Die Inschriften der Stadt Hameln

3. Inschriften, Inschriftenträger und Überlieferung

Von den 188 Hamelner Inschriften entfallen 140 zu fast gleichen Teilen auf Hausinschriften und Grabinschriften. Eine dritte wesentlich kleinere Gruppe bilden die Texte auf kirchlichen Ausstattungsgegenständen, wozu hier auch die Vasa sacra gezählt werden. Da das Verhältnis zwischen originaler und kopialer Überlieferung in jeder der drei Gruppen verschieden ist und jede ihre eigene Überlieferungsgeschichte und einen eigenen Überlieferungszeitraum hat, sollen im folgenden die drei Inschriftengruppen je für sich behandelt werden.

3.1. Grabinschriften

Von den 74 Grabinschriften des Hamelner Bestands sind nur noch 30 original erhalten, die übrigen sind kopial überliefert. Die überwiegende Zahl der erhaltenen Grabsteine ist bei der letzten Renovierung im Jahr 1975 in das Innere des Münsters St. Bonifatii gebracht worden, allerdings nur einer von ihnen (Nr. 115) an seinen ursprünglichen Standort. Vier kleine Gedenksteine (Nr. 140, 146, 154, 161) befinden sich am originalen Platz außen an der südlichen Wand des Hohen Chores, einer (Nr. 74) am Haus Münsterkirchhof 2, fünf weitere im Museum (Nr. 69, 88, 106, 144, 149). Die heutigen Standorte der Steine können also keinen Eindruck von ihrer ursprünglichen Lokalisierung vermitteln. Dank der kopialen Überlieferung einer großen Zahl der Hamelner Grabschriften in den Collectanea des Magister Johann Daniel Gottlieb Herr läßt sich jedoch die um 1760 gültige Anordnung der Denkmäler rekonstruieren. Zwar entspricht diese nicht mehr in allen Fällen den mittelalterlichen Verhältnissen, sie dürfte jedoch – mit Ausnahme der Bodenplatten in der Kirche – annähernd den Befund vom Ende des Berichtszeitraums wiedergeben. Der überragende Wert der Herr’schen Sammlung liegt somit nicht nur in der Beschreibung der verlorenen Grabdenkmäler und der Überlieferung ihrer Inschriften, sondern auch darin, daß sie wichtige Informationen über die ursprünglichen Standorte der erhaltenen Grabdenkmäler enthält.

3.1.1. Kopiale Überlieferung der Grabinschriften: Die Sammlung Johann Daniel Gottlieb Herrs

In den Jahren 1757 bis 1763 legte der Hamelner Pastor primarius an St. Bonifatii, Johann Daniel Gottlieb Herr, seine „Collectanea zur Geschichte der Stadt Hameln“ an. Die 870 Folio-Seiten umfassende Handschrift ist eine „Sammlung des Stoffes zu einer Geschichte der Stadt Hameln“, in der „viele Kleinigkeiten, blos curiositatis gratia notiert“ worden sind.1) Sie enthält eine Auswahl von Quellen zur Gründungsgeschichte des Bonifatiusstifts neben einer aus Herrs aktuellem Erleben geschriebenen Chronik über das „Wohl und Wehe der Stadt Hameln im Siebenjährigen Krieg“.2) Eine Baugeschichte des 1610–1617 entstandenen Hochzeitshauses, des sogenannten „Neuen Gebäudes“, nimmt ein ganzes Kapitel ein; außerdem berichtet Herr über den Ort und den Erhaltungszustand der Warten und Mühlen der Stadt. Auch zum Hamelner Kinderauszug hat Herr (S. 685–699) Quellen zusammengestellt. Sein wesentliches Interesse galt aber der Geschichte der beiden Kirchen St. Bonifa-[Druckseite XVII]-tii und St. Nicolai, auf die er ausführlich und mit vielen Details eingeht. Er stellt die baulichen Verhältnisse dar und verzeichnet die zu seiner Zeit vorhandenen kirchlichen Ausstattungsgegenstände sowie die meisten Grabdenkmäler aus dem Kircheninneren, dem Kreuzgang und vom Münsterkirchhof mit ihren Inschriften. Ferner stellt er Listen der Hamelner Kanoniker, Pastoren, Organisten und Lehrer der Stiftsschule zusammen und bietet einen Katalog der in der Stiftsbibliothek vorhandenen Bücher (S. 847ff.). Die Collectanea erhalten also nicht nur Bedeutung als wichtigste kopiale Inschriftenüberlieferung, sie bieten darüber hinaus auch wesentliches Material für die Kommentierung der einzelnen Texte.

Überlieferungsgeschichte der Herr’schen Collectanea

Die handschriftlichen Aufzeichnungen des Magister Herr sind in den Jahren 1757 bis 1763 entstanden. Zwei Jahre nach Abschluß dieser Arbeit starb Herr im Alter von 37 Jahren. 1771 kaufte der Magistrat der Stadt Hameln aus dem Herr’schen Nachlaß die Originalhandschrift der Collectanea, die im Zweiten Weltkrieg nach Hannover ausgelagert und dort zerstört wurde. Vom Original sind zwei vollständige Kopien und wenigstens zwei Teilabschriften angefertigt worden, die im folgenden mit den Siglen Herr 1, 2, 3, 4 bezeichnet sind.

Die Handschrift Herr 1 wurde wahrscheinlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts vom Original abgeschrieben. Sie liegt heute in zwei Bände gebunden im Stadtarchiv Hameln unter den Signaturen MS 29 und 30. Die Abschrift gibt das Original vollständig wieder, die Lagepläne und Zeichnungen, die im Original wahrscheinlich vorhanden waren, sind jedoch nur zum Teil kopiert worden. Hinsichtlich der Inschriften ist die Abschrift vollständig und bis auf die durch zahlreiche Abschreibfehler entstellten lateinischen Grabschriften weitgehend zuverlässig.

Die Handschrift Herr 2 ist 1901 als Abschrift von Herr 1 im Hamelner Bezirksgefängnis entstanden. Ihr Auftraggeber war der stadtgeschichtlich interessierte Hamelner Bürger Georg Pflümer, aus dessen Nachlaß das Stadtarchiv 1944 die Handschrift erworben hat. Sie wird heute dort unter der Signatur MS 28 aufbewahrt. Der Text weist durchgehend Korrekturen auf, die von Pflümer selbst nach dem Vergleich mit der Originalhandschrift ausgeführt wurden. Diese Korrekturen werden ergänzt durch eine Errata-Liste am Schluß (S. 877).3) Aufgrund der Korrekturen, die aber keineswegs alle Fehler des Schreibers von Herr 1 tilgen, bietet Herr 2 an vielen Stellen den besseren Text. Leider hat Pflümer die Zeichnungen, die auch in Herr 1 fehlen, nicht nach der Originalhandschrift ergänzt, sondern – wie im Falle des „Siebenlinge-Steins“ (Nr. 106) – eine Photographie des aktuellen Zustands eingeklebt.

Die Handschrift Herr 3 ist eine Teilabschrift mit dem Titel „Beschreibung der Inschriften und Epitaphiorum, welche sich in dem vormahligen sogenanten Stifts Creutzgange befunden haben“. Sie enthält nur die Seiten 215 bis 225 der Collectanea. Soweit die Filiation auf der Grundlage der recht geringen Textmenge zu bestimmen ist, stammt diese Teilabschrift ebenfalls von Herr 1 ab. Der Schreiber hat die Vorlage getreu kopiert und nur wenige Lesefehler gemacht.4) Diese Handschrift weist in keinem Fall textkritisch relevante Abweichungen auf. Sie gehört heute zu den Beständen des Hauptstaatsarchivs in Hannover und hat die Signatur Hann. 75, Nr.154.

Die Handschrift Herr 4 ist ebenfalls eine Teilabschrift, die aber im Unterschied zu Herr 2 und 3 auf das Original Herrs zurückgeht. Sie ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, möglicherweise im Zusammenhang mit dem Besuch des hannoverschen Königs Georg V. in Hameln im Jahr 1855/56, für den auch Urkundenabschriften angefertigt wurden.5) Ihr Inhalt beschränkt sich auf die Teile der Collectanea, die unmittelbar mit dem Stift in Beziehung stehen. Heute gehört sie zu den Beständen des Archivs der Münsterkirche St. Bonifatii unter der Signatur Bon. A. 110. Die Abschrift Herr 4 bietet einen stark verdorbenen Text, der Schreiber hatte offensichtlich keine Kenntnisse des Lateinischen, und auch das Entziffern der deutschen Textteile seiner Vorlage bereitete ihm große Schwierigkeiten. Fehler des Typs Waggen für Wappen, coniax für coniux, Sander für Tandem lassen sich in unzähligen Varianten beobachten. Auch mit den Hamelner Familiennamen war der Schreiber offenbar nur unzulänglich vertraut, wie das Beispiel Musmanni statt Murmannus zeigt. Neben diesen evidenten Lesefehlern finden sich in Herr 4 jedoch einzelne Formen, die den Vorzug vor der übrigen Überlieferung verdienen. Beim Epitaph der Anna Falke (Nr. 118): statt sic in foemineo fax (Herr 1, 2, 3) liest Herr 4 sicher richtig sic in foemineo lux, desgleichen beim Epitaph des Johannes Falke (Nr. 118) metrisch korrekt sine iure. In der Grabschrift des Ambrosius Glandorp (Nr. 132) hat Herr 4 die inhalt-[Druckseite XVIII]-lich sinnvollere Variante viator abi anstelle von viator obi der übrigen Textzeugen. Die zitierten Fälle legen den Schluß nahe, daß Herr 4 nicht die Schreibfehler von Herr 1, 2, 3 tradiert, sondern direkt auf die Originalhandschrift Herrs zurückgeht. Dies wird bestätigt durch die Tatsache, daß nur Herr 4 die Inschrift des Epitaphs der Familie Römer, des sogenannten Siebenlinge-Steins (Nr. 106), überliefert. Nach Auskunft Spanuths war diese im Original auf einem in die Handschrift eingelegten Zettel aufgezeichnet6), der bei der Abschrift von Herr 1, 2, 3 vermutlich unberücksichtigt geblieben ist.

