach 1600 gesetzt (Nr. 104).

8. Katharina Hedewig Reiche † 1614 (Nr. 113).

9. Dietrich von Halle † 1440 (Nr. 22).

10. Johannes Hornemann † 1578 (Nr. 79).

11. Heinrich Corrigiatoris † 1423 (Nr. 16).

12. Johann de Holtorpe † 1403 (Nr. 13).

13. Johannes von Pohle † 1395 (Nr. 8).

14. Heinrich Reiche † 1383 (Nr. 7).

15. Hermann Collemann † 1431 (Nr. 21).

16. Amelius Trecht † 1455 (Nr. 24).

17. Arnold von Bavensen † 1457 (Nr. 25).

18. Heinrich Schene † 1425 (Nr. 19).

19.* Johannes Rademin † 1671.

20. Johannes Unnesen † 1423 (Nr.18).

21. Heinrich Wulbeke † Ende 14. Jh. (Nr. 10).

22. Bertram Holthusen † 1423 (Nr. 17).

23. Ludolf Senepmole † nach 1419 (Nr. 14).

24. Bartold Pennick † 1528(?) (Nr. 43).

25. Hermann Scheffer † 1595 (Nr. 94).

26. Hans Leist † 1330 (Nr. 5).

27. Ludolf von Halle † 1530 (Nr. 44).

28. (...) Reimerdes † 1550 (Nr. 50).

29.* Justus Heinrich von Walthausen † 1707.

30.* Epitaph Nortmann † 1658.

31.* Katharina Nolte † 1672.

32. Hermann Sprengel † nach 1422 (Nr. 15).

[Druckseite XXI]

Grabdenkmäler auf dem Münsterkirchhof

Der Münsterkirchhof war bis zum Ende des Berichtszeitraums der einzige Begräbnisplatz für die Stadt. Die Marktkirche hatte aufgrund ihres bereits erwähnten Filialverhältnisses zum Stift St. Bonifatii kein Begräbnisrecht.40) Von den Gräbern auf dem Münsterkirchhof verzeichnet Herr nur die wenigen „merkwürdigen“, dazu gehören unter anderen das Epitaph des Thiele Römer, der sogenannte „Siebenlinge-Stein“ (Nr. 106), und das Epitaph des Ambrosius Glandorp (Nr. 132). Herrs selektive Wiedergabe der Grabschriften vom Münsterkirchhof läßt den Schluß zu, daß viele der bei ihm nicht verzeichneten Grabsteine, über deren Provenienz wir auch sonst nichts wissen, vom Münsterkirchhof stammen und von Herr bewußt übergangen wurden.

Aus den Angaben Herrs über die Anbringungsorte der Grabdenkmäler läßt sich zusammenfassend folgendes festhalten:

Der Kreuzgang gilt für die Zeit vor der Reformation als der den Stiftsherren vorbehaltene Begräbnisplatz. Unter den von Herr aus dem Kreuzgang überlieferten Grabschriften finden sich jedoch auch drei für Verstorbene, die offenbar nicht dem Stift angehörten (vgl. Nr. 5, 6, 44). Aus dem Kircheninneren überliefert Herr ausschließlich Grabdenkmäler der nachreformatorischen Zeit und auffälligerweise nur eine einzige in den Boden eingelassene Grabplatte (Nr. 127), die sich vor dem Aufgang zur Kanzel befunden hat. Daß der Boden der Münsterkirche mit Grabplatten bedeckt war, zeigt eine im Archiv der Münsterkirche aufbewahrte Zeichnung des Kircheninneren von 1850. Offenbar hat Herr die auf dem Boden befindlichen Grabplatten nicht verzeichnet. Er plante aber aller Wahrscheinlichkeit nach, auch diese aufzunehmen, denn er hat an der entsprechenden Stelle seiner Collectanea 15 Seiten freigelassen. Diese Lücke in den Herr’schen Aufzeichnungen läßt sich nicht aus einem Sprung in der Seitenzählung in den beiden vollständigen Abschriften erkennen, die neben einer eigenen Paginierung die des Originals beibehalten haben. Wahrscheinlich konnte Herr die Inschriften der Bodenplatten nicht aufnehmen, weil Kirchenbänke darauf standen.

Vom Münsterkirchhof überliefert Herr zu einem großen Teil Inschriften, die nicht mehr in den Berichtszeitraum gehören. Offenbar führte der Platzmangel auf dem Friedhof dazu, daß die Grabsteine schon nach wenigen Generationen entfernt und durch andere ersetzt worden sind.

3.1.3. Gestaltung der Grabdenkmäler

Die überlieferten Grabdenkmäler lassen sich hinsichtlich ihrer Form und Funktion in zwei Gruppen teilen: Grabplatten und Epitaphien. Grabplatten dienten – auch wenn sie heute oft senkrecht in die Wand eingelassen sind – zunächst als hochrechteckige Steinplatten zur Abdeckung des Grabes. Epitaphien sind Gedenksteine, die nicht in jedem Fall am Ort der Bestattung angebracht sein müssen.41) Der vorliegende Bestand umfaßt Epitaphien in verschiedenen Formen, von kleinen Tafeln bis hin zu großen, oftmals farbig gefaßten, meist mit einem Bildteil versehenen Steinmonumenten. Holzepitaphien42) sind im Bestand aus dem Berichtszeitraum nicht nachzuweisen, ebensowenig Metallgrabplatten. Die Grabdenkmäler, Platten wie Epitaphien, bestehen überwiegend aus Obernkirchener Kalksandstein.43) Die ältesten von Herr beschriebenen Grabdenkmäler stammen aus dem 14. Jahrhundert (Nr. 5, 6, 7, 8, 10). Diese frühen Beispiele lassen zwei Typen erkennen: zum einen kleinformatige Tafeln ohne bildliche Darstellungen und mit einer kurzen Inschrift, zum anderen Grabplatten, die meistens eine umlaufende Inschrift und ab 1383 (Nr. 7) im Innenfeld eine lebensgroße Darstellung des Verstorbenen tragen. Diesen zwei Gestaltungsformen entsprechen zwei verschiedene Inschriftentypen: Während sämtliche Inschriften auf den kleinen Tafeln lediglich den Ort des Begräbnisses anzeigen (Nr. 10, 14, 15, 17, 18 u.a.), folgen die der größeren Platten dem Typus NN obiit..., enthalten also die Todesnachricht und ein Sterbedatum (Nr. 5, 6, 7, 8, 13 etc.). Grabdenkmäler dieser Art sind bis zum Ende des Berichtszeitraums vielfach nachzuweisen (u.a. Nr. 79, 117, 134). Seit dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts begegnet neben der lebensgroßen Darstellung des Verstorbenen eine neue Gestaltung des Innenfeldes in der Form, daß der Tote in eine biblische Szene (Nr. 24), meist die Kreuzigung (Nr. 21, 22), als betende Figur eingefügt wird. Dieser Formtyp bleibt ebenfalls bis nach 1650 in Ge-[Druckseite XXIII]-brauch, wenn auch von der Mitte des 16. Jahrhunderts an seltener der einzelne Verstorbene (Nr. 133) als vielmehr die gesamte Familie unter dem Kreuz kniend dargestellt wird (Nr. 78, 106, 128). Das erste Epitaph mit einer Darstellung der Familie stammt aus dem Jahr 1566 (Nr. 69). Außer der Kreuzigung findet sich auf den Grabdenkmälern noch ein eng umgrenztes Repertoire von Szenen aus dem Leben Christi: Grablegung (Nr. 122), Auferstehung (Nr. 133), Himmelfahrt (Nr. 122) sowie das Jüngste Gericht (Nr. 71). Die Darstellung eines alttestamentlichen Stoffs (Jona im Walfisch) auf dem Epitaph des Justus und der Katharina Murmann (Nr. 136) ist singulär und sicher typologisch auf Christus bezogen zu verstehen.

Knapp zwei Jahrzehnte nach Einführung der Reformation in Hameln lassen sich um 1560 zum ersten Mal Stilelemente der Renaissance an den Grabdenkmälern erkennen, wie z. B. Begrenzungen des Bildteils durch Pilaster, Bekrönung der Epitaphien durch Giebel, Gliederung durch Gesimse sowie ornamentale Verzierungen aus geometrischen und floralen Elementen (Nr. 65, 69, 74, 78 etc.). Das früheste dieser Epitaphien (Nr. 65), das für den jungen Adligen Rudolf von Holle errichtet wurde, schreibt Neukirch dem Stadthagener Bildhauer Arend Robin zu.44) Von demselben Meister dürfte das zehn Jahre später entstandene, dem des Rudolf von Holle völlig gleich gestaltete Epitaph der Hamelner Patrizierin Katharina Vogedes (Nr. 74) stammen. Die gleichartige Gestaltung dieser beiden Epitaphien macht auf ein sozialhistorisches Phänomen aufmerksam: In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts läßt sich kein Unterschied mehr zwischen einem Grabdenkmal für einen Adligen und Angehörige des Stadtpatriziats erkennen; die bürgerliche Oberschicht benutzte in der Sepulkralkultur die gleichen Repräsentationsformen wie der Adel. Auch die Anbringung von Ahnenproben auf Grabsteinen ist seit der Mitte des 16. Jahrhunderts sowohl bei adligen (Nr. 65, 117) wie auch bei bürgerlichen Familien45) (Nr. 78, 105) üblich,46) lediglich die Darstellung des Verstorbenen in Rüstung blieb offenbar eine Eigenheit der Grabdenkmäler von Adligen (Nr. 117).

3.1.4. Form, Inhalt und Sprache der Grabschriften

Die Überlieferung der Grabschriften setzt im Hamelner Bestand mit dem Jahr 1330 (Nr. 5) ein. Bis 1560 sind die Texte sehr knapp in Prosa verfaßt und inhaltlich einförmig. Zwei Typen von Grabschriften lassen sich – entsprechend den im voraufgegangenen Kapitel beschriebenen Formtypen von Grabdenkmälern – unterscheiden:

  • die Totengedenkinschriften, die aus folgenden textlichen Elementen bestehen: NN obiit, Todestag, Todesjahr; ab 1383 (Nr. 7) kommt noch die formelhafte Fürbitte requiescat in pace hinzu.
  • die Grabbezeugungen, die nur den Ort des Grabes bezeichnen und den Namen des Verstorbenen, aber weder das Sterbe- noch das Grablegungsdatum enthalten (Nr. 10, 15).

