Die Inschriften der Stadt Greifswald

4. Zur kopialen Überlieferung der Inschriften

Von den 445 im Katalog erfassten Inschriftenträgern sind 355 im Original erhalten, 79 vollständig verloren, die übrigen elf entweder erheblich beschädigt oder gegenwärtig nicht zugänglich. Besonders die älteren Inschriften auf Grabplatten sind häufig nur unvollständig erhalten, können aber mithilfe der Literatur ergänzt werden. Handschriftliche Inschriftensammlungen sind für Greifswald nicht bekannt. Die wichtigsten gedruckten Quellen der Inschriftenüberlieferung sind die dreiteilige ‚Geschichte der Greifswalder Kirchen und Klöster sowie ihrer Denkmäler‘ von Theodor Pyl (1885–1887), ferner die in den 30er bis 50er Jahren des 19. Jahrhunderts publizierten Grabplattenstudien von August Kirchner sowie der Beitrag ‚Pommersche Denkmale berühmter und verdienter Männer, Zweites Stück‘ (1755) von Johann Carl Dähnert. Darüber hinaus handelt es sich um Einzelfunde.

Johann Carl Dähnert, Pommersche Denkmale berühmter und verdienter Männer. Zweites Stück: Aus denen Greifswaldischen Kirchen, in: Pommersche Bibliothek 4 (1755), S. 271–294.

Diese Zusammenstellung des Greifswalder Universitätsbibliothekars und Professors für Philosophie, später auch für schwedisches Staatsrecht, ist die wichtigste Quelle für Epitaphien und andere Grabmäler von Professoren, Gelehrten und Pfarrern. Diese Denkmäler sind von einzelnen Ausnahmen abgesehen nicht mehr erhalten. Dass es zu Dähnerts Zeit mehr als die von ihm überlieferten, insgesamt 19 Epitaphien (bis 1650) gegeben haben muss, zeigt das Fehlen der Inschriften für die Frauen Margarete Willich und Barbara Schacht (Kat.-Nr. 227, 238). Von diesen 19 Epitaphien ist nur eines vollständig (Kat.-Nr. 252), ein weiteres teilweise erhalten (Kat.-Nr. 333). Auf dem Epitaph für Christian Schwarz wurde die wohl am Original zerstörte oder nicht mehr lesbare Inschrift auf der Grundlage der Dähnert’schen Überlieferung neu angebracht (Kat.-Nr. 426).

Ein Vergleich des Originals mit den bei Dähnert gebotenen Inschriften des Eickstedt-Epitaphs (Kat.-Nr. 252) zeigt, dass Dähnert sich auf die Wiedergabe der biografisch relevanten Inschriften B und C beschränkt hat. Lateinisches wird generell in einer Antiqua-Type, Deutsches in Fraktur wiedergegeben, in beiden Fällen mit normalisierter Groß- und Kleinschreibung. Auf der Buchseite zentriert gesetzte Texte sowie kursiv oder gesperrt wiedergegebene Wörter entsprechen nicht der Textanordnung auf dem Original, sondern dienen lediglich der optischen Gestaltung des Drucks. In allen Fällen wird die i/j- und die u/v-Schreibung normalisiert, ein einheitliches Vorgehen hinsichtlich der Wiedergabe von Kürzungen ist nicht zu erkennen. In Einzelfällen ist der bei Dähnert gebotene Wortlaut wohl zu korrigieren (Kat.-Nr. 412, 422).

August Kirchner, [Grabsteine des Klosters Eldena], 2 Teile, in: 5. und 7. Jahresbericht der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde, in: Baltische Studien 1 (1832), S. 345–353; 3 (1836), S. 147–154; ders., [Grabsteine in der Marienkirche zu Greifswald], in: 19. Jahresbericht der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde, in: Baltische Studien 10 (1844), S. 213–223; ders., [Grabsteine in der Nicolaikirche zu Greifswald], in: 21. Jahresbericht der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde, in: Baltische Studien 12 (1846), S. 192–198; ders., Die Letzenitzen zu Greifswald, in: 20. Jahresbericht der Gesellschaft für pommersche [Druckseite 24] Geschichte und Altertumskunde, in: Baltische Studien 11 (1845), S. 130–140; ders., Pommersche Inschriften aus der päbstlichen Zeit, in: Baltische Studien 15 (1854), S. 152–165.