Hinweise zur Edition der bei Herr überlieferten Inschriften

Der für die Überlieferung von Inschriften ungewöhnliche Fall einer Aufzeichnung der Texte in vier Handschriften macht gewisse Vorüberlegungen für die Edition notwendig. Wie in allen Bänden der Reihe ‚Die Deutschen Inschriften‘ gilt auch für die Edition der Hamelner Inschriften, daß bei kopial überlieferten Texten fehlerhafte Stellen gebessert werden. Die Lesarten der Überlieferung sind in diesen Fällen im Apparat vermerkt. Um jedoch den Apparat von unnötig vielen nichtssagenden Schreibervarianten zu entlasten, habe ich jeweils nur die der beiden auf das Original zurückgehenden Handschriften Herr 1 und Herr 4 berücksichtigt, wenn es sich um Differenzen handelt, die keine inhaltliche Abweichung anzeigen. Sofern Herr 1 und Herr 4 übereinstimmen, steht „Herr“ hinter den Lesarten, da diese aller Wahrscheinlichkeit nach aus Herrs Original stammen. Bei sinntragenden Varianten oder in Zweifelsfällen sind sämtliche Lesarten der Handschriften Herr 1–4 mitgeteilt.

3.1.2. Standorte der Grabdenkmäler um 1760

Die schriftlichen Aufzeichnungen Herrs enthielten ursprünglich offenbar mehrere Zeichnungen einzelner Inschriftenträger und zwei Lagepläne, die den Ort der Grabdenkmäler in der Kirche und im Kreuzgang angaben. Von diesen Plänen ist nur noch der des Kreuzgangs erhalten, der Plan des Kircheninneren ist entweder nie angelegt worden oder im Laufe der Überlieferungsgeschichte verlorengegangen. Daher können über den Ort der Grabdenkmäler in der Kirche keine exakten Angaben mehr gemacht werden. Da Herr jedoch die Texte in der Folge eines Rundgangs, der im südlichen Seitenschiff in der Vierung beginnt, aufgezeichnet hat, lassen sich aus der Reihenfolge und aus seinen knappen Angaben zur Lokalisierung in den meisten Fällen die ehemaligen Standorte der Inschriftenträger erschließen. Bei den Grabdenkmälern vom ehemaligen Münsterkirchhof ist dies hingegen nur ausnahmsweise möglich.

Grabdenkmäler im Kircheninneren

Unter der Überschrift „De monumentis sepulchralibus in ecclesia St. Bonifacii Hamelensis“ führt Herr S. 137ff. die folgenden Grabdenkmäler auf:

(Hinweis: Die laufende Numerierung stammt von Herr, die Nummern haben sich auf einen Lageplan bezogen, der verloren ist. Ein * nach der Nummer kennzeichnet Grabdenkmäler, die außerhalb des Berichtzeitraums entstanden sind. In runden Klammern steht die Nummer des entsprechenden Artikels im Katalogteil dieser Arbeit.)

1.* Johann Friedrich Schwartz † 1690, Anna Katharina Kerckmann, Holzepitaph.

2. Ernst von Reden † 1589 (Nr. 87). Das Epitaph war nach Angaben Herrs über dem sogenannten Stiftsstuhl an der Mauer angebracht. Demnach muß es sich in unmittelbarer Nähe des Spruchbands (Nr. 20) im südlichen Seitenschiff befunden haben.

3. Jobst Reiche † 1587 (Nr. 84).

4. Jacobus Niehus † 1588 und Engel Hostmann (Nr. 85). Die Grabschrift war auf einer an einem Pfeiler befestigten Tafel ausgeführt.

5. Cunradus Reiche † 1626 (Nr. 133).

6.* Godofredus Ludwig † 1709. Das Epitaph war an einem Pfeiler befestigt.

7. Hieronymus Justus Hake † 1615 ? (Nr. 115). Das Epitaph war nach Angaben Herrs an einem Pfeiler befestigt, möglicherweise an demselben nordöstlichen Vierungspfeiler, an dem es heute angebracht ist.

8. Ilse von Reden † 1571 (Nr. 75). Die Grabschrift war auf einer an einem Pfeiler befestigten Tafel ausgeführt.

9. Johannes Reimerdes † 1576 (Nr. 78).

10. Justus und Katharina Murmann, vor 1632 ? (Nr. 136). Das Epitaph hing an einem Pfeiler.

11.* Johann Bernhard von Meucheln † 1678.

12.* Friedrich Ludwig Reiche † 1703, ein „prachtvolles großes Epitaph aus Holz an einem Pfeiler befestigt“.

[Druckseite XIX]

13. Johannes Bock † 1620 (Nr. 122). Das Epitaph war an einem Pfeiler neben dem Altar befestigt.

14. Heinrich Jürgen Reiche † 1627 (Nr. 134). Die Grabplatte war an der Mauer befestigt.

15. Lambertus Hermann † 1567 (Nr. 71). Das Epitaph war über dem des Rudolf von Holle an der Mauer angebracht.

16. Rudolf von Holle †1560 (Nr. 65).

17. Hans von Wingenrat †1547 (Nr. 49).

18. Familie von Helversen (Nr. 171). Das Holzepitaph befand sich an der Kapelle St. Johannis über dem Altar.

Grabdenkmäler an den Außenwänden der Münsterkirche

Herr beginnt seine Aufzeichnungen über die Grabdenkmäler, die sich an den Außenwänden der Kirche befunden haben, auf der Südseite, etwa dort, wo der Kreuzgang an die Kirchenmauer anschloß. Er nennt zunächst das Rupertische Epitaph von 1703, das in Form einer Pyramide gestaltet war und nahe der Kirche gestanden hat (Herr, S. 161). Dahinter war auf einem an der Wand befestigten Stein die Grabschrift des Johannes de Unne von 1558 (Nr. 63) angebracht, neben der Kirchentür auf einem kleinen Stein die Grabschrift der Anna Elisabeth Reiche von 1655, „hieneben auf einem kleinen Stein folgendes: Anna Margareta Elisabeth Catharina anonyma puella“. An der Bibliothek – der heutigen Elisabethkapelle – befand sich das große Epitaph der Familie Falke (Nr. 118), in der Kirchenmauer unterhalb des Hohen Chors die noch heute dort befindlichen Grabsteine der Familie Feltmann/Prätorius (Nr. 140, 146, 154). In die Ostwand war das Grabdenkmal der 1655 verstorbenen Anna Elisabeth Ludewig eingelassen, daneben, nach Norden zu, das Begräbnis der Familie Prätorius, das vorher der Familie Pole gehört hatte. An der Nordwand war an einem Pfeiler außen am Kapitelsaal das Epitaph des Johannes Havergo (vgl. Nr. 83) angebracht, desgleichen das Epitaph des Johannes Kulemann (Nr. 187). Zwischen diesen Pfeilern befand sich das mit einem eisernen Gitter umschlossene Rodewaldsche Begräbnis. Neben dem zweiten Pfeiler waren zwei ovale Bleche mit den Grabschriften des Melchior Westerholz und der Catharina Gehrdes angebracht, die außerhalb des hier erfaßten Zeitraums liegen. Am dritten Pfeiler hing das Tuntesche Epitaph (Nr. 80). Ebenfalls an der Nordwand, direkt gegenüber dem großen Kruzifix (Nr. 41), befand sich das Grabmal der Katharina Vogedes (Nr. 74).

Grabdenkmäler an der ehemaligen Stiftsschule

An der Schule befanden sich an der östlichen Außenwand folgende Epitaphien:6)

1. Epitaph der Familie Hagemann, nach 1600 (Nr. 105)

2. Epitaph der Familie Frese (Friesen), 1626 (Nr. 131)

3. Johann Moritz Spilcker † 1644 (Nr. 153)

4. Lucia Margreta Spilcker † 1643 (Nr. 152)

5. Epitaph der Familie Grund, nach 1623 (Nr. 128)

6. Adelheid von Walthausen † 1574 (Nr. 77)

Grabdenkmäler im Kreuzgang

Der Kreuzgang war spätestens seit 1330 (vgl. Nr. 5) Begräbnisstätte für Stiftsherren. Seine erste urkundliche Erwähnung datiert von 1282 (HUB I, 88). Nach Herrs Beschreibung war er zweigeschossig angelegt und verband die Schule mit der Kirche, so daß die Schüler über das obere Geschoß durch die Johannes-Kapelle zum Gottesdienst auf den Hohen Chor gelangen konnten. Im Jahr 1763 wurde der Kreuzgang abgebrochen und das Material für die Befestigungsanlagen verwendet. Da man 1763 zunächst nur zwei Seiten des Kreuzgangs abgetragen hatte, machten die Stiftsangehörigen nach 1824 gegenüber dem Magistrat ihr Recht geltend, kostenlos im Kreuzgang unter der Schule bestattet zu werden. Aus gesundheitspolizeilichen Gründen hob der Magistrat dieses Recht spätestens 1831 auf und ordnete an, daß die Stiftsangehörigen künftig auf dem allgemeinen Friedhof beigesetzt werden sollten.7)

Zu Herrs Zeiten hieß der Kreuzgang „Patricienkirchhof“ und diente sowohl für die Stiftsangehörigen als auch für die Familien der städtischen Oberschicht als Begräbnisort. Nach Herrs Aufzeichnung, die unmittelbar vor dem Abbruch des westlichen und des östlichen Kreuzgangflügels stattgefunden hat, befanden sich dort folgende Denkmäler:

[Druckseite XX] (Die laufenden Nummern der nachstehenden Liste stimmen mit den Ziffern in der nebenstehenden Zeichnung überein und bezeichnen die Standorte der Epitaphien).

1. Werner Spilcker † 1566 (Nr. 69).

2. Severin Spilcker, Epitaph nach 1616 gesetzt (Nr. 116).

3. Anna Katharina Bartling † 1634 (Nr. 138).

4.* Heinrich Rhynfisch, Epitaph nach 1659 gesetzt.

5. Margareta Reiche † 1599 (Nr. 99).

6. Johann Reiche † 1529, Jost Reiche † 1545, Anton Reiche † 1552 (Nr. 55).

7. Johann Reiche, Dorothea Leist, Conrad Florichen, Epitaph nach 1600 gesetzt (Nr. 104).

8. Katharina Hedewig Reiche † 1614 (Nr. 113).

9. Dietrich von Halle † 1440 (Nr. 22).

10. Johannes Hornemann † 1578 (Nr. 79).

11. Heinrich Corrigiatoris † 1423 (Nr. 16).

12. Johann de Holtorpe † 1403 (Nr. 13).

13. Johannes von Pohle † 1395 (Nr. 8).

14. Heinrich Reiche † 1383 (Nr. 7).

15. Hermann Collemann † 1431 (Nr. 21).

16. Amelius Trecht † 1455 (Nr. 24).

17. Arnold von Bavensen † 1457 (Nr. 25).

18. Heinrich Schene † 1425 (Nr. 19).

19.* Johannes Rademin † 1671.