Während die Grabbezeugungen nach 1428 (Nr. 20)47) nicht mehr belegt sind, läßt sich der Typus der Totengedenkinschrift bis zum Ende des Berichtszeitraums nachweisen, seit 1547 (Nr. 49, 55, 63 u. ö.) auch in deutscher Sprache.48) Die volkssprachigen Texte folgen im Aufbau genau den lateinischen Vorbildern, lediglich die Fürbitte requiescat in pace wird nicht ins Deutsche übersetzt. An ihre Stelle tritt von Beginn an als eigenständige deutsche Fürbittenformel Dem Gott gnade (Nr. 49).49) Bis 1650 sind die Grabschriften in Hameln überwiegend lateinisch.50) Auf 19 lateinische Vers- und 37 Pro-[Druckseite XXIV]-sagrabschriften kommen nur ein deutsches Versepitaph und 14 Prosagrabschriften in deutscher Sprache.

Nach der Reformation geht die Zahl der Totengedenkinschriften deutlich zurück, lediglich die Grabschriften für Kanoniker (Nr. 79, 83, 85, 94 u.a.) folgen weiterhin diesem überkommenen Muster. Im bürgerlichen Bereich setzt dagegen bald nach Einführung der lutherischen Lehre als neuer Typus das lateinische Grabgedicht ein, das gleichzeitig mit dem Auftreten von Stilelementen der Renaissance an den Grabdenkmälern in Erscheinung tritt. Das erste dieser humanistisch geprägten Grabgedichte findet sich auf dem Epitaph des Adligen Rudolf von Holle aus dem Jahr 1560 (Nr. 65), es folgen weitere für bürgerliche Familien und Einzelpersonen (Nr. 69, 74, 77, 78 u. a.). In vielen Fällen steht neben der Versgrabschrift ein kurzer Prosatext, der das Todesdatum angibt (Nr. 65, 74, 77, 132 u. a.). Die Grabgedichte sind, mit Ausnahme des Epitaphs für Margareta Reiche (Nr. 99), das aus fünf Phaläkeen besteht, in elegischen Distichen verfaßt. Von dieser formalen Gemeinsamkeit abgesehen, weisen die Grabgedichte keine einheitliche Gestaltung auf, wenn auch manche, zum Teil aus der antiken Grabschriftentradition geläufige Topoi Verwendung finden.51) Nahezu alle Grabgedichte beginnen mit einem formelhaften Lob des Verstorbenen: clarus, pius, und prudens sind die vorherrschenden Epitheta52). Oft werden ohne Nennung weiterer Details die Verdienste des Verstorbenen um das städtische Gemeinwesen gerühmt (Nr. 78, 80 u. a.). Dieses Lob mündet in den meisten Fällen in eine Tröstung der hinterbliebenen Familien (Nr. 78, 136) oder manchmal auch der nachgelassenen Stadt (Nr. 80, 127). Der Trost besteht vielfach in einem zweigliedrigen Hinweis einerseits auf die Vergänglichkeit alles Irdischen (Nr. 78, 136), andererseits auf die himmlischen Freuden, an denen der Verstorbene nun teilhat (Nr. 78, 80, 118 u. a.). In Übereinstimmung damit wird der Tod in den Versgrabschriften meistens als Trennung von Leib und Seele erfaßt und in vielgestaltigen Formulierungen der folgenden Art ausgedrückt: (zitiert nach Nr. 132)

Pone cubat corpus quod erat mortale sepulchro

spiritus aetherea vivit in arce poli.

Diesen immer wieder variierten Formulierungen liegt die schon der Antike geläufigen Vorstellung zugrunde, daß der sterbliche Körper der Erde zurückgegeben wird, während die unsterbliche Seele zu den Sternen eilt (Nr. 65, 116).53) Antike Vorbilder lassen sich auch in der Redesituation einiger Grabgedichte wiederfinden, in denen der Tote den Leser als viator direkt anspricht54) (z. B. Nr. 116, 118) und ihn mahnt, an seinen eigenen Tod zu denken (Memento mori) (z.B. Nr. 118). In einigen wenigen formal sehr anspruchsvollen Grabgedichten begegnen mythologische Bilder aus der antiken Literatur, wie z.B. die Parzen, die den Lebensfaden abschneiden (Nr. 118), in einem Fall ist sogar ein griechisches Wort in griechischen Buchstaben verwendet (Nr. 74).

Der Typus der humanistisch geprägten Grabschrift wurde rasch die deutlich bevorzugte Form der Inschrift auf den Epitaphien des Stadtpatriziats. Vier von fünf Bürgergrabdenkmälern aus den Jahren 1560 bis 1580 tragen Grabgedichte in lateinischer Sprache. Dabei überrascht, daß über den gesamten Berichtszeitraum kein Epitaph dieser Art für einen Kanoniker überliefert ist. Auch für evangelische Pastoren hat man das Versepitaph sehr zurückhaltend verwendet, es läßt sich nur ein Beispiel einer kurzen lateinischen Versgrabschrift für einen Geistlichen vom Beginn des 17. Jahrhunderts nachweisen (Nr. 127). Das lateinische Versepitaph ist demnach offenbar als eine spezifische Repräsentationsform des Stadtpatriziats anzusehen. Da diese Grabgedichte bald nach der Reformation auftreten, dürfte eine der Wurzeln dieser Erscheinung in den reformatorischen Bildungsbemühungen zu sehen sein, deren wesentliches Anliegen das gründliche Lernen der alten Sprachen gewesen ist.55)

[Druckseite XXV] Das Auftreten lateinischer Grabgedichte auf den Grabdenkmälern des gehobenen Stadtbürgertums ist als ein Charakteristikum des Hamelner Bestands festzuhalten. Zwar finden sich Grabschriften dieses Typs auch im Osnabrücker Material,55) da dieses Corpus jedoch, im Unterschied zum Hamelner, stark klerikal geprägt ist, ist der dortige Befund anders zu bewerten: Während die lateinische Versgrabschrift in den Osnabrücker Bischofsgrabschriften eine weit zurückreichende Tradition hat, gibt es in Hameln vor der Reformation keine metrisch gefaßten Grabschriften. In Osnabrück läßt sich das lateinische Versepitaph für die Angehörigen des Patriziats als Übernahme der bis dahin der Geistlichkeit vorbehaltenen Repräsentationsformen in die bürgerliche Sphäre verstehen, in Hameln tritt es dagegen von Anfang an auf bürgerlichen Grabdenkmälern auf. Daß dieser Grabschriftentyp durchaus nicht in allen norddeutschen Städten vorkommt, die nach ihrer Größe und sozialen Struktur Hameln vergleichbar sind, zeigt der Göttinger Inschriftenbestand. Hier fehlen die humanistisch geprägten Epitaphien nahezu völlig,56) die wenigen Ausnahmen wie z.B. Nr. 179 und 81 des Göttinger Bestands sind Stiftungen für Gelehrte, die erst aus der Mitte des 17. Jahrhunderts stammen.57) Solange weiteres Vergleichsmaterial für die Einordnung von Beobachtungen, wie sie das Hamelner Material bietet, fehlt, ist eine übergreifende Interpretation noch nicht möglich. Da die lateinischen Versgrabschriften in Hameln zuerst auf Grabdenkmälern auftreten, die in ihrer äußeren Gestaltung Stilelemente der Renaissance aufweisen, wäre es möglich, daß sie als charakteristischer Ausdruck der Weserrenaissance zu bewerten sind.

Abschließend ist noch kurz auf das deutsche Versepitaph, die Entwicklung der Prosagrabschrift und die übrigen auf Grabdenkmälern nach der Reformation anzutreffenden Texte einzugehen. Das deutsche Versepitaph ist im Hamelner Bestand nur mit einem Beispiel vertreten, dem Grabdenkmal der Familie Römer, dem sogenannten „Siebenlingestein“ (Nr. 106). Aus diesem singulären Fall darf man jedoch sicher nicht schließen, daß derartige Grabschriften in Hameln nicht üblich waren. Vielmehr hat hier aller Wahrscheinlichkeit nach nur Herrs selektive Überlieferung der Grabschriften vom Münsterkirchhof die Proportionen etwas gestört. – Die aus den ursprünglich ganz knappen Totengedenkschriften hervorgegangenen Prosagrabschriften58) können nach der Reformation zu umfangreichen Texten anwachsen. Zu den oben bereits genannten Elementen dieses Grabschriftentyps kommt ab 1589 noch in einigen Fällen die Angabe der Todesstunde (Nr. 87, 88, 113, 134, 138) und, seltener, der Todesursache (Nr. 71, 149) hinzu. Von der Mitte des 16. Jahrhunderts an lassen sich zwei weitere Ergänzungen beobachten; die ausführliche Nennung der Ämter des Verstorbenen, nun auch bei Bürgerlichen,59) sowie der Aufzählung der Todesdaten sämtlicher Familienmitglieder. Beides zeigt sich besonders deutlich am Epitaph der Familie Hagemann (Nr. 105) aus der Zeit um 1600. Die hier genannten Ämter markieren geradezu die Stationen einer Biographie, und aus der Aufzählung der einzelnen Familienmitglieder (einschließlich des Schwiegersohnes) ergibt sich ein Familienstammbaum über zwei Generationen. Anschauliche Beispiele dafür, wie Ämternennungen zu einer gerafften Biographie werden können, sind auch die beiden Pastorengrabsteine (Nr. 122, 127) von 1620 und 1622. Im Unterschied zu den Versepitaphien lassen sich bei den literarisch weniger ambitionierten lateinischen Prosagrabschriften verständlicherweise keine eindeutig humanistischen Züge erkennen. Außer den Grabschriften im gattungstypischen Sinn tragen die Grabdenkmäler seit der Reformation häufig ein oder mehrere Bibelzitate in lateinischer oder deutscher Sprache (Nr. 71, 75, 80, 83 u.a.), die sowohl bei Vers- wie bei Prosagrabschriften vorkommen.

[Druckseite XXVI]

3.2. Hausinschriften

Von den 69 Hamelner Hausinschriften sind 41 erhalten und 28 kopial überliefert. Der im Vergleich mit anderen Städten große Anteil der originalen Überlieferung ist darauf zurückzuführen, daß die Stadt im Zweiten Weltkrieg kaum Einbußen an privaten Gebäuden hatte.60)

Beim Vergleich des heute sichtbaren Bestandes mit den älteren Sammlungen Rotherts, Mithoffs und Meissels treten erhebliche Unterschiede zutage. Sie erklären sich zum einen daraus, daß gerade bei der Gruppe der Hausinschriften durch Umbau- und Renovierungsmaßnahmen, die im Laufe der Zeiten stattgefunden haben, mit den stärksten Verlusten zu rechnen ist, zum anderen daraus, daß die Altstadtsanierung eine große Zahl von Inschriften erstmals seit dem 17. Jahrhundert wieder ans Licht gebracht hat.

3.2.1. Kopiale Überlieferung der Hausinschriften

Die Hamelner Hausinschriften sind in drei größeren Sammlungen überliefert, deren Inhalte weitgehend identisch sind:

a) H. W. H. Mithoff, Kunstdenkmale und Alterthümer im Hannoverschen. 1. Band: Fürstentum Calenberg. Hannover 1871, S. 46–62.

