Die Inschriften des Enzkreises

2. Historischer Überblick

Die geschichtlichen Kräfteverhältnisse im heutigen Enzkreis sind ohne sein Oberzentrum, den heutigen Stadtkreis Pforzheim (eingemeindet Büchenbronn, Brötzingen, Hohenwart, Huchenfeld und Würm) nicht klar zu umreißen. Es wird daher im Rahmen dieser kurzen Einführung auch die Stadt Pforzheim mit einbezogen, deren reiche inschriftliche Quellenüberlieferung in einem gesonderten Band veröffentlicht werden wird1). Rein topographisch ist die enge Verflechtung beider Gebiete schon dadurch dokumentiert, daß das Gebiet des Enzkreises den Stadtkreis Pforzheim nahezu von allen Seiten umschließt. Die Entstehungsgeschichte des Enzkreises ist verbunden mit der am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Großen Kreisreform des Landes Baden-Württemberg, die historisch gewachsene kleinere Gemeinden und Kreise zugunsten größerer Verwaltungseinheiten auflöste und neu konstituierte; aus Teilen der württembergischen Landkreise Calw, Leonberg und Vaihingen und dem badischen Gebiet des Landkreises Pforzheim bzw. des südwestlichen Teiles des Kreises Karlsruhe wurde der neue Enzkreis gebildet2). Sein Gebiet ist [Druckseite XI] durchflossen von Enz, Pfinz und Nagold und Würm, es reicht im Westen bis zu den Höhen des Nordschwarzwaldes bei Neuenbürg und geht im Osten bis dicht an das Stadtgebiet von Vaihingen an der Enz (heute Landkreis Ludwigsburg). Bestimmend für die Namengebung war wohl eher der Rückgriff auf die alte fränkische Gaubezeichnung als die im Landkreis Calw entspringende Enz, die das Kreisgebiet von Süden herkommend nach Nordosten durchfließt.

Die durch die Kreisreform geschaffenen modernen Verwaltungsgrenzen decken sich keineswegs mit den historischen Grenzen des Gebiets; beim Enzkreis wird diese Tatsache schon dadurch evident, daß ehemals württembergische Gebiete und ehemals badische Gebiete in einem Kreis vereinigt wurden. Auch die einzelnen Gemeinden haben durch die Reform teilweise ihr historisches Gefüge verloren; für eine systematische Inventarisierung der Denkmäler wirkt sich der Zusammenschluß mehrerer Gemeinden zu einer neuen Verwaltungseinheit mit anderem Ortsnamen zwangsläufig erschwerend aus. Zur leichteren Orientierung werden bei der vorliegenden Bearbeitung alle Inschriften zunächst unter dem Namen ihrer alten Gemeindezugehörigkeit aufgeführt, während der neue Gemeindename in ( ) hinzugefügt ist; im Registeranhang ist eine Konkordanz der Standorte nach alter und neuer Gemeindezugehörigkeit zu finden3).

Nächst dem natürlichen Zentrum Pforzheim hat sich im Gebiet des Enzkreises kein eigentlicher Schwerpunkt von übergeordneter Bedeutung entwickeln können. Die Stadt Mühlacker hat erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts das benachbarte, ehemals selbständige Dürrmenz überflügelt. Die günstige Verkehrslage und – aus ihr resultierend – eine rasche Industrialisierung sind paradigmatisch für das Heranwachsen einer Siedlung ohne nennenswerte historische Kontinuität und andererseits das Aufgehen eines unmittelbar in ihrem Einflußbereich gelegenen historischen Ortes in der modernen Gemeinde.