20. Johannes Unnesen † 1423 (Nr.18).

21. Heinrich Wulbeke † Ende 14. Jh. (Nr. 10).

22. Bertram Holthusen † 1423 (Nr. 17).

23. Ludolf Senepmole † nach 1419 (Nr. 14).

24. Bartold Pennick † 1528(?) (Nr. 43).

25. Hermann Scheffer † 1595 (Nr. 94).

26. Hans Leist † 1330 (Nr. 5).

27. Ludolf von Halle † 1530 (Nr. 44).

28. (...) Reimerdes † 1550 (Nr. 50).

29.* Justus Heinrich von Walthausen † 1707.

30.* Epitaph Nortmann † 1658.

31.* Katharina Nolte † 1672.

32. Hermann Sprengel † nach 1422 (Nr. 15).

[Druckseite XXI]

Grabdenkmäler auf dem Münsterkirchhof

Der Münsterkirchhof war bis zum Ende des Berichtszeitraums der einzige Begräbnisplatz für die Stadt. Die Marktkirche hatte aufgrund ihres bereits erwähnten Filialverhältnisses zum Stift St. Bonifatii kein Begräbnisrecht.8) Von den Gräbern auf dem Münsterkirchhof verzeichnet Herr nur die wenigen „merkwürdigen“, dazu gehören unter anderen das Epitaph des Thiele Römer, der sogenannte „Siebenlinge-Stein“ (Nr. 106), und das Epitaph des Ambrosius Glandorp (Nr. 132). Herrs selektive Wiedergabe der Grabschriften vom Münsterkirchhof läßt den Schluß zu, daß viele der bei ihm nicht verzeichneten Grabsteine, über deren Provenienz wir auch sonst nichts wissen, vom Münsterkirchhof stammen und von Herr bewußt übergangen wurden.

Aus den Angaben Herrs über die Anbringungsorte der Grabdenkmäler läßt sich zusammenfassend folgendes festhalten:

Der Kreuzgang gilt für die Zeit vor der Reformation als der den Stiftsherren vorbehaltene Begräbnisplatz. Unter den von Herr aus dem Kreuzgang überlieferten Grabschriften finden sich jedoch auch drei für Verstorbene, die offenbar nicht dem Stift angehörten (vgl. Nr. 5, 6, 44). Aus dem Kircheninneren überliefert Herr ausschließlich Grabdenkmäler der nachreformatorischen Zeit und auffälligerweise nur eine einzige in den Boden eingelassene Grabplatte (Nr. 127), die sich vor dem Aufgang zur Kanzel befunden hat. Daß der Boden der Münsterkirche mit Grabplatten bedeckt war, zeigt eine im Archiv der Münsterkirche aufbewahrte Zeichnung des Kircheninneren von 1850. Offenbar hat Herr die auf dem Boden befindlichen Grabplatten nicht verzeichnet. Er plante aber aller Wahrscheinlichkeit nach, auch diese aufzunehmen, denn er hat an der entsprechenden Stelle seiner Collectanea 15 Seiten freigelassen. Diese Lücke in den Herr’schen Aufzeichnungen läßt sich nicht aus einem Sprung in der Seitenzählung in den beiden vollständigen Abschriften erkennen, die neben einer eigenen Paginierung die des Originals beibehalten haben. Wahrscheinlich konnte Herr die Inschriften der Bodenplatten nicht aufnehmen, weil Kirchenbänke darauf standen.

Vom Münsterkirchhof überliefert Herr zu einem großen Teil Inschriften, die nicht mehr in den Berichtszeitraum gehören. Offenbar führte der Platzmangel auf dem Friedhof dazu, daß die Grabsteine schon nach wenigen Generationen entfernt und durch andere ersetzt worden sind.

3.1.3. Gestaltung der Grabdenkmäler

Die überlieferten Grabdenkmäler lassen sich hinsichtlich ihrer Form und Funktion in zwei Gruppen teilen: Grabplatten und Epitaphien. Grabplatten dienten – auch wenn sie heute oft senkrecht in die Wand eingelassen sind – zunächst als hochrechteckige Steinplatten zur Abdeckung des Grabes. Epitaphien sind Gedenksteine, die nicht in jedem Fall am Ort der Bestattung angebracht sein müssen.9) Der vorliegende Bestand umfaßt Epitaphien in verschiedenen Formen, von kleinen Tafeln bis hin zu großen, oftmals farbig gefaßten, meist mit einem Bildteil versehenen Steinmonumenten. Holzepitaphien10) sind im Bestand aus dem Berichtszeitraum nicht nachzuweisen, ebensowenig Metallgrabplatten. Die Grabdenkmäler, Platten wie Epitaphien, bestehen überwiegend aus Obernkirchener Kalksandstein.11) Die ältesten von Herr beschriebenen Grabdenkmäler stammen aus dem 14. Jahrhundert (Nr. 5, 6, 7, 8, 10). Diese frühen Beispiele lassen zwei Typen erkennen: zum einen kleinformatige Tafeln ohne bildliche Darstellungen und mit einer kurzen Inschrift, zum anderen Grabplatten, die meistens eine umlaufende Inschrift und ab 1383 (Nr. 7) im Innenfeld eine lebensgroße Darstellung des Verstorbenen tragen. Diesen zwei Gestaltungsformen entsprechen zwei verschiedene Inschriftentypen: Während sämtliche Inschriften auf den kleinen Tafeln lediglich den Ort des Begräbnisses anzeigen (Nr. 10, 14, 15, 17, 18 u.a.), folgen die der größeren Platten dem Typus NN obiit..., enthalten also die Todesnachricht und ein Sterbedatum (Nr. 5, 6, 7, 8, 13 etc.). Grabdenkmäler dieser Art sind bis zum Ende des Berichtszeitraums vielfach nachzuweisen (u.a. Nr. 79, 117, 134). Seit dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts begegnet neben der lebensgroßen Darstellung des Verstorbenen eine neue Gestaltung des Innenfeldes in der Form, daß der Tote in eine biblische Szene (Nr. 24), meist die Kreuzigung (Nr. 21, 22), als betende Figur eingefügt wird. Dieser Formtyp bleibt ebenfalls bis nach 1650 in Ge-[Druckseite XXIII]-brauch, wenn auch von der Mitte des 16. Jahrhunderts an seltener der einzelne Verstorbene (Nr. 133) als vielmehr die gesamte Familie unter dem Kreuz kniend dargestellt wird (Nr. 78, 106, 128). Das erste Epitaph mit einer Darstellung der Familie stammt aus dem Jahr 1566 (Nr. 69). Außer der Kreuzigung findet sich auf den Grabdenkmälern noch ein eng umgrenztes Repertoire von Szenen aus dem Leben Christi: Grablegung (Nr. 122), Auferstehung (Nr. 133), Himmelfahrt (Nr. 122) sowie das Jüngste Gericht (Nr. 71). Die Darstellung eines alttestamentlichen Stoffs (Jona im Walfisch) auf dem Epitaph des Justus und der Katharina Murmann (Nr. 136) ist singulär und sicher typologisch auf Christus bezogen zu verstehen.

Knapp zwei Jahrzehnte nach Einführung der Reformation in Hameln lassen sich um 1560 zum ersten Mal Stilelemente der Renaissance an den Grabdenkmälern erkennen, wie z. B. Begrenzungen des Bildteils durch Pilaster, Bekrönung der Epitaphien durch Giebel, Gliederung durch Gesimse sowie ornamentale Verzierungen aus geometrischen und floralen Elementen (Nr. 65, 69, 74, 78 etc.). Das früheste dieser Epitaphien (Nr. 65), das für den jungen Adligen Rudolf von Holle errichtet wurde, schreibt Neukirch dem Stadthagener Bildhauer Arend Robin zu.12) Von demselben Meister dürfte das zehn Jahre später entstandene, dem des Rudolf von Holle völlig gleich gestaltete Epitaph der Hamelner Patrizierin Katharina Vogedes (Nr. 74) stammen. Die gleichartige Gestaltung dieser beiden Epitaphien macht auf ein sozialhistorisches Phänomen aufmerksam: In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts läßt sich kein Unterschied mehr zwischen einem Grabdenkmal für einen Adligen und Angehörige des Stadtpatriziats erkennen; die bürgerliche Oberschicht benutzte in der Sepulkralkultur die gleichen Repräsentationsformen wie der Adel. Auch die Anbringung von Ahnenproben auf Grabsteinen ist seit der Mitte des 16. Jahrhunderts sowohl bei adligen (Nr. 65, 117) wie auch bei bürgerlichen Familien13) (Nr. 78, 105) üblich,14) lediglich die Darstellung des Verstorbenen in Rüstung blieb offenbar eine Eigenheit der Grabdenkmäler von Adligen (Nr. 117).

3.1.4. Form, Inhalt und Sprache der Grabschriften

Die Überlieferung der Grabschriften setzt im Hamelner Bestand mit dem Jahr 1330 (Nr. 5) ein. Bis 1560 sind die Texte sehr knapp in Prosa verfaßt und inhaltlich einförmig. Zwei Typen von Grabschriften lassen sich – entsprechend den im voraufgegangenen Kapitel beschriebenen Formtypen von Grabdenkmälern – unterscheiden:

  • die Totengedenkinschriften, die aus folgenden textlichen Elementen bestehen: NN obiit, Todestag, Todesjahr; ab 1383 (Nr. 7) kommt noch die formelhafte Fürbitte requiescat in pace hinzu.
  • die Grabbezeugungen, die nur den Ort des Grabes bezeichnen und den Namen des Verstorbenen, aber weder das Sterbe- noch das Grablegungsdatum enthalten (Nr. 10, 15).

Während die Grabbezeugungen nach 1428 (Nr. 20)15) nicht mehr belegt sind, läßt sich der Typus der Totengedenkinschrift bis zum Ende des Berichtszeitraums nachweisen, seit 1547 (Nr. 49, 55, 63 u. ö.) auch in deutscher Sprache.16) Die volkssprachigen Texte folgen im Aufbau genau den lateinischen Vorbildern, lediglich die Fürbitte requiescat in pace wird nicht ins Deutsche übersetzt. An ihre Stelle tritt von Beginn an als eigenständige deutsche Fürbittenformel Dem Gott gnade (Nr. 49).17) Bis 1650 sind die Grabschriften in Hameln überwiegend lateinisch.18) Auf 19 lateinische Vers- und 37 Pro-[Druckseite XXIV]-sagrabschriften kommen nur ein deutsches Versepitaph und 14 Prosagrabschriften in deutscher Sprache.

