Die Inschriften der Stadt Helmstedt

4. Inschriften, Inschriftenträger und Überlieferung

Um den Helmstedter Inschriftenbestand dem anderer Städte vergleichbar zu machen, ist bei den folgenden statistischen Angaben die in den Bänden der Reihe „Die Deutschen Inschriften“ üblicherweise beachtete Zeitgrenze 1650, wo es nötig erschien, zusätzlich ausgewiesen worden. Das Inschriftencorpus der Stadt Helmstedt umfaßt insgesamt 528 Inschriften. Davon entfallen 175 auf die Zeit vor 1650. Hinzu kommen 17 isoliert stehende Jahreszahlen und Initialen bis 1650, die in Anhang 1 zusammengestellt sind. Aus dem Zeitraum 1651 bis 1800 sind 353 Inschriften bekannt geworden. Von dem Gesamtbestand der 528 Inschriften sind 278 (53%) ganz oder teilweise im Original erhalten. Der Prozentanteil bleibt beinah unverändert, betrachtet man die Zahlenverhältnisse getrennt nach der Zeitzäsur vor und nach 1650. Unter den 175 Inschriften vor 1650 sind die original erhaltenen mit 95 (54%), unter den 353 Inschriften nach 1650 mit 183 (52%) Exemplaren vertreten.

Der bis 1650 ermittelte Bestand von 175 Inschriften ist wider Erwarten gering. Immerhin gab es in der Stadt mehrere z. T. alte kirchliche Einrichtungen und seit Ende des 16. Jahrhunderts die Universität. Es ist kaum anzunehmen, daß es im Bereich von Kirche und Kloster St. Ludgeri vor der Zerstörung von 1553 keine Bau- und Ausstattungsinschriften gegeben hat. Nicht präsent unter den Inschriften sind ebenso z. B. das St. Annenhospital samt Kapelle, die Bauten und der Friedhof des St. Georgshospitals samt Kapelle sowie die Niederlassung der Augustinereremiten und ihre Kirche am Markt. Diese Gebäude waren bereits weitgehend zerstört, als sich unter dem Einfluß der Universität ein verstärktes historisches Interesse an der näheren Umgebung entwickelte und man überhaupt damit begann, Inschriften abzuschreiben. Für die Bewertung des Helmstedter Bestandes bis 1650 bedeutet dies, daß er die ermittelbare, aber kaum die reale mittelalterliche und frühneuzeitliche Inschriftensituation wiedergibt.

Die für die Zeit nach 1650 vorliegende reiche kopiale Überlieferung suggeriert zunächst einen hohen Grad an Vollständigkeit. Überprüft man indes die oft nach Spezialinteressen angelegten älteren kopialen Inschriftensammlungen auf heute noch erhaltene Inschriftenträger, zeigen die Auslassungen, daß Vollständigkeit auch hier nicht angenommen werden kann. Bemerkenswert ist, [Druckseite XXIII] daß sich die Inschriftendichte im 18. Jahrhundert sowohl bei den original erhaltenen wie bei den kopial überlieferten erheblich verringert. Für den thematisch eigentlich mitzubearbeitenden Zeitraum von 1799 bis zum Ende der Universität 1810 ist nicht eine einzige Inschrift bekannt geworden.

Die überprüfbare Verlustrate – knapp die Hälfte nach der kopialen Überlieferung – ist zum überwiegenden Teil nicht die Folge von schicksalhaften Katastrophen. Im Bearbeitungsgebiet haben sich – sieht man von der Brandschatzung von Kloster und Stadt durch Philipp von Schwaben 1199 und der zweimaligen Niederbrennung der Klosterkirche St. Ludgeri 1553 und 1942 ab – keine großen Brände ereignet. Die Altstadt von Helmstedt blieb während des Zweiten Weltkrieges vor Zerstörungen weitgehend bewahrt. Die tatsächlich eingetretenen hohen Verluste bei den Inschriftenträgern gehen in großem Umfang auf bewußte Entscheidungen der jeweils Verantwortlichen zurück, sich von historischen Denkmälern zu trennen. An erster Stelle stehen hier Friedhofsauflassungen und die Entfernung von kirchlichen Ausstattungsstücken bei Kirchenrenovierungen vor allem im 19. Jahrhundert. Häuserabrisse und Straßenerweiterungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben zu Verlusten bei den Haus- und Bauinschriften geführt.

4.1 Die kopiale Überlieferung

Fast die Hälfte der Helmstedter Inschriften, nämlich 250, sind nur aus der kopialen Überlieferung, sowohl der handschriftlichen wie der gedruckt vorliegenden, bekannt. Zu unterscheiden ist in beiden Fällen zwischen Sammlungen, in denen die Inschrift als eigene Quellengattung Interesse findet, und der Überlieferung von Einzelinschriften. Deren Wiedergabe kann auch der genauen Identifizierung des eigentlich dem Abschreiber wichtigeren Inschriftenträgers dienen. So haben z. B. die in den Inventaren des Klosters St. Marienberg oder der Universität mitgeteilten Inschriften die Funktion, den Inschriftenträger, etwa einen Kelch oder ein Professorenbild, zu unterscheiden von anderen Kelchen oder Bildern. Diese unterschiedliche Zielsetzung der Abschreiber hatte, soweit überprüfbar, für deren Zuverlässigkeit bei der Wiedergabe der Inschriftentexte keine Konsequenzen. – Eine systematische Überprüfung der reichen Archivbestände zu Kirchen, Klöstern und Universität auf Inschriftenüberlieferung konnte im Rahmen dieser Edition nicht erfolgen. Nachgegangen wurde indes jedem in der Literatur greifbaren Hinweis auf handschriftliche Inschriftenüberlieferung.

Die älteste handschriftliche Inschriftensammlung überliefert unter dem Titel Etliche alte Epitaphia so in diesem Closter zu finden Grabschriften aus dem Bereich des Klosters St. Marienberg. Sie gehört zu einer Zusammenstellung von Exzerpten aus Marienberger Quellen, die dem Helmstedter Professor für Poesie und Geschichte Heinrich Meibom d. Ä. (1555–1625)52) zugewiesen wird. Meibom verfaßte eine Chronik des Klosters St. Marienberg, die 1618 fertiggestellt war. Die Epitaphia-Sammlung ist in dreifacher Ausführung erhalten und liegt in der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover, der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel53). Als älteste Fassung und Vorlage für die beiden anderen gilt das Exemplar der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover54). Der die Inschriften wiedergebende Teil dieser Handschrift bietet auch Ergänzungen von anderer Hand, die über das Jahr der Fertigstellung der Meibomschen Chronik hinaus Grabschriften bis 1633 mitteilen. Insgesamt sind im hannoverschen Exemplar die meisten, nämlich 18 Grabschriften aus den Jahren 1455 bis 1633 überliefert. Davon haben sich drei im Original erhalten (Nrr. 49, 63, 68). Der Vergleich der Originale mit den Abschriften zeigt, daß Genauigkeit nicht erwartet werden darf. Zu beobachten sind sowohl Auslassungen [Druckseite XXIV] von Formelgut wie Auslassungen von Formelgut wie requiescat in sancta pace (Nr. 68) und amen (Nr. 49) wie auch Ergänzungen, z. B. der Formel praefuit annos .. (Nrr. 63, 68). Anzumerken ist, daß Meibom keine der achtzehn Inschriften in seine Chronik eingearbeitet hat. Wohl aber findet sich in den Erläuterungen des Johann Georg Leuckfeld, der die Meibomsche Chronik 1723 im Druck herausgab, eine der erhaltenen Grabinschriften, die des Propstes Rutger Elias (Nr. 63), abgedruckt. Leuckfeld gibt sie nicht nach dem Original wieder, sondern mit den charakteristischen Varianten der Epitaphia-Sammlung55).

Einzelinschriften werden in unterschiedlichen archivalischen Zusammenhängen überliefert. So fanden sich die Inschriften eines Gemäldes mit 25 Einzeldarstellungen u. a. zu Legenden und zur Gründungsgeschichte des Klosters St. Marienberg (Nr. 40) angeheftet an eine Sammlung von Marienberger Legenden aus dem 15. Jahrhundert. Die Bedeutung dieser Inschriften hatte bereits Leibniz gesehen und sie in einer Quellensammlung zur braunschweigischen Geschichte 1710, allerdings ohne Angabe seiner Quelle, abgedruckt. Die bei Leibniz wiedergegebene Fassung unterscheidet sich in einzelnen Lesarten von der handschriftlichen Überlieferung. – Ein besonderes Ereignis, nämlich der Abtransport der aus dem Jahre 1480 stammenden sog. Großen Marienberger Glocke im Jahre 1622 in die Residenzstadt Wolfenbüttel, verursachte nicht nur einen Aufruhr in der zu Marienberg eingepfarrten Neumark, sondern auch einen umfangreichen Schriftwechsel zwischen dem Konvent des Klosters und der herzoglichen Regierung. Innerhalb dieses Aktenbestandes ist, um die Besonderheit der Glocke herauszustellen, die Glockeninschrift abgezeichnet und gedeutet worden (Nr. 25). – Nachdem die Priorin Johanna Elisabeth Voigts in St. Marienberg ihr neues Amt angetreten hatte, wurde am 19. März 1737 auf ihr Verlangen der Kirchen Ornat samt deren Altar Lacken und Kelche .. specifiziert und beschrieben. Diese Aufstellung ist die einzige Quelle für die Inschrift einer inzwischen verlorenen, wohl mittelalterlichen Palla (Nr. 34). – In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts angefertigte Bauzeichnungen des Johann Martin Schüttelöffel sind für die Topographie von Kirche und Kloster St. Marienberg eine Fundgrube56). Sie bieten eine sonst unbekannte Bauinschrift über dem Westportal der Kirche (Nr. 130). – Ergiebiger sind die Corpora bonorum. Die Anlage derartiger Inventare wurde im Fürstentum Wolfenbüttel seit den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts von der herzoglichen Regierung gefordert bzw. bis zur Mitte des Jahrhunderts seitens des Konsistoriums immer energischer angemahnt57). Zu den drei Helmstedter evangelischen Kirchen St. Marienberg, St. Stephani und St. Walpurgis fanden sich mehrere, z. T. sehr umfangreiche Corpora bonorum aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die ihren oft detailreichen Beschreibungen der Einzelobjekte Inschriftenabschriften hinzufügen. So überliefert das Corpus bonorum von St. Marienberg, entstanden nach 1763, auch die Inschriften von fünf spätmittelalterlichen, noch erhaltenen Kelchen (Nrr. 14, 22, 23, 24, 31). Ein wohl in den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts geschriebenes Corpus bonorum von St. Stephani bietet neben einer auch anderweitig überlieferten Glockeninschrift (Nr. 429) eine sonst unbekannte Inschrift eines Altarlakens (Nr. 239). Allein durch ein Corpus bonorum bekannt ist auch die Inschrift einer Glocke der Walpurgiskirche (Nr. 332). Ihre sorgfältige Abschrift, mit Worttrennern und in barocker Versalschrift gemalt, erlaubt Rückschlüsse auf das einstige Erscheinungsbild der Inschrift.

Die älteste gedruckte Sammlung von Helmstedter Inschriften gab 1710 der Professor der Politik und Eloquenz Justus Christoph Böhmer (1670–1732)58) unter dem Titel „Inscriptiones sepulchrales Helmstadienses una cum monumentis ceteris collectae“ heraus. Mit ihren 190 Grabschriften, darunter acht nur hier überlieferte für Konventualen des Klosters St. Ludgeri, ist sie für diese Gattung die wichtigste Quelle. Böhmer teilt zwar auch einige Bauinschriften aus dem Bereich der Kirchen und des Juleums mit, sein Hauptinteresse galt jedoch den Grabschriften von Universitätsangehörigen. So nennt er im Vorwort als Gegenstand seiner Sammlung an erster Stelle Inscriptiones sepulchrales virorum de illustri hac Academia Iulia optime meritorum (Grabschriften von um diese berühmte Julia hochverdienten Männern)59). Unter Hinweis auf das Vorbild aller zivilisierten Völker, namentlich der Römer, das Gedächtnis (memoria) berühmter Menschen auch durch Inschriften zu pflegen, gibt [Druckseite XXV] er einen Überblick über Inschrifteneditionen vom Späthumanismus bis in seine Zeit. Er stellt seine Grabschriftensammlung in eine Reihe mit weiteren von ihm verfaßten und zu späterer Veröffentlichung vorgesehenen biographischen Studien zu Helmstedter Professoren60). Aus dieser speziellen Interessenlage Böhmers erklärt es sich, daß die Sammlung trotz ihrer hohen Zahl von Grabschriften nicht den 1710 tatsächlich vorliegenden Grabinschriftenbestand bietet. Es fehlen die deutschsprachigen Grabinschriften des städtischen Bürgertums. Bekannt gewesen sein müßten Böhmer z. B. drei teilweise stattliche Epitaphien aus voruniversitärer Zeit mit deutschen Inschriften, die noch im 19. Jahrhundert in St. Stephani zu sehen waren61).