Es entspricht den geographischen Gegebenheiten – im Westen und Süden die von Flußtälern durchschnittene Berglandschaft des Nordschwarzwaldes, in der nach Norden angrenzenden Kraichgausenke und im Osten offene und daher die Siedlung begünstigende Randgebiete –, wenn römerzeitliche Besiedlung nur für wenige Orte im nördlichen Kreisgebiet nachweisbar ist. Abgesehen von Pforzheim, das an der Fernstraße Speyer – Ettlingen – Cannstatt früh zu einiger Bedeutung aufstieg (Pforzheim = portus), sind durch Funde Gräfenhausen, Kieselbronn, Königsbach und Wimsheim zu belegen4). Auch die alamannische Landnahme – obwohl westlich bis ins linksrheinische Elsaß vorgetragen – hat im Bearbeitungsgebiet kaum Spuren hinterlassen5). Erst die fränkische Herrschaft hat etwa seit dem Jahre 500 dem Gebiet des heutigen Enzkreises seine siedlungsgeschichtlichen Strukturen gegeben. Merowingische Reihengräberfriedhöfe sind in Dietlingen, Brötzingen, Königsbach, Pforzheim-Altenstadt und Remchingen, bei Dürrmenz, Illingen, Knittlingen und Öschelbronn belegt. Kontinuierlich drang die Besiedlung in der Zeit der Konsolidierung des Frankenreichs in den Flußtälern gegen das Gebirge vor6). Für eine Reihe von Orten lassen sich befestigte Burgweiler als Ausgangspunkte annehmen, so etwa für Enzberg, Neuenbürg und Sternenfels. An Städten im Rechtssinn war der Enzkreis von jeher arm. Neben Pforzheim hatten nur Heimsheim (1295 erstmals als Stadt erwähnt, Privileg wohl Anfang des 14. Jahrhunderts) und Neuenbürg (Verleihung des Stadtrechts Anfang des 14. Jahrhunderts?) im Mittelalter Stadtrecht erhalten; Knittlingen galt durch Marktrecht und Gerichtssitz zwar als Stadt, wurde aber offiziell erst 1840 in diesen Rang erhoben. Maulbronn und Mühlacker erhielten erst im 19. bzw. im 20. Jahrhundert Stadtrecht.

Die schriftlichen Quellen des 8. und 9. Jahrhunderts lassen erkennen, daß ein relativ großer Teil der in Mittelalter und Neuzeit bekannten Orte des Enzkreises bereits auf fränkische Siedlungen zurückgeht. Die alte fränkische Gaueinteilung – heute teilweise noch als Landschaftsbezeichnung erhalten – überschneidet die Grenzen des Enzkreises mehrfach. Im Norden erstreckte sich die Grenze des Kraichgaues bis nahe an Pforzheim heran, das selbst keinem bestimmten Gau zugewiesen werden kann, im Westen und Süden erfaßte der Pfinzgau den Einzugsbereich der Pfinz und des Kämpfelbachs, während die Grenzen des Enzkreises im Osten schärfer umrissen scheinen. Kraichgau und Enzgau waren zeitweise unter der Herrschaft einer Grafenfamilie Zeizolf-Wolfram – im Hochmittelalter lehensabhängig von den Saliern – vereinigt7). Schon seit dem Frühmittelalter besaßen das elsässische Kloster Weißenburg, die Reichsabtei Lorsch [Druckseite XII] und das Kloster Reichenau bedeutende grundherrliche Rechte in den verschiedensten Orten des Bearbeitungsgebietes. Königsbesitz kann für Königsbach (ausgehend vom Namen), für Heimsheim, für Pforzheim und einige kleinere Stützpunkte mit Sicherheit angenommen werden8). Die kirchlichen und die königlichen Grundherrschaften gingen aber sehr bald wieder in die Hände des Adels über, der durch die der Grafschaftsverfassung eigenen stellvertretenden Kräfte der Reichsgewalt eine beherrschende Stellung erreicht hatte. Den Weißenburger, Lorscher und Reichenauer Besitz brachten fast ausnahmslos die Kraichgaugrafen an sich; nach ihrem Aussterben um 1100 fiel er an verschiedene Nachfolgegeschlechter und damit wurde der Aufsplitterung der Herrschafts- und Besitzrechte im Enzkreis in der Zeit des Hochmittelalters der Weg gebahnt. So sind die älteren Grafen von Vaihingen mit Besitz um Dürrmenz nachweisbar, außerdem fiel ihnen ein Teil des ehemals Lorscher Besitzes, der Weißenburger Güter und Reichenauer Lehen zu. Im Raum von Gräfenhausen lassen sich die Grafen von Malsch nachweisen, die Speyerer Hochstiftsvögte mit dem Leitnamen Eckbert waren in Niefern, Pforzheim und Stein begütert. Als weitere hochadelige Nachfolgegeschlechter sind im 12. Jahrhundert die jüngeren Grafen von Vaihingen aus dem Hause der Grafen von Calw und die Herren von Eberstein zu nennen. Aus den Oberhoheitsrechten der Staufer leitet sich der frühe Besitz des schwäbischen Herzogshauses und der rheinischen Pfalzgrafen ab, die wiederum im Heimsheimer Gebiet die Pfalzgrafen von Tübingen belehnten.

