Einleitung

2. Historisch-chronologischer Überblick2)

840ff. Das Grafenpaar Liudolf und Oda, die ersten namentlich bekannten Angehörigen der aufstrebenden sächsischen Adelsfamilie der Liudolfinger/Ottonen, erwerben in Rom von Papst Sergius II. Reliquien der späteren Stiftspatrone Anastasius und Innocentius (Nr. 32).
852 Liudolf und Oda gründen einen Sanktimonialenkonvent an einer bereits bestehenden Kirche (Patrozinium: Johannes der Täufer und Stephanus) in Brunshausen, dessen erste Äbtissin Hathumod (852–874), die älteste Tochter des Stifterpaares, wird.
856 Baubeginn der Stiftskirche in Gandersheim.
881 Umzug des Konvents aus Brunshausen in die mittlerweile fertiggestellte Stiftskirche nach Gandersheim. Die Leichname des zuvor in Brunshausen bestatteten Stifters Liudolf und der ersten Äbtissin Hathumod werden in die neue Kirche mitgeführt. In Brunshausen, das sich zu einem Eigenkloster des Stifts entwickelt, wird in der Folgezeit ein Männerkonvent angesiedelt.
949–1001 Amtszeit der Äbtissin Gerberga II., Tochter des späteren Herzogs Heinrichs I. von Bayern, Nichte Kaiser Ottos I. und ältere Schwester Heinrichs des Zänkers. Sie erneuert die Stiftskirche und trägt erheblich zu deren Ausstattung bei (Nr. 6, 7).
987–1030 Gandersheimer Streit: Die 979 ins Stift gegebene Sophia, Tochter Kaiser Ottos II., verweigert die Einkleidung durch den Hildesheimer Bischof Osdag. Stattdessen sollte Bischof Willigis von Mainz diese Handlung vornehmen. Die Weigerung Sophias löste den „Gandersheimer Streit“ aus. Ermöglicht hat diesen Versuch, sich von der Jurisdiktionsgewalt des Hildesheimer Bischofs zu befreien, die Lage Gandersheims an der nicht eindeutig festgelegten Diözesangrenze zwischen Hildesheim und Mainz. Die Präzedenzstreitigkeiten werden 1030 zugunsten von Hildesheim entschieden.
1061–1096 Amtszeit der Äbtissin Adelheid II., Tochter Kaiser Heinrichs III. und der Agnes von Poitou. 1081 Zerstörung der Stiftskirche durch Brand, danach Wiederaufbau und Neuweihe.
1110–1120 Das 2 km nordwestlich vom Stift gegründete Gandersheimer Eigenkloster St. Maria und St. Georg in Clus wird mit Mönchen aus dem hirsauisch reformierten Corvey besetzt.
1124 Weihe der ersten Klosterkirche in Clus.
1134 Die Gandersheimer Äbtissin Liutgard II. (1130/31–1152) reformiert Clus nach cluniazensischem Vorbild. Der Konvent von Brunshausen wird dem Cluser Abt unterstellt.
1192–1205 Brunshausen wird in ein Benediktinerinnenkloster umgewandelt.
1208 Äbtissin Mechthild I. von Wohldenberg (1196–1223) erreicht die Exemtion des Stifts und damit die endgültige Loslösung von der Jurisdiktion der Hildesheimer Bischöfe.
1402 Mit Sophia III. von Braunschweig-Lüneburg (1402–1412) wird zum ersten Mal eine Angehörige des Welfenhauses in Gandersheim Äbtissin.
1428 Bei der Welfischen Landesteilung gelangt Gandersheim in den Herrschaftsbereich der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg.
1430ff. Reform des Klosters Clus.2) Der Cluser Abt Johann Dederoth (1430–1439) wird gleichzeitig Abt von Bursfelde. Im Zuge der Reform löst sich das Kloster vom Stift.
1446–1505 Die Reformäbte Gottfried (1446–1460) und Wedego (1460–1505) bringen das verarmte Kloster Clus zu neuer Blüte (Nr. 16, 17, 20, 38).
Anf. 16. Jh. Innerer Zerfall des Stifts, in dem sich beim Tod der Äbtissin Agnes im Jahr 1504 nur noch zwei Stiftsdamen befinden. Demgegenüber zählt das Kapitel der männlichen Stiftskleriker elf Mitglieder, die für die geistliche Versorgung des Stifts und die Verwaltung zuständig sind.3)
1542–1547 Die schmalkaldischen Verbündeten führen im Reichsstift Gandersheim, in Clus und in Brunshausen die Reformation ein. Da schon seit Beginn des 16. Jahrhunderts das geistliche Leben im Kanonissenkapitel nahezu erloschen ist, formiert sich kaum Widerstand gegen die Einführung der Reformation.4)