In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts hat Mithoff die Kunstdenkmäler des Fürstentums Calenberg inventarisiert. In diesem Inventar nehmen die Inschriften Hamelns als Gesamtcoprus einen relativ großen Raum ein. Mithoffs Interesse richtete sich sowohl auf die Inschriftenträger profaner wie auch kirchlicher Herkunft. Seine Sammlung enthält knappe Beschreibungen der Inschriftenträger und eine diplomatische Abschrift der Inschriften. Mithoffs Aufzeichnungen haben sich beim Vergleich mit den erhaltenen Texten insbesondere für die Hausinschriften als zuverlässig erwiesen. Sie werden daher für die Edition der nicht mehr erhaltenen Hausinschriften zugrundegelegt.

b) Wilhelm Heinrich Rothert, Aus alter Zeit in Hameln. Vier Beiträge zur Hamelner Geschichte. Hameln 1871.

Etwa gleichzeitig mit Mithoff hat der als Pastor ad interim an St. Bonifatii tätige Wilhelm Rothert Hamelner Inschriften gesammelt. Sein Interesse galt dabei fast ausschließlich den Hausinschriften. Er überliefert die Texte in drei nach inhaltlichen Gesichtspunkten gebildeten Abteilungen: 1. Sentenzen, 2. Bibelsprüche, 3. Historische Sprüche. Rotherts Sammlung hatte hauptsächlich volkskundliche Ziele. Es ging ihm mehr darum, die seiner Ansicht nach in den Inschriften vorhandene „öffentliche Meinung des Volkes“60) zu dokumentieren, als einen historischen Text genau festzuhalten. Demzufolge hat er das vorhandene Material in sprachlich normalisierter Form mit zum Teil umfangreichen Ergänzungen wiedergegeben. Seine Sammlung ist daher für eine Sicherung des genauen Wortlauts oder gar für das Studium mundartlicher Besonderheiten des Hamelner Hausinschriftenbestands kaum geeignet. Da jedoch viele der Hausinschriften nur hier verzeichnet sind, muß Rotherts Sammlung trotz ihrer Normalisierungen oft als Grundlage für die Textedition herangezogen werden. Auf eine Eigentümlichkeit der Textwiedergabe Rotherts ist besonders hinzuweisen: Er setzt schwer lesbare Stellen, Auflösungen von Abkürzungen und Emendationen in runde Klammern. Ich habe diese Klammern in der Edition beibehalten.

c) Friedrich Meissel, Alte und neue Inschriften in Hameln. Hameln 1913.

Ungefähr vierzig Jahre nach Mithoff und Rothert hat der Hamelner Realschullehrer Friedrich Meissel im Rahmen seiner stadtgeschichtlichen Studien unter anderem auch eine Inschriftensammlung angelegt.61) Da in den mehr als vierzig Jahren seit Rotherts Bestandsaufnahme erhebliche Verluste an älterer Bausubstanz eingetreten waren, hat Meissel dem zu seiner Zeit sichtbaren Bestand einzelne Texte aus Rotherts Sammlung hinzugefügt. Vollständigkeit hat er dabei offenbar nicht angestrebt. Meissels Aufnahme gibt in der Regel den Text komplett wieder, ist jedoch nicht frei von Lesefehlern. Der Vergleich der erhaltenen Texte mit seinen Aufzeichnungen zeigt, daß er die mundartlichen Eigenheiten oft sehr willkürlich normalisiert hat.

Viele der Inschriften sind in den drei Sammlungen parallel überliefert. Daraus ergibt sich insbesondere bei den niederdeutschen Hausinschriften das Problem einer großen Zahl von Varianten, die in den meisten Fällen nur orthographischer oder lautlicher Art sind. Mit ihrer Verzeichnung wäre[Druckseite XXVII] niemandem gedient, denn sie sind in der Regel nicht aus dem Bemühen um die korrekte Wiedergabe des originalen Befundes, sondern um einen für zeitgenössische Leser verständlichen Text hervorgegangen. Daher werden nur solche Varianten aufgenommen, die über orthographische und lautliche Abweichungen hinausgehen. Nur in Zweifelsfällen sind sämtliche Varianten angegeben.62)

3.2.2. Hausinschriften und Baugefüge

In Hameln waren während des Berichtszeitraums drei Häusertypen vorherrschend: der Massivbau, das Fachwerkhaus und das Haus mit massivem Untergeschoß und aufgesetztem Fachwerk. Zu den Massivbauten gehören die älteren gotischen Steinhäuser und die jüngeren im Stil der Weserrenaissance gestalteten Bauten, bei denen nicht selten der vorhandenen älteren Bausubstanz nur eine neue Fassade vorgebaut wurde. Das Straßenbild war geprägt durch giebelständige Bauten. Traufenständige Häuser wie das Hochzeitshaus und das Stiftsherrenhaus fallen in der Bebauung der beiden Hauptstraßen – Bäckerstraße und Osterstraße – deutlich als Ausnahmen ins Auge. In den Nebenstraßen (Kupferschmiedestraße, Thietorstraße, Hummenstraße usw.) sind hingegen vereinzelt traufenständige Häuser anzutreffen (Nr. 89, 123), aber auch hier überwiegt die Giebelständigkeit.

Hinsichtlich der Anbringung von Inschriften gibt es zwischen den Massivbauten und den Fachwerkhäusern deutliche Unterschiede. Für die gotischen Steinhäuser ist keine Inschrift überliefert, und auch die Weserrenaissancefassaden sind in Hameln – sofern Inschriften nicht völlig fehlen – nur mit sehr kurzen Texten versehen. Eine Ausnahme bildet das Reichesche Haus (Bäckerstraße 16, Nr. 60) mit seinen umfangreichen niederdeutschen Bibelsprüchen. An den Steinhäusern sind die Inschriften meistens auf Schmuck- oder Wappensteinen (Nr. 90, 91, 92), seltener auf dem Türsturz (Nr. 108) angebracht. Während die Steinhäuser insgesamt arm an Inschriften sind, tragen die Fachwerkhäuser zum größten Teil umfangreiche Texte aus verschiedenen Zeiten. Sie befinden sich üblicherweise auf den Schwellbalken der Geschosse, auf dem Türsturz der meist rundbogigen Portale oder an den horizontal verlaufenden Balken der mehrgeschossigen Erker (Utluchten).

Sowohl an den Stein- als auch an den Fachwerkfassaden stehen die Inschriften im Zusammenhang mit ornamentalem oder figürlichem Schmuck. Bei den Schmuckformen an den Fachwerkbauten läßt sich in Hameln die für die niedersächsischen Städte im 16. Jahrhundert typische Entwicklung des Renaissance-Fachwerks beobachten. Ornamente im Beschlagwerkstil (Nr. 35), Taubänder, Zahnschnittleisten, Schiffskehlen und vor allem Fächerrosetten (Nr. 48) verzieren die Fassaden. Figürlicher Schmuck ist zuerst am sogenannten Kaufmannshaus von 1500 in Form eines flach geschnitzten Schiffs und eines ebenso ausgeführten Hirschs angebracht worden (Nr. 35). Halbplastische und plastische Fratzen und Neidköpfe finden sich unter anderem am Soliman-Haus (Nr. 48). Ein regelrechtes Bildprogramm zeigen nur die Knaggen am Stiftsherrenhaus von 1558 (Nr. 62): Die schrägen Flächen der die vorkragenden Geschosse stützenden dreieckigen Konsolhölzer sind mit Figuren aus dem Alten Testament, Aposteln und antiken Planetengottheiten versehen. Einige wenige weisen auf schmalem Raum sogar szenische Darstellungen von Motiven aus dem Alten Testament auf. Inhaltlich deutet sich in diesem Bildprogramm mit der Darstellung der antiken Planetengottheiten bereits humanistisches Gedankengut an.

Im Steinbau ist der Fassadenschmuck vor allem durch die Stilelemente der Weserrenaissance geprägt. Die frühesten Einflüsse sind an einer Beischlagwange von 1550 (Nr. 51) erkennbar. Es folgt die von dem Meister der mittleren Weserrenaissance Cord Tönnies62) erbaute Fassade des Reicheschen Hauses (Bäckerstraße 16, Nr. 60) mit einem volutenverzierten Treppengiebel und den für die Weserrenaissance typischen Kerbschnittbossensteinen. Die auffallendste Neuerung in der Fassadengestaltung ist die hier von Cord Tönnies zum ersten Mal realisierte Utlucht, ein am Fundament beginnender mehrgeschossiger Vorbau der Fassade. Solche Utluchten bleiben bis ins 17. Jahrhundert ein charakteristisches Element des neuen Baustils. Sie bestimmen neben Schmuckformen wie Obelisken, abwechselnden Rauh- und Glattbändern, Kerbschnittbändern und Beschlagwerkornamenten die Fassaden der Weserrenaissance. Die Utluchten sind kein Spezifikum der Steinfassaden, sie treten auch an Fachwerkhäusern auf, wie das Beispiel des 1560 erbauten Hauses Kupferschmiedestraße 13 zeigt. Vielfach hat man die Erker an ältere Fachwerkfassaden angebaut (Nr. 37, 59 u.a.), dadurch wurden nicht selten (Nr. 37) Inschriften am Giebel verdeckt. Das Beispiel der Utluchten macht deutlich, daß die Entwicklungen im Steinbau und im Fachwerk nicht getrennt voneinander verliefen. Vielmehr lassen sich vielfältige Übernahmen und Berührungen zwischen beiden Bauweisen beobachten: Ornamente im Be-[Druckseite XXVIII]-schlagwerkstil und Zahnschnittleisten, die sowohl an Fachwerk- wie auch an Steinbauten vorkommen, sind als weitere Beispiele in diesem Zusammenhang zu nennen.

Aus dem Befund einer reichen Hausinschriftenüberlieferung an erhaltenen Fachwerkhäusern in Hameln ergibt sich eine allgemeine Überlegung zur Verbreitung von Hausinschriften. Ihr Auftreten ist eng verknüpft mit den technischen Besonderheiten des Baugefüges. Während die mittel- und süddeutschen Städte vergleichsweise arm an Hausinschriften sind,63) verfügen die niedersächsischen Fachwerkstädte vielfach über einen großen Bestand von Inschriften an privaten und städtischen Gebäuden. Der Grund für diese Differenzen dürfte zu einem großen Teil in den Eigenheiten des norddeutschen Fachwerkbaus zu finden sein. Da im west- und ostfälischen Fachwerk im Unterschied zu Süddeutschland weniger diagonale Streben verwendet werden, müssen die horizontal verlaufenden Konstruktionshölzer aus statischen Gründen dicker und breiter sein. Dies hat für die Gestaltung der Fassaden zwei Konsequenzen: Zum einen ist eine nur aus waagerechten und senkrechten Konstruktionshölzern bestehende Fassade zunächst schlicht und daher offen für Zierformen ornamentaler oder inschriftlicher Art, wohingegen Fachwerkkonstruktionen mit Streben schon von sich aus eine lebhafte Fassadengestaltung aufweisen, wie sie beispielsweise an dem in Hessen üblichen Fischgrätfachwerk deutlich wird. Zum anderen – und das dürfte der entscheidende Grund sein – bieten breite Schwellbalken ausreichenden Raum für umfangreiche Textinschriften, die nicht selten zweizeilig sind, während die schmalen waagerechten Fachwerkelemente Süddeutschlands bestenfalls die Anbringung eines Baudatums und eines Namens erlauben.

