Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Hinweis: Diese Einleitung enthält Abweichungen gegenüber der Druckfassung. Alle Von-Bis-Angaben bei Verweisen auf Katalognummern (z. B. Nr. 7173) wurden aus Referenzierungsgründen zu kommaseparierten Listen aufgelöst.

5. Inschriften und Inschriftenträger

5.1. Inschriften an Grabmälern

Eine kontinuierliche Überlieferung beschrifteter Grabmäler beginnt erst im letzten Viertel des 15. Jh. (Nr. 47, 48), setzt sich nach 1516 (Nr. 99) nur mit einem Grabmal fort (Nr. 130), gewinnt aber ab 1546 (Nr. 148) in kurzer Zeit eine hohe und bis 1650 anhaltende Dichte.250) Für das Stadtgebiet von Halle sind 255 Inschriftenträger mit Inschriften des Totengedenkens überliefert. Davon sind 22 original und 36 kopial überlieferte Epitaphien, 28 original und 18 kopial überlieferte Grabplatten, 7 original und 23 kopial überlieferte Grabsteine, 2 kopial überlieferte Totenfahnen und 2 Totenschilde; einer davon blieb erhalten. 21 originale Inschriftenträger befinden sich auf dem Stadtgottesacker, 15 im Dom und auf dem Domhof, 17 an und in der Laurentiuskirche, 2 in der Moritzkirche, 2 in der Katharinenkirche in Ammendorf, 3 an der Bartholomäuskirche in Giebichenstein, 2 an der Pankratiuskirche in Mötzlich und je ein Grabmal an oder in den Kirchen von Passendorf, Reideburg und Trotha.251) Die für die Georgenkirche und die Barfüßer- oder Schulkirche überlieferten Inschriftenträger gingen bei der Zerstörung der Kirchen im 18. bzw. 19. Jh. vollständig verloren; die Grabmäler in der Ulrichskirche wurden bei tiefgreifenden Instandsetzungen gänzlich beseitigt und zu einem kleinen Teil in das Museum Moritzburg verbracht (Nr. 327, 431). Dort befinden (bzw. befanden) sich auch zwei Grabmäler vom Stadtgottesacker (Nr. 225, 273). Nur in der 1554 vollendeten Marktkirche hat es allem Anschein nach bis auf eine Ausnahme (Nr. 96) nie Grabmäler gegeben.

Die vor Einführung der Reformation in Halle 1541 entstandenen Grabmäler sind Adligen (Nr. 48, 64), Geistlichen (Nr. 50, 54(?), 99, 130) und Angehörigen der bürgerlichen Oberschicht (Nr. 47, 85, 96) gewidmet. Seit der Mitte des 16. Jh. aber werden fast alle Stände durch Grabinschriften repräsentiert: die bürgerliche, insbesondere ratssässige Oberschicht von Halle, Beisitzer des hallischen Schöffenstuhls, Geistliche, Adlige sowie Hofbedienstete adligen und bürgerlichen Standes. Es fehlen – wie üblich – Vertreter der städtischen Unterschicht, aber auch Verstorbene fürstlichen Standes. Für die in der Maria-Magdalenen-Kapelle der Moritzburg beigesetzten Erzbischöfe Johann Albrecht von Brandenburg und Sigismund von Brandenburg sind keine Grabmäler überliefert; die Administratoren Joachim Friedrich von Brandenburg (1567–1598) und Christian Wilhelm von Brandenburg (1608– 1625/28) mußten – soviel bekannt ist – während ihrer Regierungszeit keine Familienangehörigen betrauern.

5.1.1. Die äußere Gestaltung der Grabmäler

Der Bestand an überlieferten Grabmälern entfaltete in der Mitte des 16. Jh. einen großen Formenreichtum, der bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums erhalten blieb und sich in Ansprache und Beschreibung der Grabmäler niederschlägt. Die entsprechende Terminologie ist in den vorliegenden Bänden der Reihe „Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“ bereits erläutert worden, so daß ihre Kenntnis vorausgesetzt werden kann. Zur Bestimmung der Grabmalstypen sei nur soviel gesagt, daß eine hochrechteckige Steinplatte mit ganzfigürlicher Darstellung der oder des Verstorbenen nicht selbstverständlich als Grabplatte anzusprechen ist, da sie ursprünglich – in eben dieser Form oder auch durch Architekturelemente oder Ornamentik und weitere Inschriften bereichert – als Wandepitaph gedient haben kann, wie Beispiele aus dem hallischen Grabmalsbestand belegen (Nr. 175, 260, 455, 456). Seit der Mitte des 16. Jh. wurden figürliche Reliefplatten mit umlaufender Inschrift um Schriftfelder bereichert, die im Binnenfeld der Platte (z. B. Nr. 185, 227, 258, 486, 491) angebracht wurden. Diese Inschriften können auf eine aufrechte, einem Wandepitaph vergleichbare Präsentation hindeuten und die typologische Einordnung erschweren, die dann nur noch in Kenntnis der Überlieferungsgeschichte möglich wäre. Wenn aber die Überlieferungsgeschichte translozierter originaler Inschriftenträger nicht bekannt und die äußere Form der kopial überlieferten Inschriftenträger nicht näher beschrieben ist, dann wurden die Inschriftenträger zumeist als Grabmäler bezeichnet. Eine gewisse Unschärfe mußte bei der Typenbestimmung in Kauf genommen werden, so auch bei der Bezeichnung einzelner Grabmäler des Stadtgottesackers als Grabsteine.

Grabmäler mit figürlichen Darstellungen zeigen die Verstorbenen stets in standesgemäßer Kleidung. Die Geistlichen der Alten Kirche tragen – soweit noch erkennbar – die Almutie der Kanoniker und das priesterliche Birett (Nr. 50, 99) bzw. eine Mitra, die den Propst des Neuen Stifts auszeichnet (Nr. 130). Die Geistlichen der lutherischen Kirche wurden mit Talar und Halskrause (Nr. 421, 456) abgebildet. Adlige tragen stets einen Harnisch, so auch Cosmus Quetz, dessen Adelsprädikat in der Inschrift nicht erscheint (Nr. 185). Männer bürgerlicher Herkunft wurden mit Schaube dargestellt (Nr. 175, 248, 373, 455), die wie die übrige Kleidung modischen Veränderungen unterworfen war (Nr. 273). Frauen adliger und bürgerlicher Abstammung sind an ihrer Kleidung nicht zu unterscheiden; sie tragen alle einen fußlangen Mantel und eine Haube mit Rise (Nr. 217, 227, 247, 258).

Einige erhaltene Grabsteine sind anhand ihrer geringeren Größe, der blockweisen Beschriftung und dem gebogenen oder geschwungenen, selten auch ornamental verzierten Abschluß der oberen Schmalseite sicher identifizierbar. Sie tragen in der Regel nur Inschriften, bis auf den Grabstein für Kinder der Familie Türk von 1546, der ein Relief mit dem Jesusknaben und zwei Kleinkindern zeigt (Nr. 148). Allerdings ist von allen original erhaltenen Grabsteinen bei gegenwärtiger Aufstellung stets nur eine Seite zu sehen, so daß weitere bildliche Darstellungen auf den verdeckten Seiten der Grabsteine nicht ausgeschlossen werden können.

Die meisten erhaltenen Epitaphien bestehen aus Holz oder Sandstein; nur drei der erhaltenen sind aus wertvollerem Stein gefertigt (Nr. 327, 411, 431). Die mehrfach bezeugten, mit geschnitztem Ornament oder Schnitzfiguren geschmückten Epitaphien (Nr. 358, 361) sind ebenso wie alle Grabmäler, denen Gemälde eingefügt waren (Nr. 196, 215 (?), 250, 311, 432, 479, 508),252) bis auf eine Ausnahme verloren: Das Epitaph für Hedwig Elisabeth von Rheden von 1619 mit reicher Schnitzerei und fünf Gemälden vertritt heute beide Denkmalsgruppen (Nr. 408).

Das älteste erhaltene Epitaph stammt aus dem Jahr 1559, ist aus Stein gehauen und hat einen eingeschossigen mehrzonigen Aufbau mit seitlichen Pilastern und abschließendem Gebälk, ohne Unter- und Seitenhänge, aber mit einem niedrigen Auszug (Nr. 176). Diese Grundform eines architektonischen Aufbaus erfährt im ersten Drittel des 17. Jh. eine reiche, auch mehrgeschossige Ausgestaltung mit Unterhang und Seitenhängen, wie die Epitaphien für Rudolf von Rauchhaupt von 1604 (Nr. 337) und für Kilian Stisser von 1620 beispielhaft belegen (Nr. 411). Ihre Inschriften stehen am Unterhang und in der Sockelzone des Hauptgeschosses. Andere Epitaphien, die knappen Beschreibungen zufolge mit vergleichbarem Aufwand konzipiert waren, sind größtenteils (Nr. 327, 431) oder gänzlich (Nr. 358, 361, 362, 378) verloren. Eine andere Variante des Typs mit architektonischem Aufbau stellt das Epitaph für Wilhelm Rudolph von Megbach dar (Nr. 332), das an Unterhang und Hauptgeschoß nur Text präsentiert. Es sei hier stellvertretend für eine kleine Gruppe vielgestaltiger Epitaphien erwähnt, die kein Bild welcher Art auch immer, sondern nur Inschriften und zumeist noch Wappen tragen. Bildlose Epitaphien erscheinen wie alle anderen Epitaphformen ab der Mitte des 16. Jh. (Nr. 154, 158) und werden wie diese bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums angefertigt. Ungewöhnlich sind die aus Holz geschaffenen Epitaphien für Christoff de Mortaigne und Heinrich von Schlieben, die beide in der Schlacht bei Leipzig 1642 gefallen sind (Nr. 493, 495). Inmitten der architektonisch gerahmten Grundfläche des Epitaphs befindet sich eine kleine rautenförmige Wappentafel, die ein Sterbevermerk umzieht. Auf den freien Flächen neben den Wappen könnten einst die Degen und Sporen der im Kampf gefallenen Offiziere befestigt gewesen sein. Diese Grabmäler stellen vielleicht eine Sonderform des Totenschilds dar, der mit einem (leider fragmentierten) Beispiel vertreten ist (Nr. 458). Zu den Gedächtnismalen für Christoff de Mortaigne und Alexander von Gleissenthaler gehörten auch beschriftete Totenfahnen (Nr. 464, 493) als typische Elemente der Grabausstattung von Offizieren im 17. Jh.253) Das anspruchsvolle Epitaph für Margareta Krause von 1646, das auf dem Stadtgottesacker erhalten blieb (Nr. 507), gleicht im Aufbau jenen einander ähnlichen Grabplatten, die etwa zur selben Zeit für den Laurentiuskirchhof geschaffen wurden (Nr. 484, 487). Die gesamte Fläche der Platte wird von gerahmten und dekorierten Schriftfeldern bzw. -kartuschen mit umfangreichen Inschriften bedeckt.