Nur im Nordosten des Kreisgebietes wuchs seit dem 12. Jahrhundert mit der Gründung des Zisterzienserklosters Maulbronn durch den Edelfreien Walter von Lomersheim (1138 zunächst in Eckenweiher bei Mühlacker angesiedelt) ein geschlossenes Herrschaftsgebiet heran, das nach der Verlegung nach Maulbronn 1147 durch die großzügigen Schenkungen seines Mitstifters, des Speyerer Bischofs Günther von Henneberg, durch Zuwendungen des Adels und später durch systematischen Zukauf von Gütern beträchtlichen Umfang erreichte9). Der Schwerpunkt des Besitzes lag um Maulbronn mit Knittlingen, Illingen, Ötisheim, Diefenbach, erstreckte sich aber auch südlich über Mühlacker hinaus nach Iptingen, Wiernsheim und Wimsheim. Die Schirmvogtei hatte sich zunächst Friedrich Barbarossa bei der Bestätigung der Neugründung in Maulbronn vorbehalten; sie ging 1255 an den Speyerer Bischof über, dem sie von den Herren von Enzberg bestritten wurde10). Zwischen 1361 und 1366 übertrug dann Karl IV. durch kaiserlichen Spruch den Pfalzgrafen bei Rhein den Klosterschutz; damit war den Pfalzgrafen bei ihren Bestrebungen nach der Südausdehnung ihres Territoriums die Gewinnung eines bedeutenden Stützpunktes gelungen, der in der Folgezeit zu heftigen Auseinandersetzungen führen sollte.

Im weiteren Bearbeitungsgebiet setzte sich nach und nach auch der niedere Adel durch, dem im Erbgang, durch Lehensvergabung, Tausch oder Kauf Herrschafts- und Besitzrechte zufielen. Die zunehmende Schwächung der Reichsgewalt und der allmähliche Niedergang der zunächst mit politischen Aufgaben betrauten hochadeligen Grafengeschlechter ermöglichte es den einstigen Dienstleuten und Lehnsmannen, in das entstehende Vakuum vorzudringen und vorwiegend kleinräumige Herrschaftsgebiete an sich zu bringen. Zu nennen sind hier vor allem die Herren von Dürrmenz und von Straubenhart, die Enzberg und Steinegg und die Mönsheim, später auch die Herren von Gemmingen.

Diese sehr kompliziert strukturierten Herrschaftsverhältnisse wichen erst im späteren Mittelalter klareren und einfacheren Bezügen, als die kräftig aufstrebenden Territorialmächte des Südwestens zunehmend an Boden gewannen. Im Betrachtungsgebiet gilt das einerseits für die Markgrafen von Baden, andererseits für die Grafen von Württemberg, nur mit Einschränkungen noch für die rheinischen Pfalzgrafen. Das Gebiet des Enzkreises lag gewissermaßen im Schnittpunkt der Interessenkreise aller drei Kräfte: von Norden her hatten die rheinischen Pfalzgrafen sich im Kraichgau festgesetzt und strebten nach weiterer Ausdehnung, von Westen her bemühten sich die badischen Markgrafen um Erweiterung ihres oberrheinischen Machtzentrums und von Südosten her waren die Grafen von Württemberg zielbewußt dabei, den Ausbau ihrer Landesherrschaft voranzutreiben.