Der Oberappellationsgerichtsfiskal August Kirchner befasste sich als erster aus historischem Interesse mit Grabplatten. Anlass war die 1827 begonnene Umgestaltung der Klosterruine Eldena zum Denkmal. Dabei wurden auch etliche Grabplatten aufgefunden. Kirchner machte sich ab 1832 die Veröffentlichung der darauf befindlichen Inschriften zur Aufgabe und publizierte bis 1854 auch eine Auswahl von Grabplatteninschriften der Nikolai-, Marien- und Jacobikirche bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Seine Transkriptionen stellen für die Grabplatten der vier genannten Standorte die älteste Überlieferung dar.

Der Schwerpunkt von Kirchners langjähriger Beschäftigung mit den Grabinschriften Greifswalds waren inhaltliche Aspekte, vor allem die Identifizierung von bestatteten Personen, bei unvollständig erhaltenen Texten auch die Rekonstruktion des ursprünglichen Inschriftenwortlauts und die teilweise detaillierte Erörterung verschiedener Optionen bis hin zur Gestalt einzelner Buchstaben und Zeichen. Eine möglichst originalgetreue Wiedergabe der Inschriften nach bestimmten, in allen Veröffentlichungen beachteten Prinzipien liegt hingegen nicht vor. Es herrscht keine Einheitlichkeit hinsichtlich der Beibehaltung von Groß- und Kleinschreibungen, i/j und u/v werden in der Regel normalisiert. Worttrenner und Kürzungen werden nicht wiedergegeben.

Ernst von Haselberg, Die Baudenkmäler des Regierungsbezirks Stralsund, H. 2: Der Kreis Greifswald (Die Baudenkmäler der Provinz Pommern 1), Stettin 1885, S. 75–78, 80–130, 170–173.

Ernst von Haselberg, Stadtbaumeister von Stralsund, stellte mehrere Denkmälerinventare zusammen. Die Inschriften auf den Denkmälern Greifswalds gab er teilweise nach Autopsie, teilweise nach der älteren Literatur wieder. Dabei stützte er sich vor allem auf bereits erschienene Publikationen von Theodor Pyl, mit dem er sich offensichtlich häufig austauschte, und von August Kirchner. Epitaphieninschriften und andere längere Texte wurden von Haselberg allerdings nicht angeführt.

Worttrenner und Kürzungen werden nicht einheitlich wiedergegeben. Dasselbe gilt für i/j- und u/v-Schreibungen, die teilweise den Originalen entnommen zu sein scheinen, jedoch auch erkennbar davon abweichen. Darüber hinaus bemühte Haselberg sich auch um eine den Originalen entsprechende Groß- und Kleinschreibung, setzte jedoch häufig einen Großbuchstaben an den Beginn von Inschriftenzitaten.

Theodor Pyl, Geschichte des Cistertienserklosters Eldena im Zusammenhange mit der Stadt und Universität Greifswald, 2 Bde., Greifswald 1880–1882; ders., Geschichte der Greifswalder Kirchen und Klöster, sowie ihrer Denkmäler, nebst einer Einleitung vom Ursprunge der Stadt Greifswald, 3 Bde., Greifswald 1885–1887.

Die vollständige Erfassung sämtlicher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch vorhandener Grabplatten und der darauf befindlichen Inschriften in den drei Stadtkirchen und im Kloster Eldena ist dem Universitätsprofessor Theodor Pyl zu verdanken. Für eine größere Zahl heute verlorener Grabplatten stellen seine Publikationen die einzige Überlieferung dar. Er hat zudem nicht nur den Wortlaut der Inschriften wiedergegeben, sondern auch den Bildschmuck, figürliche Darstellungen und Wappen beschrieben. Außerdem finden sich Angaben zu Größe und Lage von Inschriftenträgern sowie zu den verwendeten Schriftarten, die Pyl typografisch differenziert kenntlich gemacht hat. Zu einzelnen Grabplatten ließ er Tafeln anfertigen, die jedoch in paläografischer Hinsicht nicht befriedigen können und bei der Inschriftenwiedergabe mitunter von den Transkriptionen im Textteil abweichen (vgl. Kat.-Nr. 18).