Für einige Grabmäler des Stadtgottesackers ist bezeugt, daß sie mit Türen abgedeckt waren. Sollten die Türen an den im Freien stehenden Grabsteinen noch Gemälde geschützt haben (Nr. 439, 479, 508), so werden sie jedoch für die in den Bogenkammern befindlichen Grabmäler reiner Schmuck gewesen sein (Nr. 273, 466). Die Türblätter trugen Inschriften unterschiedlichen Umfangs; am Grabstein für Augustin Rosch und Balthasar Schicketantz aber waren sämtliche Inschriften auf ihnen angebracht (Nr. 508). Auch an diesen Beispielen ist festzustellen, was für alle Grabmäler gilt, daß die äußere Gestaltung nur insofern Einfluß auf [Druckseite XL] die Gestaltung der Inschriften hatte, als sie die Größe des Schriftfeldes und die Art der Schriftausführung vorgaben. Grabmalstypen sind nicht an Textsorten gebunden, so wie umgekehrt die Textsorten an sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Unterscheidung der Grabmalstypen bieten.

Trotz der erheblichen qualitativen und stilistischen Differenzen, die die figürlichen Grabmäler des Bearbeitungszeitraums aufweisen, ließen sich bislang nur einige kleine Werkgruppen anonymer Bildhauer voneinander abgrenzen. Der Schöpfer des Epitaphs für Wolfgang und Felicitas von Selmnitz von 1559 (Nr. 176) hat, wie an seinem Steinmetzzeichen ersichtlich ist (Anhang 2, Nr. 15), in den 1560er Jahren auch an den Bögen der Nordseite des Stadtgottesackers gearbeitet. Die Grabmäler für Georg und Otto von Bose in Ammendorf mit ganzfigürlichen Darstellungen der Verstorbenen sind ausweislich der Steinmetzzeichen (Anhang 2, Nr. 16) 1570/75 von ein und demselben Bildhauer geschaffen worden (Nr. 206, 209). Drei Grabmäler desselben Typs aus den 1580er Jahren können trotz geringfügiger Abweichungen in den Buchstabenformen wahrscheinlich auch einem Bildhauer zugewiesen werden (Nr. 247, 248, 258). In den vierziger Jahren des 17. Jh. hatte ein auf dem Neumarkt tätiger Bildhauer die einander gleichenden Grabplatten für Maria Lamperswald und Maria Schüler geschaffen (Nr. 484, 487). Ob die Initialen MECWF und MEFCW an zwei verlorenen Grabmälern von 1636 bzw. 1639 (Nr. 471, 481) Künstlersignaturen waren, ist ungeklärt. Drei der erhaltenen Epitaphien lassen sich den namhaften Bildhauerwerkstätten von Valentin Silbermann und Franz Julius Döteber in Leipzig (Nr. 327, 431) und Christoph Dehne in Magdeburg (Nr. 411) zuweisen.

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5.1.2. Inhalt, Form und Sprache der Inschriften unter Berücksichtigung der Inschriften an den Bogenkammern des Stadtgottesackers254)

Vorreformatorische Grabinschriften bestehen nur aus lateinischen oder deutschen Sterbevemerken und Fürbitten. Das vor der Reformation übliche Formular wurde bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums weiter verwendet. Die Fürbitte der/dem Gott gnade verliert aber ihre eigentliche Bedeutung, weil eine Heilsvermittlung durch das Gebet und die Anrufung Gottes, Christi und der Heiligen von den Reformatoren als theologisch unbegründet verworfen wurde. Die Formel wird dennoch als Segenswunsch bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums tradiert. Seit der Mitte des 16. Jh. treten biographische Angaben hinzu, die die Nennung der Eltern, die Anzahl der Eheschließungen, die Ehe und die Lebensdauer, die Todesumstände, die Anzahl der lebenden und verstorbenen Kinder und die Aufzählung der Ämter und Würden der Männer umfassen können. Die Aufzählung der Ämter hochrangiger Würdenträger führt im ersten Viertel des 17. Jh. mitunter dazu, daß deren Laufbahn – in lateinischer Sprache – ausführlicher dargestellt wurde (Nr. 327, 332, 352, 411, 414). Mit vergleichbarer Ausführlichkeit hat man erst wieder in der Mitte des 17. Jh. die hochverdienten und berühmten Gelehrten Johannes Olearius (Nr. 421) und Christian Gueinzius (Nr. 523) gewürdigt.

Stand, Ämter und Titel, aber auch eine Vielzahl von Epitheta differenzieren die soziale Stellung der Verstorbenen. Fürsten galten als illustrissimus255) und reverendissimus,256) clementissimus und magnanimus. Ihre Kanzler waren celebris oder celeberrimus und magnificus257) und selbst an Treue nicht zu übertreffen (fidelissimus). Niedere Adlige waren natürlich edel oder nobilis, auch nobilissimus, und gestreng. Das Epitheton edel wurde in den 1630er Jahren durch wohledel abgelöst. Eines der ältesten adligen Standesattribute, ehrenfest, wurde jedoch schon in den 1560er Jahren vom Bürgertum aufgegriffen (Nr. 184, A1/15, A1/18, A1/23) und kehrte erst 1635 in der Schwundform fest als standesgebundenes Epitheton in adlige Grabinschriften zurück (Nr. 458). Berufssoldaten, i. d. R. adliger Herkunft, galten als mannhaft und wohlbestallt, Geistliche als ehrwürdig und wohlehrwürdig, als reverendus oder gar reverendissimus (Nr. 418), venerabilis und venerandus (Nr. 390). Clarus und clarissimus waren ausschließlich Professoren und Doktoren oder Männer, wie der Poeta coronatus und Magister Johannes Puchbach (Nr. 352) und Moritz Barth, ein specimen litterarum (Nr. 381), und andere, denen man nachrühmte, gelehrt gewesen zu sein, wie der prudentissimus vir Leonhard Zeise (Nr. 254). Die Epitheta clarus und clarissimus gehören allerdings in den Kontext lateinischer Grabinschriften, denn ein deutsches Synonym gibt es nicht, obwohl es an hochgelehrten Bürgern nicht fehlte. In deutschen Inschriften war das Epitheton hochgelehrt den Doktoren vorbehalten, bis es seit [Druckseite XLI] Anfang des 17. Jh. auch von Bürgern mit geringeren akademischen Titeln in Anspruch genommen wurde (Nr. 353, 417). Das Attribut achtbar wurde bis 1590 ebenfalls nur promovierten Akademikern zugedacht, die zugleich Ratsverwandte oder Hofbeamte waren, wie die Inschriften Nr. 202, 236, 242, 286, A1/9, A1/30, A1/35 belegen. Danach scheint das Epitheton aber allgemein zur Ehrung städtischer und höfischer Funktionsträger und Pfarrer gebraucht worden zu sein (Nr. A1/6, 287). Auf seinem Grabmal wird der 1621 gestorbene Rechtsgelehrte (Iuris consultus) und fürstliche Rat Daniel Schneider achtbar und hochgelehrt genannt (Nr. 417). Ratsverwandte wurden als wohlweise gewürdigt; Bürger im allgemeinen waren wohlgeachtet, ehrbar und seit den 1560er Jahren auch ehrenfest (Nr. A1/15, A1/18). Der ehemalige kursächsische Amtmann Kilian Schmid bezeichnete sich 1562 als fest (Nr. 184, A1/23). Frauen galten, ob ehrbar oder edel, stets als tugendsam oder gar als ehrenvieltugendsam oder vielehrentugendsam u. ä.

Seit der Mitte des 16. Jh. ist es allgemein üblich, auf Grabmälern deutsche und lateinische Bibelzitate anzubringen. Sie werden gelegentlich durch Bibeldichtungen Luthers ergänzt oder ersetzt (Nr. 232, 405, 509). Deutsche Reimverse sind seit 1560 (Nr. 177), lateinische Verse seit 1566 belegbar (Nr. 189). Im letzten Viertel des 16. Jh. erscheinen Grabinschriften mit mehreren elegischen Distichen auf Latein, deren Zahl sich von 5, 6 oder 7 auf 23 (Nr. 215) oder gar 32 (Nr. 238) steigert258). Die Neigung, mit umfangreichen lateinischen Versinschriften zu prunken, verliert sich im frühen 17. Jh. wieder (zuletzt Nr. 342, 426), obwohl elegische Distichen ihren Platz in Grabinschriften behaupten. Ein späthumanistischer Bildungsanspruch äußert sich auch in gelehrten Anspielungen auf die antike Geschichte (Nr. 215) und Mythologie (Nr. 421). Ein Beispiel klassischer Bildung und Sprachkenntnis gibt der Verfasser der lateinischen Grabinschriften für Magdalena und Lorenz Oehm (Nr. 207, 275), der zwei vergleichsweise umfangreiche Versinschriften schuf und die Todestage mythologisch umschrieb. Daß nur eine Grabinschrift des 16. Jh. einen antiken Autor zitiert (Nr. 154), ist wahrscheinlich dem Zufall der Überlieferung geschuldet, denn an den aus der gleichen Zeit stammenden Bogenkammern des Stadtgottesackers finden sich weitere Zitate antiker Literatur. Inschriften des Totengedenkens aus dem 17. Jh. zitieren Terenz und Ovid (Nr. 466, 480), paraphrasieren Plautus (Nr. 355) und Vergil (Nr. 389) und kennen außer dem Werk des lateinischen Kirchenvaters Augustinus (Nr. 474) die Schriften des griechischen frühchristlichen Theologen Theodoret von Cyrus – auf Latein (Nr. 386). Die Textkenntnis beruhte vermutlich weniger auf intensiver Lektüre der antiken und frühchristlichen Autoren, als auf Zitatsammlungen, wie sie z. B. durch Erbauungsbücher Verbreitung fanden. Man griff auch auf Gebetbücher (Nr. 251, 489, 515) und im 17. Jh. auf Liederbücher (Nr. 356, 369, 394, 428, 452, 474, 484, 489, 500) zurück, bat gelehrte Zeitgenossen um Verse (Nr. 421) oder schuf selber welche (Nr. 304).

Ein vergleichbares Spektrum an Zitaten und Textformen weisen die in der zweiten Hälfte des 16. Jh. entstandenen Inschriften an den Bogenkammern des Stadtgottesackers auf (Anhang 1). Auch sie sind Inschriften des Totengedenkens, wie die Inschriften über den Bögen selbst immer wieder zum Ausdruck bringen. Sie sind sowohl dem Gedenken einzelner Personen (Nr. A1/12C, A1/16C, A1/27C, A1/29C, A1/30C) als auch dem Gedenken aller verstorbenen Angehörigen einer Familie gewidmet, ohne daß diese namentlich genannt werden. Das wird an den Bögen typischerweise durch Formeln wie ZVM GEDÄCHTNIS SEINES GESCHLECHTS (Nr. A1/13C) oder ZV EHREN SEINER FREVNDSCHAFT (Nr. A1/16C) ausgedrückt. Dem gleichen Zweck dienen Epitaphien, die in den Bogenkammern errichtet und nicht einer einzelnen Person, sondern dem Gedächtnis ganzer Familien gewidmet wurden (Nr. 196, 318, 404). Biographische Angaben, die über einen Sterbevermerk hinausgehen, finden sich bis auf eine Ausnahme (Nr. A1/22A) an den Bogenkammern nicht. Die Inschriften an den Friesen über den Bögen enthalten deutsche und lateinische Bibelzitate, Luthers Bibeldichtungen, andere deutsche Reimdichtungen, Zitate nach Ovid (Nr. A1/19AA) und Prudentius (Nr. A1/55AB) und zeitgenössische lateinische Epigramme des Johannes Stigel (Nr. A1/19AA, A1/53AB), Philipp Melanchthon (Nr. A1/29AA, A1/74AB) und Nicolaus Reusner (Nr. A1/75A). Im letzten Viertel des 16. Jh. macht sich eine Betonung klassischer Bildung und Latinität bemerkbar; im 17. Jh. nahmen Umfang und Vielfalt der Textformen und Zitate deutlich zu, sofern sie nur irgendeinen Bezug zu Sterben, Rechtfertigung und Seligwerdung erkennen ließen.