Nach der Reformation geht die Zahl der Totengedenkinschriften deutlich zurück, lediglich die Grabschriften für Kanoniker (Nr. 79, 83, 85, 94 u.a.) folgen weiterhin diesem überkommenen Muster. Im bürgerlichen Bereich setzt dagegen bald nach Einführung der lutherischen Lehre als neuer Typus das lateinische Grabgedicht ein, das gleichzeitig mit dem Auftreten von Stilelementen der Renaissance an den Grabdenkmälern in Erscheinung tritt. Das erste dieser humanistisch geprägten Grabgedichte findet sich auf dem Epitaph des Adligen Rudolf von Holle aus dem Jahr 1560 (Nr. 65), es folgen weitere für bürgerliche Familien und Einzelpersonen (Nr. 69, 74, 77, 78 u. a.). In vielen Fällen steht neben der Versgrabschrift ein kurzer Prosatext, der das Todesdatum angibt (Nr. 65, 74, 77, 132 u. a.). Die Grabgedichte sind, mit Ausnahme des Epitaphs für Margareta Reiche (Nr. 99), das aus fünf Phaläkeen besteht, in elegischen Distichen verfaßt. Von dieser formalen Gemeinsamkeit abgesehen, weisen die Grabgedichte keine einheitliche Gestaltung auf, wenn auch manche, zum Teil aus der antiken Grabschriftentradition geläufige Topoi Verwendung finden.19) Nahezu alle Grabgedichte beginnen mit einem formelhaften Lob des Verstorbenen: clarus, pius, und prudens sind die vorherrschenden Epitheta20). Oft werden ohne Nennung weiterer Details die Verdienste des Verstorbenen um das städtische Gemeinwesen gerühmt (Nr. 78, 80 u. a.). Dieses Lob mündet in den meisten Fällen in eine Tröstung der hinterbliebenen Familien (Nr. 78, 136) oder manchmal auch der nachgelassenen Stadt (Nr. 80, 127). Der Trost besteht vielfach in einem zweigliedrigen Hinweis einerseits auf die Vergänglichkeit alles Irdischen (Nr. 78, 136), andererseits auf die himmlischen Freuden, an denen der Verstorbene nun teilhat (Nr. 78, 80, 118 u. a.). In Übereinstimmung damit wird der Tod in den Versgrabschriften meistens als Trennung von Leib und Seele erfaßt und in vielgestaltigen Formulierungen der folgenden Art ausgedrückt: (zitiert nach Nr. 132)

Pone cubat corpus quod erat mortale sepulchro

spiritus aetherea vivit in arce poli.

Diesen immer wieder variierten Formulierungen liegt die schon der Antike geläufigen Vorstellung zugrunde, daß der sterbliche Körper der Erde zurückgegeben wird, während die unsterbliche Seele zu den Sternen eilt (Nr. 65, 116).21) Antike Vorbilder lassen sich auch in der Redesituation einiger Grabgedichte wiederfinden, in denen der Tote den Leser als viator direkt anspricht22) (z. B. Nr. 116, 118) und ihn mahnt, an seinen eigenen Tod zu denken (Memento mori) (z.B. Nr. 118). In einigen wenigen formal sehr anspruchsvollen Grabgedichten begegnen mythologische Bilder aus der antiken Literatur, wie z.B. die Parzen, die den Lebensfaden abschneiden (Nr. 118), in einem Fall ist sogar ein griechisches Wort in griechischen Buchstaben verwendet (Nr. 74).

Der Typus der humanistisch geprägten Grabschrift wurde rasch die deutlich bevorzugte Form der Inschrift auf den Epitaphien des Stadtpatriziats. Vier von fünf Bürgergrabdenkmälern aus den Jahren 1560 bis 1580 tragen Grabgedichte in lateinischer Sprache. Dabei überrascht, daß über den gesamten Berichtszeitraum kein Epitaph dieser Art für einen Kanoniker überliefert ist. Auch für evangelische Pastoren hat man das Versepitaph sehr zurückhaltend verwendet, es läßt sich nur ein Beispiel einer kurzen lateinischen Versgrabschrift für einen Geistlichen vom Beginn des 17. Jahrhunderts nachweisen (Nr. 127). Das lateinische Versepitaph ist demnach offenbar als eine spezifische Repräsentationsform des Stadtpatriziats anzusehen. Da diese Grabgedichte bald nach der Reformation auftreten, dürfte eine der Wurzeln dieser Erscheinung in den reformatorischen Bildungsbemühungen zu sehen sein, deren wesentliches Anliegen das gründliche Lernen der alten Sprachen gewesen ist.23)

[Druckseite XXV] Das Auftreten lateinischer Grabgedichte auf den Grabdenkmälern des gehobenen Stadtbürgertums ist als ein Charakteristikum des Hamelner Bestands festzuhalten. Zwar finden sich Grabschriften dieses Typs auch im Osnabrücker Material,23) da dieses Corpus jedoch, im Unterschied zum Hamelner, stark klerikal geprägt ist, ist der dortige Befund anders zu bewerten: Während die lateinische Versgrabschrift in den Osnabrücker Bischofsgrabschriften eine weit zurückreichende Tradition hat, gibt es in Hameln vor der Reformation keine metrisch gefaßten Grabschriften. In Osnabrück läßt sich das lateinische Versepitaph für die Angehörigen des Patriziats als Übernahme der bis dahin der Geistlichkeit vorbehaltenen Repräsentationsformen in die bürgerliche Sphäre verstehen, in Hameln tritt es dagegen von Anfang an auf bürgerlichen Grabdenkmälern auf. Daß dieser Grabschriftentyp durchaus nicht in allen norddeutschen Städten vorkommt, die nach ihrer Größe und sozialen Struktur Hameln vergleichbar sind, zeigt der Göttinger Inschriftenbestand. Hier fehlen die humanistisch geprägten Epitaphien nahezu völlig,24) die wenigen Ausnahmen wie z.B. Nr. 179 und 81 des Göttinger Bestands sind Stiftungen für Gelehrte, die erst aus der Mitte des 17. Jahrhunderts stammen.25) Solange weiteres Vergleichsmaterial für die Einordnung von Beobachtungen, wie sie das Hamelner Material bietet, fehlt, ist eine übergreifende Interpretation noch nicht möglich. Da die lateinischen Versgrabschriften in Hameln zuerst auf Grabdenkmälern auftreten, die in ihrer äußeren Gestaltung Stilelemente der Renaissance aufweisen, wäre es möglich, daß sie als charakteristischer Ausdruck der Weserrenaissance zu bewerten sind.

Abschließend ist noch kurz auf das deutsche Versepitaph, die Entwicklung der Prosagrabschrift und die übrigen auf Grabdenkmälern nach der Reformation anzutreffenden Texte einzugehen. Das deutsche Versepitaph ist im Hamelner Bestand nur mit einem Beispiel vertreten, dem Grabdenkmal der Familie Römer, dem sogenannten „Siebenlingestein“ (Nr. 106). Aus diesem singulären Fall darf man jedoch sicher nicht schließen, daß derartige Grabschriften in Hameln nicht üblich waren. Vielmehr hat hier aller Wahrscheinlichkeit nach nur Herrs selektive Überlieferung der Grabschriften vom Münsterkirchhof die Proportionen etwas gestört. – Die aus den ursprünglich ganz knappen Totengedenkschriften hervorgegangenen Prosagrabschriften26) können nach der Reformation zu umfangreichen Texten anwachsen. Zu den oben bereits genannten Elementen dieses Grabschriftentyps kommt ab 1589 noch in einigen Fällen die Angabe der Todesstunde (Nr. 87, 88, 113, 134, 138) und, seltener, der Todesursache (Nr. 71, 149) hinzu. Von der Mitte des 16. Jahrhunderts an lassen sich zwei weitere Ergänzungen beobachten; die ausführliche Nennung der Ämter des Verstorbenen, nun auch bei Bürgerlichen,27) sowie der Aufzählung der Todesdaten sämtlicher Familienmitglieder. Beides zeigt sich besonders deutlich am Epitaph der Familie Hagemann (Nr. 105) aus der Zeit um 1600. Die hier genannten Ämter markieren geradezu die Stationen einer Biographie, und aus der Aufzählung der einzelnen Familienmitglieder (einschließlich des Schwiegersohnes) ergibt sich ein Familienstammbaum über zwei Generationen. Anschauliche Beispiele dafür, wie Ämternennungen zu einer gerafften Biographie werden können, sind auch die beiden Pastorengrabsteine (Nr. 122, 127) von 1620 und 1622. Im Unterschied zu den Versepitaphien lassen sich bei den literarisch weniger ambitionierten lateinischen Prosagrabschriften verständlicherweise keine eindeutig humanistischen Züge erkennen. Außer den Grabschriften im gattungstypischen Sinn tragen die Grabdenkmäler seit der Reformation häufig ein oder mehrere Bibelzitate in lateinischer oder deutscher Sprache (Nr. 71, 75, 80, 83 u.a.), die sowohl bei Vers- wie bei Prosagrabschriften vorkommen.

[Druckseite XXVI]

3.2. Hausinschriften

Von den 69 Hamelner Hausinschriften sind 41 erhalten und 28 kopial überliefert. Der im Vergleich mit anderen Städten große Anteil der originalen Überlieferung ist darauf zurückzuführen, daß die Stadt im Zweiten Weltkrieg kaum Einbußen an privaten Gebäuden hatte.28)

Beim Vergleich des heute sichtbaren Bestandes mit den älteren Sammlungen Rotherts, Mithoffs und Meissels treten erhebliche Unterschiede zutage. Sie erklären sich zum einen daraus, daß gerade bei der Gruppe der Hausinschriften durch Umbau- und Renovierungsmaßnahmen, die im Laufe der Zeiten stattgefunden haben, mit den stärksten Verlusten zu rechnen ist, zum anderen daraus, daß die Altstadtsanierung eine große Zahl von Inschriften erstmals seit dem 17. Jahrhundert wieder ans Licht gebracht hat.

3.2.1. Kopiale Überlieferung der Hausinschriften

Die Hamelner Hausinschriften sind in drei größeren Sammlungen überliefert, deren Inhalte weitgehend identisch sind:

a) H. W. H. Mithoff, Kunstdenkmale und Alterthümer im Hannoverschen. 1. Band: Fürstentum Calenberg. Hannover 1871, S. 46–62.