Nach eigener Aussage hat Böhmer zwölf Jahre lang persönlich in der Stadt Inschriften gesammelt und abgeschrieben. Er beklagt den Verlust an Lesbarkeit, der seit dem Beginn seiner Arbeit auf manchen Steinen eingetreten sei62). Seine Textwiedergabe ist, das zeigt der Vergleich mit erhaltenen Inschriften, in Wortlaut und Zeilenwechsel nicht immer zuverlässig. Zur Transkription teilt er selbst mit, daß nicht die in den Helmstedter Inschriften verwendete Majuskel wiedergegeben sei, sondern daß die Inschriftentexte, um den Papieraufwand gering zu halten, in der in Büchern sonst üblichen Minuskel gedruckt seien63).

Angeordnet hat Böhmer seine Sammlung in Form eines Ganges von St. Stephani über die ehemalige Universitätskirche und St. Walpurgis zu den beiden Klöstern außerhalb der Stadtmauern, St. Ludgeri und St. Marienberg. Schwerpunkt ist St. Stephani, nicht nur Stadt-, sondern bis 1704 auch Universitätskirche. Diesen Bereich versieht er mit unterteilenden Ortsangaben. In der Kirche erfolgt die Aufnahme von Ost nach West, vom Chor (IN CHORO, S. 1ff.) über den Kreuzaltar (PROPE ALTARE MINVS, S. 8ff.)64) durch das Kirchenschiff (IN SINV TEMPLI, S. 12ff.) zum heute noch im Westen der Kirche stehenden Taufbecken (PENES BAPTISTERIVM, S. 25ff.) und dem Eingangsbereich der Kirche (IN PORTICV TEMPLI, S. 28f.). Sodann wendet sich Böhmer den an den Außenwänden der Kirche befindlichen Inschriftenträgern, vornehmlich hängenden Epitaphien, zu. Da der Hauptzugang der Kirche zu Böhmers Zeit an der stadtzugewandten nördlichen Seite lag, beginnt er seinen Rundgang hier am westlichen Haupteingang bei der zu seiner Zeit dort hängenden gußeisernen Platte für den Studenten Alexander Kock, Nr. 84 (MONVMENTA LAPIDESQVE parietibus templi externis adfixi facto initio a tabula ferrea prope portam templi anteriorem, S. 30ff.), geht dann nach Osten am kleineren Kircheneingang vorbei (prope ianuam minorem, S. 32f.) und beendet seine Inschriftenaufnahme, soweit an noch hängenden Platten überprüfbar, an der Ostwand des südlichen Seitenschiffes. Die heute an der südlichen Längsseite der Kirche befindlichen Monumente sind teils nach 1710 entstanden, teils später hierher gehängt, teils haben sie Böhmer offenbar nicht interessiert.

Den Friedhof um die Kirche unterteilt Böhmer aus dem Blickwinkel des aus der Stadt kommenden Besuchers in einen „vorderen“ (nördlichen) und einen „hinteren“ (südlichen) Teil (IN PARTE COEMITERII anteriore, S. 46ff. bzw. posteriore, S. 112ff.). Auch hier beginnt er im Norden mit den Grabdenkmälern, die sich in der Nähe des Hauptportals befinden (illis priori loco positis quos [Druckseite XXVI] penes ianuam templi maiorem conspicamur, S. 46). Es fällt auf, daß Böhmer bei seinem Rundgang anscheinend nicht die Grabkapelle der Familie Hahn/Eichel/Böckellen (Nr. 236) betreten hat. Er überliefert keine der Grabplatten- bzw. Sarginschriften, die sich im Inneren der Kapelle befinden. Im übrigen dürften Böhmers topographische Einzelangaben zur Belegung des Friedhofes, so seine Zusammengruppierungen von Inschriften einer Familie, die tatsächliche Situation zu Beginn des 18. Jahrhunderts wiedergeben.

Mit einer eher beiläufigen Bemerkung im Vorwort macht Böhmer auf eine bisher nicht beachtete Form von kopialer Inschriftenüberlieferung aufmerksam. Im Zusammenhang mit dem Verschwinden vieler historischer Inschriften lobt er die Sitte, Texte von Grabinschriften zusammen mit Leichenpredigten und Funeralprogrammen in Druck zu geben, da sie so länger bekannt blieben65). Dieser Hinweis führte in der Tat zu einem Typ kopialer Überlieferung, der in Helmstedt Inschriften zwischen 1588 und 1762 betrifft. Bis 1710, dem Ende der Böhmerschen Inschriftenaufnahme, tritt er bei 22 Grabschriften66) neben Böhmer sowie andere Kopisten und wird bei sechs Grabschriften67) durch den erhaltenen Stein bestätigt. Anhand dieser überprüfbaren Fälle lassen sich bestimmte Merkmale zusammenstellen, nach denen sich in Trauerschriftensammlungen Texte tatsächlich ausgeführter Grabschriften von den dort gleichfalls abgedruckten literarischen Trauerbeiträgen des Freundeskreises unterscheiden. Beide Arten sind häufig mit EPITAPHIVM, ELOGIVM SEPVLCRALE oder ähnlich überschrieben. Diejenigen Texte, hinter denen sich echte Grabinschriften verbergen, sind überwiegend in Prosa verfaßt und arbeiten einen Katalog bestimmter Topoi ab, wie er für eine ausgeführte Grabinschrift der Zeit als typisch angenommen werden kann, geben also Namen, Alter, Herkunft, Todestag etc. an und überschreiten nicht eine gewisse Länge68). Statt in der textüblichen Minuskel der Trauerschriftensammlungen sind sie in Kapitalis gedruckt, stehen in der Regel als letzter Beitrag und sind anders als die Trauerbeiträge des Freundeskreises nicht mit dem Namen des Verfassers unterzeichnet69). Mit Hilfe dieser Kriterien ließen sich für die Zeit nach 1710, in der Böhmer als Quelle entfällt, in Trauerschriftensammlungen sieben weitere Grabschriften70) als mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeführte Inschriften ausmachen71). Eine dieser als verloren angesehenen Inschriften tauchte während der Arbeiten am Helmstedter Inschriftenband im Original auf einem Grabplattenfragment wieder auf (Nr. 440).

Der Textvergleich zwischen den erhaltenen Inschriften und ihrem Abdruck in der Trauerschriftensammlung erweist diese Überlieferungsform als recht genau, sieht man ab von geringfügigen Wortumstellungen und Varianten in der Schreibung. Allerdings bieten zu der erhaltenen Inschrift Nr. 306 sowohl Böhmer wie der im Anhang zur Leichenpredigt abgedruckte Grabinschrifttext eine erweiterte Version, die in dieser Länge vermutlich nicht auf den Stein gepaßt hat. Diese Beobachtung mindert etwas das Vertrauen in die Genauigkeit der in Trauerschriftensammlungen abgedruckten [Druckseite XXVII] Grabschriften und weckt Zweifel an der Allgemeingültigkeit der von Böhmer behaupteten Autopsie. Böhmer hat seiner Edition in manchen Fällen offensichtlich auch gedruckte Inschriftentexte aus Trauerschriftensammlungen zugrunde gelegt.

Ein der Inschriftensammlung Böhmers vergleichbares Werk ist in Helmstedt nicht noch einmal entstanden. In den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts verfaßte Carl Gustav August Querner, seit 1850 Kirchenbuchführer an St. Stephani, eine Beschreibung der Kirche72). Darin teilt er Inschriften auch von Priechen, Bildern, liturgischen Geräten, Turmknauftafeln und Glocken mit, ein Bereich, den Böhmer nicht erfaßt hat. Ebenso gibt er einige Inschriften des Totengedenkens aus dem städtischen Milieu wieder, die Böhmer nicht der Abschrift für wert befunden hatte. Zu den in seiner Kirchenbeschreibung aufgeführten Inschriften sind ergänzend etliche von ihm auf losen Blättern notierte Inschriftentexte mit heranzuziehen. Die beiden Friedhofsteile streift Querner nur beiläufig. Er verfügte über gute Lateinkenntnisse, ist, soweit überprüfbar, im Wortlaut zuverlässig und fügt in wenigen Fällen Skizzen von Grabdenkmälern hinzu.

Einzelinschriften zur Universitätsgeschichte und Grabschriften von Universitätsangehörigen finden sich verstreut u. a. in biographischen Lexika, in den Professorenbiographien, die Gebhard Theodor Meier (vgl. Nr. 325) 1680 herausbrachte73) sowie in den Theologenbiographien des Wilhelm Christian Justus Chrysander von 1747 und 1748. Keine Erweiterung des Personenkreises, wohl aber unabhängige Lesarten und eine alternative Version zu Nr. 240 bietet eine Zusammenstellung von Grabschriften, die ein Johann Friedrich Koch ab 1708 handschriftlich seinem Exemplar der Professorenbiographien des Gebhard Theodor Meier anfügte74). Eine weitere Quelle bilden Reisebeschreibungen. Im Jahre 1709 besuchte der Frankfurter Patrizier Zacharias Conrad von Uffenbach Helmstedt und fügte seinem Reisebericht neben einigen Bau- und Grabinschriften zwei sonst nicht überlieferte, ihm bemerkenswert erscheinende Inschriften aus dem Umfeld des Professors Hermann von der Hardt bei75). Ein anderer bildungsbeflissener Besucher Helmstedts, Johann Carl Conrad Oelrich, richtete 1750 seine Neugier auf den botanischen Garten und auf die Schätze der Universitätsbibliothek, zu der auch die damalige Bildersammlung gehörte. Zu beidem liefert er in seinem Reisetagebuch unter anderem Abschriften von zwei sonst nicht bekannten Inschriften76).

Über die Mobilia in der Bibliotheca Academiae Juliae Carolinae, d. h. über den Bestand an Gemälden, Curiosa, Pretiosa, Münzen und Gerätschaften in der Bibliothek nach 1745, unterrichtet ein Inventar77). Es reichert seine Beschreibungen der vorhandenen Gegenstände teilweise mit Inschriften an und ist für die Inschrift eines astronomischen Gerätes die einzige Quelle (Nr. 105).

Vorwiegend aus genealogischem Interesse legte Julius Karl Adolf Friedrich von Oeynhausen (1843–1886), seit 1878 Vorsitzender des heraldischen Vereins „Herold“, eine überregional konzipierte [Druckseite XXVIII] Sammlung von in deutschen Kirchen vorhandenen Grabinschriften an78). Helmstedt ist darin mit fünf Grabschriften aus St. Stephani, alle für Adelige, vertreten79). Bei vieren davon wird Oeynhausen durch Parallelüberlieferung großenteils bestätigt. Daher wurde die fünfte Abschrift, für die Oeynhausen einzige Quelle ist, als tatsächlich ausgeführte Inschrift in den Band aufgenommen (Nr. 88). Oeynhausen verkürzt die Texte und ist bei der Abschrift von Daten und Namen ungenau.

Die zum Helmstedter Ludgerikloster bekannt gewordene kopiale Überlieferung älterer Inschriften ist erstaunlich gering. Wenige Einzelinschriften finden sich bei den älteren Historiographen des Gesamtklosters Werden-Helmstedt, so bei Heinrich Duden (Nr. 89) und Gregor Overham (Nr. 304). Eine eigene kopiale Überlieferung vor allem der jüngeren Inschriften verdankt das Helmstedter Kloster Peter Wilhelm Behrends, einem evangelischen Pfarrer in Nordgermersleben, Ohrekreis. Er verfaßte zahlreiche Abhandlungen zur Klostergeschichte und publizierte 1836 bis 1839 eine Urkundensammlung unter dem Titel „Diplomatarium monasterii Sancti Liudgeri prope Helmstede“80). Unter dem Vermerk „Aus Diplomatarium Monasterii Sancti Ludgeri “ liegen Aufzeichnungen von seiner Hand im Pfarrarchiv von St. Ludgeri, Helmstedt. Nach einem Eintrag auf dem Manuskript hat Behrends sie 1846 der Gemeinde St. Ludgeri geschenkt. Sie enthalten unter Wiedergabe zahlreicher Inschriften eine Beschreibung der Kirche und ihrer barocken, 1942 verbrannten Einrichtung, der Doppelkapelle sowie der Konvents- und Wirtschaftgebäude, teilweise versehen mit Skizzen. Zu den Wirtschaftsgebäuden hat Behrends erheblich mehr Inschriften notiert als die übrige kopiale Überlieferung mitteilt bzw. als sich erhalten haben. Das Manuskript ist ungeordnet angelegt und nicht durchgängig paginiert. Behrends normalisiert in seinen Inschriftenabschriften die Schreibung und verwendet Abkürzungen, die nicht den originalen entsprechen.