3.2.3. Sprache, Form und Thematik der Hausinschriften

Die Hausinschriften sind im Gegensatz zu den Grabinschriften meistens in der Volkssprache verfaßt worden. Vom Einsetzen der Überlieferung (im Jahr 1493) an ist die deutsche Sprache vorherrschend, wenn auch immerhin noch 25 lateinische Texte, davon etwa die Hälfte in Distichen, überliefert sind.63) Die klare Dominanz des Deutschen in den Inschriften an privaten Häusern entspricht dem Verhältnis zwischen Latein und Volkssprache in den Urkunden: Seit dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts ist die Zahl der deutschen Urkunden deutlich höher als die der lateinischen.64)

Das bedeutet, daß die deutsche Sprache im profanen Bereich spätestens am Ende des 15. Jahrhunderts sowohl im Gebrauchsschrifttum als auch für repräsentative Zwecke das Lateinische zurückgedrängt hatte. Lediglich die Inschriften an städtischen Gebäuden wurden nach wie vor auffallend oft in lateinischer Sprache verfaßt: Das Brückentor (Nr. 42), das Neue Tor (Nr. 45) und das Hochzeitshaus (Nr. 111) trugen Inschriften in lateinischen Distichen, die Werdermühle (Nr. 139) war mit einem kurzen lateinischen Prosatext versehen. Darüber hinaus läßt der Hamelner Bestand keine eindeutige Korrelation zwischen der Sprache der Inschrift und dem Anbringungsort erkennen. Weder weisen die steinernen Fassaden der Weserrenaissancebauten bevorzugt lateinische Texte auf, noch sind die deutschen Haussprüche an das Fachwerk gebunden. Man wird allerdings annehmen dürfen, daß eine lateinische Versinschrift den gehobenen Bildungsstand oder auch Bildungsanspruch des Hausbesitzers verrät, wie bei dem Haus des Stiftspropsts Anton von Walthausen (Nr. 158) in der Blomberger Straße 2.

Was das Verhältnis von niederdeutscher und hochdeutscher Sprache in den Hausinschriften betrifft, so hat bis zum ersten Viertel des 17. Jahrhunderts das Niederdeutsche ein deutliches Übergewicht. Erst nach 1630 nimmt das Hochdeutsche in den Texten stark zu, so stehen nach 1640 nur noch drei niederdeutsche zwölf hochdeutschen Texten gegenüber. Zu berücksichtigen ist bei diesen Zahlen allerdings, daß gerade für die späte Zeit die meisten Inschriften durch Rothert überliefert sind, der, [Druckseite XXIX] wie oben erwähnt, die lautlichen Besonderheiten der Texte ohne erkennbares System normalisiert hat. Daher kann die vermeintliche Dominanz des Hochdeutschen auch auf den Eigenheiten der Überlieferung beruhen. Freilich sind auch bei den nicht von Rothert überlieferten Grabschriften im 17. Jahrhundert kaum noch niederdeutsche Elemente anzutreffen.

Abschließend ist auf einige sprachliche Eigenheiten der niederdeutschen Hausinschriften hinzuweisen. Damit soll dem Benutzer, der mit dem Niederdeutschen nicht oder nicht hinreichend vertraut ist, der Zugang zu den Texten erleichtert werden. Folgende Formen sind in den Hamelner Inschriften üblich:

vortruuet vertraut
blift bleibt
huete heute
ick weth ich weiß
Hulf, Hülf Hilfe
Tholauff Zulauf
maken machen
fruehten, Fruht fürchten, Furcht
wol erscheint nicht nur als Adverb ‚wohl, gut‘, sondern auch als Maskulinum des Interrogativ- und Relativpronomens ‚wer‘. Statt des im Neuhochdeutschen üblichen Dativs steht häufig der Akkusativ, z.B. in vneglueck statt ‚im Unglück‘ oder Dich geben guht statt ‚dir gegeben Gut‘.

In ihrer Thematik sind die Hamelner Hausinschriften außerordentlich vielfältig.65) Formeln wie Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut (Nr. 37, 124) oder An Gottes Segen ist alles gelegen (Nr. 46, 135, 142) haben nur geringen Anteil am Gesamtbestand. Lediglich der paulinische Spruch Si deus pro nobis quis contra nos ist fünfmal in lateinischer und einmal in deutscher Sprache belegt (Nr. 46, 103, 110, 120, 122; 148). In der Gruppe der unmittelbar auf das Haus Bezug nehmenden Texte sind vor allem die Inschriften von Interesse, die sich gegen Kritik an der Bauweise oder an Spötter und Neider wenden. Die meisten dieser Inschriften konstatieren ganz allgemein das Vorhandensein von Neid (Nr. 66, 95, 108, 168), nur in einem Fall (Nr. 169) wird der Neider direkt angesprochen Ach Neider laß mich wohnen... An die potentiellen Spötter über den Bau des Hauses wendet sich eine Inschrift in der Bäckerstraße 21 (Nr. 59). In zwei weiteren Inschriften sind Spott und Kritik auf anspruchsvolle Weise in lateinischen Distichen und mit Entlehnungen aus der antiken Literatur thematisiert: Die eine bezeichnet den Spötter durch Momus (Nr. 114), die Personifikation des Tadels, in der anderen (Nr. 147) steht Zoilus, der die Werke des Homer zu kritisieren wagte, für den kleinlichen Kritiker an einem umgebauten Haus. Hinsichtlich der Übernahmen aus der antiken Literatur stehen diese beiden Inschriften nicht allein. Parallel zum Auftreten der lateinischen Versepitaphien lassen sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts vor allem antike lateinische Sprichwörter (Nr. 64, 92, 119) in den Hausinschriften nachweisen.

Eine weitere für die Hamelner Hausinschriften charakteristische Gruppe bilden die Texte historischen und chronikalischen Inhalts. Sie sind überwiegend in vier- bis sechszeiligen deutschen Reimversen,66) in einem Fall in lateinischen Distichen (Nr. 45) abgefaßt.67) Ihre Themen sind zum einen Ereignisse der Stadtgeschichte, auf die bereits im Zusammenhang des stadtgeschichtlichen Überblicks näher eingegangen wurde,68) zum anderen der Hamelner Kinderauszug. Insgesamt sechs der historischen Sprüche widmen sich dieser Hamelner Lokalsage, fünf davon sind in deutscher Sprache verfaßt (Nr. 40, 76, 100, 107, 111). Das älteste der inschriftlichen Zeugnisse datiert von 1525.69) Damit setzen die Hausinschriften zu diesem Thema 75 Jahre später ein als die literarischen Quellen, von denen die [Druckseite XXX] älteste – ein Nachtrag in einer Lüneburger Handschrift70) der Catena aurea – aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammt.71) Dieser Eintrag gibt eine detaillierte Darstellung der näheren Umstände des Kinderauszugs und weist auch auf die Hamelner Sonderzeitrechnung „nach dem Auszug der Kinder“ hin,72) enthält allerdings noch nicht die Geschichte von der Rattenvertreibung. Auch die inschriftlichen Zeugnisse überliefern nur den Kinderauszug. Sie sind im wesentlichen gleichlautend formuliert und nennen den Tag und das Jahr des Geschehens, die Zahl der Kinder sowie den Ort, an dem die Kinder verschwunden sind. Erst die Chronik der Grafen von Zimmern (um 1565) bietet die Hamelner Lokalsage in ihrer vollständigen Gestalt, d.h. mit den beiden einander konsequent zugeordneten Motiven der Rattenbeschwörung und des Kinderauszugs. Man darf jedoch als sicher annehmen, daß diese neue, gewissermaßen zweiaktige Geschichte in Hameln bereits vorher geläufig war und daß ihre erste literarische Fassung nur durch Zufall in einer süddeutschen Chronik steht. Das Rattenmotiv ist zwar in den inschriftlichen Texten nicht ausdrücklich erwähnt, es war aber, wie wir aus zeitgenössischen Reiseberichten wissen,73) vielfach auf Bildern dargestellt.74) Auf derartige bildliche Darstellungen bezieht sich auch das innerhalb eines Reiseberichts des Elsässers Augustin von Mörsperg überlieferte Erzählbild von 1593:75) Die rechte obere Bildhälfte zeigt den Auszug der Kinder, im unteren Bildteil sieht man den in einem Boot stehenden Pfeifer, dem eine Schar von – offenbar ertrinkenden – Ratten folgt. Älter als das Mörspergische Bild ist allerdings die handschriftlich erhaltene Reimchronik des Jobst Johann Backhaus vom Jahr 1589,76) die als erstes und für lange Zeit einziges aus Hameln stammendes textliches Zeugnis das Rattenfängermotiv kennt. Erst der Hamelner Lateinschulrektor Samuel Erich nimmt in seiner 1654 erschienenen Abhandlung »Der Hämelischen Kinder Außgang« wieder auf die Rattenbeschwörung Bezug.77) Die Gründe für das Fehlen einer älteren schriftlichen Tradition des Rattenmotivs am Ort selbst können von heute aus nicht mehr sicher bestimmt werden. Möglich wäre, daß die Geschichte des vom Rat um seinen Lohn gebrachten Rattenfängers als für die Stadt nicht rühmlich empfunden wurde. In jedem Fall ist es verständlich, daß gerade der Kinderauszug als der denkwürdigere Teil der Sage in die in besonderem Maße öffentlichkeitswirksamen Inschriften aufgenommen wurde.