5.1.3. Eschatologische Aspekte der Inschriften

Seit Einführung der Reformation 1541 bekannte sich ein ständig wachsender Teil der Einwohner von Halle zur lutherischen Kirche. Die theologischen Grundlagen des neuen Bekenntnisses sind auch als Grundlagen der nachreformatorischen Grabinschriften vorauszusetzen. Zahlreiche Inschriften drücken [Druckseite XLII] die Gewißheit der göttlichen Rechtfertigung und Seligmachung durch Jesu Christi Opfertod aus. Die Gewißheit schwingt schon im Modus des verbalen Indikativs mit, hat aber auch eine theologische Begründung: Sie ruht bis an [den] Jüngsten Tag, alsdann Sie GOtt wiederum auferwecken und in die ewige Herrlichkeit einführen wird, welche uns CHristus JEsus erworben hat mit seinem bitteren Leiden und Sterben am Stamm des Kreuzes, die ganze Christenheit erlöst vom ewigen Tode, Teufel und Hölle (Nr. 187). Die Begründung schuf Luther durch seine christozentrische Theologie, die nach dem Prinzip „scriptura suis ipsius interpres“ eine textimmanente, allein auf Christi Heilswirken ausgerichtete Auslegung der gesamten Bibel wagte. Komplementäre Bibelstellen aus Altem und Neuem Testament werden mehrfach für Grabinschriften, wie z. B. für das Epitaph für Magdalena Vetter zusammengestellt: Convertere ad me qvoniam redemite (Is 45,22). Ecce agnus DEI qvi tollit peccata mundi (Io 1,29). [Salvus eris] corde creditur ad iustitiam (Rm 10,9–10). Eine Deutung dieser Bibelstellen im Sinne der lutherischen Soteriologie ist evident, da auf dem Epitaph der Reformator selbst neben dem Kreuz Christi abgebildet war (Nr. 194). Die Dialektik von alttestamentlicher Verheißung und neutestamentlicher Erfüllung liegt auch der Textauswahl auf dem Epitaph der Familie Müller zugrunde (Nr. 311), die mit einer vielzitierten Stelle aus dem Buch Hiob (Hi 19,25) einsetzt (Ich weiß daß mein Erlöser lebt, und er wird mich hernach aus der Erden auferwecken.) und mit Zitaten aus dem Johannesevangelium fortfährt, die Christus als Erlöser (Jh 3,16) und sein Heilswirken als Versprechen der Rechtfertigung und Auferstehung aller (Jh 11,25) bezeugen. Das letzte Bibelzitat dieses Epitaphs versichert, daß diejenigen, die Jesu Wort glauben, den Tod überwunden haben (Jh 5,24). Es weist noch einmal auf die zentrale Bedeutung des individuellen Glaubens für die Heiligung hin, die durch die häufige Zitierung von Jh 11,25 immer wieder in Erinnerung gerufen wird: Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe (Nr. 175).259) Eine Auswertung von Leichenpredigten ergab, daß der Glaube des Sterbenden als die entscheidende Bedingung für die Rechtfertigung angesehen wurde,260) wie es der lutherischen Theologie von der Rechtfertigung „sola fide“ entsprach. Aus tiefer Einsicht in das Heilswirken Jesu Christi hat der Wittenberger Theologe Martin Heinrich seinem Schwiegervater die Verse gewidmet: Felices qvibus in Christo spes una salutis, in Christi claudunt qvi sua fata fide (Nr. 238). Ein einziges Mal nur wird die Rechtfertigungshoffnung „sola fide“ explizit ausgedrückt. Drei Verse auf dem Epitaph der Familie Holzwirth lauten: Includit Christum pectore sola fides. Illius effusus cruor e nece liberat orbem. Eqve hac ad coelum nos revocabit humo (Nr. 196).

Die mehrfach inschriftlich erwähnten Heiligen (beati, sancti) sind die Gerechtfertigten, die im und durch den Glauben das Opfer Jesu Christi für die Menschen angenommen haben. Sie haben sich in dieser Welt durch ihre Glaubensfestigkeit hervor. Diese Heiligen sterben zwar wie alle anderen Menschen, werden aber gewiß ihrer Sünden entledigt werden und des ewigen Lebens teilhaftig sein.261) Auf ihr glaubensstärkendes Vorbild nimmt die Inschrift auf dem Epitaph für Balthasar Brunner Bezug, in der es heißt: fidemqve auxilio Sanctorum constanter servatam (Nr. 362). Der Verstorbene selbst muß als Gerechtfertigter gelten, wenn von ihm gesagt wird, daß er expectat resurrectionem et omnium beatorum communionem (Nr. 395) oder daß inter sanctos fulgere videbimus illum (Nr. 238). Die letzten, dem Verstorbenen zugedachten Worte auf dem Epitaph für Johann David Wogau setzen voraus, daß auch seine Angehörigen die göttliche Rechtfertigung erlangt haben: cum adiacentibus suis cunctisqve beatis resurrectionem expectans (Nr. 476).

Der Glaube oder eher noch die Glaubensfestigkeit spielt in der lutherischen Ars moriendi eine entscheidende Rolle. Die Sterbekunst des Luthertums ist aus der mittelalterlichen Tradition erwachsen, aber im Sinne der lutherischen Soteriologie umgeformt worden, ohne traditionelle Elemente gänzlich aufzugeben.262) Sie gebietet, daß sich der Mensch den stets drohenden Tod vor Augen halten soll, um frühzeitig auf die Anfechtung des Glaubens im Todeskampf vorbereitet zu sein. Dazu ermahnt das Memento mori:263) De coetero vale, et Memento Mari (Nr. 471); Vive bene et qvovis tempore disce mori (Nr. 395). Disce mori ist eine der geläufigen Formeln des Memento mori (vgl. Nr. A1/74), das aber auch die Form eines Bibelzitats, wie z. B. Ps 90,12 (Nr. 159) und Sir 38,23 (Nr. 515), einer Devise (Nr. 416, 466), eines Sprichworts oder Kirchenlieds (Nr. 474) oder einer Spruchdichtung (Nr. 479, 509) haben kann.

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Ihre eschatologische Dimension offenbart die Ars moriendi im Sterbevorgang, dessen Umstände immer wieder formelhaft in den Inschriften angesprochen werden. Sie sind durch den Sterbenden selbst und die Sterbebegleiter (Geistliche, Verwandte) so zu gestalten, daß es ein „gutes Sterben“ wird und der Sterbende jenen „guten Tod“ findet, der es ihm ermöglicht, Rechtfertigung und Seligkeit zu erlangen.264) Ein Gebet benennt diesen Zusammenhang: GOtt helfe, daß wir hie wohl lernen sterben und dort ewig leben mögen, Amen! (Nr. 404). Andere Inschriften schildern die näheren Umstände des Sterbens, auf die es ankommt: Der Tote ist inter preces interque suorum complexus mortuus, animam suam Christo redemptori fideliter commendavit (Nr. 254); tradit ovans animam vota ferenda DEO (Nr. 275). Hatte sich der Sterbende schließlich in wahrer Anrufung und Erkenntnis JEsu Christi seinem Schicksal ergeben, dann ist er sanft und seliglich entschlafen (Nr. 353). Die Junktur bedeutet, daß der Tote unter den von der Sterbekunst angestrebten günstigen Umständen gestorben und gerechtfertigt worden ist. Das sanfte Sterben bedeutet ein ruhiges Sterben ohne Todesfurcht;265) es ist duldsam und hadert nicht mit dem von Gott gegebenen Schicksal266) und zweifelt nicht an der von Christus erwirkten Rechtfertigung. Das selige Sterben gibt Gewißheit, daß der Verstorbene des ewigen Lebens teilhaftig ist,267) wie der Verfasser einer Inschrift weiß: Wer selig stirbt, der schläft fein sanft, frei von Not. Er wird bald wachen auf, wenn ihn wird rufen GOtt (Nr. 518).

Das Bekenntnis zu Jesus Christus (auch Symbolum oder Zeugnis) oder die Erkenntnis des Erlösers Jesus Christus ist eine der letzten, alles entscheidenden Äußerungen, die dem Sterbenden abverlangt wird.268) Es bedeutet, den seligmachenden Glauben kundzutun, und wurde deshalb mehrfach auf Grabmälern und häufig an den Bogenkammern des Stadtgottesackers (Anhang 1) angebracht. Über seinen Sohn schrieb der Pfarrer Matthäus Fischer (Nr. 215): Proximus hic morti tam laeta mente valebat, ut posset nemo dicere, mortis erit. Cur metuam mortem? dixit, mors mortis imago est. Non moriar, vivam sangvine, Christe, tuo. Vulneribus sanctis Christi me, credo, redemptum. Ah Jesu! ah Jesu! hac voce anima ipsa fugit. Das Glaubensbekenntnis mußte nicht in wörtlicher Rede niedergeschrieben werden, sondern konnte auch die Form eines Bibelzitats (Nr. 339), einer Bibelparaphrase (Nr. 431) oder einer Devise (Nr. 454) haben. Wesentlich ist, daß der Glaube an Jesus Christus, dessen Opfer die Auferstehung aller Toten verheißt, bzw. der Glaube an die eigene Auferstehung kundgetan wird, wie es der kurze Abschnitt aus dem Symbolum Nicaeno-Constantinopolitanum ausspricht, den der Pfarrer Christian Weber auf dem Grabstein seines Vaters anbringen ließ (Nr. 461). Die unpersönlich gehaltenen Bekenntnisse an den Bogenkammern des Stadtgottesackers setzen offensichtlich voraus, daß alle derzeit und zukünftig in den Bogenkammern Bestatteten glaubensfest gestorben sind (Anhang 1).