Im Jahre 1821 veröffentlichte der Helmstedter Superintendent Friedrich August Ludewig eine „Geschichte und Beschreibung der Stadt Helmstedt“, in der er einige Inschriften mitteilt, vor allem aber durch seine Erwähnung von Inschriftenträgern wertvolle Hinweise zur Dauer ihres Erhalts gibt. Das gesamte Stadtgebiet umfaßt auch der dem Landkreis Helmstedt gewidmete erste Band der Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Braunschweig, den Paul Jonas Meier 1896 verfaßte. Meier ist für mehrere Inschriften die einzige Quelle, vor allem für die inzwischen verlorengegangenen Inschriftenfragmente vom romanischen Gipsfußboden in St. Ludgeri (Nr. 2). In den überprüfbaren Teilen der dazu von ihm angefertigten Skizze und zweier ihm wohl zuzurechnender Pausen geht er recht genau vor. Die Wiedergabe der übrigen von ihm notierten Inschriften erfolgt in der Regel wortgetreu, aber mit Besonderheiten in der Schreibung. Erstmals finden in Meiers Inventar auch Hausinschriften der Stadt Aufnahme, wenn auch nur in Auswahl. Sie bleiben bevorzugter Gegenstand mehrerer bis zum Ende des 20. Jahrhunderts publizierter Inschriftensammlungen, unter denen eine 1986 an der Technischen Universität Braunschweig angefertigte und als Typoskript vervielfältigte Seminararbeit von Alexander Hägele sich auszeichnet durch besondere Zuverlässigkeit bei der Wiedergabe der Texte. Hägele hat bereits die in der Reihe „Die Deutschen Inschriften“ üblichen Editionsrichtlinien angewendet.

4. 2. Grabinschriften

Aus dem Sammelschwerpunkt der Hauptquelle des Helmstedter Bestandes, den „Inscriptiones sepulchrales“ des Justus Christoph Böhmer, erklärt sich der ungewöhnlich hohe Anteil von Inschriften des Totengedenkens, nämlich 262/6581) der insgesamt 528/175 Inschriften. Davon sind 78/14 im Original, also auf den Grabdenkmälern, erhalten. Nach ihrer Funktion und äußeren Form lassen sich die Grabdenkmäler – sieht man ab von wenigen Sonderformen – in zwei Gruppen unterteilen, in Grabplatten und Epitaphien. Dabei überwiegen die Grabplatten, also nach der in den Bänden der DI üblichen Terminologie die unmittelbar über dem Beisetzungsort waagerecht liegenden Abdeckungen. Epitaphien, d. h. nicht an den Begräbnisort gebundene, eher der Repräsentation [Druckseite XXIX] dienende und daher meist aufwendiger gestaltete Monumente, erscheinen in Helmstedt in zweifacher Funktion. Sie treten sowohl als zusätzliches Gedächtnismal zu einem weiteren Grabmonument hinzu (Nrr. 69, 91, 92), dienen aber auch als einziges Grabdenkmal, so die an den Außenwänden der St. Stephanikirche aufgehängten steinernen Platten. Ein einziges Exemplar einer von beiden Seiten ornamentierten und beschrifteten Grabstele, erhalten aus dem Bereich des Stephanifriedhofes, läßt erkennen, daß man das von Zeitgenossen beklagte Problem der Friedhofsenge auch mit diesem platzsparenden Totengedächtnismal zu lösen versuchte (Nr. 251). Sonderformen bilden ein Grabmonument in der Gruft des Joachim Mynsinger von Frundeck von 1588 (Nr. 90) sowie im 18. Jahrhundert die Särge in der Grabkapelle der Familie Hahn/Eichel/Böckellen (Nr. 236) und die als Sarkophagoberteile gestalteten Grabdenkmäler der Familie Cuno bei St. Walpurgis (Nrr. 500, 515).

Ältestes in Helmstedt erhaltenes Grabdenkmal ist das Epitaph der Sophia von Warberg im Kloster St. Marienberg aus dem Jahre 1358 (Nr. 10). Der hochrechteckige Stein, etwas kleiner als eine Grabplatte, trägt auf dem Rand eine von innen zu lesende Umschrift und im Innenfeld die vor Maria kniende Figur der Verstorbenen zwischen Wappen. Dieser Bildnistyp findet in Abwandlung eine Wiederholung im Epitaph der Domina Sophia von Wenden von 1572 (Nr. 69), einem ebenfalls hochrechteckigen Stein in den Ausmaßen einer Grabplatte. Hier sind die Inschriften auf dem Rand der Längsseiten angebracht und von außen lesbar. Auf der zeitgleichen Grabplatte der Domina Sophia von Wenden (Nr. 68), auf der die Verstorbene frontal in grober Ritzzeichnung dargestellt ist, verläuft die Inschrift als von innen zu lesende Umschrift am Rand und im oberen Teil der Platte. Epitaph und Grabplatte unterscheiden sich also hinsichtlich der Inschriftenanbringung in diesem günstigen Fall einer Überlieferung beider Grabdenkmaltypen zur selben Person allein dadurch, daß beim Epitaph auf die Beschriftung der beiden Schmalseiten verzichtet wurde und die Inschrift von außen zu lesen ist 82). Das zweitälteste in Helmstedt erhaltene Grabdenkmal, eine Grabplatte aus dem Jahre 1369, hängt in der Stadtkirche St. Stephani. Die Platte zeigt einen Geistlichen in Ritzzeichnung und eine umlaufende, von innen zu lesende Inschrift (Nr. 12). Diesem Plattentyp mit umlaufender Inschrift und einer Darstellung des Verstorbenen im Innenfeld folgen die vier zeitlich anschließenden Figurengrabplatten, von denen die jüngste aus dem Jahre 1624 stammt (Nrr. 63, 93, 123, 144). Die damit verbundene Begrenzung der Inschriftlänge ist auf der im Sauerland angefertigten Grabplatte für den Studenten Alexander Kock bereits 1585 überwunden (Nr. 84). Neben der traditionellen Umschrift auf dem Rand trägt sie im Innenfeld außer einem Bild- und Ornamentstreifen mit kurzen Beischriften eine weitere, achtzehnzeilige Inschrift. Wann dieser Schritt, Belegung des Innenfeldes überwiegend oder ausschließlich mit Schrift, in Helmstedt selbst vollzogen wurde, läßt sich aus dem nur mit großen Lücken erhaltenen Bestand nicht ablesen. Die nächstältesten erhaltenen und wohl in Helmstedt gearbeiteten Grabplatten stammen erst aus den Jahren 1662 und 1663 und bieten neben Wappen nur Schrift (Nrr. 204, 209, 210). Nach der Länge der nur kopial überlieferten Grabschrift für den Rechtsprofessor Valentin Forster aus dem Jahre 1608 (Nr. 120) – sie erstreckt sich in der in diesem Punkt einigermaßen zuverlässigen Quelle über fünfunddreißig Zeilen – muß bereits sein Grabdenkmal auf dem Stephanifriedhof als reine Schriftplatte gearbeitet worden sein. Die Grabplatte mit großem Schriftfeld, umgeben von unterschiedlich ornamentierten Ecken bzw. Randzonen, oder auch als reine Schriftplatte gearbeitet, bleibt bis zum Ende des Untersuchungszeitraums der vorherrschende Typ eines Grabdenkmals. Ihre Bevorzugung deutet auf das besondere Interesse der Auftraggeber, in Helmstedt überwiegend der akademischen Bürger, an textreicher Selbstdarstellung hin. Eine Grabplatte mit kleinem Schriftfeld unter einem Kreuz hat im 18. Jahrhundert das Kloster St. Ludgeri für einen Konventsangehörigen verwendet (Nr. 480).

Möglichkeiten, in längeren Inschriften das Selbstdarstellungsbedürfnis mit Hilfe des Wortes zu befriedigen, bot auch das Epitaph der nachreformatorischen Zeit. Orientieren sich die beiden oben genannten älteren Epitaphien des Klosters St. Marienberg in ihren Außenmaßen noch an denen der zeitgleichen Grabplatte mit Konsequenzen für Ort und Länge der Inschrift, so scheinen die nachreformatorischen Epitaphien des ausgehenden 16. Jahrhunderts in St. Stephani – neben dem relativ bescheidenen Figurenepitaph des Juristen Joachim Mynsinger von Frundeck das viergeschossige des Theologieprofessors Heshusius und das fünfgeschossige des Siegmund Julius Mynsinger von Frundeck (Nrr. 91, 92, 102) – ihre Begrenzung erst durch die Architektur des Kirchenraumes zu erfahren. Die für Inschriften vorgesehenen Plätze, meist eine Tafel unten zwischen Konsolen, in den Epitaphien des 17. und 18. Jahrhunderts auch eine rechteckige Tafel in den Ausmaßen einer Grabplatte im Mittelgeschoß unter einem Bildnis des Verstorbenen, konnten mindestens ebensoviel Text wie eine Grabplatte aufnehmen. So stellen auf einem zweigeschossigen Studentenepitaph von 1656 in St. Stephani die Eltern in einer sich über neununddreißig Schriftzeilen ergehenden Inschrift den Verstorbenen samt Eltern, Großeltern und Urgroßeltern vor (Nr. 190). Ein nicht mehr erhaltenes Studentenepitaph von 1662 trug drei Inschriften, von denen die längste nach der Wiedergabe der Quelle achtzig Zeilen gehabt hat (Nr. 206). Möglicherweise war hier die Inschrift zweispaltig angeordnet83). Zwei im 18. Jahrhundert in der Klosterkirche St. Marienberg aufgehängte, mehrgeschossige Epitaphien (Nrr. 437, 456) entsprechen mit ihren mehr oder weniger umfangreichen Schrifttafeln unter dem Bildnis der Verstorbenen dem in St. Stephani vertretenen zeitgleichen Typ. In seiner Art ohne weiteres Beispiel ist das Epitaph für den Theologen Georg Calixt aus dem Ende des 17. Jahrhunderts in St. Stephani, nicht nur nach seiner äußeren Form – einem zentral unter das Bildnis des Verstorbenen gestellten Engel, der sich auf eine ovale Inschrifttafel stützt –, sondern auch in der Reduzierung der Wortfülle auf die traditionellen Topoi der Grabschrift (Nr. 365). Ebenso singulär steht das klassizistische Grabmonument für den Hofrat und Ersten Bürgermeister Eberhard Johannes Ludwig Cellarius von 1776 da (Nr. 501).

Die bisher genannten Epitaphien hängen in den Kircheninnenräumen. Sie sind aus farbig gefaßtem Holz oder Stein bzw. aus verschiedenfarbigem Marmor oder Alabaster gearbeitet und bieten Gelegenheit zur Prachtentfaltung. Hiervon zu unterscheiden sind die an den Außenwänden der St. Stephanikirche zwischen 1636 und 1799 aufgehängten Epitaphien von auf dem Kirchhof beigesetzten Personen. Diese Epitaphien sind ihrer Funktion nach Ersatz für die über dem eigentlichen Grab keinen Platz findende Grabplatte. Von ihr haben sie die hochrechteckige Form, die Ausmaße, das große Schriftfeld und das Material – meist Stein – übernommen84), weisen aber zusätzlich Giebelaufsätze, teilweise Sockelsteine sowie Voluten oder andere Ornamente an den Längsseiten auf. Fehlen diese Zusätze, kann die Frage, ob es sich bei einem hochrechteckigen, hängenden Stein um ein Epitaph oder eine zu einem späteren Zeitpunkt an die Kirchenwand verbrachte Grabplatte handelt, nicht eindeutig entschieden werden, wenn keine schriftlichen Hinweise auf eine Umsetzung vorliegen. Drei in diesem Sinne zweifelhafte Steine (Nrr. 252, 272, 334) sind ihrer Form nach im Katalog als Grabplatten bezeichnet worden, auch wenn der Umstand, daß sie schon 1710, also in engerem zeitlichen Abstand zu ihrer Anfertigung, an der Kirchenaußenwand bezeugt sind, dafür spricht, daß es sich bei ihnen auch um Epitaphien handeln könnte85). Keiner Gruppierung sicher zuweisen läßt sich eine kleine rechteckige Marmorplatte, die in der Nähe der Gruft des Professors für orientalische Sprachen Hermann von der Hardt in der nördlichen Turmkapelle von St. Marienberg aufgefunden worden ist (Nr. 479).

Der folgende Überblick über die sprachliche Form der Helmstedter Grabschriften verbindet sich mit der Frage, ob sich ein Zusammenhang beobachten läßt zwischen der äußeren Form des Inschriftenträgers und einem bestimmten Typ von Grabschrift. Die älteste überlieferte Grabschrift aus dem Jahre 1341 (Nr. 8) folgt im Grundmuster dem „Anno domini“-Formular, das in lateinischer [Druckseite XXXI] Prosa nicht mehr als Sterbejahr und -tag (hier nach dem römischen Kalender, später nach Heiligenfesten), Titel, Name, Stand und Grabbezeugung mitteilt. Hinzu tritt 1358 erstmalig die Fürbittformel cuius anima requiescat in pace (Nr. 10), die danach so oder ähnlich fester Bestandteil des Formulars wird. Auf allen bis in die 70er Jahre des 16. Jahrhunderts erhaltenen Grabplatten findet dieser Text als Umschrift mit Varianten – Hinzufügungen von Epitheta, Verzicht auf die Grabbezeugung – auf dem Rand der Platte, bisweilen mit dem schon genannten Erweiterungsraum oben quer, seinen Platz. Jüngstes Beispiel hierfür ist die Grabplatte der letzten sich noch katholisch fühlenden Domina des 1569 reformierten Klosters St. Marienberg, Sophia von Wenden, aus dem Jahre 1572 (Nr. 68). Alle bis zum Ende dieses Zeitraums kopial überlieferten Grabschriften folgen dem „Anno domini“-Typ und lassen entsprechende Rückschlüsse auf die äußere Form ihrer Träger, der Grabdenkmäler, zu. Es dürfte sich hier auch um hochrechteckige Grabplatten mit Umschrift oder dem ähnliche Epitaphien gehandelt haben.