[Druckseite XXXI]

3.3. Inschriften auf kirchlichen Ausstattungsgegenständen

Die drittgrößte Gruppe von Inschriftenträgern bilden im Hamelner Bestand die kirchlichen Ausstattungsgegenstände. Dazu zählen u.a. Kelche, Patenen, Reliquienbehältnisse, Glocken und Altäre. Für diese Gruppe von Gegenständen konnten insgesamt nur noch 32 Inschriften ermittelt werden, 14 davon sind erhalten, 18 lediglich kopial überliefert. Daß die Anzahl kirchlicher Ausstattungsstücke, besonders der Kirchenschatz des Stifts St. Bonifatii, am Ende des Berichtszeitraums wesentlich größer gewesen sein muß, belegen die Reliquien- und Pretiosenverzeichnisse von 1663 und 1668. Darin sind viele Reliquienbehältnisse und Altargeräte genannt, von denen heute keinerlei weitere Zeugnisse vorliegen.78) Ursache für die großen Verluste war zunächst ein Kirchendiebstahl am Ende des 17. Jahrhunderts.79) Weit größere Dezimierung des Bestands brachte der Verkauf von Silbergerät im Jahr 1772 mit sich, den die Stiftsherren in Zeiten schwieriger Finanzlage vornahmen, weil Monstranzen, silberne Marienbilder und dergleichen für das evangelische Stift entbehrlich waren.80) Die folgenden Jahre waren durch einen stetigen Niedergang gekennzeichnet, 1804 nutzten französische Truppen die Krypta als Lebensmittellager, im Jahr darauf wurde das gesamte Gotteshaus als Heu- und Strohmagazin beschlagnahmt. 1810 war die Innenausstattung durch Plünderung und unsachgemäße Nutzung so weit beschädigt, daß die verbliebenen Priechen und Bänke nur noch als Brennmaterial verkauft werden konnten. Danach diente die Kirche bis zum Kriegsende als Pferdestall, später als Holzmagazin und Warenlager.81) Die Zweckentfremdung der Kirche ging mit einem sukzessiven Verfall der Bauten einher, bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts der Abbruch ernsthaft diskutiert wurde.82) In diesen Zeiten dürfte der Rest des Altargeräts sowie die gesamte spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Kirchenausstattung zerstört oder verkauft worden sein. Angesichts dieser Entwicklung ist es nicht verwunderlich, daß der überwiegende Teil der Inschriften aus dem Bonifatiusstift – wie oben bereits für die Grabschriften ausgeführt wurde – heute nur noch in kopialer Überlieferung vorliegt.

Bei den Ausstattungsgegenständen der Marktkirche St. Nicolai sind die Verluste aufgrund der deutlich geringeren Zahl von nachgewiesenen Inschriftenträgern nicht ganz so offensichtlich: Vier erhaltenen Inschriften stehen vier verlorene gegenüber.

Schon zu Zeiten Herrs muß die mittelalterliche und frühneuzeitliche Innenausstattung weitgehend aus der Kirche entfernt gewesen sein, denn Herr beschreibt als einzigen Inschriftenträger die Kanzel (Nr. 130) von 1625. Aufgrund fehlender urkundlicher Überlieferung läßt sich nicht mehr klären, ob das völlige Fehlen von Altären und sonstigen Ausstattungsstücken auf eine „Reinigung“ des Kircheninneren nach der Reformation zurückzuführen ist, oder ob der Umstand, daß die Kirche seit 1759 als Lazarett zweckentfremdet wurde, Herr an der Aufnahme gehindert hat. Da die Kirche im Siebenjährigen Krieg durch die Verwendung als Lazarett und später als Mehlmagazin stark in Mitleidenschaft gezogen worden war, erhielt sie in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts eine neue, barocke Innenausstattung. Dieser Wandel in der Einrichtung dürfte weitere Verluste an älterer Ausstattung mit sich gebracht haben. – Im Zweiten Weltkrieg wurde die Marktkirche St. Nicolai völlig zerstört, von der alten Bausubstanz blieben nur noch Einzelteile erhalten (Nr. 3), von der Ausstattung eine Glocke (Nr. 26)83) und die Figur des hl. Nikolaus (Nr. 30).

3.3.1. Überlieferung der Inschriften auf kirchlichen Ausstattungsgegenständen

Die bedeutendste kopiale Überlieferung stellt auch für diese Gruppe von Inschriftenträgern die bereits unter 3.1.1. vorgestellte Sammlung Johann Daniel Gottlieb Herrs dar. Daneben teilt auch Friedrich Sprenger in seiner 1825 verfaßten Geschichte der Stadt Hameln im Rahmen einer Beschreibung der Ausstattung beider Kirchen hin und wieder Inschriften mit. Der größte Teil seiner Überlieferung geht jedoch auf die Collectanea Herrs zurück, nur in wenigen Fällen fehlt eine Parallele bei Herr (Nr. 179, 182, 186). Eine zweite Auflage der Sprenger’schen Geschichte ist 1861 erschienen, die durch [Druckseite XXXII] den Amtmann von Reitzenstein ergänzt und verbessert wurde.84) Nach ihr wird im folgenden zitiert. Einige wenige Inschriften auf kirchlichen Ausstattungsgegenständen überliefert auch die Sammlung Mithoffs, die aber in keinem Fall über das hinausgeht, was die älteren Quellen bieten.85)

3.3.2. Form und Sprache der Inschriften auf kirchlichen Ausstattungsgegenständen

Bei den Texten auf kirchlichen Ausstattungsgegenständen handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle um kurze Stiftungsvermerke in lateinischer Prosa (Nr. 28, 126, 143, 179). Längere Stiftungsinschriften befanden sich nur an der Spiegelbergischen Prieche (Nr. 72), auf einem der vierzehn Gemälde des Hohen Chors (Nr. 180) sowie auf der Kanzel der Marktkirche St. Nicolai (Nr. 130). In den Texten überwiegt die lateinische Sprache, lediglich das Glasbild mit der Darstellung des Hamelner Kinderauszugs in der Marktkirche St. Nicolai und zwei der erhaltenen Glocken tragen deutsche Inschriften. In den beiden Glockeninschriften ist erstmals die Volkssprache verwendet worden,85) die ältere (Nr. 23) – eine Glockengießersignatur – stammt aus dem Jahr 1451, die jüngere (Nr.27) – eine Selbstnennung der Glocke Osanna bin eck ghe[nant] – datiert von 1476.

4. Schriftformen

Das Hamelner Inschriftenmaterial ist aufgrund des verhältnismäßig großen Anteils von original überlieferten Inschriften der Zeit vor 1500 für schriftgeschichtliche Fragen nicht besonders ergiebig. An Majuskelschriften ist nur die Kapitalis in ihren unterschiedlichen Ausprägungen der frühhumanistischen und der Renaissance-Kapitalis breiter überliefert. Während die alte Kapitalis lediglich in einem Beispiel erhalten ist (Nr. 1), fehlt die gotische Majuskel. Bei den Minuskelinschriften dominiert die gotische Minuskel, die humanistische Minuskel bleibt auf ein Beispiel beschränkt. Reine Frakturschriften86) sind nur für wenige Inschriften verwendet worden, ihre typischen Formen mit den rüsselartigen Verlängerungen der Schäfte lassen sich erst nach 1650 feststellen.87) Im übrigen ist in Hameln ähnlich wie in Osnabrück zu beobachten, daß zwischen den einzelnen Minuskelinschriften keine klaren Grenzen zu ziehen sind.88) Die Zuordnung erfolgt daher jeweils nach den überwiegenden Merkmalen. Sie wird zusätzlich dadurch erschwert, daß bei den Hausinschriften die originalen Schriftzüge oft durch Renovierungsmaßnahmen überformt worden sind (z. B. Nr. 56).

4.1. Kapitalis

Die Kapitalis ist im vorliegenden Bestand in den zwei Formen der frühhumanistischen Kapitalis bzw. der Renaissancekapitalis vertreten. Der Begriff „frühhumanistische Kapitalis“ bezeichnet einen Schrifttyp, dessen Ursprünge in Italien liegen und der im Zusammenhang mit dem Frühhumanismus – wahrscheinlich vermittelt über die Konzilien von Konstanz (1414–18) und Basel (1431–49) – seit der Mitte des 15. Jahrhunderts auch in Deutschland übernommen wurde.89) Die Schrift ist charakterisiert durch schmale, oft eng gedrängte Buchstaben (vgl. Nr.65). Wesentliche Kennzeichen sind Ausbuchtungen am Mittelbalken des H, am Schrägbalken des N und am I, epsilonförmiges E¸ halboffenes D sowie das Auftreten des retrograden N. Im Unterschied zu diesem Schrifttyp ist die Renaissance-Kapitalis, für die auch der generelle Begriff „Kapitalis“ üblich ist, durch breitere Ausführung der Buchstaben und durch das Fehlen der für die frühhumanistische Kapitalis charakteristischen Zierformen gekennzeichnet.

Im Hamelner Bestand stammen die beiden frühesten Belege für die Kapitalis von der um 1500 entstandenen Figur des hl. Nikolaus (Nr. 30) und von einer Beischlagwange am Haus Fischpfortenstraße 20 aus dem Jahr 1550, deren Gestaltung – wie in Abschnitt 3.2.2. ausgeführt – das früheste Beispiel [Druckseite XXXIII] für den Einfluß der Weserrenaissance darstellt. 90) Die frühen Kapitalisinschriften, die kurz nach der Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden, sind überwiegend in der Form der frühhumanistischen Kapitalis ausgeführt. Vereinzelt lassen sich dabei noch Relikte der gotischen Majuskel beobachten, wie z. B. das der unzialen Form ähnelnde M mit unten spitz zusammenlaufenden Hasten am Haus Bäckerstraße 21 (Nr. 59) sowie das unziale T in der Grabinschrift des Rudolf von Holle (Nr. 65). Überhaupt zeigen die vorliegenden Beispiele, daß die frühhumanistische Kapitalis offen für vielerlei zum Teil phantasievolle Buchstabengestaltung gewesen ist. Zu nennen sind hier beispielsweise die in Form eines Epsilon ausgeführten C (!) am Haus Bäckerstraße 16 sowie die nach Art eines gotischen G mit einem kurzen von rechts nach links verlaufenden Diagonalstrich gestalteten X an der Kurie Walthausen (Nr. 73) von 1568. Zahlreiche Ligaturen, die bis zu drei Buchstaben betreffen können, z. B. THR (Nr. 78), und in einem Fall auch Enklaven (Nr. 65) geben den einzelnen Inschriften dieses Schrifttyps eine jeweils individuelle charakteristische Prägung. Der Eindruck einer Zierschrift wird in einigen Fällen noch durch sorgfältig gestaltete Worttrenner (z. B. Nr. 67) unterstrichen. Die Renaissance-Kapitalis ist dagegen im Hamelner Bestand durch breite Ausführung der Buchstaben gekennzeichnet und zwar in zweierlei Hinsicht: zum einen beanspruchen die einzelnen Buchstaben in der Breite mehr Raum und zum anderen sind die Hasten und Bögen insbesondere bei den erhabenen Inschriften breiter gehauen als in der frühhumanistischen Kapitalis. Keilförmige Abschlüsse der Hasten verstärken oftmals noch den Eindruck einer breit angelegten Schrift (Nr. 79, 105, 123, 146 u.a.). Weitere Kennzeichen dieses Schrifttyps sind die fast runden O – nur in einem Fall (Nr. 107) liegt wirklich rundes O vor – und die oft schräg nach unten auslaufenden Hasten des M (Nr. 123).