1543 Bildersturm in der Gandersheimer Stiftskirche, veranlaßt durch antiklerikale Tendenzen in der Stadt.5)
1550 Wiederherstellung der Stiftskirche nach dem Bildersturm und Neuweihe einzelner Altäre. Bis zum Tod Herzog Heinrichs d. J. bleibt die Stiftskirche katholisch.
1568 Einführung der Reformation im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel durch Herzog Julius gegen den Widerstand des Stifts Gandersheim und des Klosters Clus.
1572 Nach dem Tod der Domina von Brunshausen, Anna Stein, sukzessive Einführung der Reformation in Brunshausen durch den herzoglichen Kommissar Barward Mente (Nr. 37).
1547–1577 Amtszeit der katholischen Äbtissin Magdalena von Chlum (Nr. 36), die als zeitweise einzige residierende Kanonisse das Ende der geistlichen Frauengemeinschaft in Gandersheim manifestiert.6)
1576/1577 Die Gandersheimer Äbtissin Magdalena von Chlum (1547–1577) besetzt mit ihrem Gefolge das Kloster Clus, um ihre Rechte gegenüber dem Herzog zu verteidigen. Ihre Schwester Margareta folgt ihr als letzte katholische Äbtissin (1577–1589) im Amt (Nr. 36) und behauptet sich gegen zwei protestantische Gegenäbtissinnen.
1589 Das nunmehr vornehmlich protestantische Gandersheimer Kapitel wählt Anna Erica von Waldeck (1589–1611) zur ersten evangelischen Äbtissin (Nr. 43).
1593 Äbtissin Anna Erica von Waldeck schließt mit Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel den „Großen Vertrag“, über den Verbleib von Brunshausen und Clus beim herzoglichen Kammergut. Die Äbtissin behält das Recht, die vom Herzog ernannten Klosterbeamten zu bestätigen. Bei den Kanonikaten und Vikariaten kann die Äbtissin nur noch jede dritte Stelle allein vergeben, für alle übrigen hat der Herzog das Präsentationsrecht. Residieren sollen jeweils vier Kanoniker und vier Vikare.
1596 Nach dem Tod des letzten katholischen Abts in Clus, Heinrich Pumme (1572–1596), setzt Herzog Heinrich Julius in Clus einen protestantischen Verwalter ein.
1629–1631 Das Restitutionsedikt erlaubt es den Klöstern Clus und Brunshausen zur Bursfelder Lebensweise zurückzukehren. Die Mönche und Nonnen müssen die Klöster wegen der Kriegsgefahr jedoch bald wieder verlassen.
1655 Der evangelische Frauenkonvent von Brunshausen kann wieder in sein Kloster zurückkehren. In Clus wird ein Scheinkonvent eingerichtet.
1695–1707 Äbtissin Henriette Christine (1693–1712), Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel, erlangt die Verfügungsgewalt über die Klosterwirtschaft von Brunshausen und Clus zurück. Sie veräußert wichtige Objekte des mittelalterlichen Kirchenschatzes zur Finanzierung von Baumaßnahmen.7)
1713–1766 Unter Äbtissin Elisabeth Ernestine Antonie, Prinzessin zu Sachsen-Meiningen, erlebt das Stift Gandersheim mit Brunshausen als neuer Residenz zum letzten Mal eine kulturelle Blüte.
1793 Profanierung der baufälligen Kirche in Brunshausen.
1802 Das Stift verzichtet auf seine Reichsstandschaft und erkennt die Landeshoheit des Hauses Braunschweig-Wolfenbüttel an.
1810 Aufhebung des Stifts Gandersheim und seiner Eigenklöster.

Zitationshinweis:

DIO 2, Kanonissenstift Gandersheim, Einleitung, 2. Die Gandersheimer Inschriften – Einordnung in die Stadtgeschichte (Christine Wulf), in: inschriften.net,   urn:nbn:de:0238-dio002g001e009.

  1. Zur Klosterreform in Clus vgl. Herbst, Benediktinerkloster Clus. »
  2. Vgl. Scholz, Reichsstift Gandersheim, S. 175. »
  3. Vgl. ebd., S. 188. »
  4. Zu den Verlusten s. Heilmann, Aus Heiltum wird Geschichte, S. 28f.; Scholz Reichsstift Gandersheim, s. 179. »
  5. Vgl. Scholz, Reichsstift Gandersheim, s. 180. »
  6. Zum Schicksal des Gandersheimer Kirchenschatzes in nachreformatischer Zeit siehe Heilmann, Aus Heiltum wird Geschichte. »