In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts hat Mithoff die Kunstdenkmäler des Fürstentums Calenberg inventarisiert. In diesem Inventar nehmen die Inschriften Hamelns als Gesamtcoprus einen relativ großen Raum ein. Mithoffs Interesse richtete sich sowohl auf die Inschriftenträger profaner wie auch kirchlicher Herkunft. Seine Sammlung enthält knappe Beschreibungen der Inschriftenträger und eine diplomatische Abschrift der Inschriften. Mithoffs Aufzeichnungen haben sich beim Vergleich mit den erhaltenen Texten insbesondere für die Hausinschriften als zuverlässig erwiesen. Sie werden daher für die Edition der nicht mehr erhaltenen Hausinschriften zugrundegelegt.

b) Wilhelm Heinrich Rothert, Aus alter Zeit in Hameln. Vier Beiträge zur Hamelner Geschichte. Hameln 1871.

Etwa gleichzeitig mit Mithoff hat der als Pastor ad interim an St. Bonifatii tätige Wilhelm Rothert Hamelner Inschriften gesammelt. Sein Interesse galt dabei fast ausschließlich den Hausinschriften. Er überliefert die Texte in drei nach inhaltlichen Gesichtspunkten gebildeten Abteilungen: 1. Sentenzen, 2. Bibelsprüche, 3. Historische Sprüche. Rotherts Sammlung hatte hauptsächlich volkskundliche Ziele. Es ging ihm mehr darum, die seiner Ansicht nach in den Inschriften vorhandene „öffentliche Meinung des Volkes“28) zu dokumentieren, als einen historischen Text genau festzuhalten. Demzufolge hat er das vorhandene Material in sprachlich normalisierter Form mit zum Teil umfangreichen Ergänzungen wiedergegeben. Seine Sammlung ist daher für eine Sicherung des genauen Wortlauts oder gar für das Studium mundartlicher Besonderheiten des Hamelner Hausinschriftenbestands kaum geeignet. Da jedoch viele der Hausinschriften nur hier verzeichnet sind, muß Rotherts Sammlung trotz ihrer Normalisierungen oft als Grundlage für die Textedition herangezogen werden. Auf eine Eigentümlichkeit der Textwiedergabe Rotherts ist besonders hinzuweisen: Er setzt schwer lesbare Stellen, Auflösungen von Abkürzungen und Emendationen in runde Klammern. Ich habe diese Klammern in der Edition beibehalten.

c) Friedrich Meissel, Alte und neue Inschriften in Hameln. Hameln 1913.

Ungefähr vierzig Jahre nach Mithoff und Rothert hat der Hamelner Realschullehrer Friedrich Meissel im Rahmen seiner stadtgeschichtlichen Studien unter anderem auch eine Inschriftensammlung angelegt.29) Da in den mehr als vierzig Jahren seit Rotherts Bestandsaufnahme erhebliche Verluste an älterer Bausubstanz eingetreten waren, hat Meissel dem zu seiner Zeit sichtbaren Bestand einzelne Texte aus Rotherts Sammlung hinzugefügt. Vollständigkeit hat er dabei offenbar nicht angestrebt. Meissels Aufnahme gibt in der Regel den Text komplett wieder, ist jedoch nicht frei von Lesefehlern. Der Vergleich der erhaltenen Texte mit seinen Aufzeichnungen zeigt, daß er die mundartlichen Eigenheiten oft sehr willkürlich normalisiert hat.

Viele der Inschriften sind in den drei Sammlungen parallel überliefert. Daraus ergibt sich insbesondere bei den niederdeutschen Hausinschriften das Problem einer großen Zahl von Varianten, die in den meisten Fällen nur orthographischer oder lautlicher Art sind. Mit ihrer Verzeichnung wäre[Druckseite XXVII] niemandem gedient, denn sie sind in der Regel nicht aus dem Bemühen um die korrekte Wiedergabe des originalen Befundes, sondern um einen für zeitgenössische Leser verständlichen Text hervorgegangen. Daher werden nur solche Varianten aufgenommen, die über orthographische und lautliche Abweichungen hinausgehen. Nur in Zweifelsfällen sind sämtliche Varianten angegeben.30)

3.2.2. Hausinschriften und Baugefüge

In Hameln waren während des Berichtszeitraums drei Häusertypen vorherrschend: der Massivbau, das Fachwerkhaus und das Haus mit massivem Untergeschoß und aufgesetztem Fachwerk. Zu den Massivbauten gehören die älteren gotischen Steinhäuser und die jüngeren im Stil der Weserrenaissance gestalteten Bauten, bei denen nicht selten der vorhandenen älteren Bausubstanz nur eine neue Fassade vorgebaut wurde. Das Straßenbild war geprägt durch giebelständige Bauten. Traufenständige Häuser wie das Hochzeitshaus und das Stiftsherrenhaus fallen in der Bebauung der beiden Hauptstraßen – Bäckerstraße und Osterstraße – deutlich als Ausnahmen ins Auge. In den Nebenstraßen (Kupferschmiedestraße, Thietorstraße, Hummenstraße usw.) sind hingegen vereinzelt traufenständige Häuser anzutreffen (Nr. 89, 123), aber auch hier überwiegt die Giebelständigkeit.

Hinsichtlich der Anbringung von Inschriften gibt es zwischen den Massivbauten und den Fachwerkhäusern deutliche Unterschiede. Für die gotischen Steinhäuser ist keine Inschrift überliefert, und auch die Weserrenaissancefassaden sind in Hameln – sofern Inschriften nicht völlig fehlen – nur mit sehr kurzen Texten versehen. Eine Ausnahme bildet das Reichesche Haus (Bäckerstraße 16, Nr. 60) mit seinen umfangreichen niederdeutschen Bibelsprüchen. An den Steinhäusern sind die Inschriften meistens auf Schmuck- oder Wappensteinen (Nr. 90, 91, 92), seltener auf dem Türsturz (Nr. 108) angebracht. Während die Steinhäuser insgesamt arm an Inschriften sind, tragen die Fachwerkhäuser zum größten Teil umfangreiche Texte aus verschiedenen Zeiten. Sie befinden sich üblicherweise auf den Schwellbalken der Geschosse, auf dem Türsturz der meist rundbogigen Portale oder an den horizontal verlaufenden Balken der mehrgeschossigen Erker (Utluchten).

Sowohl an den Stein- als auch an den Fachwerkfassaden stehen die Inschriften im Zusammenhang mit ornamentalem oder figürlichem Schmuck. Bei den Schmuckformen an den Fachwerkbauten läßt sich in Hameln die für die niedersächsischen Städte im 16. Jahrhundert typische Entwicklung des Renaissance-Fachwerks beobachten. Ornamente im Beschlagwerkstil (Nr. 35), Taubänder, Zahnschnittleisten, Schiffskehlen und vor allem Fächerrosetten (Nr. 48) verzieren die Fassaden. Figürlicher Schmuck ist zuerst am sogenannten Kaufmannshaus von 1500 in Form eines flach geschnitzten Schiffs und eines ebenso ausgeführten Hirschs angebracht worden (Nr. 35). Halbplastische und plastische Fratzen und Neidköpfe finden sich unter anderem am Soliman-Haus (Nr. 48). Ein regelrechtes Bildprogramm zeigen nur die Knaggen am Stiftsherrenhaus von 1558 (Nr. 62): Die schrägen Flächen der die vorkragenden Geschosse stützenden dreieckigen Konsolhölzer sind mit Figuren aus dem Alten Testament, Aposteln und antiken Planetengottheiten versehen. Einige wenige weisen auf schmalem Raum sogar szenische Darstellungen von Motiven aus dem Alten Testament auf. Inhaltlich deutet sich in diesem Bildprogramm mit der Darstellung der antiken Planetengottheiten bereits humanistisches Gedankengut an.

Im Steinbau ist der Fassadenschmuck vor allem durch die Stilelemente der Weserrenaissance geprägt. Die frühesten Einflüsse sind an einer Beischlagwange von 1550 (Nr. 51) erkennbar. Es folgt die von dem Meister der mittleren Weserrenaissance Cord Tönnies30) erbaute Fassade des Reicheschen Hauses (Bäckerstraße 16, Nr. 60) mit einem volutenverzierten Treppengiebel und den für die Weserrenaissance typischen Kerbschnittbossensteinen. Die auffallendste Neuerung in der Fassadengestaltung ist die hier von Cord Tönnies zum ersten Mal realisierte Utlucht, ein am Fundament beginnender mehrgeschossiger Vorbau der Fassade. Solche Utluchten bleiben bis ins 17. Jahrhundert ein charakteristisches Element des neuen Baustils. Sie bestimmen neben Schmuckformen wie Obelisken, abwechselnden Rauh- und Glattbändern, Kerbschnittbändern und Beschlagwerkornamenten die Fassaden der Weserrenaissance. Die Utluchten sind kein Spezifikum der Steinfassaden, sie treten auch an Fachwerkhäusern auf, wie das Beispiel des 1560 erbauten Hauses Kupferschmiedestraße 13 zeigt. Vielfach hat man die Erker an ältere Fachwerkfassaden angebaut (Nr. 37, 59 u.a.), dadurch wurden nicht selten (Nr. 37) Inschriften am Giebel verdeckt. Das Beispiel der Utluchten macht deutlich, daß die Entwicklungen im Steinbau und im Fachwerk nicht getrennt voneinander verliefen. Vielmehr lassen sich vielfältige Übernahmen und Berührungen zwischen beiden Bauweisen beobachten: Ornamente im Be-[Druckseite XXVIII]-schlagwerkstil und Zahnschnittleisten, die sowohl an Fachwerk- wie auch an Steinbauten vorkommen, sind als weitere Beispiele in diesem Zusammenhang zu nennen.

Aus dem Befund einer reichen Hausinschriftenüberlieferung an erhaltenen Fachwerkhäusern in Hameln ergibt sich eine allgemeine Überlegung zur Verbreitung von Hausinschriften. Ihr Auftreten ist eng verknüpft mit den technischen Besonderheiten des Baugefüges. Während die mittel- und süddeutschen Städte vergleichsweise arm an Hausinschriften sind,31) verfügen die niedersächsischen Fachwerkstädte vielfach über einen großen Bestand von Inschriften an privaten und städtischen Gebäuden. Der Grund für diese Differenzen dürfte zu einem großen Teil in den Eigenheiten des norddeutschen Fachwerkbaus zu finden sein. Da im west- und ostfälischen Fachwerk im Unterschied zu Süddeutschland weniger diagonale Streben verwendet werden, müssen die horizontal verlaufenden Konstruktionshölzer aus statischen Gründen dicker und breiter sein. Dies hat für die Gestaltung der Fassaden zwei Konsequenzen: Zum einen ist eine nur aus waagerechten und senkrechten Konstruktionshölzern bestehende Fassade zunächst schlicht und daher offen für Zierformen ornamentaler oder inschriftlicher Art, wohingegen Fachwerkkonstruktionen mit Streben schon von sich aus eine lebhafte Fassadengestaltung aufweisen, wie sie beispielsweise an dem in Hessen üblichen Fischgrätfachwerk deutlich wird. Zum anderen – und das dürfte der entscheidende Grund sein – bieten breite Schwellbalken ausreichenden Raum für umfangreiche Textinschriften, die nicht selten zweizeilig sind, während die schmalen waagerechten Fachwerkelemente Süddeutschlands bestenfalls die Anbringung eines Baudatums und eines Namens erlauben.