Der Tod wurde nur als vorläufiger Zustand begriffen, was das bevorzugte Synonym für Sterben entschlafen ausdrücken soll.269) Dementsprechend heißt es in den Inschriften: Mein Tod [ist] nur ein Schlaf (Nr. 518), oder nach Ps 4,9: Ich liege hier und schlafe (Nr. 404, 430). Im Tod ruht der Gestorbene nur; sein Grab wird metaphorisch als Ruhebett u. ä. (Nr. 177, 423, 518) oder Schlafkämmerlein bezeichnet (Nr. 479). Da mit dem Tod über Rechtfertigung und Seligkeit entschieden ist, befindet sich die Seele (oder der Geist) des selig Verstorbenen bereits bei Gott, während der Leib noch im Dieseits verharrt: Libera mens curis terrenis omnibus expers, conspectu fruitur liberiore DEI (Nr. 200); anima ad tranqvillitatem beatam et sanctissimum Divinitatis adspectum praemissa, corpore magnum Domini diem ac resurrectionem ad gloriam sub hoc Saxo expectat (Nr. 375); in seinen Schoß die Seele nahm der Leib allhier zur Ruhe kam, wartet bis GOtt an seinen Tag, beide einigen wird ohne alle Klag (Nr. 407); derer Leib allhier ruht, der Geist aber ist bei GOtt (Nr. 466). Dieses Bei-Gott-sein der Seele ist nach Luther ein zeitenthobener Zwischen- oder Übergangszustand, in den die Seele des durch den Glauben Gerechtfertigten bei Eintritt des Todes eintritt, um bei Anbruch des Jüngsten Gerichts wieder „geweckt“, mit dem auferstandenen Leib vereinigt und in vollkommener Seligkeit aufgenommen zu werden.270) Allem Anschein nach nivellieren einige Grabinschriften jedoch, was Luther in seiner Darstellung vom Tod als Übergang noch differenziert hat. Der volkstümliche Glaube läßt der Verstorbenen Seelen schon jetzt die Seligkeit vor dem Antlitz Gottes genießen, die eigentlich erst nach der Auferstehung erfahrbar sein soll: Da werd ich GOtt anschauen von hellem Angesicht, lieblich mit meinen Augen das ewige wahre Licht (Nr. 452).

Die Vorstellung, daß die Seligkeit mit der Anschauung (adspectus, conspectus) Gottes einhergehe oder vor dem Antlitz Gottes eintrete, stützt sich auf Bibelstellen wie Hi 19,26 („[Ich] werde in meinem Fleisch [Druckseite XLIV] Gott sehen.“) und Ps 17,15: Ich will schauen dein Angesicht in Gerechtigkeit, ich will satt werden, wenn ich erwache nach deinem Bilde (Nr. 318). Die bekannte Hiobstelle nach der Übersetzung Luthers (Hi 19,25– 26) wurde sicherlich als exemplarische Beschreibung von Auferstehung und Seligwerdung verstanden und deswegen so häufig in Inschriften des Totengedenkens zitiert. Der Kranz oder die Krone der Gerechtigkeit sind der Bibel entlehnte, häufig gebrauchte Metaphern (2 Ti 4,8; Jak 1,12) für die Rechtfertigung und das Ewige Leben,271) die den wahrhaft Gläubigen zuteil werden: Sie ist von dieser bösen Welt weggerafft, ihr Leib ruht hier sanft, ihre Seele erwartet der majestätischen Zukunft JEsu CHristi, da sie die Krone der Gerechtigkeit mit allen Gläubigen empfangen wird (Nr. 368).

Die Inschriften des Totengedenkens sind selten explizit konfessionell: Das Bekenntnis zum alten Glauben auf dem Epitaph für den letzten Sproß der Familie von Ammendorf 1550 (Nr. 154) und eine Abbildung Luthers auf dem Epitaph für Magdalena Vetter von 1569 (Nr. 194) sind Ausnahmen.

5.2. Inschriften an und in Bauwerken

Die häufigste, an Bauwerken angebrachte Textsorte ist die auf ein konkretes Bauvorhaben bezogene Bauinschrift. Die hallischen Bauinschriften sind zumeist, soweit überliefert, auf einer schmucklosen Steintafel oder einem schlichten Steinquader eingehauen oder erhaben ausgeführt. Manchen Inschriften wurde das Wappen der Bauherren hinzugefügt (Nr. 34, 37, 53), das aber zusammen mit der Bauinschrift selten eine so aufwendige Ausschmückung erfuhr wie am Kornhaus der Burg Giebichenstein 1473 (Nr. 46) und an der Neumühle 1582 (Nr. 229). Von 29 Bauinschriften aus dem gesamten Bearbeitungszeitraum sind allein 19 in dem Jahrhundert zwischen 1401 (Nr. 18) und 1509 (Nr. 90) entstanden; ihre in der zweiten Hälfte des 15. Jh. erheblich dichtere Überlieferung zeigt ein Baugeschehen großen Umfangs auf. Die Bauinschriften finden sich an den Kirchen und Klöstern, der Stadtbefestigung und an einem Bürgerhaus (Nr. 45) von Halle sowie am Neuwerkstift (Nr. 53) und an der Burg Giebichenstein (Nr. 46). Die bis 1509 entstandenen Inschriften beziehen sich auf die Gründung (Nr. 90) oder die Grundsteinlegung (Nr. 13, 14, 45) eines Bauwerks oder halten den Baubeginn fest und verwenden dafür fast ausschließlich den Terminus inceptus. Fast ebenso viele Bauinschriften vermerken den Bauabschluß, gebrauchen dafür aber unterschiedliche Begriffe wie completus, consummatus, finitus, perfectus und terminatus. Sie sind wie etwa die Hälfte der jüngeren Bauinschriften (Nr. 229, 246, 261, 374) in Latein geschrieben; nur zwei der vorreformatorischen Inschriften sind in lateinischen Hexametern verfaßt (Nr. 13, 90). Die nachreformatorischen Bauinschriften gebrauchen andere Verben; sie sagen erectus (Nr. 374), exstructus (Nr. 229, 246) und renovatus (Nr. 246, 261) oder auf Deutsch: erbauen (Nr. 116, 406) oder bauen (Nr. 132) und vollenden (Nr. 152). Die deutsche Sprache wurde in Halle für vier zwischen 1525 und 1554 entstandene Bauinschriften (Nr. 38B, 116, 132, 152MA) und eine aus dem Jahr 1618 (Nr. 406) verwendet.272) Daneben gibt es Bauinschriften, die den Fortgang der Bauarbeiten anzeigen, indem sie an die Setzung eines Steines oder des Quaders, auf dem die Inschrift steht, erinnern: locatus est lapis iste (Nr. 22B, 42A), fundatus hic lapis est (Nr. 44). Die Bauinschrift eines Bürgerhauses, in der der Bauherr in deutschen Reimversen seine Baukosten beklagt (Nr. 288), fällt gänzlich aus dem hier skizzierten Rahmen.

Die Verwendung der deutschen und der lateinischen Sprache in neuzeitlichen Bauinschriften entspricht der gleichzeitigen Verwendung beider Sprachen in allen anderen Inschriften, die an Bauwerken angebracht sind. Hausinschriften, die nicht auf das Baugeschehen Bezug nehmen, setzen in Halle 1516 ein (Nr. 101) und lassen sich in zwei große Gruppen teilen. Die eine Gruppe verkündet den Hausnamen (Nr. 101) und ist zumeist mit einer Abbildung des Hauszeichens verbunden (Nr. 110, 150, 277, 347, 400); die andere enthält fromme Sinnsprüche (Nr. 140, 193, 264, 347, 360) sowie Bibel- (Nr. 294) und Kirchenväterzitate (Nr. 321). Außerdem haben fast alle Hausinschriften eine Jahresangabe oder Jahreszahl, wenn sie nicht nur aus einer Jahreszahl – manchmal mit Initialen (Nr. 281, 344) – bestehen. Eine Ausnahme in jeder Hinsicht ist das allegorische Bild-Text-Programm von einem Haus in der Leipziger Straße, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde (Nr. 314). Es umfaßte mehrere lateinische Inschriften sowie Rundplastiken und Reliefs, die am Portal und an den angrenzenden Teilen der Fassade verteilt waren. Die Zweisprachigkeit und die Vielfalt der Textsorten nachreformatorischer bürgerlicher Hausinschriften haben eine Analogie in den bürgerlichen Grabinschriften, auch wenn sich in Hausinschriften viel seltener humanistisches Bildungsgut manifestiert (Nr. 314, 321).

Die Ausführung der Hausinschriften ist sehr unterschiedlich. Viele sind auf Steintafeln oder Quadern ausgearbeitet (Nr. 101, 110, 321, 347, 400), die über den Portalen angebracht sein können (Nr. 140, [Druckseite XLV] 150). Andere sind in Steinportale eingehauen (Nr. 264) oder im Auszug derselben angebracht (Nr. 277, 294). Bei Fachwerkbauten wurden die Hausinschriften entweder in das hölzerne Portal (Nr. 193, 263, 281) oder in das Gebälk des Hauses (Nr. 288, 360) geschnitzt bzw. eingehauen.

Eine weitere Gruppe von Inschriften befindet sich im Inneren der Bauwerke und ist i. d. R. als Malerei auf Putz oder auf Wand- und Deckenverkleidungen (Nr. 440, 525) ausgeführt. Die ältesten dieser Inschriften sind nur als Fragmente überliefert. Es handelt sich wahrscheinlich um Wappen- bzw. Bildbeischriften oder Tituli in profanen (Nr. 43) und klösterlichen Räumen (Nr. 123, 141) sowie Reste profaner Raumdekorationen, deren ursprünglicher Umfang nicht mehr ermittelt werden kann (Nr. 180, 198). Eine umfaßt zumindest ein lateinisches Bibelzitat. Nachreformatorische Inschriften befinden (bzw. befanden) sich in Bürgerhäusern und öffentlichen Gebäuden (Talhaus, Marienbibliothek, Stadtgymnasium) und nahmen zumeist auf Wandbilder oder wandfeste Bildwerke Bezug (Nr. 291, 320, 440, 512, 525). Die Inschriften in der Marienbibliothek (Nr. 377) und im Stadtgymnasium (Nr. 512) würdigten Stifter und forderten die Leser auf, gleichfalls zu spenden. Soweit das heute ersichtlich ist, waren diese Inschriften als einzige in elegischen Distichen verfaßt. Hervorhebenswert ist die Dominanz der lateinischen Sprache in der zur Raumdekoration gehörenden Gruppe von Inschriften.

5.3. Inschriften auf Ausstattungsstücken

5.3.1. Inschriften auf kirchlichen Ausstattungsstücken vor Einführung der Reformation

Zu den Prinzipalstücken einer Pfarrkirche gehört das Taufbecken, wie es für Halle, Neumarkt, Glaucha und zwei eingemeindete Dörfer überliefert ist (Nr. 1, 27, 28, 49, 68, 108). Die Taufbecken aus den Kirchen am Neumarkt und in Büschdorf und Trotha sind aus Stein gefertigt, die übrigen aus Bronze gegossen. Das stark verwitterte und beschädigte Trothaer Stück trägt die Namen der Heiligen, die an der Außenseite der Wandung als Relief ausgearbeitet sind (Nr. 1). Die Bronzetaufbecken in Halle umziehen Gießervermerke, aus denen hervorgeht, daß die sehr ähnlich gestalteten Becken für die Markt- und die Ulrichskirche von Ludolf von Braunschweig und seinem Sohn Hinrich 1430 gegossen wurden (Nr. 27, 28).273) Auch an ihren Wandungen sind Heilige abgebildet. Das Taufbecken in der Laurentiuskirche am Neumarkt ziert ein Relief des Kirchenpatrons (Nr. 49). Über die Gestaltung des Taufbeckens, das sich bis zum Brand 1740 in der Georgenkirche zu Glaucha befand, ist nichts überliefert. Der Gießer Johannes von Lobeda soll eine Anrufung in deutschen Reimversen auf dem Kessel angebracht haben (Nr. 68). Die Taufbecken vom Neumarkt und aus Büschdorf tragen nur Jahreszahlen (Nr. 49, 108).