Die erstaunliche sprachliche Einheitlichkeit der Helmstedter Grabschriften bis zum dritten Viertel des 16. Jahrhunderts erklärt sich aus der ständischen Homogenität der Auftraggeber. Die bis 1572 erhaltenen bzw. bekannten Grabschriften sind ohne Ausnahme Klerikern aus St. Marienberg und St. Stephani sowie Personen, die mit dem Kloster St. Marienberg verbunden sind, gewidmet. Ab dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts lassen sich mehrere gesellschaftliche Gruppierungen als Auftraggeber unterscheiden, neben dem Kloster St. Marienberg der große Kreis der Universitätsangehörigen und das städtische Bürgertum sowie seit dem Ende des 17. Jahrhunderts das katholisch gebliebene Kloster St. Ludgeri.

Das Kloster St. Marienberg behielt in seiner protestantischen Zeit das „Anno domini“-Formular bei, allerdings bei der Jahresangabe reduziert auf Anno und mit der wesentlichen Neuerung, daß in den Grabschriften der Konventsdamen, nicht aber in denen der Pröpste und deren Angehörigen, die deutsche Sprache an die Stelle des Lateins trat. Die älteste deutsche Marienberger Version des Formulars erscheint in einer nur kopial überlieferten Grabschrift von 1597 (Nr. 104). Sie bietet ein Schema, das sich in den nachfolgenden sechs bekannten Konventualinnengrabschriften bis 1633 mit geringfügigen Varianten, so z. B. in der Reihenfolge, wiederholt: Sterbejahr, Tagesangabe (nach Monatstagen, Nr. 143 nach dem Heiligenkalender), Epitheta (ehrwürdig für venerabilis; andechtig für pia?; edle für nobilis, nur bei Adeligen), Stand (tugendsame Jungfraw), Name, Klosteramt, Sterbevermerk (in Gott selig entschlaffen für obiit), Alter, Amtsdauer, Dauer der Klosterzeit. Ein dieses Formular präsentierendes Grabdenkmal hat sich nicht im Original erhalten. Als möglicher Träger kommt auch hierfür nach der Länge des Textes die Grabplatte mit Umschrift in Betracht. Die einzige erhaltene Grabschrift einer Marienberger Klosterdame, eine umfangreichere Inschrift auf dem Epitaph der Domina Cuno von 1724 (Nr. 456), übernimmt aus diesem Wortmaterial ehrwürdige sowie Jungfer und bietet neben Angaben zu Lebensdaten und Amtszeit eine Reflexion zu andechtig samt dazu passendem Spruch. Es sind also noch in dieser späten Zeit innerhalb der Mauern von St. Marienberg traditionelle Gewohnheiten bei der sprachlichen Gestaltung der Totengedenkinschriften beachtet worden.

Ein ähnliches Beharren auf eigener Tradition ist auch bei den neun aus dem Kloster St. Ludgeri überlieferten Konventualengrabschriften aus den Jahren 1686 bis 1746 zu erkennen. Drei von ihnen (Nrr. 302, 304, 396) folgen mit Varianten dem „Anno domini“-Formular mit der Folge: Sterbejahr und -tag (nach Monatstagen), Titel und Epitheta, Name, Alter, Amt, Amtsdauer, Professangabe sowie der Fürbittformel requiescat in pace. Die übrigen sechs bieten ein sonst so in Helmstedt nicht mehr anzutreffendes Formular einer Grabbezeugungsinschrift. Es enthält Titulatur samt feststehenden Epitheta, Name, Herkunftshinweis, Amt, Professangabe sowie Beisetzungsvermerk nach Ort und Datum, also z. B. A(dmodum) r(euerendus) p(ater) LAVRENTIVS NOORMAN Cliuensis sacerdos Werdenae professus hic sepultus 15 (Decem)bris 1691 (Nr. 316; entsprechend Nr. 319). Hinzu können obiit-Vermerk mit und ohne Sterbedatum, Lebensalterangabe und am Schluß die Fürbittformel treten (Nrr. 328, 379, 394, 480). Bauarbeiten der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts haben als Träger zu diesem Formular die Grabplatte Nr. 480 ans Licht gebracht. Sie bietet im oberen Teil ein Kreuz zwischen Blumenranken und darunter in eingetieftem Feld die Inschrift, verteilt auf fünf Zeilen. Vergleichbar schlicht gestaltete Grabplatten, ebenfalls mit formelhaften Kurzinschriften, finden sich auch unter den Grabdenkmälern für die Konventualen der Benediktinerabtei Corvey. Der Nachwuchs für das exterritoriale Helmstedter Benediktinerkloster stammte seit der Reformation überwiegend nicht aus der protestantisch gewordenen Region, sondern aus Westfalen. [Druckseite XXXII] Bei der Gestaltung der Sepulkraldenkmäler einschließlich der Inschriften von St. Ludgeri muß man daher zusätzlich zu den beim Kloster St. Marienberg zu beobachtenden lokalen, innerklösterlichen Beharrungskräften überregionale, ordensbedingte Einflüsse annehmen, die die Pflege eigener Tradition begünstigten. Anders als die Konventualengrabdenkmäler präsentiert die Grabplatte des vorletzten Abtes von 1798 (Nr. 518) einen Typ, der so auch in St. Stephani vertreten ist. Eine schlichte Schriftplatte trägt eine zehnzeilige Inschrift, die mit der Fürbittformel requiescat in pace zwar ein in Helmstedt im 18. Jahrhundert nur noch auf katholischen Grabdenkmälern belegtes Element enthält, im übrigen aber wie die zeitgenössische prostestantische bzw. säkulare Grabinschrift außer Personenstandsdaten auch ein als schwerwiegend empfundenes Ereignis der eigenen Biographie, hier die Flucht vor den Franzosen, an zentraler Stelle der Inschrift mitteilt.

Für beide Klöster gilt, daß ihre Bindung an überlieferte Konventionen Einförmigkeit förderte, während sich gleichzeitig in der Stadt selbst mit dem Zuzug der Universität eine sprachliche Sepulkralkultur von großer Vielfalt entwickelte. Die unter dem Einfluß der Universität entstandenen Sprachschöpfungen sollen hier nach formalen Kriterien wie Sprachwahl, Verwendung von Versen, Hinzufügungen wie z. B. Bibelzitaten, Fomulargewohnheiten, inhaltlichen Gesichtspunkten wie der biographischen Ausgestaltung der vorgegebenen Topoi, Stilistik sowie Verfasserschaft vorgestellt werden. Am Ende wird kurz auf die Frage einzugehen sein, ob und wie die unterschiedliche kulturelle Prägung der beiden Gruppen von Auftraggebern, der universitätsnahen Gesellschaft und des ansässigen städtischen Bürgertums, Auswirkungen hat auf die sprachliche Ausgestaltung der jeweiligen Grabschriften. Als universitätsbezogen wird hier eine Grabschrift definiert, wenn sie von einem Verstorbenen stammt, der der akademischen Gerichtsbarkeit unterliegt – also Professoren und deren Familienmitglieder, Studenten sowie Universitätsbedienstete –, oder wenn die Beisetzung des Verstorbenen ohne die Universität nicht in Helmstedt erfolgt wäre86). Zum städtischen Bürgertum hinzugezählt werden auch die in der Stadt seit der Reformation tätigen evangelischen Pfarrer. Insgesamt verteilen sich die Inschriften des Totengedenkens danach wie folgt: Von den bekannten 262/65 Grabschriften entfallen 177/35 auf die Universität, 49/7 stammen aus dem Bürgertum, die übrigen 36/23 gehen auf die genannten beiden Klöster zurück. Diese die Dominanz der Universität demonstrierenden Zahlen basieren allerdings auf einer an universitätsgeschichtlichen Inschriften besonders interessierten und daher mit Vorbehalt zu behandelnden kopialen Überlieferung. Die Verhältnisse in der Universitätsstadt Jena stellen sich jedoch ähnlich dar87).

Mit der universitätsbezogenen Grabschrift verbindet sich eine Wiederbelebung des Lateins als Sprache der Grabschrift. Als die Gandersheimer Lehranstalt 1574 nach Helmstedt verlegt wurde, hatte sich die deutschsprachige Inschrift in der Stadt bereits etabliert. Überliefert sind eine niederdeutsche und zwei hochdeutsche Epitaphinschriften von 1577 bzw. 1570 und 1581 (Nrr. 75, 64, 81), von denen mindestens die niederdeutsche Inschrift auf eine ratsfähige Familie zu verweisen scheint. Niederdeutsche Bildungen weist auch eine vierte deutsche Inschrift von 1577 auf, die kurze Grabschrift einer städtischen Bürgerin (Nr. 76). Die beiden Inschriften von 1577 bieten übrigens die spätesten Belege für den Gebrauch des Niederdeutschen, der im gesamten Helmstedter Bestand ohnehin nur auf wenige Fälle beschränkt ist87). Ab dem Ende des 16. Jahrhunderts bestimmt die große Zahl von universitätsbezogenen Grabschriften das Zahlenverhältnis zwischen volkssprachlichen und lateinischen Grabinschriften. So tragen von den 65 vor 1650 entstandenen Grabdenkmälern 82% (53) mindestens eine lateinische Inschrift. Der Anteil der lateinischen Grabschriften erhöht sich bis 1800 auf 86% (226). Der Höhepunkt dieser Entwicklung liegt zwischen 1650 und 1700. Für die 131 aus diesem Zeitraum überlieferten Grabschriften wählte man in 92% der Fälle (120) die lateinische Sprache mit hebräischen, griechischen oder deutschen Teilen. Umgekehrt bedeutet dies: Nur 8% (10) der aus diesen fünfzig Jahren bekannten Grabschriften sind in der Volkssprache abgefaßt88). Daß diese Zahlen die Realität nicht korrekt widerspiegeln, zeigt sich, [Druckseite XXXIII] wenn man die Überlieferung der deutschsprachigen Inschriften dieses Zeitraums in Beziehung setzt zum Stand der jeweiligen Auftraggeber: Vier der genannten zehn deutschsprachigen Grabinschriften sind veranlaßt von Angehörigen des städtischen Bürgertums. Böhmer, die Hauptquelle der Helmstedter Grabschriften bis 1710, hat sie mit Schweigen übergangen89). Er verzichtet dagegen nicht auf die Wiedergabe deutschsprachiger Grabinschriften, wenn es sich um Universitätsangehörige handelt90). Die beobachteten Zahlenverhältnisse dürften indes trotz einseitiger Überlieferungslage als Zeichen dafür gewertet werden, daß die lateinische Sprache in Helmstedt unter dem Einfluß der Universität am Ende des 17. Jahrhunderts eine späte Hochblüte entfaltete. Ansatzweise – mit steigendem Lateinanteil ab 1600 – ist eine derartige Entwicklung auch in zwei Inschriftenbeständen mit vergleichbaren ständischen Voraussetzungen zu erkennen, dem der Universitätsstadt Jena (DI 33) und dem der stark durch Klerus und kaiserliche Familie geprägten Wiener Neustadt (DI 48)91). Bezieht man im Helmstedter Bestand die übrigen Inschriftenträger mit ein, liegt der Lateinanteil verständlicherweise auch jetzt am höchsten im Zeitraum zwischen 1650 und 1700. Insgesamt betrachtet, kennzeichnet den Helmstedter Bestand eine hohe Latinität durch die Jahrhunderte hindurch: Bis 1650 sind 68% (119 von 175) der Inschriften ganz oder mit Zusätzen in lateinischer Sprache verfaßt92), bis 1700 beträgt der entsprechende Anteil 74% (273 von 371) und am Gesamtbestand bis 1800 immer noch 68% (361 von 528).

Auftraggeber aus dem Kreis der Universitätsangehörigen zeigen sich bei der Entscheidung für die deutsche Sprache überwiegend ständisch orientiert. So bedienen sich von den Universitätsbediensteten die Buchdrucker der deutschen Sprache (Nrr. 250, 273). Die wenigen Angehörigen des Adels, die Familien Mynsinger von Frundeck (Nrr. 91, 102) und die geadelten Mitglieder der Professorenfamilie Hahn/Eichel/Boeckellen samt angeheiratetem Adel (Nrr. 236 B, 361, 375, 380, 381, 451) suchen sich außer in der Form ihrer Grabdenkmäler – repräsentative Epitaphien bzw. eine singuläre Grabkapelle – offenbar auch in der Favorisierung der deutschen Sprache abzuheben von der Masse der übrigen akademischen Auftraggeber. Deutschsprachigkeit findet sich auch bei ursprünglich ortsfremden Adeligen, die mit Bezug zur Universität in Helmstedt verstorben sind (Nrr. 204, 252). Auf Angleichung an die Gebräuche des akademischen Milieus scheint dagegen die städtische Oberschicht bedacht gewesen zu sein. So verwenden siebzehn der insgesamt neunzehn bekannten, zwischen 1648 (Nr. 165) und 1776 (Nr. 501) entstandenen Grabschriften von Helmstedter Bürgermeistern, Kämmerern und Syndici93) die lateinische Sprache, eine (Nr. 310) ist zweisprachig, nur eine (Nr. 327) bedient sich allein des Deutschen. Erwartungsgemäß sind auch die Grabschriften der protestantischen Pfarrer in lateinischer Sprache verfaßt. Die erste deutschsprachige Inschrift für einen Pfarrer stammt aus dem Jahre 1767 (Nr. 497).