Im Vergleich mit den bisher edierten Inschriftenmaterialien fällt auf, daß die Elemente der frühhumanistischen Kapitalis in Hameln nicht auf die frühen Kapitalisschriften aus der Zeit kurz nach 1500 beschränkt bleiben. Vielmehr treten die Zierelemente dieser Schriftform, wie Ausbuchtungen, epsilonförmiges E und retrograde N in fast manieristischer Ausführung neben den kapitalen Formen auch in den späteren Kapitalisinschriften auf. So enthält z. B. die Inschrift am Rattenfängerhaus trotz breit gestalteter Buchstaben noch ein H mit ausgebuchtetem Querbalken, und selbst das von 1640 stammende Epitaph des Erdwin Hermeling (Nr. 145) hat neben kapitalen noch epsilonförmige E und spitzovale O. Für ein so spätes Auftreten der typischen Elemente der frühhumanistischen Kapitalis bis zum Ende des Berichtszeitraums lassen sich in den bisher erschienenen Bänden weder aus den norddeutschen noch aus den süddeutschen Corpora Parallelen finden. Im Göttinger und im Osnabrücker Material sind nach 1570 keine Inschriften in frühhumanistischer Kapitalis anzutreffen.91) Im süddeutschen Raum wird dieser Schrifttyp nach 1500 nur noch selten verwendet.92) Es ist also zu fragen, worin der Grund für diese lange Tradition der frühhumanistischen Kapitalis in Hameln bestehen könnte. Zunächst einmal fällt auf, daß diese Schriftform in Hameln nicht den lateinischen Inschriften vorbehalten bleibt; selbst niederdeutsche Bibelzitate (Nr. 60, 67) können in Formen der frühhumanistischen Kapitalis ausgeführt sein. Weder besondere Inhalte noch die Sprache dürften also für die Wahl dieser Schrift entscheidend gewesen sein. Vielmehr muß man annehmen, daß der ornamentale Kontext, speziell die Einflüsse der Weserrenaissance auf die Gestaltung von Fassaden und Grabsteinen, die bis ins 17. Jahrhundert reichende Verwendung dieser Schriftelemente begünstigt haben. Dies muß vorerst Vermutung bleiben, da die Inschriften der typischen Weserrenaissancestädte wie Stadthagen, Lemgo, Rinteln und Minden, die Vergleichsmaterial bieten könnten, bisher nicht ediert worden sind.

4.2. Die Minuskelschriften

An Minuskelschriften kommen im vorliegenden Bestand die gotische Minuskel sowie Inschriften mit Einflüssen der humanistischen Minuskel und der Fraktur vor. Die gotische Minuskel ist seit 1372 in Hameln kopial bezeugt (Nr. 6), das älteste erhaltene Zeugnis für diese Schrift ist der Stifterstein (Nr. 11) aus dem Ende des 14. Jahrhunderts. Es folgen die Inschriften auf einem Kreuzstein aus der Zeit nach 1400 (Nr. 12) und eine in die Kirchenwand eingemeißelte Grabschrift [Druckseite XXXIV] (Nr. 20), die nach 1428 zu datieren ist. Bei diesen drei frühen Beispielen – wie übrigens in allen Hamelner Minuskelinschriften – stehen die Buchstaben, wie es der gotischen Minuskel eigentlich entspricht, zwischen vier gedachten Linien. Bei anderen frühen Minuskelschriften sind Ober- bzw. Unterlängen sehr häufig mit in ein imaginäres Zweilinienschema gepreßt. Im vorliegenden Bestand weisen die Minuskelbuchstaben deutliche Oberlängen auf, z. B. bei h und b. In der Inschrift des Stiftersteins ragt auch der obere Bogen des a über den für den Buchstaben vorgesehenen Raum hinaus. In der überwiegenden Zahl der Hamelner Minuskelschriften stehen die Buchstaben einzeln. Tendenzen zu einer Gitterschrift, in der die Buchstaben eng zusammenstehen, lassen sich nur bei der bereits genannten Inschrift des Kreuzsteins (Nr. 12) und bei dem von 1431 datierenden Epitaph des Johannes Collemann (Nr. 21) sowie in einer späteren Hausinschrift von 1555 beobachten. Um 1500 treten die ersten Hausinschriften in gotischer Minuskel auf (Nr. 29), das früheste Beispiel dieses Schrifttyps mit einer für die Analyse ausreichenden Buchstabenmenge ist die Inschrift am Haus Pferdemarkt 10/Ecke Emmernstraße (Nr. 34) von 1500. Die Versalien dieser Inschrift sind einem Frakturalphabet entnommen, sie weisen allerdings in deutlich geringerem Maße als in den von Kloos beschriebenen Beispielen93) die typischen rüsselartigen Verzierungen auf. Die gotischen Minuskelschriften aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts haben als Schmuck oft gegabelte Schäfte, deren Enden lang ausgezogen sind (Nr. 40). Für die Folgezeit lassen sich die Minuskelschriften des Hamelner Bestands nicht mehr eindeutig in die Kategorien gotische Minuskel, humanistische Minuskel und Fraktur trennen. So ist beispielsweise die lateinische Versinschrift auf dem Stein vom Neuen Tor von 1556 (Nr. 45) eine Mischung aus Elementen der gotischen (doppelstöckiges a) und der humanistischen Minuskel (gerundete Buchstabenformen). Weitere Beispiele für solche Mischschriften sind die – allerdings restaurierte – Inschrift am Haus Alte Marktstraße 16 (Nr. 56) und Hummenstraße 9 (Nr. 52). Hinsichtlich der geringen Verbreitung der Fraktur außerhalb von Versalien bestätigt sich am Hamelner Material die Beobachtung Werner Arnolds, daß die Fraktur nördlich der Mainlinie seltener in Inschriften verwendet worden ist als in Süddeutschland.94) Das nahezu völlige Fehlen dieses Schrifttyps unterstreicht hier noch einmal die außergewöhnliche Bevorzugung der Kapitalis in allen Hamelner Inschriftengruppen.

Zitationshinweis:

DI 28, Hameln, Einleitung (Christine Wulf), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di028g004e005.