3.2.3. Sprache, Form und Thematik der Hausinschriften

Die Hausinschriften sind im Gegensatz zu den Grabinschriften meistens in der Volkssprache verfaßt worden. Vom Einsetzen der Überlieferung (im Jahr 1493) an ist die deutsche Sprache vorherrschend, wenn auch immerhin noch 25 lateinische Texte, davon etwa die Hälfte in Distichen, überliefert sind.31) Die klare Dominanz des Deutschen in den Inschriften an privaten Häusern entspricht dem Verhältnis zwischen Latein und Volkssprache in den Urkunden: Seit dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts ist die Zahl der deutschen Urkunden deutlich höher als die der lateinischen.32)

Das bedeutet, daß die deutsche Sprache im profanen Bereich spätestens am Ende des 15. Jahrhunderts sowohl im Gebrauchsschrifttum als auch für repräsentative Zwecke das Lateinische zurückgedrängt hatte. Lediglich die Inschriften an städtischen Gebäuden wurden nach wie vor auffallend oft in lateinischer Sprache verfaßt: Das Brückentor (Nr. 42), das Neue Tor (Nr. 45) und das Hochzeitshaus (Nr. 111) trugen Inschriften in lateinischen Distichen, die Werdermühle (Nr. 139) war mit einem kurzen lateinischen Prosatext versehen. Darüber hinaus läßt der Hamelner Bestand keine eindeutige Korrelation zwischen der Sprache der Inschrift und dem Anbringungsort erkennen. Weder weisen die steinernen Fassaden der Weserrenaissancebauten bevorzugt lateinische Texte auf, noch sind die deutschen Haussprüche an das Fachwerk gebunden. Man wird allerdings annehmen dürfen, daß eine lateinische Versinschrift den gehobenen Bildungsstand oder auch Bildungsanspruch des Hausbesitzers verrät, wie bei dem Haus des Stiftspropsts Anton von Walthausen (Nr. 158) in der Blomberger Straße 2.

Was das Verhältnis von niederdeutscher und hochdeutscher Sprache in den Hausinschriften betrifft, so hat bis zum ersten Viertel des 17. Jahrhunderts das Niederdeutsche ein deutliches Übergewicht. Erst nach 1630 nimmt das Hochdeutsche in den Texten stark zu, so stehen nach 1640 nur noch drei niederdeutsche zwölf hochdeutschen Texten gegenüber. Zu berücksichtigen ist bei diesen Zahlen allerdings, daß gerade für die späte Zeit die meisten Inschriften durch Rothert überliefert sind, der, [Druckseite XXIX] wie oben erwähnt, die lautlichen Besonderheiten der Texte ohne erkennbares System normalisiert hat. Daher kann die vermeintliche Dominanz des Hochdeutschen auch auf den Eigenheiten der Überlieferung beruhen. Freilich sind auch bei den nicht von Rothert überlieferten Grabschriften im 17. Jahrhundert kaum noch niederdeutsche Elemente anzutreffen.

Abschließend ist auf einige sprachliche Eigenheiten der niederdeutschen Hausinschriften hinzuweisen. Damit soll dem Benutzer, der mit dem Niederdeutschen nicht oder nicht hinreichend vertraut ist, der Zugang zu den Texten erleichtert werden. Folgende Formen sind in den Hamelner Inschriften üblich:

vortruuet vertraut
blift bleibt
huete heute
ick weth ich weiß
Hulf, Hülf Hilfe
Tholauff Zulauf
maken machen
fruehten, Fruht fürchten, Furcht
wol erscheint nicht nur als Adverb ‚wohl, gut‘, sondern auch als Maskulinum des Interrogativ- und Relativpronomens ‚wer‘. Statt des im Neuhochdeutschen üblichen Dativs steht häufig der Akkusativ, z.B. in vneglueck statt ‚im Unglück‘ oder Dich geben guht statt ‚dir gegeben Gut‘.

In ihrer Thematik sind die Hamelner Hausinschriften außerordentlich vielfältig.33) Formeln wie Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut (Nr. 37, 124) oder An Gottes Segen ist alles gelegen (Nr. 46, 135, 142) haben nur geringen Anteil am Gesamtbestand. Lediglich der paulinische Spruch Si deus pro nobis quis contra nos ist fünfmal in lateinischer und einmal in deutscher Sprache belegt (Nr. 46, 103, 110, 120, 122; 148). In der Gruppe der unmittelbar auf das Haus Bezug nehmenden Texte sind vor allem die Inschriften von Interesse, die sich gegen Kritik an der Bauweise oder an Spötter und Neider wenden. Die meisten dieser Inschriften konstatieren ganz allgemein das Vorhandensein von Neid (Nr. 66, 95, 108, 168), nur in einem Fall (Nr. 169) wird der Neider direkt angesprochen Ach Neider laß mich wohnen... An die potentiellen Spötter über den Bau des Hauses wendet sich eine Inschrift in der Bäckerstraße 21 (Nr. 59). In zwei weiteren Inschriften sind Spott und Kritik auf anspruchsvolle Weise in lateinischen Distichen und mit Entlehnungen aus der antiken Literatur thematisiert: Die eine bezeichnet den Spötter durch Momus (Nr. 114), die Personifikation des Tadels, in der anderen (Nr. 147) steht Zoilus, der die Werke des Homer zu kritisieren wagte, für den kleinlichen Kritiker an einem umgebauten Haus. Hinsichtlich der Übernahmen aus der antiken Literatur stehen diese beiden Inschriften nicht allein. Parallel zum Auftreten der lateinischen Versepitaphien lassen sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts vor allem antike lateinische Sprichwörter (Nr. 64, 92, 119) in den Hausinschriften nachweisen.

Eine weitere für die Hamelner Hausinschriften charakteristische Gruppe bilden die Texte historischen und chronikalischen Inhalts. Sie sind überwiegend in vier- bis sechszeiligen deutschen Reimversen,34) in einem Fall in lateinischen Distichen (Nr. 45) abgefaßt.35) Ihre Themen sind zum einen Ereignisse der Stadtgeschichte, auf die bereits im Zusammenhang des stadtgeschichtlichen Überblicks näher eingegangen wurde,36) zum anderen der Hamelner Kinderauszug. Insgesamt sechs der historischen Sprüche widmen sich dieser Hamelner Lokalsage, fünf davon sind in deutscher Sprache verfaßt (Nr. 40, 76, 100, 107, 111). Das älteste der inschriftlichen Zeugnisse datiert von 1525.37) Damit setzen die Hausinschriften zu diesem Thema 75 Jahre später ein als die literarischen Quellen, von denen die [Druckseite XXX] älteste – ein Nachtrag in einer Lüneburger Handschrift38) der Catena aurea – aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammt.39) Dieser Eintrag gibt eine detaillierte Darstellung der näheren Umstände des Kinderauszugs und weist auch auf die Hamelner Sonderzeitrechnung „nach dem Auszug der Kinder“ hin,40) enthält allerdings noch nicht die Geschichte von der Rattenvertreibung. Auch die inschriftlichen Zeugnisse überliefern nur den Kinderauszug. Sie sind im wesentlichen gleichlautend formuliert und nennen den Tag und das Jahr des Geschehens, die Zahl der Kinder sowie den Ort, an dem die Kinder verschwunden sind. Erst die Chronik der Grafen von Zimmern (um 1565) bietet die Hamelner Lokalsage in ihrer vollständigen Gestalt, d.h. mit den beiden einander konsequent zugeordneten Motiven der Rattenbeschwörung und des Kinderauszugs. Man darf jedoch als sicher annehmen, daß diese neue, gewissermaßen zweiaktige Geschichte in Hameln bereits vorher geläufig war und daß ihre erste literarische Fassung nur durch Zufall in einer süddeutschen Chronik steht. Das Rattenmotiv ist zwar in den inschriftlichen Texten nicht ausdrücklich erwähnt, es war aber, wie wir aus zeitgenössischen Reiseberichten wissen,41) vielfach auf Bildern dargestellt.42) Auf derartige bildliche Darstellungen bezieht sich auch das innerhalb eines Reiseberichts des Elsässers Augustin von Mörsperg überlieferte Erzählbild von 1593:43) Die rechte obere Bildhälfte zeigt den Auszug der Kinder, im unteren Bildteil sieht man den in einem Boot stehenden Pfeifer, dem eine Schar von – offenbar ertrinkenden – Ratten folgt. Älter als das Mörspergische Bild ist allerdings die handschriftlich erhaltene Reimchronik des Jobst Johann Backhaus vom Jahr 1589,44) die als erstes und für lange Zeit einziges aus Hameln stammendes textliches Zeugnis das Rattenfängermotiv kennt. Erst der Hamelner Lateinschulrektor Samuel Erich nimmt in seiner 1654 erschienenen Abhandlung »Der Hämelischen Kinder Außgang« wieder auf die Rattenbeschwörung Bezug.45) Die Gründe für das Fehlen einer älteren schriftlichen Tradition des Rattenmotivs am Ort selbst können von heute aus nicht mehr sicher bestimmt werden. Möglich wäre, daß die Geschichte des vom Rat um seinen Lohn gebrachten Rattenfängers als für die Stadt nicht rühmlich empfunden wurde. In jedem Fall ist es verständlich, daß gerade der Kinderauszug als der denkwürdigere Teil der Sage in die in besonderem Maße öffentlichkeitswirksamen Inschriften aufgenommen wurde.