Der wesentliche Teil des Totengedenkens, die Vorstellung des Toten und seiner Lebensumstände, erfolgt in den Helmstedter Grabschriften ausnahmslos in Prosa. Neben die Prosainschrift treten zwischen 1585 (Nr. 84) und 1799 (Nr. 519) zusätzlich Grabgedichte. Gemessen an der Gesamtzahl von 262 Grabschriften sind es wenige, nämlich vierzehn. Sie erscheinen auf Grabdenkmälern von Universitätsangehörigen sowie zwei Pastoren und einem ehemaligen Helmstedter Studenten, der später Bürgermeister wurde. In elf der vierzehn Gedichte bedienen sich die Verfasser – unter ihnen der Professor für Poesie Heinrich Meibom d. J. (Nr. 301) – der lateinischen Sprache. Zur Anwendung kommen neben elegischen Distichen auch seltener in Inschriften gebräuchliche Versmaße94). Nur insofern, nicht aber in Anzahl und besonderer Ausgestaltung der poetischen Grabschrift wird der Umstand, daß Pflege und Praxis neulateinischen Dichtens professionell an der [Druckseite XXXIV] im Ort befindlichen Universität angesiedelt waren, greifbar. Ganz aus dem Rahmen fallen die bereits 1676 auf deutsch in Alexandrinern und mit den Stilmitteln deutscher Gelegenheitsdichtung verfaßten Grabinschriften für die Ehefrauen eines Universitätsapothekers (Nr. 252). Da im Lehrbetrieb der Universität deutsche Dichtung nicht vor dem Wirken des Professors für Poesie Friedrich August Hackmann zu Beginn des 18. Jahrhunderts (vgl. Nr. 426) eine Rolle spielte und da alle auf der Grabplatte Nr. 252 genannten Personen in Helmstedt zugezogen waren, dürften diese Inschriften eher unter ortsfremdem Einfluß, kaum unter dem des Universitätspoeta abgefaßt worden sein.

Die lateinische Prosagrabschrift kann auch durch andersartige Zusätze ergänzt werden. Beliebt ist ein Bibelvers. Verhältnismäßig lange bleibt dabei die Vulgata in Benutzung. So wird die Grabschrift des protestantischen Pfarrers Ernst Heinrich Hartung (Nr. 157) noch im Jahre 1636 außer durch ein elegisches Distichon durch einen Bibelvers in der Fassung der Vulgata ergänzt. Ein Bibelvers in der Lutherübersetzung erscheint zuerst 1601 neben einer im übrigen lateinischen Grabschrift (Nr. 113). Diese Kombination, wiewohl naheliegend, findet sich selten, so noch einmal im Jahre 1653 (Nr. 181). Bibelzitate, immer nach Luther, sind danach nur mit deutschen Grabinschriften verbunden, so z. B. auf den Särgen der Professorenfamilie Eichel von Rautenkron (Nr. 236). Die für Angehörige eines streng protestantischen Milieus offenbar schwierige Entscheidung, eine lateinische Hauptinschrift zu ergänzen mit einem lateinischen Bibelzitat, das dann in vorreformatorischer Tradition der Vulgata folgte, oder aber mit einem Vers aus der Lutherübersetzung den Sprachwechsel in Kauf zu nehmen, konnte vermieden werden, wenn man statt des Bibelzitats eine außerbiblische fromme Devise bzw. ein entsprechendes symbolon, dies dann in lateinischer Sprache, auswählte (Nrr. 227, 286). Eine besondere Zutat bieten zwei Epitaphien des 18. Jahrhunderts. Sie tragen Embleme jeweils in der Sprache der Hauptinschrift, deutsche in Nr. 437, lateinische in Nr. 469. Beide Verstorbenen, die Ehefrau des Klosteramtmanns von St. Marienberg und ein Bürgermeister, gehören zwar nicht zum Kreis der Universitätsangehörigen. Es dürfte hier aber Anregungen bzw. Hilfe aus dieser Richtung, etwa seitens des für sein Interesse an emblematischen Darstellungsformen bekannten Professors und Propstes von St. Marienberg, Hermann von der Hardt, gegeben haben. Zumindest im Fall der Ehefrau des Klosteramtmanns von St. Marienberg legt die enge berufliche Verbindung des trauernden Ehemanns zu dem Propst von St. Marienberg eine solche Vermutung nahe. Sinn für die Zurschaustellung von humanistischer Bildung zeigten die Eltern eines Theologiestudenten, die auf dem Grabdenkmal ihres Sohnes ein leicht abgewandeltes Menanderzitat in griechischer Sprache anbringen ließen (Nr. 322).

Zu betrachten bleibt die Entwicklung der äußeren Form der Hauptinschrift, also der die Lebensdaten enthaltenden Prosagrabschrift, seit dem Zuzug der akademischen Lehranstalt im Jahre 1574. Zum letzten Mal wird im Jahre 1601 eine lateinische, dem Universitätsumfeld zuzurechnende Grabschrift nach dem traditionellen Aufbau des „Anno domini“-Formulars verfaßt (Nr. 112). An dessen Stelle treten nun zum einen Texte, die ihren Ausgang von der Bezeugung des Beisetzungsortes nehmen, also wie frühchristliche Grabschriften mit der Formel hic situs est (iacet, quiescit, vitam exspectat), variiert zu hic lapis tegit, sub hoc tumulo conqiescit, tumulus (folgt Name im Genetiv), beginnen. Sie erfreuen sich zwischen 1627 (Nr. 148 mit zusätzlicher Weiheformel) und 1785 (Nr. 511) gleichbleibender Beliebtheit. Zum anderen kommt eine Fülle seit der Renaissance gebräuchlicher, aus der römischen Grabinschrift übernommener Eröffnungswendungen95) Gebrauch, allen voran die christliche Adaption der religiösen Weiheformel. Sie wendet sich am häufigsten, nämlich vierundfünfzigmal96) zwischen 1613 (Nr. 124) und 1781 (Nr. 509) mit d(eo) o(ptimo) m(aximo) s(acrum) und Varianten an Gottvater, achtzehnmal mit Christo Iesu servatori bzw. redemptori sacrum und Varianten an den Gottessohn und einmal mit deo trinuni sacrum an den dreieinigen Gott. Das antike memoriae sacrum tritt alleine und in Verbindungen wie z. B. deo et memoriae sacrum und Varianten auf. Auch hier wird die christliche Umdeutung durch den Kontext der Inschrift klar, wie auch die zunächst säkular deutbare Formel posteritati sacrum in Nr. 298 eine von christlicher Heilsgewißheit erfüllte Grabschrift [Druckseite XXXV] eröffnet. Nach dem Vorbild römischer Grabinschriften steht auch häufig der Name des Verstorbenen selbst am Beginn der Inschrift, so in Prosa zuerst in der selbstbewußten Epitaphinschrift des streitbaren Theologen Heshusius (Nr. 92)97). Wie in der römischen Grabinschrift verbreitet, wenden sich die lateinischen Helmstedter Grabschriften oft, nämlich sechsundvierzigmal zwischen 1604 (Nr. 114) und 1707 (Nr. 421), mit ihren Eingangsworten direkt an den Vorübergehenden bzw. Leser, bisweilen nach einer zuvor gesetzten Weiheformel, so z. B. in Nrr. 220, 246, 421. Mit der Anrede zu Beginn ist in vielen Fällen am Ende der Inschrift die Verabschiedung und Ermahnung verbunden, des eigenen Todes eingedenk zu sein. Dieser Abschluß findet sich auch bei Inschriften, in denen in Nachahmung römischer Vorbilder der Tote selbst in Ich-Form seinen Lebenslauf erzählt, so z. B. in Nrr. 114, 183, 201. Im übrigen bietet der Schluß der Inschrift Gelegenheit für die Hinterbliebenen, sich selbst darzustellen, nachdem die einfache Fürbittformel r(equiescat ) i(n ) p(ace ) samt Varianten fast gänzlich aus der Mode gekommen war98) bzw. aufwendiger gestalteten Wendungen hatte weichen müssen. Bereits die älteste Grabschrift akademischer Provenienz von 1582 (Nr. 82) verwendet zwar das „Anno domini“-Formular, erweitert es aber am Ende um Grabbezeugung und Stifternennung. In diesem Falle nennt sich der Vater samt Berufsbezeichnung, in der weiteren Entwicklung dieses Elementes kann hier die volle Titulatur des das Grabdenkmal setzenden Vaters bzw. Ehemannes ausgebreitet werden, sofern dies nicht schon als Apposition zum Namen des Verstorbenen erledigt werden konnte. Zugleich ist hier auch der Platz, an dem Eltern, Witwer, Witwen und Kinder ihren Emotionen – oft in Wortschatz (bene merito, dulcissimae, carissimae) und Formelgut (fecit, monumentum ponit ) der römischen Grabschrift – Ausdruck geben.

Die zwischen Eröffnungs- und Schlußformel liegenden Teile enthalten in der Regel die Behandlung des von Böhmer zusammengestellten Kataloges der Personenumstände: neben dem Namen (nomen) des Verstorbenen sind es Alter (aetas), Herkunftsort (patria), Todestag (dies obitus), Lebensverhältnisse (vitae conditio), Taten (res praeclare gestae), Titel (honores) und löbliche Eigenschaften (laudes)99)

Mit dem Namen (nomen) verbunden sind üblicherweise die Titel und Amtsbezeichnungen des Verstorbenen, gegebenenfalls auch die Titulatur des Vaters und weiterer rühmenswerter Familienmitglieder. Der Name des bekannten Theologen Basilius Sattler schmückt nicht nur die Grabschrift einer Enkelin (Nr. 146); noch sechzig Jahre nach Sattlers Tod enthält sich der Verfasser der Grabschrift für den Studenten Hermann Tappen nicht des Hinweises darauf, daß sich hinter dem Namen des Toten ein Ururenkel des Basilius Sattler verbirgt (Nr. 289).

Die Altersangabe (aetas) erfolgt nach römischem Vorbild häufig mit großer Genauigkeit unter Angabe von Jahren, Monaten und Tagen, im Falle nicht etwa eines Kleinkindes, sondern eines über sechzigjährigen Professors sogar mit Angabe der Stunden (Nr. 236). In merkwürdigem Gegensatz zu diesem Bemühen um Präzision steht der Umgang mit der Formel anno (folgt Ordinalzahlangabe) aetatis suae (im soundsovielten Jahr seines Lebens). Diese Wendung wird auch dann gebraucht, wenn der Verstorbene das in der nachfolgenden Zahl angegebene Lebensjahr nach den ermittelbaren Lebensdaten bereits vollendet hatte und sich tatsächlich im nächsthöheren Lebensjahr befand, die beigegebene Zahl also grammatikalisch inkorrekt als Kardinalzahl gedacht worden ist100). Das genaue Verständnis der nicht in der Antike belegten Formel ist offenbar über ihrem häufigen Gebrauch verlorengegangen. Befördert wurde dieser Prozeß vermutlich durch Auslassung von anno, [Druckseite XXXVI] also die Verkürzung der Formel zu aetatis (suae), die sich vor allem auf Bildern findet. Eine sachlich richtige Übersetzung ist nur dann möglich, wenn die Lebensdaten bekannt sind oder der grammatikalische Kontext einen eindeutigen Hinweis gibt101). Insgesamt zeigt sich in diesen Fällen, daß der korrekte Gebrauch, bei dem die mitgeteilte Zahl das Lebensjahr bezeichnet, überwiegt, und zwar im Verhältnis von achtzehn zu sieben102). Auf zwei Trägern mit Sammeleinträgen von Inschriften finden sich beide Bedeutungen nebeneinander (Nrr. 172, 371).

Die Angaben zum Herkunftsort (patria) der in Helmstedt beigesetzten Personen spiegeln das geographisch weite Einflußgebiet der Universität wider103). Der englische Koch des in Helmstedt studierenden Herzogs Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel (Nr. 114), Studenten aus Livland (Nr. 238), Danzig (Nr. 300), Dänemark (Nr. 155), der Universitätssprachlehrer aus Frankreich (Nr. 359), in Helmstedt beigesetzte Familienmitglieder von Professoren, die von außerhalb kamen und bisweilen vergleichsweise schnell weiterzogen (z. B. Nrr. 245, 247), sie alle zusammen bilden eine heterogene Gesellschaft. Das bedeutet für die Ausgestaltung der Grabschriften, daß hier vielfältige Einflüsse aus dem gesamten Bereich protestantischer späthumanistischer Gelehrtenkultur wirksam geworden sein dürften. Ansätze zur Entwicklung von ortsfesten Traditionen sind dagegen eher in den Grabschriften zu erwarten, deren Träger Familien angehören, die über mehrere Generationen als Professoren in Helmstedt seßhaft blieben104). Nicht alle Helmstedter Grabschriften teilen den Todestag (dies obitus) mit. Er fehlt in einem Teil der Grabbezeugungsinschriften von Konventualen des Klosters St. Ludgeri und ist dort durch das Beisetzungsdatum ersetzt (Nrr. 316, 319, 379). In der ältesten Helmstedter Grabschrift von 1341 (Nr. 8) wird der Sterbetag noch nach dem römischen Kalender angegeben, danach dominiert bis zur Reformation der Heiligen- und Festkalender. Der modernen Datierung nach Monatstagen bedient sich zum ersten Mal 1565 die lateinische Grabschrift einer Marienberger Konventualin (Nr. 59); 1582 verfährt die älteste der Universität zuzurechnende Grabschrift ebenso (Nr. 82). Zum ersten und letzten Mal unter den akademischen Grabschriften verwendet die Inschrift auf dem Epitaph des Siegmund Julius Mynsinger von Frundeck noch 1596 den Heiligenkalender (Nr. 102). Neben der Datierung nach Monatstagen bestimmt die Wiederaufnahme des römischen Kalenders die Form der Tagesangabe in zahlreichen Grabschriften des akademischen Milieus zwischen 1604 und 1705 (Nrr. 114, 411).