[Druckseite XIII]Die Markgrafen von Baden hatten bereits nach 1220/27 den ersten Schritt zur systematischen Erweiterung ihres oberrheinischen Machtzentrums wagen können, als Pforzheim nach dem Tod des rheinischen Pfalzgrafen Konrad im Erbgang über dessen Tochter Agnes an die Gemahlin Irmengard des Markgrafen Hermann V. von Baden fiel11). Der Erwerb Pforzheims sicherte den Markgrafen einen wichtigen Stützpunkt für die Verbindung vom badischen Stammland zu den Besitzungen im mittleren Neckargebiet um Backnang (damals noch Grablege des badischen Hauses), Besigheim und Lauffen12). Von Pforzheim aus faßten sie Fuß in den umliegenden Dörfern, so in Remchingen (seit 1301) und Stein (seit 1309), den späteren Amtsorten der badischen Markgrafschaft. Weitere Besitzanteile fielen ihnen als Erben der Grafen von Eberstein zu, deren Kernbesitz im Nordschwarzwald allerdings außerhalb des Betrachtungsgebietes liegt.

Die Pfalzgrafen bei Rhein hatten ihre Südausdehnung mit dem Erwerb der Landvogtei im Elsaß und der Hälfte der Ortenauer Landvogtei unter Pfalzgraf Ruprecht III. (1398–1410, deutscher König als Ruprecht I. seit 1400) sozusagen präjudiziert. Mit dem zunehmenden Aufblühen der Residenzstadt Heidelberg nach Gründung der Universität 1386 entwickelte sich ein politisches und kulturelles Machtzentrum im Bereich des nördlichen Oberrheins, das zwangsläufig den Vorstoß nach Süden forderte; die Gewinnung der Schutzvogtei über Kloster Maulbronn und die Jahre der pfälzischen Vormachtstellung unter Kurfürst Friedrich I., dem Siegreichen (1451–76) schienen vorübergehend erfolgversprechend. In der Schlacht bei Seckenheim (1462) konnte Friedrich die gegen ihn verbündeten Fürsten Markgraf Karl I. von Baden, Graf Ulrich V. von Württemberg und Bischof Georg von Metz gefangennehmen13). Aber mit dem für die Pfalz unglücklichen Ausgang des Landshuter Erbfolgekriegs (1504) und dem Kölner Spruch von 1505 war das Bemühen um die Ausdehnung der pfälzischen Herrschaft endgültig gescheitert14). Zusammen mit der Schirmvogtei über Maulbronn gingen auch eine Reihe anderer Besitz- und Lehnsrechte an Württemberg über15).

Die württembergischen Grafen und späteren Herzöge waren bei der Ausdehnung ihres Territoriums im Bereich des heutigen Enzkreises ohnedies am meisten vom Erfolg begünstigt. Im beginnenden 14. Jahrhundert konnte Graf Eberhard I. (1279–1325) zunächst Neuenbürg erwerben (1315/20) und sich wenig später auch in Birkenfeld, unmittelbar vor den Toren von Pforzheim festsetzen (1322). Weiterer Erwerb von Besitzrechten in Dietlingen (1334) und Gräfenhausen (seit 1335) zeichnet bereits die zukünftige Entwicklung voraus: die Markgrafen von Baden hatten zwar in Pforzheim ihre feste Basis gewonnen, scheiterten aber in ihrem Bemühen um weitere Gebietsausdehnung vor allem an der konsolidierten Macht der Pfalzgrafen und späteren Kurfürsten bei Rhein, während die württembergischen Grafen und Herzöge – begünstigt durch lange Regierungszeiten und die Vermeidung von Erbteilungen – sich zunehmend in den Besitz weiterer Herrschaftsrechte bringen konnten. Bereits im ausgehenden 13. Jahrhundert waren die badischen Gebiete am Neckar (Backnang 1297) an Württemberg übergegangen; seit der Mitte des 14. Jahrhunderts gleicht die Lage Pforzheims mit den beiden Amtsorten Remchingen und Stein einer breiten Landbrücke badischen Gebietes, die sich von Karlsruhe aus östlich bis nach Niefern erstreckt, aber ringsum sozusagen von württembergischem Besitz eingekreist ist. Diese Situation hat sich im Grunde bis in die Neuzeit hinein nicht mehr wesentlich verändert und erst die Gründung des Landes Baden-Württemberg im Jahre 1952 hat die alten Grenzen aufgehoben16). Kondominate in einzelnen Orten (so in Birkenfeld, Dietlingen, Niebelsbach, Rudmersbach, Schwann) wurden 1528 durch einen Vergleich aufgelöst.