[Druckseite XXXI]

3.3. Inschriften auf kirchlichen Ausstattungsgegenständen

Die drittgrößte Gruppe von Inschriftenträgern bilden im Hamelner Bestand die kirchlichen Ausstattungsgegenstände. Dazu zählen u.a. Kelche, Patenen, Reliquienbehältnisse, Glocken und Altäre. Für diese Gruppe von Gegenständen konnten insgesamt nur noch 32 Inschriften ermittelt werden, 14 davon sind erhalten, 18 lediglich kopial überliefert. Daß die Anzahl kirchlicher Ausstattungsstücke, besonders der Kirchenschatz des Stifts St. Bonifatii, am Ende des Berichtszeitraums wesentlich größer gewesen sein muß, belegen die Reliquien- und Pretiosenverzeichnisse von 1663 und 1668. Darin sind viele Reliquienbehältnisse und Altargeräte genannt, von denen heute keinerlei weitere Zeugnisse vorliegen.46) Ursache für die großen Verluste war zunächst ein Kirchendiebstahl am Ende des 17. Jahrhunderts.47) Weit größere Dezimierung des Bestands brachte der Verkauf von Silbergerät im Jahr 1772 mit sich, den die Stiftsherren in Zeiten schwieriger Finanzlage vornahmen, weil Monstranzen, silberne Marienbilder und dergleichen für das evangelische Stift entbehrlich waren.48) Die folgenden Jahre waren durch einen stetigen Niedergang gekennzeichnet, 1804 nutzten französische Truppen die Krypta als Lebensmittellager, im Jahr darauf wurde das gesamte Gotteshaus als Heu- und Strohmagazin beschlagnahmt. 1810 war die Innenausstattung durch Plünderung und unsachgemäße Nutzung so weit beschädigt, daß die verbliebenen Priechen und Bänke nur noch als Brennmaterial verkauft werden konnten. Danach diente die Kirche bis zum Kriegsende als Pferdestall, später als Holzmagazin und Warenlager.49) Die Zweckentfremdung der Kirche ging mit einem sukzessiven Verfall der Bauten einher, bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts der Abbruch ernsthaft diskutiert wurde.50) In diesen Zeiten dürfte der Rest des Altargeräts sowie die gesamte spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Kirchenausstattung zerstört oder verkauft worden sein. Angesichts dieser Entwicklung ist es nicht verwunderlich, daß der überwiegende Teil der Inschriften aus dem Bonifatiusstift – wie oben bereits für die Grabschriften ausgeführt wurde – heute nur noch in kopialer Überlieferung vorliegt.

Bei den Ausstattungsgegenständen der Marktkirche St. Nicolai sind die Verluste aufgrund der deutlich geringeren Zahl von nachgewiesenen Inschriftenträgern nicht ganz so offensichtlich: Vier erhaltenen Inschriften stehen vier verlorene gegenüber.

Schon zu Zeiten Herrs muß die mittelalterliche und frühneuzeitliche Innenausstattung weitgehend aus der Kirche entfernt gewesen sein, denn Herr beschreibt als einzigen Inschriftenträger die Kanzel (Nr. 130) von 1625. Aufgrund fehlender urkundlicher Überlieferung läßt sich nicht mehr klären, ob das völlige Fehlen von Altären und sonstigen Ausstattungsstücken auf eine „Reinigung“ des Kircheninneren nach der Reformation zurückzuführen ist, oder ob der Umstand, daß die Kirche seit 1759 als Lazarett zweckentfremdet wurde, Herr an der Aufnahme gehindert hat. Da die Kirche im Siebenjährigen Krieg durch die Verwendung als Lazarett und später als Mehlmagazin stark in Mitleidenschaft gezogen worden war, erhielt sie in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts eine neue, barocke Innenausstattung. Dieser Wandel in der Einrichtung dürfte weitere Verluste an älterer Ausstattung mit sich gebracht haben. – Im Zweiten Weltkrieg wurde die Marktkirche St. Nicolai völlig zerstört, von der alten Bausubstanz blieben nur noch Einzelteile erhalten (Nr. 3), von der Ausstattung eine Glocke (Nr. 26)51) und die Figur des hl. Nikolaus (Nr. 30).

3.3.1. Überlieferung der Inschriften auf kirchlichen Ausstattungsgegenständen

Die bedeutendste kopiale Überlieferung stellt auch für diese Gruppe von Inschriftenträgern die bereits unter 3.1.1. vorgestellte Sammlung Johann Daniel Gottlieb Herrs dar. Daneben teilt auch Friedrich Sprenger in seiner 1825 verfaßten Geschichte der Stadt Hameln im Rahmen einer Beschreibung der Ausstattung beider Kirchen hin und wieder Inschriften mit. Der größte Teil seiner Überlieferung geht jedoch auf die Collectanea Herrs zurück, nur in wenigen Fällen fehlt eine Parallele bei Herr (Nr. 179, 182, 186). Eine zweite Auflage der Sprenger’schen Geschichte ist 1861 erschienen, die durch [Druckseite XXXII] den Amtmann von Reitzenstein ergänzt und verbessert wurde.52) Nach ihr wird im folgenden zitiert. Einige wenige Inschriften auf kirchlichen Ausstattungsgegenständen überliefert auch die Sammlung Mithoffs, die aber in keinem Fall über das hinausgeht, was die älteren Quellen bieten.53)

3.3.2. Form und Sprache der Inschriften auf kirchlichen Ausstattungsgegenständen

Bei den Texten auf kirchlichen Ausstattungsgegenständen handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle um kurze Stiftungsvermerke in lateinischer Prosa (Nr. 28, 126, 143, 179). Längere Stiftungsinschriften befanden sich nur an der Spiegelbergischen Prieche (Nr. 72), auf einem der vierzehn Gemälde des Hohen Chors (Nr. 180) sowie auf der Kanzel der Marktkirche St. Nicolai (Nr. 130). In den Texten überwiegt die lateinische Sprache, lediglich das Glasbild mit der Darstellung des Hamelner Kinderauszugs in der Marktkirche St. Nicolai und zwei der erhaltenen Glocken tragen deutsche Inschriften. In den beiden Glockeninschriften ist erstmals die Volkssprache verwendet worden,53) die ältere (Nr. 23) – eine Glockengießersignatur – stammt aus dem Jahr 1451, die jüngere (Nr.27) – eine Selbstnennung der Glocke Osanna bin eck ghe[nant] – datiert von 1476.

Zitationshinweis:

DI 28, Hameln, Einleitung, 3. Inschriften, Inschriftenträger und Überlieferung (Christine Wulf), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di028g004e005.