In allen drei Pfarrkirchen Halles haben sich die großformatigen und künstlerisch anspruchsvollen spätgotischen Retabel der Hauptaltäre erhalten; der Altaraufsatz aus der Ulrichskirche ist derzeit allerdings in der Wallonerkirche in Magdeburg aufgestellt. Trotz erheblicher Unterschiede in der Ausführung sind ihre Heiligenprogramme untereinander sowie mit anderen Ausstattungsstücken der hallischen Kirchen vergleichbar. Zwei der drei Altaraufsätze haben hölzerne Schreine; der in der Moritzkirche enthält wiederverwendete Schnitzfiguren (Nr. 93). Das Retabel in der Marktkirche hat eine bemalte Mitteltafel (Nr. 127). Die Aufsätze aus Markt- und Ulrichskirche und das 1984 verbrannte Altarretabel der Laurentiuskirche am Neumarkt (Nr. 70) zeigen mariologische Bildprogramme. Die Malerei des Retabels vom Neumarkt wies zudem stilistische Ähnlichkeiten mit dem etwa gleichzeitig entstandenen, 1488 vollendeten Aufsatz der Ulrichskirche auf (Nr. 60). Die aufgemalten Inschriften haben einen geringen Umfang: Auf den drei letztgenannten Altaraufsätzen wurde die Verkündigung Mariae nach Lc 1,28 zitiert, auf dem Retabel der Ulrichskirche außerdem die Worte Simeons nach Lc 2,29. Die Heiligenzyklen auf den Retabelflügeln haben unterschiedliche Entsprechungen. Die Abbildung der hl. Kirchenväter Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und Gregor auf den Außenseiten des äußeren Flügelpaares und die Gegenüberstellung heiliger Jungfrauen mit Märtyrern der Thebäischen Legion bzw. ritterlichen Heiligen auf den Innenseiten des inneren Flügelpaares findet sich sowohl auf dem Aufsatz aus der Ulrichskirche wie auch auf dem Retabel der Moritzkirche. Sie geben zweifellos einen Hinweis auf den hallischen Festkalender, der allerdings noch nicht näher untersucht ist. Leider sind die Inschriften in den Heiligennimben am Retabel in der Moritzkirche bis auf eine gänzlich verblaßt, so daß ein unmittelbarer Vergleich erschwert ist. Überhaupt ist die Ikonographie des Moritzretabels in Teilen ungeklärt, denn in den Kammern des auffallend tiefen und verschließbaren Mittelschreins stehen heute spätgotische Schnitzplastiken (eine mit inschriftlicher Bitte um Fürbitte), die nicht zur ursprünglichen skulpturalen Ausstattung des Aufsatzes gehören (Nr. 93). Der namentlich bezeichnete Heiligenzyklus auf den Flügeln des Altaraufsatzes in der Marktkirche wiederum hat offenkundige Parallelen in den Altarpatrozinien der Kirche des Neuen Stifts (Dom), aber [Druckseite XLVI] auch in den Altarpatrozinien der Pfarrkirchen St. Gertruden und St. Marien, die der von 1530 bis 1554 errichteten Marktkirche vorausgingen. Der ursprüngliche Bestimmungsort des 1529 vollendeten Retabels ist deshalb umstritten (Nr. 127). Zu der kleinen Gruppe von Marienretabeln gesellt sich noch das Retabel in der Elisabethkirche zu Beesen, das laut Inschrift an der Predella 1522 gefertigt wurde (Nr. 113). Auf der Rückseite der übermalten Flügel konnte ein kleines Stück einer gemalten Inschrift, vermutlich der Engelsgruß nach Lc 1,28, freigelegt werden.274)

Als Schöpfer der Retabelmalerei aus der Ulrichskirche gilt ein Künstler fränkischer Prägung (Nr. 60), der vielleicht auch das Andachtsbild in der Marktkirche geschaffen hat (Nr. 67). Den Altaraufsatz in der Marktkirche fertigte ein Maler der Cranach-Werkstatt, wahrscheinlich der in Halle nachweisbare Simon Franck (Nr. 127). Ein kleiner, 1507 gemalter Altaraufsatz aus der Maria-Magdalenen-Kapelle der Moritzburg und ein einzelnes Tafelbild in der Wenzelskirche zu Lettin von 1545 tragen Künstlermonogramme. Das Lettiner Monogramm ist noch nicht aufgelöst (Nr. 146), das andere gehört keinem geringeren als Hans Baldung Grien (Nr. 89). Der Bildschnitzer des Beesener Retabels ist wahrscheinlich in Leipzig ansässig gewesen (Nr. 113). Die Arbeiten so herausragender Künstler wie Hans Baldung Grien und Simon Franck sind der Stiftungsfreudigkeit der in Halle residierenden Erzbischöfe von Magdeburg Ernst von Sachsen und Albrecht von Brandenburg zu verdanken.

Der Erzbischof und Kardinal Albrecht von Brandenburg ließ die Kirche des von ihm gegründeten Neuen Stifts, den Dom, vollständig neu ausstatten. Zu den am Ort erhaltenen Ausstattungsstücken gehört ein umfangreicher Skulpturenzyklus, den der Mainzer Bildhauer Peter Schro um 1525 ausführte (Nr. 119). Er umfaßt Christus als Salvator Mundi, elf Apostel und drei Schutzpatrone des Neuen Stifts. Elf Skulpturen tragen Gewandsauminschriften: Den Erlöser und Paulus schmücken Bibelzitate; an sechs der Apostel sind Bitten um Fürbitten eingehauen. Vier weitere Apostel sind mit nur ihren Namen bezeichnet, die gleichwohl als Anrufungen gedacht sein werden. Ein Hauptwerk hallischer Bildhauerkunst am Übergang von der Spätgotik zur Frührenaissance ist die reliefgeschmückte, 1526 vollendete Kanzel des Domes (Nr. 120). An ihr waren mehrere Bildhauer beteiligt, deren Indentität bislang jedoch nicht geklärt werden konnte. Am Unterfang des Kanzelkorbs sind Moses und die Evangelisten, am Kanzelkorb die Apostel Petrus, Paulus, Jakobus Minor, Johannes und Judas Thaddäus und an der Brüstung der Kanzeltreppe die Kirchenväter Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und Gregor abgebildet. Die Heiligen am Kanzelkorb sind durchgängig, die Heiligen an der Treppenbrüstung nur teilweise namentlich bezeichnet. Ein Zitat aus den Sprüchen Salomonis (Prv 30,5–6) bekräftigt die Tradition und Autorität altkirchlicher Lehre, die durch die Kirchenväter veranschaulicht wird. Wegen ihrer Größe, ihres unübersehbaren künstlerischen Anspruchs und der Darstellung der Kirchenpatrone Mauritius und Maria Magdalena dürfen auch zwei Wappentafeln mit Weiheinschriften zur kirchlichen Ausstattung des Domes gezählt werden. Ihre Schöpfer sind der Bildhauer Loy Hering aus Eichstätt (Nr. 114) und Peter Schro (Nr. 115). Schon im Jahr 1514 hatte Schro eine Wappentafel mit Weiheinschrift von vergleichbarer Qualität für die Maria-Magdalenen-Kapelle der Moritzburg geschaffen (Nr. 98).

Auch andere Kirchen erhielten Skulpturen ihrer Schutzheiligen: 1411 vollendete der Bildhauer Conrad von Einbeck die überlebensgroße Skulptur des hl. Mauritius für die Moritzkirche (Nr. 19). Sie ist ebenso wie die Schnitzplastik des hl. Wenzel in der Wenzelskirche in Lettin, die erst im 16. Jh. entstand (Nr. 109), durch eine Namensbeischrift bezeichnet. Die hl. Helena, deren steinernes Bildnis der Stadtrat 1501/02 an der Rathauskapelle aufstellen ließ, wird inschriftlich um Fürbitte gebeten (Nr. 84). Die Inschriften kirchlicher Ausstattungsgegenstände richteten sich vor der Reformation hauptsächlich an jene Heiligen, denen die Kirchen und Altäre geweiht waren. Sie sind fast alle auf Latein verfaßt; nur das Taufbecken aus der Georgenkirche, das vermutlich im letzten Viertel des 15. Jh. gegossen wurde, hat laut Überlieferung deutsche Inschriften getragen (Nr. 68).

Die eindrucksvollen, um 1410/20 für die Moritzkirche geschaffenen Steinplastiken des Conrad von Einbeck tragen ungewöhnlicherweise alle Meistervermerke (Nr. 19, 20, 21, 23, 24). Eine weitere epigraphische Ausnahme bildet die Skulptur der hl. Helena, die mit dem Monogramm des Bildhauers signiert ist (Nr. 84). Seine Hauptwerke schuf der Monogrammist HW für Kirchen in Sachsen. Die übrigen Plastiken in den hallischen Kirchen sind nicht signiert und konnten nur aufgrund von Stilvergleichen und archivalischen Recherchen bestimmten Künstlern zugewiesen werden.

5.3.2. Inschriften auf kirchlichen Ausstattungsstücken nach Einführung der Reformation

Ein weiteres Altarretabel mit geschnitzten Heiligenfiguren im Mittelschrein und gemalten Heiligen auf dem Flügelpaar ist ebenfalls vorreformatorischen Ursprungs. Es wurde trotz seiner altkirchlichen Ikonographie 1565 restauriert und bis weit in die Neuzeit hinein in der Kirche von Passendorf aufbewahrt (Nr. 186). Das Beispiel bestätigt die Beobachtung, daß in den Pfarreien von Halle und Umgebung (Beesen, Neumarkt) mittelalterliche Altarretabel trotz ihrer in der altkirchlichen Theologie und Liturgie begründeten Bildgehalte in den Kirchen verbleiben konnten. Neue Altarretabel, die dem lutherischen Dogma besser entsprochen hätten, sind für das Stadtgebiet von Halle nicht bezeugt. Eine Ausnahme bilden vier Gemälde auf Leinwand, die zur Abdeckung der Flügel des spätmittelalterlichen Altarretabels der Moritzkirche von dem hallischen Maler Michael Beyer 1649/50 geschaffen worden sind (Nr. 521). Eines der Gemälde mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts ist ausweislich seiner Inschrift zugleich als Epitaph konzipiert. Auch die übrigen Gemälde haben Themen des Neuen Testaments (Geburt, Kreuzigung und Auferstehung Jesu).