Die Konsolidierung der Territorialgewalten ging eindeutig zu Lasten des niederen Adels, der zwar versuchte, sich gegen die aufstrebenden Landesherren zur Wehr zu setzen, dabei aber keine dauernden Erfolge erringen konnte. Kriegerische Verwicklungen im Gefolge des Überfalls auf Graf Eberhard den Greiner von Württemberg in Wildbad im Jahre 1367 hatten die Auflösung der Schmalensteinischen und Straubenhartschen Herrschaft im Südwesten des Bearbeitungsgebietes (Straubenhart, Langenalb, Conweiler, Gräfenhausen) zur Folge, wobei zunächst Baden, auf die Dauer aber Württemberg die meisten [Druckseite XIV]Besitzrechte an sich brachte17). Im Kampf gegen die 1394 gegründete Rittergesellschaft der Schlegler unterstützten Baden und Pfalz im Interesse der gemeinsamen Sache Graf Eberhard von Württemberg und belagerten gemeinsam mit ihm die feste Stadt Heimsheim, um deren aufständische Stadtherren und die drei ‚Schleglerkönige’ (zwei Herren von Enzberg und Wolf von Stein) zu bezwingen; Heimsheim wurde fast völlig eingeäschert, die Schleglerkönige gefangengenommen. Der Bund löste sich bald darauf auf. Eine indirekte Folge dieses Aufstandes gegen die Territorialherren wurde allerdings die Konzentration einer niederadeligen Herrschaft im Südosten des Kreises, die unter badischer Oberhoheit nahezu 400 Jahre Bestand haben sollte: einer der Heimsheimer Ortsherren, Jakob von Stein, verkaufte 1407 seinen Anteil an der gebrandschatzten Stadt, Anteile an der Herrschaft Steinegg, Tiefenbronn, Lehningen und Mühlhausen an Dieter (V.) von Gemmingen; damit wurde die Familie von Gemmingen mit der sog. Hagenschießer Linie südlich von Pforzheim ansässig. Unter Dieter (VI.) gewannen die Gemmingen weitere Rechte hinzu (Neuhausen, Friolzheim). 1439 wurde das gesamte neuerworbene Gebiet der Gemmingen an Markgraf Jakob I. von Baden für 4200 fl veräußert, 1461 aber bereits von Markgraf Karl von Baden den Gemmingen als Erblehen wieder übereignet18). Der Verkauf des Jahres 1439 war vermutlich ein politisch begründeter Schachzug: Dieter von Gemmingen hatte sich in eine Fehde mit einem Zollern verwickelt, für den als sein Lehensherr Graf Ulrich V. von Württemberg Klage erhob, die schließlich den Gemminger zum Einlenken zwang, ihm aber auch die Anlehnung an die mit Württemberg rivalisierende Territorialmacht Baden geraten erscheinen lassen mochte. Tatsächlich blieb der Besitz der Gemmingen im Hagenschieß unter der Erblehenschaft der badischen Markgrafen bis in die Neuzeit hinein unangetastet erhalten, geteilt in die Linien Tiefenbronn, Steinegg und Mühlhausen. Die Orte waren dem Ritterkanton Neckar-Schwarzwald eingegliedert19).