Aus dem weiten Feld der Lebensverhältnisse (vitae conditio) werden in den stadtbürgerlichen und akademischen Grabschriften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bevorzugt die folgenden Themen abgehandelt: Ämterkarriere (Erstbeleg Nr. 184, zuletzt Nr. 499), Amtsdauer (Erstbeleg Nr. 93, zuletzt Nr. 519), Ehedauer bzw. Ehedaten (Erstbeleg bei Frauen Nr. 154 mit Angabe der Witwenschaftsdauer, bei Männern Nr. 159, zuletzt bei Frauen Nr. 506, bei Männern Nr. 511), Kinderzahl (Erstbeleg bei Frauen Nr. 146, bei Männern Nr. 156, zuletzt bei Frauen Nr. 445, Nr. 385 mit Angabe [Druckseite XXXVII] der Urenkelzahl, bei Männern Nr. 508), in akademischen Grabschriften Studienländer bzw. Studienorte (Erstbelege Nrr. 92, 120, zuletzt Nr. 499), Einzelheiten beim Erwerb der akademischen Grade (Erstbeleg Nr. 120 mit Nennung des Doktorvaters, zuletzt Nr. 300) und Aufzählung beruflicher Wirkungsstätten (Erstbelege Nrr. 92, 120, zuletzt Nr. 490). Eine Vorliebe für das Seltene zeigt sich bei der Beschreibung der Todesumstände. So heißt es zwar 1683 von der sechsundzwanzigjährigen Dorothea Margaretha Schwarzkopf (Nr. 248) wie üblich, sie sei selig verschieden. Bei dieser traditionellen Formel beläßt es der Verfasser der Grabschrift jedoch nicht, sondern schließt mit der rhetorischen Verarbeitung eines widernatürlichen Vorgangs. Angesprochen wird die nicht vollendete Geburt von abgestorbenen Zwillingen quae .. beate defuncta et parturiens sobolis suae sepulchrum facta est (die .. selig verschied und, während sie gebären wollte, zum Grab ihrer Leibesfrucht wurde). Der Tod durch Ertrinken (Nr. 114), der Schlaganfall eines bekannten Professors und Hofgerichtsassessors während einer Dienstreise mit Mandanten vor dem Stadttor (Nr. 333), der Schlaganfall eines Pfarrers während der Segensspendung vor dem Altar (Nr. 279), der Tod im Duell (Nr. 84) und die Fleckfieberepidemie im Hause eines Professors (Nrr. 205, 206) – die Erschütterungen, die solcherart spektakuläres Sterben erregte, sind in die Grabschriftentexte eingeflossen und werden, oft mit den Stilmitteln der Rhetorik, weitergegeben. Angesichts der Fülle von Details, die die Grabschriften überwiegend des 17. Jahrhunderts mitteilen, ist es erstaunlich, daß über die individuellen Lebensumstände des Verstorbenen hinaus seine nähere und weitere Lebenswelt, z. B. die spätreformatorischen Lehrstreitigkeiten, universitätsgeschichtliche Ereignisse am Ort oder die allgemeine Landes- und Reichsgeschichte, kaum greifbar werden. Einen lediglich geringen Widerhall der konfessionellen Kämpfe um die reine Lehre (sincera doctrina) bietet die Inschrift auf der Grabplatte des Theologen Tilemann Heshusius105). Nur schwach reflektiert die Grabschrift des Cornelius Martini dessen Rolle im sog. Hofmannschen Streit (Nr. 141). Ohne konkret zu werden, deuten die Grabschriften der Calixtanhänger Konrad Horneius (Nr. 167) und Gerhard Titius (Nr. 275) in eher allgemeinen Wendungen die Heftigkeit an, mit der theologische Kontroversen ausgetragen wurden. Das überregionale Zeitgeschehen bleibt fast ganz ausgeblendet. Der Dreißigjährige Krieg findet sich einmal im Lebenslauf einer Helmstedter Bürgerin umschrieben mit post variam orbitatis pestium Martis fortunam (nach einem wechselvollen Schicksal, das sie zur Waise machte und sie Pest und Krieg erleben ließ; Nr. 282). Als indirekte Reaktion auf die Zeitereignisse ist allerdings eine verbreitete, generalisierende Zeitkritik zu verstehen. Sie drückt sich aus in Wendungen wie z. B. inter aestus fluctusque corruptissimi saeculi (inmitten der Brandungen und Wogen eines tiefverdorbenen Zeitalters; Nr. 305, ähnlich Nr. 440) und mündet in die bekannte Vanitasreflexion, z. B. VANITATVM ET AERVMNARVM HVIVS MVNDI .. PERTAESVS (angeekelt von der Eitelkeit und Mühsal dieser Welt; Nr. 230). Alles Irdische wird verworfen, z. B. omnes res terrenae fragiles caducae et diuturnitatis exsortes (alle irdischen Dinge sind zerbrechlich, hinfällig und ohne Dauer; Nr. 206 A). Allein Gott im Leben und Sterben zu folgen ist ein festes Gut (deum vita et morte sequi solidum bonum est; Nr. 199). Daher ist das Erlernen der Sterbekunst im Leben am notwendigsten (bene moriendi artem vnam maxime necessariam dum viuetis discite; Nr. 201), denn der Mensch erlangt das Heil erst durch sein Sterben – moriendo .. sanamur (Nr. 268). In diesem Sinne erweisen sich viele Grabschriften als Glaubenszeugnis und Bekenntnis der christlichen Erlösungsgewißheit. Das Lob des Verstorbenen anhand seiner Taten (res praeclare gestae) und rühmlichen Eigenschaften (laudes) sowie seiner im Leben erworbenen Titel (honores) ist traditionell ein wesentlicher Bestandteil der Grabschrift. Eine Würdigung der über die genannten Taten sichtbar werdenden gesellschaftlichen Leittugenden – an erster Stelle sind es pietas (Frömmigkeit), bei den Männern dazu doctrina (Bildung) – kann hier ebensowenig vorgenommen werden wie eine Beschreibung der Epitheta- und Titulaturentwicklung der Helmstedter akademischen und stadtbürgerlichen Grabschriften des 16. bis 18. Jahrhunderts. Hinzuweisen ist indes auf eine besondere Form des Lobes, die Anrufung der boni bzw. omnes boni als einer Instanz, deren Urteil allgemein – davon geht der jeweilige Verfasser der Grabschrift aus – eine unbestrittene Autorität hat. Als Lobesformel erscheint die Wendung zum ersten Mal 1613 in der Grabschrift des Späthumanisten Johannes Caselius (Nr. 124) cum aliis bonis doctisque tum magnis principibus in primis carus (von anderen Redlichen und Gebildeten, so besonders von der hohen Fürstlichkeit geschätzt) und wird bis 1711 einundzwanzigmal in Grabschriften [Druckseite XXXVIII] gebraucht106). Sie stellt das zu bewertende Leben des Verstorbenen in den öffentlichen Raum, in dem Menschen mit Urteil einen Sicherheit gebenden Konsens über moralische Werte und die staatliche Ordnung zu gewährleisten scheinen. An der Spitze dieses geordneten Systems steht – neben Gott – der Fürst (princeps). Er wird sechsmal, davon fünfmal bonis (omnibus) vorangestellt, als ein das Lob bestätigender Zeuge zitiert. Gelobt werden zehn akademische Lehrer mit meist überregionalen Wirkungsfeldern. Darunter befinden sich die Philosophen Caselius und Martini, der Theologe Konrad Horneius, der Reformer des Schulwesens im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, Christoph Schrader, und der Jurist Georg Engelbrecht d. Ä., aber auch Vertreter des öffentlichen Lebens am Ort, so ein Bürgermeister, ein Kämmerer, ein Hofrat, ein Amtmann und zwei Pastoren. Die Zusätze doctis (s. o. Nr. 124) und orbi erudito (deo principibus orbi erudito et bonis omnibus .. carus Gott, den Fürsten, der gebildeten Welt und allen Redlichen .. wert; Nr. 269) konkretisieren die Bedeutung des Sammelbegriffes der boni in eine Richtung, die das Bemühen der Verfasser zeigt, sich im Geiste des Späthumanismus aufgrund der eigenen Bildung als universale Standesgesellschaft der Gelehrten, als respublica litteraria, zu definieren. Beide Begriffe, omnes boni und respublica litteraria, stehen dann auch nicht zufällig in der Grabschrift für den Philosophen und Theologen Konrad Horneius nebeneinander (Nr. 167)107). Die zusätzliche moralische Bedeutungskomponente von omnes boni – wörtlich „alle Guten“ – verhalf der Formel zu breiter Verwendbarkeit auch im privaten Bereich. So heißt es in einer der beiden Studentengrabschriften, die die Formel bieten, maximum sui desiderium parentibus cognatis et omnibus bonis relinquens (seinen Eltern, Verwandten und allen Redlichen hinterließ er eine übergroße Sehnsucht nach sich; Nr. 288). In diesem Sinne konnte die Wendung auch zum Lob von Frauen benutzt werden. Dies geschieht bezeichnenderweise bei zwei Frauen, deren Leben von der gesellschaftlichen Norm insofern abgewichen zu sein scheint, als sie sich, obwohl Frauen und damit an sich auf Häuslichkeit verpflichtet, in Ausübung der weiblichen Tugend der Mildtätigkeit im öffentlichen Raum bewegt hatten (foris beneficentia .. Deo bonisque notissima; Nr. 274) und deshalb von der ganzen Stadt als civis celebris (bekannte Bürgerin) betrauert wurden (Nr. 270). – Die in der Bearbeitung gewählte Übersetzung „(alle) Redlichen“ für (omnes) boni greift eine in gleicher Funktion gebrauchte Wendung zeitgenössischer deutschsprachiger Grabschriften auf, die möglicherweise unter dem Einfluß der verbreiteten lateinischen Formel gebildet worden ist108). – Ein Licht auf die frühkindliche Erziehung auch der Mädchen in einer Professorenfamilie wirft die Ausgestaltung der Kategorie laudes in der Grabschrift der vierjährigen Anna Kunigunde Eichel von 1663. Gelobt werden außer ihrer Schönheit, Begabung und Bescheidenheit – bei Kindern und Frauen gern genannte Tugenden – ihre Fertigkeiten im Gebrauch der lateinischen Sprache. Bemerkenswert ist, daß nach der Inschrift nicht das Geschlecht, sondern das Alter des Kindes, zu dem es bereits über Lateinkenntnisse verfügte (aetatem superabat) das besondere Lob veranlaßt (Nr. 209). Offenbar haben hier fortschrittliche humanistische Vorstellungen von Frauenbildung praktische Umsetzung erfahren.

Die Stilistik der Grabschriften kann nicht in wünschenswerter Ausführlichkeit untersucht werden. Besondere Aufmerksamkeit verdient zum einen die antike Herkunft der verwendeten Wortverbindungen, zum anderen die Bildersprache. Die lateinischen Wortverbindungen, deren sich die [Druckseite XXXIX] Verfasser der Grabschriften bedienen, lassen sich erwartungsgemäß in vielen Fällen zurückführen auf ähnliche Wendungen römischer Schriftsteller. Diese Parallelen sind in den Anmerkungen zu den Grabschriften vermerkt, ohne daß damit dem jeweiligen Verfasser der Inschrift unterstellt werden soll, er habe seiner Grabschrift bewußt ein Zitat einfügen wollen. Ebensogut kann es sich hier um sprachliches Allgemeingut, bekannt z. B. aus Sprachübungen des universitären Grammatikunterrichtes, oder auch um allgemein verbreitetes Zitatgut handeln. Gleichwie, es lassen sich aus den verwendeten Phrasen und Verbindungen die für die zeitgenössische Sprachrezeption maßgeblich stilprägenden römischen Autoren erschließen. – Eine humanistische Besonderheit ist die Entwicklung einer eigenen akademischen Bildersprache, so z. B. um das Thema Sterben und Leben nach dem Tode darzustellen. Ebenso wie das irdische Leben als überwiegend durch die Hochschule, also die Academia Julia, geprägt empfunden wird, dient das Bild von der Hohen Schule auch dazu, das Leben nach dem Tod beschreibbar und vorstellbar zu machen. So bedeutet „sterben“ nichts anderes als einen Wechsel von der hiesigen in die himmlische Akademie (academia bzw. schola caelestis). Mehrere Grabschriften für Professoren, Studenten, ja, für einen halbjährigen Professorensohn aus dem Zeitraum zwischen 1588 und 1702 bedienen sich in Helmstedt dieses Bildes und schmücken es z. T. weiter aus109). An der Spitze der himmlischen Akademie steht ein höchster Rektor (SUMMUS RECTOR; Nr. 195). An die Stelle des Matrikeleintrags, durch den man auf Erden civis academicus wurde, tritt die Überschreibung des Namens in die Ewigkeit (Quod ciuibus academicis adscriptum erat nomen aeternitati transscriptum; Nr. 211). Wie eine akademische Variation der mittelalterlichen Vorstellung von den Engeln, die die Seele des Toten in den Himmel tragen110), mutet Grabschrift Nr. 205 an. Darin sind es die Musen, die die Seele eines verstorbenen Studenten hinauf in die höchste Akademie erheben (cuius animam .. ad supremam academiam caelestes transtulerunt Camenae). Die Metaphorik der akademischen Bildersprache geht so weit, das christliche Sterben in den Armen des Erlösers (inter brachia Saluatoris sui; Nr. 313) zu ersetzen durch den sanften Tod im Schoße der Julia (IN ALMAE JULIAE GREMIO PLACIDE MORTUUS .. EST; Nr. 190).