Das sogenannte Lünettengemälde an der Ostwand der Marktkirche schuf zwischen 1589 und 1593 der aus Leipzig stammende Maler Heinrich Lichtenfelser. Es stellt Szenen aus der Apostelgeschichte dar, die wahrscheinlich ein ekklesiologisches Thema veranschaulichen (Nr. 266). Die auf dem Rahmen des gewaltigen Gemäldes stehenden alttestamentlichen Zitate sind vermutlich typologische Komponenten der Bildaussage. Das didaktische Moment lutherischer Kirchenkunst macht sich noch stärker an neuen Kirchenkanzeln geltend. Ihre bildnerische und epigraphische Gestaltung verdeutlicht den außerordentlichen Stellenwert der Verkündigung in der protestantischen Kirche. Während die unmittelbar nach Einführung der Reformation entstandene Kanzel der Marktkirche noch Bilder und Inschriften entbehrt, sind die in den letzten beiden Jahrzehnten des 16. Jh. geschaffenen Kanzeln von St. Ulrich und St. Moritz mit Bildern und Inschriften reich geschmückt. Die Kanzel der Ulrichskirche greift die Glaubensallegorie von GESETZ VND EVANGELIVM auf (Nr. 244), die zu einem Leitmotiv lutherischer Kirchenkunst bzw. lutherischer Kunst überhaupt geworden war, obwohl ihre Ikonographie auch in die katholische Kirchenkunst Eingang gefunden hatte. Das Bild-Text-Programm der Kanzel in der Moritzkirche ermahnt, die Lehre Jesu Christi anzunehmen, die allein zur Seligkeit führt (Nr. 270). Als Bildbeischriften stehen vor allem Bibelzitate. Die reich ausgestalteten Schalldeckel der Markt- und der Moritzkirche sind den Kanzeln später hinzugefügt worden und haben einen allgemeineren Symbolgehalt (Nr. 295, 331).

Zur Ausführung der anspruchsvollen Werke verpflichtete man zumeist erstrangige, auch auswärtige Künstler. An der Kanzel der Ulrichskirche war ein Erfurter Bildschnitzer beteiligt (Nr. 244), für die Kanzel der Moritzkirche wurden der namhafte Bildhauer Zacharias Bogenkrantz und der Monogrammist WG gewonnen (Nr. 270). Beide haben zahlreiche Werke im Süden Sachsen-Anhalts geschaffen. Am Schalldeckel der Kanzel in der Marktkirche wirkte der Bildschnitzer Henricus Heydenreitter (Nr. 295); den Schalldeckel für St. Moritz fertigten der Bildhauer Valentin Silbermann und der Maler Jean de Perre aus Leipzig (Nr. 331). Bogenkrantz, der Monogrammist WG und Heydenreitter haben ihre Arbeiten inschriftlich bezeichnet; die übrigen Künstler konnten aus den Quellen erschlossen werden.

Sinnfälliger Ausdruck für die zentrale Stellung der Kirchenmusik im lutherischen Gottesdienst ist der Neubau von Orgeln an den städtischen Pfarrkirchen Halles. Im 16. Jh. stattete der Orgelbauer Esaias Beck sämtliche Pfarrkirchen Halles mit neuen Instrumenten aus, die leider in den folgenden Jahrhunderten allesamt ersetzt wurden. An der Orgel von St. Ulrich wurde Beck namentlich genannt und porträtiert (Nr. 204). Zitate aus dem 2. Buch Samuel (Nr. 204) und dem 150. Psalm rühmen die Kirchenmusik als Gotteslob (Nr. 204, 255).

Sprachliche Präferenzen sind an den Inschriften der genannten Inschriftenträger nicht zu erkennen; Bibelzitate werden aber bevorzugt auf Latein wiedergegeben.

5.3.3. Inschriften an Goldschmiedearbeiten und anderen Metallgeräten

Aus dem Bearbeitungszeitraum ist ein reicher Bestand an Goldschmiedearbeiten mit Inschriften überliefert.275) Er teilt sich auf in 14 Abendmahlskelche, 4 Abendmahlskannen, 4 Hostiendosen und 3 Stücke der kirchlichen Schatzkunst. Nur drei Stücke gehören nicht zu den Vasa sacra, sondern sind höfische Luxusgefäße. Die Objekte kirchlicher Schatzkunst – zwei Teile eines dem hl. Laurentius gestifteten mutmaßlichen Reliquiars oder Tragaltars (Nr. 2), ein Reliquienkreuz (Nr. 12) und eine verlorene Monstranz (Nr. 32) – sowie alle Kelche (bis auf Nr. 153?) entstanden in vorreformatorischer Zeit. Seit der Vereinigung der drei innerstädtischen Pfarreien von St. Georgen, St. Moritz und St. Ulrich mit [Druckseite XLVIII] der Pfarrei der Marktkirche wird der größte Teil der Vasa sacra von der Marktkirchengemeinde aufbewahrt.

Die Gefäße zeichnet i. d. R. eine gute handwerkliche Qualität aus; auf einigen Kelchen sind die Inschriften mit hohem gestalterischem Anspruch eingraviert (Nr. 71, 74, 75, 79, 80, 81). Für eine lange Nutzungsdauer des gesamten kirchlichen Geräts ist bezeichnend, daß Stücke umgearbeitet oder in Teilen erneuert wurden (Nr. 69, 78, 81, 214). Das betrifft auch die Goldemailtafeln mit den Szenen der Laurentiuslegende (Nr. 2). Einzelne Stücke wurden um ältere oder jüngere Metallarbeiten ergänzt. Die Monstranz erhielt Jahrzehnte nach ihrer Herstellung eine gravierte Hostienkapsel (Nr. 32); dem Fuß eines spätgotischen Kelches aus der Georgenkirche hat man ältere figürliche Reliefs aus Silber appliziert (Nr. 73). Eine Abendmahlskanne aus der Ulrichskirche wurde wahrscheinlich im Jahr 1580 gestiftet und ist die ältestete erhaltene in der Kirchenprovinz Sachsen.276) Ihre ungewöhnliche Form könnte auf eine Unsicherheit bei der Gestaltung dieses Gefäßtyps hindeuten, der erst für die protestantische Liturgie ausgebildet wurde (Nr. 221). Die Abendmahlskanne und eine wahrscheinlich dazugehörige Hostiendose von 1580 (Nr. 220) tragen die ältesten hallischen Meister- und Beschauzeichen.

Die frühen Goldschmiedearbeiten weisen die größte Vielfalt an Textsorten auf. Die beiden, im 12. Jh. gefertigten Goldemailtafeln mit Szenen aus der Laurentiuslegende tragen Tituli (Nr. 2). Auf der Monstranz steht ein Hymnenzitat nach Thomas von Aquin (Nr. 32) und auf dem ältesten Kelch der Vers einer Antiphon (Nr. 16). Ein hervorhebenswertes Zeugnis hallischer Geschichte ist ein Abendmahlskelch, dessen Inschrift die Angehörigen zweier alter hallischer Geschlechter nennt, die allem Anschein nach im 15. Jh. erloschen sind (Nr. 17). Die jüngeren Kelche weisen nur wenige Textsorten auf, die sich in dem Ave-Maria-Gebet (Nr. 71, 75, 79, 80) und in deutschsprachigen Anrufungen Gottes, Jesu und Mariae (Nr. 71, 72, 73, 81, 137) erschöpfen. An den Nodi von neun Abendmahlskelchen steht der Name Jesu, an zwei Nodi der Name Mariae. Drei Kelche haben Kruzifixe mit Kreuztituli auf dem Fuß aufgenietet (Nr. 73, 78, 80).

Nach Einführung der Reformation änderte sich der Inhalt der Inschriften an den Vasa sacra gänzlich, sofern das bei Fehlen nachreformatorischer Kelche eindeutig beurteilt werden kann. Sowohl auf älteren Gefäßen, die erneut gestiftet wurden (Nr. 75, 81, 214), als auch auf Neuanfertigungen hat man nur noch Stifter- (Nr. 75, 81, 214, 280, 343, 370, 447, 503) oder Setzungsvermerke (Nr. 220, 221) angebracht, die gelegentlich um Bibelzitate (Nr. 214, 503), einen liturgischen Text (Nr. 280) oder eine Devise (Nr. 343) ergänzt wurden. Hervorhebenswert ist ein wahrscheinlich weitgehend neu geschaffener und 1633 der Moritzkirche gestifteter Kelch, den der Stifter, der Pfarrer Lukas Rudolphi, mit einer konfessionellen Polemik auf Latein beschriften ließ. Eine Hostiendose (Nr. 447) und ein verlorenes Velum aus dem Jahr 1629 (Nr. 446) könnten Teile ein und desselben, der Georgenkirche zugedachten Stiftungskomplexes gewesen sein. Das Velum und eine Pultdecke (Nr. 520) tragen (bzw. trugen) die Initialen mutmaßlicher Stifter.

Goldschmiede sind erst ab 1580 durch ihre Marken faßbar. Dem Schöpfer der Abendmahlskanne von 1580 mit dem Monogramm CW (Nr. 221) ist vielleicht ein zweites Gefäß aus dem Jahr 1592 zuzuschreiben, das keine Marke aufweist (Nr. 280). Eine Abendmahlskanne von 1611 fertigte der Goldschmied Heinrich Straub aus Nürnberg (Nr. 370), eine andere aus dem Jahr 1644 ist anhand der Marke vielleicht als Arbeit des hallischen Goldschmieds Hans Rockenthin zu identifizieren (Nr. 503). Drei Jahre später stempelte der Bruder des Hans, Peter Rockenthin, den Deckelbeschlag eines Kruges chinesischer Herkunft (Nr. 511). Einen vergleichbaren Beschlag hatte schon 1582 ein unbekannter Goldschmied für ein osmanisches Gefäß aus dem Besitz des Administrators Joachim Friedrich von Brandenburg geschaffen (Nr. 231). Zur gleichen Zeit wie Peter Rockenthin war noch ein anderer hallischer Meister mit den Initialen BD für den Hof des Administrators August von Sachsen tätig (Nr. 526).

Die Inschriften auf zwei Leuchtern von 1602 (Nr. 330) und einem Kelch von 1613 (Nr. 379), die vermutlich aus Zinn gefertigt sind, sowie die Inschriften auf zwei Taufschalen aus Messing von 1628 und 1643 (Nr. 443, 502) entsprechen den an neuzeitlichen Goldschmiedearbeiten üblichen Textsorten Stiftervermerk und Setzungsinschrift.277) An den neuzeitlichen Inschriften aller Metallgefäße ist zu beobachten, daß die Stifter- und Setzungsvermerke bis auf zwei Ausnahmen (Nr. 75, 503)278) auf Deutsch und Bibelzitate und bekenntnishafte Texte bis auf eine Ausnahme (Nr. 214) auf Latein geschrieben wurden. Darin zeigt sich eine Analogie zu den Inschriften anderer kirchlicher Ausstattungsstücke.