Die bedeutende Besitzkonzentration des Klosters Maulbronn im Enzkreis dürfte als Ursache dafür anzusehen sein, daß andere geistliche Institutionen nur in bescheidenem Umfang Herrschafts- und Besitzrechte an sich bringen konnten. Kirchenrechtlich gehörte der Enzkreis zum Bistum Speyer, dessen Grundbesitz aber durch die Schenkungen Bischof Günthers von Henneberg an Maulbronn überging; indirekt blieb freilich durch die Orientierung Maulbronns nach Speyer das Klostergebiet noch unter dem Einfluß des Hochstifts. Die ebersteinischen Gründungen Kloster Frauenalb (Großkreis Karlsruhe) und Herrenalb (Landkreis Calw) waren mit Herrschafts- und Besitzrechten u. a. in Bilfingen und Ersingen, in Dietenhausen, Neulingen und Nußbaum ausgestattet, hatten aber auch noch anteilige Rechte an der Grundherrschaft und am Zehnten in einigen anderen Orten (Birkenfeld, Weiler, Rudmersbach). Kloster Hirsau (ebenfalls Landkreis Calw) besaß Kirchenpatronate in Friolzheim (davon abhängig die Tochterkirche Tiefenbronn) und in Ellmendingen (mit Weiler), war aber auch in Schellbronn an der Grundherrschaft beteiligt. Kleinere Rechte hatten auch Pforzheimer Klöster unter badischem Schirm erwerben können.

Die Einführung der Reformation folgte der Entwicklung in den beiden Territorialherrschaften Baden und Württemberg. Nach der Erbteilung der badischen Markgrafschaft 1535 war Pforzheim zunächst Residenz der Ernestinischen Linie und damit Hauptstadt der unteren Markgrafschaft geworden. Markgraf Karl II. (1553–77) führte in seinem Landesteil unter tatkräftiger Mitwirkung seines Kanzlers Martin Achtsynit das evangelische Bekenntnis ein. Im Herzogtum Württemberg leistete Herzog Ulrich seit 1534/35 der Reformation offen Vorschub, wurde aber durch den Ausgang des Schmalkaldischen Krieges und die Einführung des Interims zunächst an weiteren Aktivitäten gehindert, so daß auch im württembergischen Teil des Enzkreises die evangelische Lehre erst seit 1556 Eingang fand. Die reformatorischen Bemühungen Herzog Ulrichs waren so eng verflochten mit seinen politischen Zielen und seinem Bestreben um die Ausweitung der landesherrlichen Rechte, daß erst seinem Nachfolger Herzog Christoph (1550–68) eine durchgreifende kirchliche Neuordnung gelang. In Maulbronn und seinen Klosterorten war die Lehre Luthers ebenso wie in den badischen und württembergischen Herrschaften schon früh eingedrungen; Klosteraustritte sind seit 1525 nachzuweisen20). Die offizielle Verlegung des Konvents von Maulbronn nach Pairis datiert vom Jahre 1537, aber erst am 28. Februar 1558 wurde als erster evangelischer Abt Valentin Vannius (Wanner) investiert, nachdem der Herzog 1556 seine Klosterordnung erlassen hatte21). Maulbronn war von nun an wie die anderen württembergischen Männerklöster eine Prälatur, die Äbte waren in einer [Druckseite XV] Person Verwalter der Klostergüter und Vorsteher der Klosterschule, sie waren Landschaftsverordnete und Mitglieder des Kirchenrats22). An den Rechten und Einkünften der evangelischen Äbte änderte die neue Ordnung also vorerst kaum etwas, die Abgaben aller Güter flossen weiter nach Maulbronn und dienten der Bestreitung des Unterhalts für Klosterschüler und Präzeptoren; nur der Überschuß mußte nach Stuttgart abgeführt werden. Klösterliche Lebensformen und sogar klösterliche Tracht blieben noch lange erhalten; in Maulbronn überdauerte auch die gesamte Klosteranlage fast unversehrt. Alle beweglichen Güter, insbesondere den Kirchenschatz und die Urkunden hatte allerdings Abt Johannes IX. bereits 1534 auf seiner Flucht mit sich geführt, die von Maulbronn zunächst nach Speyer und weiter nach Lützel bei Basel führte und von der er nicht mehr in sein Kloster zurückkehrte.

Als einziges Herrschaftsgebiet im heutigen Enzkreis blieb der Bereich der Gemmingen im Hagenschieß von der Reformation unberührt. Tiefenbronn und die umliegenden Ortschaften hielten sich unter dem Einfluß ihrer Ortsherrschaft weiter an die Ausübung des katholischen Kultus.