  1. Vgl. HSTA Hannover, Kartenabteilung 11b/1 pm, (Karte des 16. Jahrhunderts) Kopie im Sta Hameln: die Karte verzeichnet keinen Ort Wangelist, sondern nur ein Siechenhaus ohne eigenen Ortsnamen. Im Jahr 1405 ist der Ort noch urkundlich erwähnt (HUB I, 706), nach Angaben Uhlhorns war er 1478 wüst, vgl. Friedrich Uhlhorn, Die Kapelle in Wangelist. Hameln 1908, S. 2. Näheres zur Geschichte der Kapelle in Wangelist s. S. XII. »
  2. Während der Drucklegung dieses Bandes wurde die Inschrift Nr. 78a freigelegt, siehe Nachtrag S. 133. »
  3. Die folgende Darstellung zur Geschichte des Bonifatiusstifts beruht für die Zeit bis zum Hochmittelalter auf den Ausführungen von Naß, Untersuchungen. »
  4. Das Präbendenverzeichnis von 1309/17 enthält neben zehn Voll- vier Viertelpräbenden und zwei halbe Pfründen für die Versorgung der Dekanei und der Kirchenfabrik, vgl. Naß, Untersuchungen, S. 153. »
  5. Die Eversteiner wurden mit der Vogtei über die Stadt Hameln möglicherweise von Heinrich dem Löwen oder schon von Lothar von Süpplingenburg belehnt. Näheres dazu bei Naß, Untersuchungen, S. 185f. Naß vermutet weiterhin, daß nach dem Sturz Heinrichs des Löwen 1180 die Eversteiner die Vogtei als fuldisches Lehen erhielten. »
  6. Vgl. Spanuth, Geschichte I, S. 165–168, dort eine detaillierte Darstellung der wechselnden Machtverhältnisse in der Stadt Hameln von 1277 bis 1578. »
  7. Vgl. Erich Fink, Einleitung zum HUB II, S. XVIff. »
  8. Vgl. Kiesow, S. 60. »
  9. Vgl. Kiesow, S. 68. »
  10. Vgl. 2Sprenger, S. 208, dessen Darstellung hier auf Herr, S. 287 beruht. »
  11. Der Ort Wangelist wird 1235 zum ersten Mal erwähnt, 1405 ist von einer Kirche dieses Dorfes die Rede (HUB I, 766). 1483 wird der Ort als Wüstung bezeichnet (HUB II, 532). »
  12. Vgl. 2Sprenger, S. 260 „Sie (die Kapelle in Wangelist) hat einen Beichtstuhl, einen Altar, eine Kanzel, einen aus Sandstein grob ausgehauenen Taufstein und einige Bänke. Das Altargemälde ist alt und schlecht …“. »
  13. Vgl. Spanuth, Geschichte I, S. 188. »
  14. Vgl. Hans-Walter Krumwiede, Kirchengeschichte. Geschichte der evangelischen Kirche von der Reformation bis 1803. In: Hans Patze (Hg.), Geschichte Niedersachsens. Bd. 3,2 Kirche und Kultur von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Hildesheim 1983, S. 6–19: In Braunschweig wurde bereits 1528 die neue Kirchenordnung von Rat und Bürgerschaft angenommen, im selben Jahr wurde Goslar evangelisch. 1530 erließ der Rat in Göttingen die „Christlicke Ordeninge der Stadt Göttingen“, im selben Jahr kündigte der Rat in Lüneburg in einem evangelischen Gottesdienst ein Mandat gegen die Messe ab. 1533 trat die Stadt Hannover mit dem Bürgerschaftsschwur zum lutherischen Bekenntnis über. Lediglich in der Bischofsstadt Osnabrück führte der Rat erst 1542 mit Erlaubnis des Bischofs die evangelische Lehre ein (DI XXVI [Osnabrück], S. XII). »
  15. Vgl. Krumwiede (wie Anm. 15), S. 12.  »
  16. In anderen nordwestdeutschen Städten war die Einführung der Reformation von Volksbewegungen und Konflikten zwischen Rat und städtischer Oberschicht begleitet, vgl. dazu Heinz Schilling. Die politische Elite nordwestdeutscher Städte in den religiösen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts. In: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Stuttgart 1979, S. 235–308 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London Bd. 5). – Olaf Mörke, Rat und Bürger in der Reformation. Soziale Gruppen und kirchlicher Wandel in den welfischen Hansestädten Lüneburg, Braunschweig und Göttingen. Hildesheim 1983 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen Bd. 19). »
  17. Es können hier nur erste Eindrücke auf der Grundlage der im Urkundenbuch edierten Quellen gegeben werden, eine umfassende Darstellung zur Hamelner Reformationsgeschichte fehlt. »
  18. Vgl. Olaf Mörke, Stadt und Reformation in Niedersachsen. In: Stadt im Wandel, Bd. 4, S. 75–87, hier S. 79. »
  19. Vgl. 2Sprenger, S. 43f. »
  20. Vgl. 2Sprenger, S. 54ff. »
  21. Vgl. Spanuth, Geschichte II, S. 4. »
  22. Ebd., S. 5. »
  23. Vgl. 2Sprenger, S. 62; Spanuth, Geschichte II, S. 6. »
  24. Am Freitag nach Trinitatis brannte im Jahr 1551 die Baustraße ab. 1552 ist eine Überschwemmung bezeugt, die die Weserbrücke zerstörte, im Sommer dieses Jahres gab es eine Mißernte mit nachfolgender Teuerung. (Vgl. 2Sprenger, S. 54; Spanuth, Geschichte II, S. 6). – 1560 verwüstete ein weiterer Brand die Innenstadt (Spanuth, Geschichte II, S. 6). »
  25. Pestjahre waren in Hameln 1552, 1566, 1581 und 1598, vgl. Spanuth, Geschichte II, S. 8. »
  26. Grundlage für das Folgende sind die einschlägigen Abschnitte in den stadtgeschichtlichen Darstellungen 2Sprenger, S. 68–80 und Spanuth, Geschichte II, S. 21–57. »
  27. König Christian war bei einem nächtlichen Ritt über die Wallanlagen verunglückt. Nachdem man ihn anfangs für tot hielt, erlangte er nach drei Tagen durch die Hilfe des Hamelner Arztes Nordmann das Bewußtsein wieder. König Christian wertete diesen Unfall als böses Omen für die weitere Kriegführung und verließ deshalb Hameln. »
  28. Zum Quellenwert der Inschriften für die Stadtgeschichtsschreibung können hier nur erste Überlegungen mitgeteilt werden, im Rahmen der bevorstehenden Interakademischen Tagung der Inschriftenkommission in Esslingen im Mai 1990 mit dem Thema „Quellenwert von Inschriften“ sind zu dieser Frage grundlegende Ausführungen zu erwarten. »
  29. Vgl. u.a. Nr. 105 Epitaph des Barthold Hagemann. Außerhalb der Inschrift ist nur wenig Gesichertes über Hagemann bekannt. »
  30. Das Epitaph des Johannes Falconius (Nr. 118), der seinen Ärger über ungetreue Schüler im Grabgedicht formuliert, muß als Ausnahme gelten. »
  31. Die lateinische Version dieses Bibelzitats Verbum Domini manet in aeternum ist als Devise der sächsischen Kurfürsten Friedrichs des Weisen und Johann Friedrichs nachgewiesen, vgl. J. Dielitz, Die Wahl- und Denksprüche, Feldgeschreie, Losungen, Schlacht- und Volksrufe, besonders des Mittelalters und der Neuzeit. Frankfurt/M. 1888, S.348. »
  32. Für das Einsetzen bürgerlichen Geschichtsbewußtseins in Hameln lassen sich zwei zeitliche Parallelen aus Städten, die hinsichtlich ihrer Größenordnung Hameln vergleichbar sind, anführen. Der Mindener Stadtkämmerer Heinrich Piel verfaßt in der Mitte des 16. Jahrhunderts eine Stadtchronik, vgl. Heinrich Schmid, Über Geschichtsschreibung in norddeutschen Städten des späten Mittelalters und der Reformationszeit. In: Stadt im Wandel, Bd. 3, S. 627–642, hier S. 627. – In Schwäbisch Gmünd beginnt der Ratsherr Paul Goldstainer 1530 eine Stadtchronik, vgl. Klaus Graf, Gmünder Chroniken im 16. Jahrhundert. Texte und Untersuchungen zur Geschichtsschreibung der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd. Schwäbisch Gmünd 1984, S. 33. – Als Parallelfall für das Einsetzen der Tradition einer Lokalsage ist der Eulenspiegel-Stein in Mölln zu nennen, der 1536 zum ersten Mal durch einen Augenzeugen – den Stadtsekretär in Wismar Jordan Höppener – genannt wird. Für den Hinweis auf den Beginn der Eulenspiegel-Tradition in Mölln danke ich Reinhard Tenberg M.A., Göttingen. »
  33. Zitiert nach einem in das Exemplar Herr 2 eingeklebten Vermerk. »
  34. Wohl und Wehe der Stadt Hameln während des Kriegs von 1757 bis 1763 von Johann Daniel Gottlieb Herr, hg. von Manfred Börsch. Hameln 1986 (Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv Hameln). – Über diese Arbeit hinaus liegen keine Teilausgaben der Herr’schen Collectanea vor. Eine Gesamtedition dieser für die Hamelner Geschichtsschreibung bedeutenden Sammlung wäre dringend erforderlich. »
  35. Die Geschichte der Handschrift läßt sich aus den Einträgen auf den ersten Seiten des ehemals Pflümerschen Exemplars der Collectanea rekonstruieren. »
  36. Z. B. rerus statt verus der Vorlage. »
  37. Für freundliche Auskünfte danke ich hier Petra Rabbe-Hartinger, die mich auf diese Handschrift aufmerksam gemacht hat. »
  38. Vgl. Herr, S. 197–199. – Bei Herr sind die Epitaphien mit römischen Ziffern numeriert. »
  39. HSTA Hannover, Hann. 75, Nr. 153 (1824, 1831): Das dem Stifte zustehende Recht, seine verstorbenen Mitglieder in den drei Kreuzgängen unter der Schule zu beerdigen, ingleichen die Aufhebung dieses Rechts betreffend. »
  40. Näheres dazu siehe S. XII. Das älteste Kirchenbuch der Gemeinde St. Nicolai verzeichnet nur Eheschließungen und Taufen, aber keine Bestattungen. »
  41. Zur Terminologie vgl. DI XXVI (Osnabrück), S. XVII und demnächst den Beitrag von Anneliese Seeliger-Zeiss im Sammelband der auf der Fachtagung für Epigraphik in Graz 1988 gehaltenen Vorträge, der von Walter Koch in der Reihe der Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird. »
  42. Möglicherweise deuten in Herrs Beschreibungen Angaben wie „Inschrift in goldenen Buchstaben auf einer Tafel ausgeführt“ (Nr. 136 u. a.) auf Holzepitaphien hin. »
  43. Da Herr keine Angaben über das verwendete Material macht, kann man in einigen Fällen nur vermuten, daß es sich um Marmorplatten gehandelt hat, z. B. bei den Epitaphien der Familie Falke (Nr. 118). »
  44. Vgl. Neukirch, S. 67. »
  45. Bei bürgerlichen Familien bestehen die Wappeninhalte oft aus Hausmarken, z. B. Nr. 69»
  46. Sofern der Überlieferung Herrs in diesem Fall zu glauben ist, hat die bürgerliche Familie Reiche im Jahr 1626 das Epitaph des Konrad (Nr. 133) mit acht Wappen aus weißem Alabaster geschmückt. »
  47. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß zwischen 1457 und 1528 aus dem Stift St. Bonifatii keine Grabschrift überliefert ist. Eine Erklärung für diese Lücke in der Überlieferung kann nicht gegeben werden. »
  48. Im Vergleich mit anderen Inschriftencorpora setzt die Volkssprache im Hamelner Grabschriftenbestand mit dem Jahr 1547 verhältnismäßig spät ein. Aus dem süddeutschen Raum sind deutsche Grabschriften bereits seit dem 13. Jahrhundert bekannt, vgl. Hans Ulrich Schmid, Die deutschsprachigen Inschriften in Regensburg. Edition, Untersuchungen zur Sprache, Abbildungen. Mit einem Beitrag von Franz Fuchs: Zur kopialen Überlieferung mittelalterlicher Regensburger Inschriften. (Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft 40). Frankfurt/M. usw. 1989. Aber auch in Norddeutschland, wo die lateinische Sprache in den bisher edierten Beständen bis zum Ende des Berichtszeitraums dominant bleibt, sind deutsche Grabschriften früher als in Hameln bezeugt, vgl. DI XXVI (Osnabrück), Nr. 48 Epitaph des Gerd Marschalk aus dem Jahr 1463. In Göttingen setzen Grabschriften in der Volkssprache allerdings noch später ein als in Hameln, die erste stammt frühestens aus dem Ende des 16. Jahrhunderts, vgl. DI XIX (Göttingen), Nr. 137»