5.3.4. Inschriften auf Glocken

Für die Altstadt von Halle und die ehemaligen Vorstädte Neumarkt und Glaucha sind 19, für die eingemeindeten Dörfer Ammendorf, Beesen, Büschdorf, Dölau, Giebichenstein, Lettin, Mötzlich, Radewell und Wörmlitz sind 13 Glocken mit Inschriften bezeugt.279) Von den drei ältesten, aus dem 13. Jh. stammenden Glocken ist nur eine erhalten; die zeitlich nächstfolgende Glocke – sie entstand an der Wende vom 13. zum 14. Jh. – ist ebenfalls verloren. Von den fünf Glocken des 14. Jh. sind nur zwei,280) von den neun Glocken des 15. Jh. immerhin fünf original überliefert. Aus dem 16. Jh. blieben nur drei von neun Glocken erhalten, aus der ersten Hälfte des 17. Jh. haben zwei von drei die Zeiten überdauert. Die Zeitstellung zweier kopial überlieferter Glocken ist ungesichert (Nr. 143, 528). Die Verluste entstanden weniger durch die erzwungenen Glockenablieferungen während der Weltkriege (Nr. 7, 77, 410) als durch Umgießen vom 17. bis zum frühen 20. Jh. Allerdings wurden durch unmittelbare Kriegseinwirkung 1945 die drei spätmittelalterlichen Glocken des Roten Turmes zerstört (Nr. 11, 40, 51). Durch Brand gingen 1967 die beiden Glocken der St. Petruskirche in Wörmlitz verloren (Nr. 5, 95); durch Brandstiftung wurden 1984 die beiden Glocken der St. Laurentiuskirche auf dem Neumarkt unbrauchbar (Nr. 39, 328). Ein dreiteiliges spätmittelalterliches Geläut ist nur noch in der St. Elisabethkirche in Beesen erhalten (Nr. 25, 62, 66).

Eine Phase verstärkter Glockenbeschaffung oder Glockenerneuerung zeichnet sich zwischen 1480 und 1511 ab, als ein Viertel des überlieferten Gesamtbestandes gegossen wurde. Anhand seiner Werke ist als einziger Glockengießer in dieser Zeit der sogenannte Hallische Gießer nachweisbar. Ihm können wahrscheinlich zwei der Glocken in Beesen (Nr. 62, 66) und sicherlich zwei Glocken in Radewell (Nr. 87, 122) und eine in Wörmlitz (Nr. 95) zugeschrieben werden. Der anonyme Gießer erhielt den Notnamen nach einem Wappen, das er an den meisten seiner Glocken anbrachte und das dem hallischen Stadtwappen gleicht. In Halle selbst ist allerdings keine Glocke von ihm bezeugt. Im frühen 17. Jh. war Halle neuerlich ein Zentrum des Bronzegusses. Von dem führenden Gießer Georg Wolgast sind jedoch nur die nicht sicher zuweisbare Viertelstundenglocke auf dem Leipziger Turm (Nr. 308) und die Bruchstücke einer der 1984 zerstörten Glocken aus der Laurentiuskirche erhalten (Nr. 328).281) Die spätere Schaffenszeit Wolgasts überschneidet sich mit der des Gießers Lorenz Richter, der eine Glocke hinterlassen hat (Nr. 398). Richter hatte wahrscheinlich in Halle keinen Nachfolger gefunden, denn im Jahr 1619, zwei Jahre nach dem letzten bekannten Glockenguß Richters, wurde die neue Glocke für die Reideburger Kirche von dem aus Erfurt stammenden und für ganz Mitteldeutschland tätigen Gießer Jakob König geliefert (Nr. 410).

Auf fünf von acht Glocken, die nach Einführung der Reformation 1541 in Auftrag gegeben wurden, ist ihre Herkunft durch einen Gießervermerk gesichert. An älteren Glocken hingegen findet sich kein namentlicher Hinweis auf einen Gießer.282) Daneben gibt es anonyme Gußvermerke (Nr. 3, 25, 26), deren kürzeste Form die Jahresangabe ist. Ein Einzelfall ist die Jahresangabe nach der Inkarnationsära, wie sie eine verlorene Glocke aus der Bartholomäuskirche in Giebichenstein getragen hat (Nr. 3). Die am häufigsten als Glockeninschrift auftretende Textsorte ist die Glockenrede, in der die Glocke als handelndes Subjekt auftritt. Die Glockenrede erscheint über den gesamten Bearbeitungszeitraum und spricht die Gemeinde der Gläubigen direkt an, indem sie fordert dum trahor/tangor audite (Nr. 5, 40) und sagt, voco vos (Nr. 4, 5), oder ihre Aufgabe beschreibt: voco plebem (Nr. 313), ich ruf die Leute (Nr. 328). Dann folgt der kirchlich-liturgische Anlaß des Glockenläutens, eine Gebetszeit oder der Gottesdienst, der wiederum als unmittelbare Aufforderung ausgesprochen werden kann: orate (Nr. 4), ad sacra venite (Nr. 5). Auf einer anderen Glocke heißt es beschreibend: Ich rufe die Leute [...] in die Kirche zu Wort und Gesang (Nr. 328). Zu den ältesten und verbreitetsten Formularen gehört jenes, das die Funktion als Totenglocke anspricht: consolor viva fleo mortua (Nr. 39, 62, 143). In Verbindung mit der den Glocken zugeschriebenen Kraft, Unwetter und böse Geister abwehren zu können (pello/fuga nociva), erscheint dieses Formular im Bearbeitungsgebiet allerdings nur auf Glocken aus vorreformatorischer Zeit. In Versen oder in freier Rede werden die Aufgaben als Uhrglocke (Nr. 40) oder als Sturm- und Feuerglocke (Nr. 195) benannt.

Zu den vorreformatorischen Glockeninschriften gehören liturgische Texte (Nr. 10) und Gebete, wie O rex glorie veni cum pace (Nr. 7, 8, 15, 66), die indirekt auch Glockenfunktionen, wie z. B. die Gebetszeiten [Druckseite L] des Ave-Maria anzuzeigen (Nr. 9), benennen. Auch Inschriften mit Anrufungen der Gottesmutter Maria (Nr. 77, 83) und der Heiligen (Nr. 94) stehen nur auf Glocken vorreformatorischer Entstehungszeit. Zwei der spätmittelalterlichen Glocken im Roten Turm, dem „Liebfrauenturm“, waren inschriftlich Maria geweiht (Nr. 11, 51). Mit der Reformierung des Kultus verschwinden die an Heilige gerichteten Anrufungen und Weiheformeln. Typisch für Glocken, die in der Frühen Neuzeit angeschafft wurden, sind Inschriften mit frommen Devisen, wie VERBVM DOMINI MANET IN AETERNVM (Nr. 313) und GOTT IST MEIN TROST (Nr. 398), und der Nennung von städtischen und kirchlichen Amtsträgern, die für die Beschaffung der Glocken verantwortlich waren (Nr. 195, 313, 328).

Die Glockeninschriften sind bis zur Einführung der Reformation 1541 überwiegend auf Latein oder den verwendeten Formularen entsprechend in lateinischen Hexametern oder elegischen Distichen verfaßt (vgl. Nr. 4, 5, 39, 40, 56). Der allgemeinen Sprachentwicklung der Inschriften folgend, wird 1480 erstmals eine Glockeninschrift auf Deutsch geschrieben (Nr. 51). Sie bildet allerdings zusammen mit den Glocken Nr. 77 und 83 eine Ausnahme. Nach der Reformation stellen die deutschsprachigen Inschriften etwa die Hälfte der dann aber vergleichsweise geringen epigraphischen Überlieferung auf Glocken. Bemerkenswert ist die Wiederbelebung lateinischer Versinschriften um 1600 (Nr. 307, 313).

5.4. Inschriften auf Porträts

Für die Stadt Halle sind 29 Porträts mit Inschriften aus dem 16. und der ersten Hälfte des 17. Jh. überliefert, die allem Anschein nach nicht in einem Zusammenhang mit dem Totengedenken entstanden. Davon sind 21 Originalgemälde; ihre Maße liegen zwischen 37,5 und 66,5 cm in der Höhe sowie 25,4 und 53,5 cm in der Breite. Sie sind dem Befund zufolge im 16. Jh. auf Holz und seit Ende des 16. Jh. (Nr. 310) vorzugweise auf Leinwand gemalt. Die überlieferten Porträts lassen sich in drei Gruppen teilen: Die erste umfaßt neun Pfarrerporträts, die in Kirchen aufbewahrt werden (bzw. wurden), die zweite neun Bildnisse aus dem Rathaus, die sich heute in der Marienbibliothek befinden. Die dritte Gruppe schließt sieben Gemälde unterschiedlicher bzw. unbekannter Herkunft ein. Sechs der Pfarrerbildnisse sind in der Marktkirche (Nr. 201, 211, 510); je eines war in der Moritzkirche (Nr. 480) und in der Georgenkirche zu Glaucha (Nr. 403). Die Gemälde in der Marktkirche zeichnen sich durch ein kleines, annähernd gleiches Format von etwa 37 × 25 cm aus. Ein im Vergleich dazu ungewöhnlich großes Pastorenbildnis hat sich in der Katharinenkirche zu Ammendorf erhalten (Nr. 315). Vier weitere, heute verlorene Pfarrerporträts dienten laut Inschriften primär dem Totengedenken und wurden in der Moritzkirche (Nr. 335, 389) und in der Georgenkirche zu Glaucha (Nr. 205, 488) aufbewahrt.

Zwei der drei ältesten Pfarrerporträts sind nur mit Altersangaben beschriftet (Nr. 201, 211). Seit dem Anfang des 17. Jh. aber tragen die Pastorenbildnisse z. T. sehr umfangreiche Inschriften, die biographische, meist die Amtszeiten betreffende Angaben und fast immer auch Bibelzitate enthalten (Nr. 315, 335, 389, 403, 480, 488). Allerdings gibt es nur noch einen einzigen originalen Beleg für diesen Brauch: das Porträt des Johannes Böttinger in Ammendorf. Daß drei der übrigen vier Gemälde in der Marktkirche (Nr. 510) ursprünglich keine Inschriften trugen, ist vermutlich der Absicht zuzuschreiben, eine im dritten Viertel des 16. Jh. mit den Bildnissen Luthers, Melanchthons und der ersten lutherischen Pfarrer der Marktkirche begonnene Porträtserie fortzusetzen, die keine Inschriften (Luther, Melanchthon) oder nur knappe Altersangaben (Nr. 201, 211) hatte. Im Jahr 1647 wurden die vorliegenden Pfarrerbildnisse mit Namen und Sterbevermerken versehen sowie ein weiteres Porträt für den amtierenden Pfarrer Gottfried Olearius geschaffen und darauf dessen Berufung vermerkt (Nr. 510).

Die Bildnisse aus dem Rathaus teilen sich in zwei Zyklen: Der eine wurde mit den Porträts der Erzbischöfe von Magdeburg und Stadtherren von Halle Ernst von Sachsen, Albrecht von Brandenburg und Friedrich von Brandenburg begonnen (Nr. 192) und den Bildnissen der ihnen folgenden Stadtherren fortgesetzt; der andere bildet sechs Kurfürsten ab und ist als geschlossene Werkgruppe entstanden (Nr. 310). Die jüngeren Porträts des ersten Zyklus sind nicht erhalten, aber bezeugt. Trotz ihres vergleichsweise kleinen Formats trugen beide Zyklen einen repräsentativen Charakter, der über das 16. Jh., die Entstehungszeit der Bildnisse, hinaus fortwirken sollte. Die Erzbischöfe sind mit Namen und Titeln bezeichnet; die Porträts der Kurfürsten tragen nur die kurfürstlichen Titel, aber die Wappen der zeitgenössischen Amtsträger, so daß eine Datierung der Gemälde möglich war. Den Gemäldezyklen im Rathaus hat man in den 1660er Jahren einen Zyklus von Pfarrerbildnissen hinzugefügt, die als vergrößerte Repliken der Gemälde in der Marktkirche ausgeführt wurden. Der Symbolgehalt der unmittelbar nach dem Übergang der Stadt in brandenburgische Herrschaft aus dem Rathaus entfernten Gemäldezyklen ist noch nicht hinreichend erschlossen.283)

[Druckseite LI]

Zeitstellung und ursprüngliche Bestimmung eines stark überarbeiteten Bildnisses Albrechts von Brandenburg, das im Museum Moritzburg aufbewahrt wird, sind ungeklärt (Nr. 321a ).