Die kriegerischen Verwicklungen des 16. Jahrhunderts haben im Betrachtungsgebiet nur geringfügige Spuren hinterlassen. Der um 1525 ausbrechende Bauernaufstand führte zwar vom Zabergäu aus zu einem Einfall des Stocksberger Haufens in den nördlichen Teil des Kreisgebiets, insbesondere auch in Maulbronn, richtete aber keine größeren Schäden an. Nachhaltiger wirkte sich nach 1556 die durch die Landesherrschaften verordnete Purifizierung der Gotteshäuser im Sinne der evangelischen Lehre aus: Retabel, Glasgemälde und kirchliches Gerät wurden entfernt, Wandgemälde übertüncht. Der Verlust dürfte aber – verglichen mit anderen Bereichen – relativ gering sein, weil außer Maulbronn kein Kloster im Enzkreis lag – Pforzheim bleibt hier außer Betracht –, und in den wenigen Städten kaum bedeutendere Kirchenausstattungen vorhanden gewesen sein dürften.

Der Dreißigjährige Krieg, mit dessen Ende die Zeitgrenze der hier vorgelegten Edition nahezu zusammenfällt, hat das Gebiet des Enzkreises wiederholt berührt. Stark zu leiden hatten vor allem Pforzheim und Knittlingen, während Maulbronn zwar von wechselnden Besatzungen heimgesucht, von Zerstörungen und Brandschatzungen aber verschont wurde. 1629 erfolgte aufgrund des kaiserlichen Restitutionsediktes die Rekatholisierung des Klosters, das von Mönchen aus der Abtei Lützel neu besetzt wurde. Sie wurden zwischen 1632 und 1634 im Zuge der schwedischen Besatzung erneut aus dem Kloster vertrieben; auch nach der Rückführung 1634 war ihr Aufenthalt im Kloster nicht mehr von langer Dauer. Mit dem Westfälischen Frieden 1648 wurde Württemberg erneut und endgültig im Besitz des Klosters und seiner Güter bestätigt.

Zitationshinweis:

DI 22, Enzkreis, Einleitung, 2. Historischer Überblick (Renate Neumüllers-Klauser), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di022h008e002.