Die Frage nach den Verfassern der Grabschriften beantworten einige der akademischen Helmstedter Inschriften selbst. In fünf Grabschriften, entstanden zwischen 1665 und 1707, nennen sich die Verfasser im Text111). Tätig geworden sind u. a. der Mediziner und Universitätspoeta Heinrich Meibom d. J. für einen in seinem Hause verstorbenen jungen Mediziner (Nr. 300), der durch deutschsprachige Dichtungen bekannt gewordene Jurist Enoch Gläser für seinen Schwiegervater (Nr. 220) und der Professor für Eloquenz Justus Christoph Böhmer im Auftrag der Universität für einen dem reformierten Bekenntnis angehörenden, französischen Sprachlehrer ohne Verwandte (Nr. 359). Meibom und Böhmer lassen sich als Autoren weiterer Grabschriften erschließen (Nrr. 301, 357). Namen und Stand sonstiger bekannt gewordener Verfasser zeigen, daß die Fähigkeit, eine lateinische Grabschrift zu entwerfen, nicht von professionellen Voraussetzungen abhing, sondern zum allgemeinen Bildungsgut des Universitätsabsolventen gehörte. Entsprechende Trauerdienste leisteten: ein Student für seinen verstorbenen Vetter (Nr. 189), ein studierter Professorensohn für seinen Vater (Nr. 421), ein Medizinprofessor für den Kollegen auf dem Lehrstuhl der Rhetorik (Nr. 292), ein Professor der Rechte für seinen Schwiegervater (Nr. 311) und ein Diakon für einen von ihm geistlich betreuten Hofmeister (Nr. 358). Damit weitet sich der Kreis möglicher Verfasser aus auf sprachkompetente Mitglieder aus allen akademischen Trauerfamilien. Man darf daher davon ausgehen, daß z. B. die zahlreichen Kindergrabschriften von den Vätern selbst verfaßt worden sind. Es gibt andererseits Hinweise darauf, daß in den Fällen, in denen die Familie, etwa auswärtige Studenteneltern, diese Aufgabe nicht übernehmen konnte, die Universität die Eltern vertrat bis hin zur Organisation der Beisetzung am Ort durch Helmstedter Professoren (Nrr. 300, 359). Zur Ausrichtung der akademischen Beisetzungsfeierlichkeiten durch die Universität gehörte ein von seiten der Universität veröffentlichtes lateinisches Programm (programma in funere), das den Verstorbenen anhand seiner Verdienste vorstellte und die akademischen Bürger aufforderte, zum mitgeteilten Beisetzungstermin [Druckseite XL] zu erscheinen. Zusammen mit weiteren Trauerschriften, so der Leichenpredigt, gegebenenfalls auch Trauergedichten und einer Abdankungsrede, wurde es nach der Beisetzung von der Familie in der Regel gedruckt veröffentlicht. Der Verfasser des lateinischen Funeralprogramms wird im Druck nicht mitgeteilt. Nun lassen sich in Helmstedt mehrfach wörtliche und thematische Übereinstimmungen zwischen Grabschrift und Funeralprogramm aufzeigen112), was für die Frage nach den Autoren der Grabschriften nicht ohne Interesse ist. Mit Sicherheit war der Text eines Funeralprogramms öffentlich bekannt, wenn man begann, eine Grabschrift für ein zu errichtendes Grabmonument zu formulieren. Bei Textübereinstimmung zwischen Grabschrift und Funeralprogramm kann also nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Verfasser der Grabschrift identisch ist mit dem des Funeralprogramms. Man konnte sich ja auch durch das Funeralprogramm zu bestimmten Formulierungen anregen lassen. In einem Fall liegen jedoch weitere Indizien vor. Für die Grabschrift des Eloquenzprofessors Kaspar Cörber (Nr. 357) kommt als Verfasser sowohl des Funeralprogramms als auch der Inschrift wohl sein Nachfolger Justus Christoph Böhmer in Frage, da Böhmer den in beiden Veröffentlichungen gleichen Text an dritter Stelle, in einem seiner universitätsgeschichtlichen Werke, noch einmal zur Charakteristik des Verstorbenen verwendet. Diese Zuordnung gilt allerdings nur unter dem Vorbehalt, daß der Begriff des geistigen Eigentums von Böhmer beachtet wurde und er die hier in Rede stehenden, eher formelhaften Textstücke auch unter dessen Schutz stellte. – In traditioneller Weise schon zu Lebzeiten sorgten mindestens zwei Professoren für die sprachliche Form ihres Totengedächtnisses. Hermann von der Hardt († 1746) und Johann Jakob von Höfler († 1781), Vorbild Goethes für den Gesandten im „Werther“, haben die Inschrift für ihr Grabdenkmal höchstwahrscheinlich selbst entworfen (Nrr. 479, 509). Die eingangs gestellte Frage, ob das universitätsfernere Bürgertum in seinen Grabschriften ein gegenüber der akademischen Epigraphik eigenes Profil entwickelt habe, ist nach den großen Lücken in der Überlieferung der deutschsprachigen Inschriften dieser Gruppe nur schwer zu beantworten. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß sich die überwiegende Mehrheit der Amtsträger aus dem städtischen Honoratiorentum der lateinischen Sprache bediente. Zusammen mit der Sprache wurde auch die übrige Tradition samt den oben beschriebenen Gestaltungsmerkmalen übernommen, d. h. die späthumanistische Grabschrift wurde adaptiert. Es kam dabei zur Entwicklung besonders kunstvoller Exemplare wie der mit Emblematik und rhetorischem Schmuck vertrauten Grabschrift für den Bürgermeister Martin Cherubim (Nr. 469). Zum Vergleich geeignete deutschsprachige Grabschriften aus dem bürgerlichen Milieu sind erst aus den letzten Jahren des 17. und aus dem 18. Jahrhundert überliefert. Nur dank des zufälligen Erhalts der sie tragenden Grabdenkmäler sind sie überhaupt bekannt geblieben, denn Aufnahme in die kopiale Überlieferung haben sie nicht gefunden113). Die meisten von ihnen folgen inhaltlich mehr oder weniger den gebräuchlichen Kategorien der späthumanistischen Grabschrift, nur eben in deutscher Sprache114). Beliebteste Eröffnungsformeln sind Variationen zu allhier ruhet .. / ruhen die Gebeine nach der lateinischen Formel hic quiescit .. /quiescunt exuviae. Daran schließen sich Name, Titel, Herkunft, Geburts und Todestag samt Alter, häufig auch Einzelheiten zu Amtsdauer und Verdiensten sowie zu Ehe und Nachkommenschaft an. Noch die jüngste deutsche Helmstedter Grabinschrift Nr. 519 läßt sich mühelos in beinahe allen Einzelteilen in die entsprechenden lateinischen Formeln (zurück)übersetzen. Eine deutliche Emanzipation von derartigen Stereotypen zeigt die Grabschrift für den Amtmann Lambert Hülsemann und seine Frau von 1712 (Nr. 442). Eine Leseranrede lockt hier mit der Ankündigung eines als unerhört empfundenen Ereignisses Leser wiltu was ungemeines lesen so liesz. Die Altersangabe (aetas) erfolgt mit einer die ungewöhnliche Lebensdauer des Ehepaars in den Blick rückenden, ebenfalls ungewöhnlichen Wendung Zweÿ Eheleüte von 156 Jahren, Welches unter 10000 kaum [Druckseite XLI] Zween Wiederfahren noch mehr. Es erscheint allerdings eher zweifelhaft, ob hier der universitätsferne Stand des Auftraggebers zur Erklärung für die Überwindung des Formularzwangs und den Gebrauch einer eigenen Sprache herangezogen werden kann. In der Gruppe der als „akademisch“ eingestuften Grabschriften gibt es einen vergleichbaren Fall. Zwar dominieren auch hier bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wie bei den gleichzeitigen deutschsprachigen Grabschriften Texte, die nichts bieten, was nicht auch schon vorher zu belegen ist. Als Beispiele dafür sind die außerordentlich konventionell verfaßten Grabschriften für den Orientalisten und Theologen Anton Julius von der Hardt und seine Frau von 1785 bzw. 1780 zu nennen (Nrr. 511, 506). Jedoch ist bereits etliche Jahrzehnte vorher in der Grabschrift des Orientalisten Hermann von der Hardt († 1746, Nr. 479) ein Bruch mit der Tradition vollzogen. Die von Hermann von der Hardt wohl selbst verfaßte Grabschrift bedient keine Kategorie aus dem Böhmerschen Katalog der Personenumstände, allenfalls die des Namens, allerdings kryptisch verschlüsselt. Aus dem tradierten Formelgut übernimmt sie allein die frühchristliche Einleitung HIC IACET (sc. HOMO), um darauf in eigenen Worten die lutherische Auferstehungshoffnung als persönliches Bekenntnis zu formulieren. Die Inschrift ist ebenso wie die des Amtmanns Lambert Hülsemann ein Zeugnis für die Auflösung der Form zugunsten individuellerer Gestaltung unter dem Einfluß einer sich verändernden Zeit.

4. 3. Sonstige Inschriftenträger

Die nach Abzug der Inschriften des Totengedenkens verbleibende Hälfte des Helmstedter Inschriftenbestandes verteilt sich über die unterschiedlichsten Träger, über private und öffentliche Gebäude einschließlich der in den Turmspitzen aufbewahrten Blei- und Zinktafeln, über Gerätschaften aus dem städtischen Bereich wie Truhen und Pokale, über Kirchenwände und -fußböden, Konsolen, Sakramentshäuschen, Ausstattungsgegenstände der Kirchen und Klöster, also über Glocken, Altäre, Kanzeln, Kirchenstühle, Emporen, Paramente, Kronleuchter, Gemälde und liturgische Geräte sowie über Relikte aus den Universitätssammlungen wie astronomische Instrumente, Ringe und Gemälde. Aus der Fülle dieses Materials sollen drei Trägergruppen nach ihren Inschriften kurz vorgestellt werden, zum einen, wie in den Bänden der DI üblich, Häuser, außerdem liturgische Geräte und die Porträtsammlung der Universität, weil sich hierzu bei der Bearbeitung der Inschriften einige neue Erkenntnisse ergeben haben.

4. 3. 1. Häuser

Die Helmstedter Altstadt hat den Zweiten Weltkrieg weitgehend unversehrt überstanden. Größere Verluste entstanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Folge von Modernisierungsmaßnahmen. Die Zahl der bekannt gewordenen Hausinschriften – 20 bis 1650 bzw. 54 bis 1800 – ist daher erstaunlich gering115). Die kopiale Überlieferung setzt erst im 19. Jahrhundert ein116) und betrifft nur wenige Inschriften. So sind von den 20 Hausinschriften vor 1650 siebzehn im Original erhalten und nur drei kopial überliefert, im Gesamtbestand bis 1800 stehen den 43 erhaltenen 11 kopiale gegenüber.

Der in Helmstedt durch die Jahrhunderte im Wohnhausbau vorherrschende Bautyp ist das traufenständige Fachwerkhaus. Steinbauten aus dem 16. und 17. Jahrhundert und ein aus massivem Untergeschoß und aufgesetztem Fachwerk bestehender Wohnhaustyp treten zahlenmäßig dahinter stark zurück117).