Die übrigen Porträtgemälde sind von unterschiedlicher Art und Qualität. Das künstlerisch anspruchsvolle Bildnis des Hans von Schenitz von 1533 hat auf seiner Rückseite ein Vollwappen, den Namen des Porträtierten und Devisen (Nr. 136). Es ist das bislang einzige bekannte Bildnis eines hallischen Bürgers aus dem 16. Jh.284) Eine kleine Gruppe von Standesporträts aus dem 17. Jh. bildet drei namentlich benannte Beisitzer des hallischen Schöffenstuhls ab (Nr. 527). Von einem ausgeprägtem Künstlerbewußtsein oder einem hohen Verständnis für künstlerische Meisterschaft zeugten die Porträts des Hallenser Orgelbauers Esaias Beck und des Leipziger Malers Michael Treuding, die an der Orgel der Ulrichskirche angebracht waren (Nr. 204) und deren Auftraggeber unbekannt ist. Treuding ist neben dem Schöpfer der Schenitz-Porträts, Conrad Faber von Kreuznach, der einzige namentlich bekannte Porträtmaler. Das Monogramm auf dem Bildnis des Pfarrers und Superintendenten Justus Jonas (Nr. 211) konnte nicht aufgelöst werden.

Über den gesamten Zeitraum wurden die Inschriften auf Porträtgemälden gleichermaßen in deutscher und lateinischer Sprache verfaßt. Es hat aber den Anschein, daß im 17. Jh. die der städtischen Oberschicht zuzurechnenden Geistlichen und Schöffen Latein höher schätzten (Nr. 510, 527). Die verlorenen Gemälde in der Moritzkirche trugen sogar elegische Distichen auf Latein (Nr. 335, 480) und – eine Ausnahme – auf Altgriechisch (Nr. 389). Ihre anspruchsvollen Inschriften setzten sie von den in schlichtem Deutsch beschrifteten Porträts der Vorstadtpfarrer von St. Georgen ab (Nr. 205, 403, 488).

Eine Sondergruppe bilden drei aus verschiedenen Materialien gefertigte und um Porträtähnlichkeit bemühte Bildnisse, die Martin Luther in Markt- und Moritzkirche (Nr. 152, 265) und den Werkmeister Nickel Hofmann auf dem Stadtgottesacker (Nr. 269) würdigten. Auch sie entstanden nicht vorrangig zum Zwecke des Totengedenkens.

5.5. Ritzinschriften

Inschriften, die mit ungeeignetem Werkzeug vermutlich spontan und ohne gestalterischen Anspruch in Mauerzüge und Sitze aus Stein und Holz eingeritzt wurden, haben sich in allen altstädtischen Kirchen erhalten. Sie wurden zumeist in Formen der Kapitalis, die leicht zu ritzen sind, und selten in ungelenken Kleinbuchstaben ausgeführt. Den Schriftformen nach zu urteilen, entstanden sie durchweg im 16. und 17. Jh. Die Inschriften bestehen i. d. R. aus Initialen oder Namen und Jahreszahlen oder Jahresangaben. Inschriften, die nur eine Jahresangabe bieten, scheinen unvollendet zu sein, was für ihre spontane und heimliche Anbringung spräche. Allerdings bringt ein auf einer Fläche verdichteter und zudem beschädigter Bestand an Ritzinschriften, wie er z. B. in Markt- und Moritzkirche anzutreffen ist, das Problem mit sich, daß zusammengehörige Teile einzelner Inschriften nicht immer genau zu erkennen oder abzugrenzen sind. Deswegen sind die im Inschriftenkatalog edierten Junkturen von Namen und Jahreszahlen oft hypothetisch.

Die ältesten datierten Ritzinschriften der Moritzkirche entstanden in den 1540er Jahren und enthalten nur Initialen und Jahreszahlen. Die übrigen überliefern acht Namen, denen gelegentlich der Herkunftsort auf Latein hinzugefügt wurde (Nr. 145). Sämtliche Inschriften sind an den Frei- oder Wandpfeilern des Kirchenschiffs angebracht; einige zeigen durch ihre Lage an, wo die hölzernen Kirchenemporen zur Entstehungszeit der Inschriften eingebaut waren. In der Marktkirche sind die Ritzinschriften an den Wand- und Freipfeilern auf der Nordseite des Kirchenschiffs sowie an den massiven, 1554 vollendeten Emporen und Emporentreppen (Nr. 155) sowie am Kirchengestühl (Nr. 182) angebracht. Sie geben achtzehn Namen und viele Initialen, Jahreszahlen oder Jahresangaben wieder. Außerdem wurden an den Kanzeln von Markt- und Moritzkirche Inschriften eingeritzt (Nr. 144, 270); eine davon könnte ein deutsches Kirchenlied wiedergeben (Nr. 144B). Auffällig ist, daß keiner der inschriftlich Genannten in anderen Inschriften auftaucht und nur in einigen wenigen Fällen eine Identifizierung möglich erscheint. Daraus kann man mit Vorsicht schließen, daß es sich meist nicht um Angehörige der städtischen Oberschicht handelt.

Ein Sonderfall ist die Ritzinschrift, die ein Anton Fischer 1577 im städtischen Karzer anbrachte (Nr. 210). Sie besteht aus Spruchdichtungen und Gebeten in deutschen Reimversen, die das Schicksal des Arrestanten beklagen.

Zitationshinweis:

DI 85, Halle/Saale, Einleitung, 5. Inschriften und Inschriftenträger (Franz Jäger), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di085l004e002.

  1. Das älteste bekannte Grabmal mit Inschrift entstand im 13. Jh., wurde erst im Jahr 2000 auf dem Domhof entdeckt und ist heute wieder verschwunden (Nr. 6). »
  2. Auf den Kirchhöfen in Ammendorf, Beesen, Diemitz, Lettin, Neumarkt und Reideburg sind noch barocke Grabmäler erhalten, deren Zeitstellung wegen ihres zumeist schlechten Erhaltungszustandes nicht immer zu bestimmen war. »
  3. Das Epitaph für Christoph von Polschnitz (Nr. 432) bestand hauptsächlich aus einem gerahmten Gemälde, von dem heute nur noch der Rahmen erhalten ist. »
  4. Vgl. Cieślak 1998, S. 95–97. »
  5. Die in den folgenden Abschnitten und Kapiteln aufgeführten Zitate aus Inschriften werden stets in normalisierter Schreibung und ohne Kennzeichnung der Abkürzungen wiedergegeben. Die Schrägstriche markieren hier nicht den Zeilenumbruch, sondern trennen verschiedene Formulierungsvarianten. Die in eckige Klammern gesetzten Wörter stellen mögliche Textergänzungen dar. »
  6. Ausgenommen Nr. 523»
  7. Ausgenommen Nr. 418»
  8. Ausgenommen Nr. 37»
  9. In diesen Kontext würde sich ein Epitaph aus dem Dom mit 17 elegischen Distichen einfügen, wenn seine Inschrift nicht ein Bekenntnis zur Alten Kirche enthielte und deshalb vor der endgültigen Schließung des Domes als katholische Kirche entstanden sein muß (Nr. 154).  »
  10. Allerdings muß angemerkt werden, daß die Auswahl der Bibelstellen an sich i. d. R. keine konfessionelle Eigenart aufweist, sondern daß sich ihre konfessionsspezifische Aussage nur im Kontext der lutherischen Lehre erschließt; vgl. Steininger 2006. »
  11. Winkler 1967, S. 57, 150, 153, 165. »
  12. Vgl. TRE 14, 1993, S. 725 f. (John Riches); Hauschild 2, 2005, S. 301–304; vgl. auch Mohr 1964, S. 98. »
  13. Vgl. Barth 1989. Luther selbst hat die Begriffe „Ars moriendi“ und „Sterbekunst“ nicht benutzt, wenn er über Sterbevorbereitungen sprach; ebd., S. 45 und Anm. 1. Zur lutherischen Ars moriendi s. auch TRE 4, 1979, S. 149–154 (Rudolf Mohr). »
  14. Zum Memento mori vgl. Sörries 2002, S. 221 f. »
  15. Das „gute Sterben“ nach der Überlieferung der Leichenpredigten vgl. Mohr 1964, S. 277–296. »
  16. Vgl. die Auswertung von Leichenpredigten bei Kümmel 1984, S. 202–204, 207. »
  17. Ebd., S. 216–218. »
  18. Vgl. die Auswertung der Leichenpredigten bei Mohr 1964, S. 98; Winkler 1967, S. 133, 171, 174, 187, 238. »
  19. Vgl. Kümmel 1984, S. 208–210, 214. »
  20. Vgl. die begrifflichen Analogien in Leichenpredigten; van Hoof 1984, S. 255 f. »
  21. Thiede 1982, S. 28–41. »
  22. Zur Kronensymbolik in Leichenpredigten vgl. Mohr 1964, S. 309–341. »
  23. Außerdem ist ein Teil der Inschrift Nr. 229 von 1582 auf Deutsch verfaßt. »
  24. Das Taufbecken aus der Ulrichskirche steht heute in der Wallonerkirche zu Magdeburg. »
  25. Ein vorreformatorisches Altarretabel aus der Kirche in Passendorf wird unter den nachreformatorischen Ausstattungsstücken behandelt (Nr. 186). »
  26. Obwohl 1806 der Kirchenschatz der Marktkirche geplündert worden sein soll; Vogel 1932, S. 1. »
  27. Die Evangelische Kirchenprovinz Sachsen ist 2009 in der „Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland“ aufgegangen. »
  28. Nr. 379 trägt allerdings nur den Namen des Kirchortes und eine Jahreszahl. »
  29. Ein mutmaßlicher Meistervermerk ist ebenfalls auf Latein geschrieben (Nr. 526). »
  30. Außerdem blieben vier unbeschriftete mittelalterliche Glocken in der Marktkirche und der Moritzkirche sowie in der Nikolauskirche zu Büschdorf und der Wenzelskirche zu Lettin erhalten. »
  31. Das Schicksal einer 1931 nach Erfurt verkauften Glocke ist ungeklärt (Nr. 10). »
  32. Zwei weitere Glocken Wolgasts sind kopial überliefert (Nr. 307, 313). »
  33. In dieser Hinsicht ist die Deutung der Inschrift Nr. 25 unklar. »
  34. Zu den Bildnissen der Pfarrer der Marktkirche und Superintendenten s. Jäger 2011 b. »
  35. Abgesehen von zwei in Wachs ausgeführten Miniaturporträts aus dem Jahr 1591, deren Provenienz aber unsicher ist (Nr. 278). »