  1. Zitiert nach einem in das Exemplar Herr 2 eingeklebten Vermerk. »
  2. Wohl und Wehe der Stadt Hameln während des Kriegs von 1757 bis 1763 von Johann Daniel Gottlieb Herr, hg. von Manfred Börsch. Hameln 1986 (Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv Hameln). – Über diese Arbeit hinaus liegen keine Teilausgaben der Herr’schen Collectanea vor. Eine Gesamtedition dieser für die Hamelner Geschichtsschreibung bedeutenden Sammlung wäre dringend erforderlich. »
  3. Die Geschichte der Handschrift läßt sich aus den Einträgen auf den ersten Seiten des ehemals Pflümerschen Exemplars der Collectanea rekonstruieren. »
  4. Z. B. rerus statt verus der Vorlage. »
  5. Für freundliche Auskünfte danke ich hier Petra Rabbe-Hartinger, die mich auf diese Handschrift aufmerksam gemacht hat. »
  6. Vgl. Herr, S. 197–199. – Bei Herr sind die Epitaphien mit römischen Ziffern numeriert. »
  7. HSTA Hannover, Hann. 75, Nr. 153 (1824, 1831): Das dem Stifte zustehende Recht, seine verstorbenen Mitglieder in den drei Kreuzgängen unter der Schule zu beerdigen, ingleichen die Aufhebung dieses Rechts betreffend. »
  8. Näheres dazu siehe S. XII. Das älteste Kirchenbuch der Gemeinde St. Nicolai verzeichnet nur Eheschließungen und Taufen, aber keine Bestattungen. »
  9. Zur Terminologie vgl. DI XXVI (Osnabrück), S. XVII und demnächst den Beitrag von Anneliese Seeliger-Zeiss im Sammelband der auf der Fachtagung für Epigraphik in Graz 1988 gehaltenen Vorträge, der von Walter Koch in der Reihe der Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird. »
  10. Möglicherweise deuten in Herrs Beschreibungen Angaben wie „Inschrift in goldenen Buchstaben auf einer Tafel ausgeführt“ (Nr. 136 u. a.) auf Holzepitaphien hin. »
  11. Da Herr keine Angaben über das verwendete Material macht, kann man in einigen Fällen nur vermuten, daß es sich um Marmorplatten gehandelt hat, z. B. bei den Epitaphien der Familie Falke (Nr. 118). »
  12. Vgl. Neukirch, S. 67. »
  13. Bei bürgerlichen Familien bestehen die Wappeninhalte oft aus Hausmarken, z. B. Nr. 69»
  14. Sofern der Überlieferung Herrs in diesem Fall zu glauben ist, hat die bürgerliche Familie Reiche im Jahr 1626 das Epitaph des Konrad (Nr. 133) mit acht Wappen aus weißem Alabaster geschmückt. »
  15. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß zwischen 1457 und 1528 aus dem Stift St. Bonifatii keine Grabschrift überliefert ist. Eine Erklärung für diese Lücke in der Überlieferung kann nicht gegeben werden. »
  16. Im Vergleich mit anderen Inschriftencorpora setzt die Volkssprache im Hamelner Grabschriftenbestand mit dem Jahr 1547 verhältnismäßig spät ein. Aus dem süddeutschen Raum sind deutsche Grabschriften bereits seit dem 13. Jahrhundert bekannt, vgl. Hans Ulrich Schmid, Die deutschsprachigen Inschriften in Regensburg. Edition, Untersuchungen zur Sprache, Abbildungen. Mit einem Beitrag von Franz Fuchs: Zur kopialen Überlieferung mittelalterlicher Regensburger Inschriften. (Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft 40). Frankfurt/M. usw. 1989. Aber auch in Norddeutschland, wo die lateinische Sprache in den bisher edierten Beständen bis zum Ende des Berichtszeitraums dominant bleibt, sind deutsche Grabschriften früher als in Hameln bezeugt, vgl. DI XXVI (Osnabrück), Nr. 48 Epitaph des Gerd Marschalk aus dem Jahr 1463. In Göttingen setzen Grabschriften in der Volkssprache allerdings noch später ein als in Hameln, die erste stammt frühestens aus dem Ende des 16. Jahrhunderts, vgl. DI XIX (Göttingen), Nr. 137»
  17. Diese Formel, die ja keine wörtliche Übersetzung des ihr entsprechenden lateinischen Texts ist, läßt sich auch in den übrigen bisher edierten Inschriftencorpora vielfach belegen. »
  18. Aus den derzeit überschaubaren norddeutschen Inschriftenbeständen erkennt man, daß – mit Ausnahme des Braunschweiger Materials – die Volkssprache dem Lateinischen bis zum Ende des Berichtszeitraums unterlegen blieb. Eine genauere Übersicht zum Verhältnis Latein/Deutsch in den bisher edierten Inschriftenbänden demnächst in: Christine Wulf, Versuch einer Typologie deutschsprachiger Inschriften. Erscheint im Sammelband der auf der Tagung für Epigraphik in Graz 1988 gehaltenen Vorträge, hg. von Walther Koch in der Reihe: Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. »
  19. Die formal konstante literarische Tradition des lateinischen Epitaphs ist dargestellt von Iiro Kajanto, Classical and Christian. Studies in the Latin Epitaphs of Medieval and Renaissance Rome. Helsinki 1980. »
  20. Über die Verwendung der Epitheta gibt im einzelnen das Register Nr. 6 Auskunft, S. 153. »
  21. Vgl. dazu ausführlicher die Einleitung zu Band DI XXVI (Osnabrück), S. XX»
  22. Diese Topik hat auch eine starke mittelalterliche, zumal karolingische, Tradition, vgl. dazu Maria Hereswitha Hengstl, Totenklage und Nachruf in der mittellateinischen Literatur seit dem Ausgang der Antike. Diss München 1936 (gedruckt Würzburg 1936), sowie Günter Bernt, Das lateinische Epigramm im Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter. München 1988. Münchener Beiträge zur Renaissance-Forschung 2, S. 8–12. »
  23. DI XXVI (Osnabrück), Nr. 144 Grabschrift des Johann Bremer in sapphischen Hendekasyllaben (1583); Nr. 147 Grabschrift des Theodor Bremer in Distichen (1583) u. a. »
  24. Vgl. DI XIX (Göttingen): Nur die Grabschriften Nr. 128, 139, 163, 182 sind den humanistisch geprägten Versepitaphien des Hamelner Bestands vergleichbar. Nr. 139 und Nr. 182 sind allerdings im Anhang von Leichenpredigten überliefert, es bleibt daher zweifelhaft, ob sie inschriftlich ausgeführt waren. »
  25. Lateinische Grabschriften für Bürger finden sich in ähnlichem Umfang wie in Hameln noch im Oppenheimer Inschriftenmaterial, vgl. DI XXIII (Oppenheim), Nr. 150, 181, 182 u. ö. »
  26. Die folgenden Ausführungen gelten sowohl für die Prosagrabschriften, die neben einem Grabgedicht stehen, als auch für isolierte Prosagrabschriften, da sich beide Formen kaum unterscheiden. »
  27. Die Nennung der Ämter des Verstorbenen ist kein nachreformatorisches Spezifikum, für Kanoniker ist sie bereits seit 1423 belegt (Nr. 17). »
  28. Vgl. Rothert, S. 6. »
  29. Meissel war nebenamtlicher Stadtarchivar. Von ihm ist außer der Inschriftensammlung ein Register zu den ältesten Hamelner Kirchenbüchern sowie eine Liste der in Hameln erwähnten Bürger erhalten. »
  30. Die Meistermarke des Cord Tönnies ist im Anhang 2, S. 136 wiedergegeben. Näheres zu den einzelnen Renaissancebaumeistern siehe bei Kreft/Soenke, S. 14–45. »
  31. Da in der überwiegenden Zahl der Fälle auf einer Hausfassade mehr als eine Inschrift vorkommt, also oftmals lateinische und deutsche Texte aus verschiedenen Zeiten auf ein- und demselben Inschriftenträger stehen, habe ich im folgenden die Inschriften nicht nach den Artikelnummern, sondern einzeln gezählt. »
  32. Die Durchsicht der im HUB edierten Urkunden hat im einzelnen folgende Zahlenverhältnisse ergeben: »
  33. Die Themen sind über das Sachregister S. 149 zu erschließen, über den Anteil der einzelnen Inschriftengattungen (wie z. B. Bibelzitate, Stiftungsinschriften etc.) informiert das Register 4. Texttypen, Sprachen S. 151. »
  34. Nr. 40, 54, 70, 76, 98, 100, 107, 111»
  35. Aufgrund ihrer metrischen Fassung hat Bernd Ulrich Hucker diese Texte als „historische Merkverse“ bezeichnet, vgl. Bernd Ulrich Hucker, Historische Merkverse als Quellen der Landesgeschichte. Mit einer Sammlung norddeutscher Merkverse. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte, Bd. 120, 1984, S. 293–328. Da die versifizierte Gestalt allein noch kein Indiz dafür ist, daß die Texte zum Auswendiglernen verfaßt worden sind, bezeichne ich sie nicht als Merkverse, sondern als „historische Sprüche“. »
  36. Näheres zum Inhalt der historischen Sprüche, die auf allgemeine stadtgeschichtliche Ereignisse Bezug nehmen, siehe oben im stadtgeschichtlichen Abriß, S. XVf. »
  37. Die mit der Inschrift vom Haus Markt 1 überlieferte Jahreszahl ist nach den Collectanea Herrs ergänzt. Da Herrs Aufzeichnungen in der Regel zuverlässig sind, ist auch an diesem Datum nicht zu zweifeln. »
  38. Die Handschrift befindet sich heute als Leihgabe im Museum Hameln. Eine Abbildung der Seite mit dem Bericht über den Hamelner Kinderauszug siehe Humburg, S. 39. »
  39. In der chronologisch angelegten Quellensammlung zur Hamelner Rattenfängersage von Hans Dobbertin ist die Lüneburger Handschrift erst als viertes Zeugnis genannt (S. 15). Bei genauerem Hinsehen erweisen sich aber die drei vermeintlich älteren Quellen als falsch datiert. Das Glasbild aus der Nicolaikirche (Dobbertin Nr. 1) stammt nicht von 1300, sondern ist aller Wahrscheinlichkeit nach erst 1572 entstanden. – Für eine Datierung des einer Urkunde von 1351 angefügten Zusatzes post exitum puerorum (Dobbertin Nr. 2) auf „um 1375“ gibt Dobbertin keine ausreichenden Gründe an. – Auch die Annahme, daß die aus dem Jahr 1688 stammenden Aufzeichnungen Heinrich Meiboms auf einen um 1384 entstandenen im Stift St. Bonifatii aufgezeichneten historischen Spruch (Dobbertin Nr. 3) zurückgehen, ist nicht hinreichend bewiesen. »
  40. Noch nicht eindeutig geklärt scheint das Problem der von vielen Autoren bezeugten Hamelner Sonderzeitrechnung „nach dem Auszug der Kinder“, die außer in der Lüneburger Handschrift auch in der Chronik der Grafen von Zimmern (Dobbertin Nr. 12) erwähnt wird: Diser wunderbarlichen geschicht zu ewiger gedechtnuß schreibt iezermelte stat (sc. Hameln) in allen iren briefen am datum nach Christi gepurt die rechte jarzall, daran henken sie aber und nach verlierung unserer Kinder in dem oder dem jar. Einige wenige erhaltene Urkunden tragen tatsächlich einen offenbar nachträglich eingefügten Zusatz über den Kinderauszug, aber merkwürdigerweise wird dabei jeweils nur das Jahr des Kinderauszugs nach dem üblichen Kalender – übrigens mit unterschiedlichen Jahreszahlen – erwähnt, jedoch nie die Zahl der Jahre „nach dem Auszug der Kinder“ angegeben. Allein die Inschrift vom damaligen Neuen Tor (Nr. 45) erweitert in solchem Sinne die Datierung, indem sie die zeitliche Differenz zu jenem Ereignis (ante annos 272) der normalen christlichen Zeitrechnung hinzufügt. »
  41. In folgenden Reiseberichten und Beschreibungen der Stadt Hameln sind die bildlichen Darstellungen erwähnt: Lucas Lossius, Ecclesiasticae historiae et dicta (...), Frankfurt 1571 (Dobbertin Nr. 15); Augustin von Mörseberg, Reisechronik 1592 (Dobbertin Nr. 35); Adelar Erich, Thuringische Chronica, um 1600 (Dobbertin Nr. 40) u. a. »
  42. Außer dem Glasbild in der Marktkirche (Nr. 76) befanden sich auch an mehreren Häusern bildliche Darstellungen des Kinderauszugs und wohl auch der Rattenbeschwörung, u.a. am Haus Markt 1, von dem das älteste inschriftliche Zeugnis des Kinderauszugs stammt. Weitere Belege für bildliche Darstellungen bei Dobbertin Nr. 16. »
  43. Text bei Dobbertin Nr. 35. Abb. 17. Eine Abbildung gibt auch Humburg, S. 49. »
  44. Jobst Johann Backhaus, Chronicon Hamelense rhytmicum, gedruckt bei Dobbertin Nr. 30. »
  45. Näheres zu Erich siehe Katalogartikel Nr. 155 dieses Bandes; die einschlägige Stelle ist zitiert bei Dobbertin Nr. 71. »
  46. Vgl. HSTA Hannover, Hann. 75, 54: Reliquien und Pretiosa des Stifts St. Bonifacii zu Hameln 1663 bis 1867. »
  47. Die geraubten Gegenstände kamen allerdings zum Teil wieder an das Stift zurück, vgl. (wie Anm. 87): Die dem Stift gestohlenen pretiosa und reliquiis. Actum de Hameln dem 16. November anno 1700. »
  48. (Wie Anm. 87): Die Akte enthält den Vermerk, daß die „Sachen“ 1772 nach Hannover gesandt wurden, aber auch mit diesem Hinweis ist keines der ehemals Hamelner Stücke zu identifizieren. – Die Reliquien wurden 1867 vom Klosteramt Wennigsen an den Bischof von Hildesheim gegeben. »
  49. Vgl. Spanuth, Geschichte II, S. 254 und 256. »
  50. Vgl. Spanuth, Geschichte II, S. 261: Am 29. Juni 1855 war in der Deister- und Weserzeitung die Nachricht zu lesen, daß mit dem Abbruch des Gotteshauses St. Bonifatii in vierzehn Tagen begonnen werden solle. »
  51. Über die Geschichte der Glocken informiert ein von Hans Kittel verfaßter Artikel im Jahrbuch 1966 mit dem Titel: Glocken des Münsters und der Marktkirche, S. 38–42. »
  52. Sie liegt in einem Neudruck, Hannover 1979, vor. »
  53. Der Vergleich mit anderen Beständen zeigt, daß Glocken häufig als erste der Inschriftenträger mit deutschen Texten versehen sind, näheres dazu: Wulf (wie Anm.55). »