  1. Die Inschriften des Stadtkreises Pforzheim sind bereits inventarisiert und photographisch erfaßt; ihre Bearbeitung ist eingeleitet. »
  2. AmtlKreisbeschreibung V 520–585; hier jeweils auch die Nachweise für die detaillierten Herrschaftszugehörigkeiten der einzelnen Ortschaften, auf die hier summarisch verwiesen wird. – Allgemeine Einführung bei K. S. Bader, Der Deutsche Südwesten in seiner territorialstaatlichen Entwicklung, Sigmaringen 1978²»
  3. Vgl. S. 204. »
  4. Zusammenfassende Übersicht: Die Römer in Baden-Württemberg, hg. von P. Foltzinger, D. Planck, B. Cämmerer, Stuttgart u. Aalen 1976²»
  5. Historischer Atlas von Baden-Württemberg, Lfg. 3 (1974) Karte III 6: Die frühe Alamannenzeit. Dazu Erläuterungen von R. Christlein u. G. Fingerlin, Zur alamannischen Siedlungsgeschichte des 3. bis 7. Jahrhunderts (Die Alamannen in der Frühzeit. Veröffentlichungen des Alemannischen Instituts Freiburg 34) (1974) 45–88. »
  6. H. Keller, Fränkische Herrschaft und alamannisches Herzogtum im 6. und 7. Jahrhundert, in: ZGO. NF. 85 (1976) 1–30. »
  7. Zur Gaueinteilung vor allem M. Schaab, Die Reichsabtei Lorsch, Festschrift zum Gedenken an ihre Stiftung 764, Bd. 1, Darmstadt 1973, 539 ff. – Über den Kraichgau speziell immer noch F. Metz, Der Kraichgau (= Abhandlungen zur badischen Landeskunde 4), Karlsruhe 1922. »
  8. Vgl. Codex Laureshamensis, hg. von K. Glöckler, 3 Bde. Darmstadt 1929–1936. 1964². – Traditiones possessionesque Wizenburgenses ed. C. Zeuss. Speyer 1842. – Für Heimsheim ist 965 ein Treffen Kaiser Ottos I. mit seinen Söhnen König Otto (II.) und Erzbischof Wilhelm von Mainz zu belegen: Böhmer, Regesta Imperii II nr. 371 a; das zeugt mit einiger Sicherheit für Königsbesitz. – Zu den späteren Schicksalen der Weißenburger und Lorscher Besitzungen vgl. A. Schäfer, Das Schicksal des Weißenburgischen Besitzes im Uf- und Pfinzgau, in: ZGO. NF. 72 (1963) 77f. – Ders., Staufische Reichslandpolitik und hochadlige Herrschaftsbildung im Uf- und Pfinzgau, in: ZGO. NF. 78 (1969) 169ff. – Für den nördlichen Schwarzwaldanteil auch F. Hofmann, Adel und Landesherrn im nördlichen Schwarzwald (Darstellungen aus der württembergischen Geschichte 40), Stuttgart 1954. »
  9. Historischer Atlas von Baden-Württemberg, Lfg. 5 (1975) Karte VIII 4: Der Besitz der südwestdeutschen Zisterzienserabteien um 1340/50. Erläuterungen von M. Schaab u. a. »
  10. W. Rösener, Südwestdeutsche Zisterzienserklöster unter kaiserlicher Schirmherrschaft, in: ZWLG. 33 (1974) 24ff. – K. Schreiner, Altwürttembergische Klöster im Spannungsfeld landesherrlicher Territorialpolitik, in: Blätter für dt. Landesgeschichte 109 (1973), 196ff., insb. 207ff. »
  11. G. Haselier, Die Markgrafen von Baden und ihre Städte, in: ZGO. NF. 68 (1959) 263ff. – Pforzheim kam 1125 mit dem salischen Erbe an die Staufer, von diesen wiederum an den Welfenherzog Heinrich von Braunschweig, der mit Agnes von Staufen vermählt war. »
  12. Backnang war um 1000 aus dem Besitz der Grafen von Calw an die Markgrafen von Baden übergegangen, Besigheim im Jahr 1153, Lauffen kam nach dem Aussterben des gleichnamigen Grafengeschlechtes an die Markgrafen: Sütterlin I 244. »
  13. Vgl. dazu Häusser I 368ff. und Sütterlin I 303ff. »
  14. K. Müller, Die politischen Beziehungen zwischen der Kurpfalz und der Grafschaft Württemberg im 15. Jahrhundert. – Schreiner a. a. O. (wie Anm. 10) 210. »
  15. Müller a. a. O. (wie Anm. 14) 95f. »
  16. AmtlKreisbeschreibung I 261ff. »
  17. Dazu W. Hofmann a. a. O. (wie Anm. 8) 19ff. »
  18. Ebd. 48ff. »
  19. D. Hellstem, Der Ritterkanton Neckar-Schwarzwald 1560–1805 (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Tübingen 5). Tübingen 1971. »
  20. E. Baßler, Beiträge zur Reformationsgeschichte von Maulbronn, in: Blätter für württ. Kirchengeschichte NF. 10 (1906) 1ff. – Klunzinger, UrkGeschichte Reg. 66. »
  21. Über Valentin Vannius zuletzt H. Ehmer, Valentin Vannius und die Reformation in Württemberg. Stuttgart 1976. – Vannius wird in vielen Abtslisten nach Johannes Epplin gen. Senger als zweiter evangelischer Abt geführt, eine Zählung, die darauf zurückgeht, daß Johannes Epplin zwar offen evangelische Gesinnung an den Tag legte, aber den Übertritt niemals vollzogen hat: Klunzinger, UrkGeschichte 125. »
  22. W. Grube, Altwürttembergische Klöster vor und nach der Reformation, in: Blätter für dt. Landesgeschichte 109 (1973) 139ff. »