Bei den Inschriften in gotischer Majuskel und Minuskel setzt Pyl in allen Wortzwischenräumen ohne Berücksichtigung des Befundes pauschal Punkte auf der Grundlinie. Die Anfänge von zitierten Inschriften (Anno domini …) lässt er ebenfalls allgemein mit Großbuchstaben beginnen, ebenso alle Orts- und Personennamen. Abkürzungen löst er in den meisten Fällen stillschweigend und ohne besondere Kennzeichnung auf, nur bei der gotischen Majuskel macht er abgekürzte Wortbestandteile durch Kleinbuchstaben, die nicht in Klammern stehen, kenntlich. Ergänzungen sind in der Regel, aber nicht konsequent, in eckige Klammern gesetzt. Fehlstellen werden durch aneinandergereihte Spiegelstriche gekennzeichnet. [Druckseite 25]

Neuzeitliche Eigentumsvermerke (‚Dieser Stein gehört N. N.‘ u. ä.) verzeichnet Pyl gelegentlich nur mit willkürlichen Abkürzungen (D. St. g. ..., vgl. Kat.-Nr. 45). Von neuzeitlichen Inschriften der „Kaufmannschaft und der Gewerke“ gibt er nur Namen und Jahreszahlen wieder.

Inschriften in gotischer Majuskel und Minuskel werden mit einer eigenen Frakturtype, die sich von der des normalen Schriftsatzes unterscheidet, wiedergegeben. Pyl bezeichnet die gotische Majuskel als ‚Majuskel(-schrift)‘, die gotische Minuskel als ‚Minuskel(-schrift)‘. Für diese Schriftarten sind seine Benennung und typografische Auszeichnung stets zuverlässig.

Für (Renaissance-)Kapitalis und humanistische Minuskel verwendet er die Termini ‚Antiquamajuskel‘ und ‚Antiqua‘. Die Unterscheidung beider Schriftarten erfolgt bei ihm jedoch unscharf. So gibt er zum Beispiel für die einzige erhaltene Grabplatteninschrift in humanistischer Minuskel (vermischt mit Kapitalis) als Schriftart ‚Antiquamajuskel‘ an (Kat.-Nr. 319). In einem anderen Fall (Kat.-Nr. 426) bezeichnet er die Kombination von Kapitalis und Schreibschrift als ‚Antiqua‘. Als typografische Entsprechung der epigrafischen Kapitalis wird zwar eine Antiqua-Type verwendet. Kapitalisinschriften werden jedoch gelegentlich auch in Antiqua-Kleinbuchstaben wiedergegeben, obwohl Pyls Beschreibung nahelegt, dass sie in Kapitalis ausgeführt waren.

Als ‚Fraktur‘ bezeichnet Pyl alle Fraktur-Mischschriften (vgl. Kap. 7.4), seine Benennung wird daher nicht übernommen. Eine Datierung allein nach Pyls Schriftbezeichnung kann nur auf den gesamten Zeitraum der Verbreitung von Frakturmerkmalen vom zweiten Viertel des 16. bis zum ersten Drittel des 17. Jahrhunderts erfolgen.

Die Wiedergabe nicht erhaltener Inschriften nach Pyl wurde nach folgenden Grundsätzen vorgenommen: Bei Inschriften in gotischer Majuskel und Minuskel sind die Worttrenner nicht beibehalten. Bei mittelalterlichen Majuskelinschriften wurden Pyls in Kleinbuchstaben aufgelöste Abbreviaturen als Großbuchstaben in runden Klammern wiedergegeben. Für Inschriften der gotischen Minuskel wurden seine Namensschreibungen mit großen Anfangsbuchstaben rückgängig gemacht. Bei Kapitalisinschriften wurde Pyls Schreibweise von I/J und U/V unverändert übernommen. Bei nicht mehr vollständig lesbaren, nach Pyl ergänzten Inschriften sind von ihm bereits ergänzte Bestandteile in die Fußnoten übernommen worden.

Gerd Baier, Horst Ende, Renate Krüger, Die Denkmale des Kreises Greifswald (Die Denkmale im Bezirk Rostock), Leipzig 1973.

Dieses Denkmälerinventar ist nur für die Standort- und Verlustgeschichte von Inschriftenträgern relevant, nicht aber für die Textüberlieferung, da die Lesungen der Inschriften nicht nur fehlerhaft, sondern sinnentstellend sind.45)

Zitationshinweis:

DI 77, Greifswald, Einleitung, 4. Zur kopialen Überlieferung der Inschriften (Jürgen Herold, Christine Magin), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di077g014e009.

  1. Beispielhaft sei hier auf die Inschriften an der Kanzel von St. Marien hingewiesen; vgl. Baier, Denkmale, S. 92, mit Kat.-Nr. 256. Vgl. des Weiteren die Inschriften der Rubenowtafel nach Baier, Denkmale, S. 111, mit Kat.-Nr. 142»