  49. Diese Formel, die ja keine wörtliche Übersetzung des ihr entsprechenden lateinischen Texts ist, läßt sich auch in den übrigen bisher edierten Inschriftencorpora vielfach belegen. »
  50. Aus den derzeit überschaubaren norddeutschen Inschriftenbeständen erkennt man, daß – mit Ausnahme des Braunschweiger Materials – die Volkssprache dem Lateinischen bis zum Ende des Berichtszeitraums unterlegen blieb. Eine genauere Übersicht zum Verhältnis Latein/Deutsch in den bisher edierten Inschriftenbänden demnächst in: Christine Wulf, Versuch einer Typologie deutschsprachiger Inschriften. Erscheint im Sammelband der auf der Tagung für Epigraphik in Graz 1988 gehaltenen Vorträge, hg. von Walther Koch in der Reihe: Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. »
  51. Die formal konstante literarische Tradition des lateinischen Epitaphs ist dargestellt von Iiro Kajanto, Classical and Christian. Studies in the Latin Epitaphs of Medieval and Renaissance Rome. Helsinki 1980. »
  52. Über die Verwendung der Epitheta gibt im einzelnen das Register Nr. 6 Auskunft, S. 153. »
  53. Vgl. dazu ausführlicher die Einleitung zu Band DI XXVI (Osnabrück), S. XX»
  54. Diese Topik hat auch eine starke mittelalterliche, zumal karolingische, Tradition, vgl. dazu Maria Hereswitha Hengstl, Totenklage und Nachruf in der mittellateinischen Literatur seit dem Ausgang der Antike. Diss München 1936 (gedruckt Würzburg 1936), sowie Günter Bernt, Das lateinische Epigramm im Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter. München 1988. Münchener Beiträge zur Renaissance-Forschung 2, S. 8–12. »
  55. DI XXVI (Osnabrück), Nr. 144 Grabschrift des Johann Bremer in sapphischen Hendekasyllaben (1583); Nr. 147 Grabschrift des Theodor Bremer in Distichen (1583) u. a. »
  56. Vgl. DI XIX (Göttingen): Nur die Grabschriften Nr. 128, 139, 163, 182 sind den humanistisch geprägten Versepitaphien des Hamelner Bestands vergleichbar. Nr. 139 und Nr. 182 sind allerdings im Anhang von Leichenpredigten überliefert, es bleibt daher zweifelhaft, ob sie inschriftlich ausgeführt waren. »
  57. Lateinische Grabschriften für Bürger finden sich in ähnlichem Umfang wie in Hameln noch im Oppenheimer Inschriftenmaterial, vgl. DI XXIII (Oppenheim), Nr. 150, 181, 182 u. ö. »
  58. Die folgenden Ausführungen gelten sowohl für die Prosagrabschriften, die neben einem Grabgedicht stehen, als auch für isolierte Prosagrabschriften, da sich beide Formen kaum unterscheiden. »
  59. Die Nennung der Ämter des Verstorbenen ist kein nachreformatorisches Spezifikum, für Kanoniker ist sie bereits seit 1423 belegt (Nr. 17). »
  60. Vgl. Rothert, S. 6. »
  61. Meissel war nebenamtlicher Stadtarchivar. Von ihm ist außer der Inschriftensammlung ein Register zu den ältesten Hamelner Kirchenbüchern sowie eine Liste der in Hameln erwähnten Bürger erhalten. »
  62. Die Meistermarke des Cord Tönnies ist im Anhang 2, S. 136 wiedergegeben. Näheres zu den einzelnen Renaissancebaumeistern siehe bei Kreft/Soenke, S. 14–45. »
  63. Da in der überwiegenden Zahl der Fälle auf einer Hausfassade mehr als eine Inschrift vorkommt, also oftmals lateinische und deutsche Texte aus verschiedenen Zeiten auf ein- und demselben Inschriftenträger stehen, habe ich im folgenden die Inschriften nicht nach den Artikelnummern, sondern einzeln gezählt. »
  64. Die Durchsicht der im HUB edierten Urkunden hat im einzelnen folgende Zahlenverhältnisse ergeben: »
  65. Die Themen sind über das Sachregister S. 149 zu erschließen, über den Anteil der einzelnen Inschriftengattungen (wie z. B. Bibelzitate, Stiftungsinschriften etc.) informiert das Register 4. Texttypen, Sprachen S. 151. »
  66. Nr. 40, 54, 70, 76, 98, 100, 107, 111»
  67. Aufgrund ihrer metrischen Fassung hat Bernd Ulrich Hucker diese Texte als „historische Merkverse“ bezeichnet, vgl. Bernd Ulrich Hucker, Historische Merkverse als Quellen der Landesgeschichte. Mit einer Sammlung norddeutscher Merkverse. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte, Bd. 120, 1984, S. 293–328. Da die versifizierte Gestalt allein noch kein Indiz dafür ist, daß die Texte zum Auswendiglernen verfaßt worden sind, bezeichne ich sie nicht als Merkverse, sondern als „historische Sprüche“. »
  68. Näheres zum Inhalt der historischen Sprüche, die auf allgemeine stadtgeschichtliche Ereignisse Bezug nehmen, siehe oben im stadtgeschichtlichen Abriß, S. XVf. »
  69. Die mit der Inschrift vom Haus Markt 1 überlieferte Jahreszahl ist nach den Collectanea Herrs ergänzt. Da Herrs Aufzeichnungen in der Regel zuverlässig sind, ist auch an diesem Datum nicht zu zweifeln. »
  70. Die Handschrift befindet sich heute als Leihgabe im Museum Hameln. Eine Abbildung der Seite mit dem Bericht über den Hamelner Kinderauszug siehe Humburg, S. 39. »
  71. In der chronologisch angelegten Quellensammlung zur Hamelner Rattenfängersage von Hans Dobbertin ist die Lüneburger Handschrift erst als viertes Zeugnis genannt (S. 15). Bei genauerem Hinsehen erweisen sich aber die drei vermeintlich älteren Quellen als falsch datiert. Das Glasbild aus der Nicolaikirche (Dobbertin Nr. 1) stammt nicht von 1300, sondern ist aller Wahrscheinlichkeit nach erst 1572 entstanden. – Für eine Datierung des einer Urkunde von 1351 angefügten Zusatzes post exitum puerorum (Dobbertin Nr. 2) auf „um 1375“ gibt Dobbertin keine ausreichenden Gründe an. – Auch die Annahme, daß die aus dem Jahr 1688 stammenden Aufzeichnungen Heinrich Meiboms auf einen um 1384 entstandenen im Stift St. Bonifatii aufgezeichneten historischen Spruch (Dobbertin Nr. 3) zurückgehen, ist nicht hinreichend bewiesen. »
  72. Noch nicht eindeutig geklärt scheint das Problem der von vielen Autoren bezeugten Hamelner Sonderzeitrechnung „nach dem Auszug der Kinder“, die außer in der Lüneburger Handschrift auch in der Chronik der Grafen von Zimmern (Dobbertin Nr. 12) erwähnt wird: Diser wunderbarlichen geschicht zu ewiger gedechtnuß schreibt iezermelte stat (sc. Hameln) in allen iren briefen am datum nach Christi gepurt die rechte jarzall, daran henken sie aber und nach verlierung unserer Kinder in dem oder dem jar. Einige wenige erhaltene Urkunden tragen tatsächlich einen offenbar nachträglich eingefügten Zusatz über den Kinderauszug, aber merkwürdigerweise wird dabei jeweils nur das Jahr des Kinderauszugs nach dem üblichen Kalender – übrigens mit unterschiedlichen Jahreszahlen – erwähnt, jedoch nie die Zahl der Jahre „nach dem Auszug der Kinder“ angegeben. Allein die Inschrift vom damaligen Neuen Tor (Nr. 45) erweitert in solchem Sinne die Datierung, indem sie die zeitliche Differenz zu jenem Ereignis (ante annos 272) der normalen christlichen Zeitrechnung hinzufügt. »
  73. In folgenden Reiseberichten und Beschreibungen der Stadt Hameln sind die bildlichen Darstellungen erwähnt: Lucas Lossius, Ecclesiasticae historiae et dicta (...), Frankfurt 1571 (Dobbertin Nr. 15); Augustin von Mörseberg, Reisechronik 1592 (Dobbertin Nr. 35); Adelar Erich, Thuringische Chronica, um 1600 (Dobbertin Nr. 40) u. a. »
  74. Außer dem Glasbild in der Marktkirche (Nr. 76) befanden sich auch an mehreren Häusern bildliche Darstellungen des Kinderauszugs und wohl auch der Rattenbeschwörung, u.a. am Haus Markt 1, von dem das älteste inschriftliche Zeugnis des Kinderauszugs stammt. Weitere Belege für bildliche Darstellungen bei Dobbertin Nr. 16. »
  75. Text bei Dobbertin Nr. 35. Abb. 17. Eine Abbildung gibt auch Humburg, S. 49. »
  76. Jobst Johann Backhaus, Chronicon Hamelense rhytmicum, gedruckt bei Dobbertin Nr. 30. »
  77. Näheres zu Erich siehe Katalogartikel Nr. 155 dieses Bandes; die einschlägige Stelle ist zitiert bei Dobbertin Nr. 71. »
  78. Vgl. HSTA Hannover, Hann. 75, 54: Reliquien und Pretiosa des Stifts St. Bonifacii zu Hameln 1663 bis 1867. »
  79. Die geraubten Gegenstände kamen allerdings zum Teil wieder an das Stift zurück, vgl. (wie Anm. 87): Die dem Stift gestohlenen pretiosa und reliquiis. Actum de Hameln dem 16. November anno 1700. »
  80. (Wie Anm. 87): Die Akte enthält den Vermerk, daß die „Sachen“ 1772 nach Hannover gesandt wurden, aber auch mit diesem Hinweis ist keines der ehemals Hamelner Stücke zu identifizieren. – Die Reliquien wurden 1867 vom Klosteramt Wennigsen an den Bischof von Hildesheim gegeben. »
  81. Vgl. Spanuth, Geschichte II, S. 254 und 256. »
  82. Vgl. Spanuth, Geschichte II, S. 261: Am 29. Juni 1855 war in der Deister- und Weserzeitung die Nachricht zu lesen, daß mit dem Abbruch des Gotteshauses St. Bonifatii in vierzehn Tagen begonnen werden solle. »
  83. Über die Geschichte der Glocken informiert ein von Hans Kittel verfaßter Artikel im Jahrbuch 1966 mit dem Titel: Glocken des Münsters und der Marktkirche, S. 38–42. »
  84. Sie liegt in einem Neudruck, Hannover 1979, vor. »
  85. Der Vergleich mit anderen Beständen zeigt, daß Glocken häufig als erste der Inschriftenträger mit deutschen Texten versehen sind, näheres dazu: Wulf (wie Anm.55). »
  86. Vgl. die Fraktur-Definition bei Kloos, S. 143: Kennzeichen der Fraktur sind demnach „die auslaufenden, vielfach unter die Zeile herabgezogenen Unterlängen von f und langem s, das einstöckige a, mandelförmige Bildung des o und andere Rundbuchstaben.“ »
  87. Ein Beispiel für eine Frakturinschrift findet sich am Haus Wendenstr. 4. »
  88. Im Osnabrücker Material gibt es fließende Übergänge zwischen der humanistischen Minuskel und der Fraktur, vgl. DI XXVI (Osnabrück), S. XXVIIIf. »
  89. Grundsätzliche Ausführungen zu den Differenzierungen innerhalb der Kapitalisschriften gibt der auf der Fachtagung für Epigraphik in Graz 1988 gehaltene Vortrag von Renate Neumüllers-Klauser, der demnächst im Sammelband der Tagung, hg. von Walter Koch, in der Reihe der Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erscheint. »
  90. Die Kapitalisinschrift am 1504 gebauten Haus in der Thietorstr. 23 ist aller Wahrscheinlichkeit nach erst später angebracht worden. Die aus kapitalen Buchstaben bestehende Nameninschrift am Haus Alte Marktstr. 9 ist für eine schriftgeschichtliche Betrachtung außer acht zu lassen, da sie ohne erkennbaren Formwillen offenbar von ungeübter Hand ausgeführt wurde. »
  91. Der jüngste Beleg in Göttingen stammt von 1499, DI XIX (Göttingen), Nr. 57; der jüngste Beleg im Osnabrücker Material findet sich auf dem Rathausgestühl von 1554, vgl. DI XXVI (Osnabrück), Nr. 106»
  92. Vgl. DI V (München), S. XXIII; DI XII (Heidelberg), S. XX; in beiden Beständen finden sich keine Inschriften in frühhumanistischer Kapitalis nach 1500, lediglich in Nürnberg lassen sich noch einzelne Beispiele nach der Jahrhundertgrenze belegen, vgl. DI XIII (Nürnberg), S. XX. »
  93. Vgl. z. B. das im Tafelteil bei Kloos gegebene Bild des Grabtitels auf dem Epitaph des Veit Dietrich von 1549, Tafel VII, 1. »