Die Inschriften an den Fachwerkhäusern sind in der Regel auf den Schwellbalken angebracht. Einen Hinweis darauf, daß beim Fachwerkhaus frühzeitig auch Türstürze und Bögen der Eingangstore ein für die Anbringung von Inschriften genutzter Platz war, bietet ein Inschriftenrest von 1561 am Haus Holzberg 17 (Nr. 58 D). Schulz hat darauf hingewiesen, daß möglicherweise im [Druckseite XLII] Verlust von zahlreichen hier ursprünglich angebrachten Inschriften ein Grund zu sehen ist für die geringe Zahl von Hausinschriften in Helmstedt, da der Eingangsbereich beim Fachwerkhaus am meisten von Umbauten im Laufe der Jahrhunderte betroffen war118). Die wenigen Inschriften der Steinhäuser befinden sich alle an diesem Platz, in den Bögen bzw. auf einer Tafel über dem Eingangsportal, so an dem einzigen mit einer Inschrift ausgestatteten Haus mit massiver Fassade, Ziegenmarkt 3 von 1589 (Nr. 94), und an den beiden im Erdgeschoß massiv gebauten Häusern, Kybitzstr. 23 von ca. 1576 und Schuhstr. 14 von 1673 (Nrr. 74, 249). Im Fachwerkbau hat sich eine entsprechende Inschriftenplazierung bei den Häusern am Langen Steinweg aus den Jahren 1605 bis 1644 erhalten (Nr. 117). Vermutlich stammen auch die nur auf Einzelbalken überkommenen Inschriften von 1594 und 1601 (Nrr. 99, 106 B) aus dem Eingangsbereich. Bei jüngeren Fachwerkhäusern ist diese Situation – Inschriften schmücken Torbögen, einen Türsturz, eine Plastik oder eine Tafel über dem Eingang – sehr viel häufiger anzutreffen (Nrr. 277, 317 C, 347, 363, 467, 488, 516). Festzuhalten bleibt indes, daß zwischen 1498 und 1782, also fast für den gesamten Zeitraum, aus dem Hausinschriften überliefert sind, der Schwellbalken der für Inschriften übliche Platz ist. Hinzu kommen bei von der Renaissance geprägten Fachwerkhäusern Brüstungsfelder und Ständer als Anbringungsort, so an dem hervorragendsten Bau unter den insgesamt eher bescheidenen Helmstedter Fachwerkhäusern119), dem sog. Rohrschen Haus Papenberg 2, und am Beginenhaus Großer Kirchhof 6 (Nrr. 61, 79).

Ein bewußt gestaltetes Zusammenspiel von Inschrift und figürlichem Fassadenschmuck ist am deutlichsten an den beiden ältesten Häusern, dem Pförtnerhaus des Klosters St. Marienberg von 1498 und Schuhstr. 5 von 1514 (Nrr. 27, 45), erkennbar. Deren Schwellbalken tragen einen Treppenfries, auf dessen Feldern über der Treppe die Inschrift wortweise unter Berücksichtigung dekorativer Anordnung und mit ornamentalen Zutaten verteilt ist. Eingearbeitet in ein bauplastisches System von Fächerrosetten und Medaillons haben auch die Inschriften des Hauses Holzberg 17 von 1561 (Nr. 58 A–C) ornamentale Funktion. Allein von der Schriftform bot die Fraktur gute Vorgaben, um Buchstaben, vor allem die Versalien, als Schmuckelement zu gestalten. Davon macht die älteste in Fraktur gearbeitete Hausinschrift von 1594 (Nr. 99) ebenso wie einige späte Hausinschriften des 17. und 18. Jahrhunderts Gebrauch (Nrr. 347, 448).

Anders als bei den Grabschriften dominiert bei Hausinschriften insgesamt zunehmend die deutsche Sprache. Von den 20 bis 1650 bekannten Inschriften sind acht in lateinischer, sieben in deutscher und eine in niederdeutscher Sprache verfaßt. Vier Inschriften lassen sich, da sie nur Namen oder einen gemischten Wortbestand enthalten, nicht zuordnen. Bis 1800 hat sich das Verhältnis deutlich zugunsten der deutschen Sprache verschoben: 13 lateinischen stehen 33 deutsche, eine niederdeutsche und sieben nicht zuweisbare Inschriften gegenüber. Nach ihrer sprachlichen Form sind die beiden ältesten Inschriften von 1498 und 1514 (Nrr. 27, 45) noch gebunden an ein verbreitetes tradiertes Formular120). Es beginnt mit Anno und enthält eine mehr oder weniger erweiterte Baudatierung, zu der, wie in Nr. 27, eine Anrufungsformel – Jesus, Maria – oder, wie in Nr. 45, der Name eines am Bau Beteiligten hinzutreten kann. An die Stelle dieses frühen Formulars tritt im 16. Jahrhundert größere sprachliche Vielfalt. Geläufiges und selteneres Spruchgut, Bibelverse in lateinischer und deutscher Sprache sowie Zitate aus antiken Schriftstellern werden Hauptbestandteil der Inschrift und lassen Rückschlüsse auf den Bildungsstand des Bauherrn zu. Jedoch bleibt der ursprüngliche Kern, Baudatum und Namen der Bauenden, oft eines Ehepaares, in der überwiegenden Zahl aller Hausinschriften bis zum Ende des Untersuchungszeitraums die wichtigste Mitteilung des Bauherrn an die Öffentlichkeit, ablesbar auch aus der Tatsache, daß durch die Jahrhunderte hindurch etliche Hausinschriften nur aus diesen beiden Elementen bestehen (z. B. Nrr. 94, 166, 516).

Das in den Helmstedter Hausinschriften bis zum Jahr 1650 verwendete Spruchgut entspricht weitgehend dem anderer niedersächsischer Städte121). Der beliebteste Hausspruch Wer Gott vertraut,[Druckseite XLIII] hat wohlgebaut findet sich zweimal bis 1650 und insgesamt siebenmal zwischen 1580 und 1733122). Anderenorts bereits vor 1650 verbreitete Sprüche sind in Helmstedt erst spät nachweisbar, so Gott allein die Ehre dreimal zwischen 1697 und 1703 (Nr. 347, 363, 392) und An Gottes Segen ist alles gelegen einmal 1709 (Nr. 422). Die übrigen Haussprüche, angebracht überwiegend nach 1650 und häufig gereimt, enthalten Fürbitten für Haus und Bewohner, allgemeine, meist christlich begründete Lebensmaximen und in wenigen Fällen eine Auseinandersetzung mit dem möglichen Neid der Nachbarn (Nrr. 278, 510 B)123). Keine der Helmstedter Hausinschriften verläßt thematisch den skizzierten Bereich privaten Bauens und der allgemeinen Lebensbewältigung. Bezüge zu Ereignissen aus dem öffentlichen Raum, etwa aus der Stadtgeschichte, finden sich nicht.

Was Bibelzitate als Hausinschriften angeht, so hat in den evangelischen Reichsteilen 1. Pt. 1,25 Verbum domini manet in aeternum als protestantische Devise große Verbreitung erfahren. Dieser Bibelvers wird in Helmstedt zweimal als Hausinschrift gewählt, 1591 am Haus Gröpern 55 und 1610 an dem 1986 abgerissenen Haus Edelhöfe 13, beide Male mit den Initialen der als bekannt vorausgesetzten lateinischen Worte (Nrr. 98 B, 122)124). Wie in diesem Fall folgen auch die übrigen als Hausinschriften verwendeten Bibelverse der Übersetzung Luthers.

Überraschend selten, nur dreimal und dies erst am Ende des 17. Jahrhunderts, wird in den Helmstedter Hausinschriften auf antike Autoren zurückgegriffen (Nrr. 218, 277, 317). Ebenso fehlen vor 1650 lateinische Versinschriften an privaten Bauten, sonst Zeichen für eine humanistisch geprägte Geisteskultur der bauenden Bürgerschaft. Einige neue Fragen an die bisherige Stadtgeschichtsschreibung stellen drei nur kopial überlieferte elegische Distichen, die vom Bau einer bislang unbekannten, 1520 in der Beguinenstraße errichteten Karmeliterniederlassung in Helmstedt berichten (Nr. 46).

Abschließend muß gefragt werden, in welchem Umfang die Universität mit dem Zuzug von Lehrenden und sonstigen Universitätsangehörigen das Erscheinungsbild des privaten Wohnhauses, was Inschriften betrifft, geprägt hat. Die Literatur zum Helmstedter Hausbau geht davon aus, daß hinzuziehende Professoren während der regen Bautätigkeit vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges unter den Bauherren zahlenmäßig stark vertreten waren125). Eine genauere Untersuchung hierzu gibt es nicht. In den Hausinschriften der Zeit sind sie indes wenig greifbar. Bis 1650 entsteht, soweit bekannt, nur ein einziger mit Inschriften geschmückter Bau eines Universitätsangehörigen, das Haus des Universitätsapothekers Kybitzstr. 23. Er schmückt sein Portal um 1576 mit der Devise der medizinischen Fakultät (Nr. 74). Für die Zeit nach 1650 lassen sich nur zwei Professoren als Bauherren inschriftlich bezeichneter Häuser bzw. Hausteile ermitteln und zwar erst für Wohnbauten der 60er und 70er Jahre des 17. Jahrhunderts [Druckseite XLIV] (Nr. 213, Nr. 218 mit Nr. 249)126). Bezeichnenderweise geht eines der drei oben genannten Zitate antiker Autoren auf einen der beiden Professoren, auf den Universitätspoeta Heinrich Meibom d. J. zurück. Er ließ um 1673 einen Schwellbalken auf seinem Grundstück Schuhstr. 14 mit einem Vers aus den Episteln des Horaz zum Thema Genügsamkeit beschriften (Nr. 218). Der zweite bauende Professor, der Jurist Eichel von Rautenkron, begnügte sich damit, seinen und seiner Frau Namen samt Wappen über dem Eingang seines im Hof von Bötticherstr. 51 gelegenen Treppenturms anzubringen (Nr. 213)127). Die beiden anderen mit Zitaten aus antiken Schriftstellern geschmückten Häuser wurden von Zugezogenen erbaut, die gleichfalls der Universität zuzurechnen sind, da sie sonst kaum den Weg nach Helmstedt gefunden hätten. Im Jahre 1681 versah ein vormaliger Student und derzeitiger Erster Bürgermeister sein Haus Kybitzstr. 1 mit einer moralischen Sentenz aus Senecas Briefen an Lucilius (Nr. 277), zehn Jahre später erschien an dem mit Inschriften am reichsten ausgestatteten Privatbau Helmstedts, am Haus Neumärker Str. 29, u. a. neben zwei lateinischen elegischen Distichen ein allerdings nicht wörtliches Zitat aus den „Werken und Tagen“ des Hesiod in griechischer Sprache (Nr. 317). Dessen Bauherr gehört ebenfalls zu den ehemaligen Studierenden der Academia Julia, die nach dem Studium im Umfeld ihres Studienortes Karriere machten und hier bauten. Auch über sie hat die Universität also Spuren akademischen Geistes im Stadtbild hinterlassen. Um so bemerkenswerter erscheint es, daß keines der Häuser, die im gesamten Untersuchungszeitraum von alteingesessenen Helmstedter Bürgern errichtet worden sind, mit vergleichbar gelehrten lateinischen Inschriften ausgestattet worden ist.

4. 3. 2. Liturgische Geräte

Als drittgrößte Gruppe sind unter den Helmstedter Inschriftenträgern liturgische Geräte mit zusammen 36 Nummern vertreten. Aus der Zeit vor 1650 stammen neun Meßkelche und ein vorreformatorisches Ziborium sowie als protestantische Stiftung eine Abendmahlsweinkanne von 1646. Die vorreformatorischen Stücke verteilen sich recht unterschiedlich auf die geistlichen Einrichtungen. Dem Kloster St. Ludgeri zuzuordnen ist der wohl aus dem 10. Jahrhundert stammende sog. Kelch des hl. Ludger (Nr. 1). Er war schon während der Auseinandersetzungen der Reformationszeit in das sicherere Werdener Kloster gebracht worden und befindet sich jetzt in der Schatzkammer der Werdener Propsteikirche. Aus dem gesamten übrigen Zeitraum hat sich in St. Ludgeri nur ein einziger beschrifteter gotischer Kelch erhalten (Nr. 38) – eine Folge der Umbrüche und Katastrophen, an denen die Geschichte des Helmstedter Klosters reich ist128). Vergleichsweise günstig verlief dagegen der Überlieferungsprozeß im Kloster St. Marienberg. Das Kloster besteht als evangelisches Damenstift bis heute und bot so durch die Jahrhunderte mit seiner personellen Kontinuität eine wesentliche Voraussetzung für die Betreuung überkommener örtlicher Pretiosen. Erhalten haben sich sechs129) beschriftete spätgotische Kelche aus einem ursprünglich reicheren Bestand. Kelche waren offenbar nicht in gleicher Weise wie z. B. Monstranzen betroffen von den wiederholten Appellen der herzoglichen Verwaltung an das Kloster, papistische Cleinodien abzugeben, da Kelche, anders als Monstranzen, ihre liturgische Funktion auch im evangelischen Gottesdienst behielten. Tiefgreifende Verluste, die allerdings z. T. auch Kelche betrafen, dürften sich in den Jahrzehnten nach Einführung der Reformation im Kloster ereignet haben. Ablesbar ist das aus dem Umstand, daß spätere Inventare im Gegensatz zu denen des 16. Jahrhunderts über die erhaltenen beschrifteten [Druckseite XLV] gotischen Kelche hinaus keine weiteren mehr nennen130). – In der Stadtkirche St. Stephani wurden 1542 von den achtzehn vorhandenen Altären sechzehn aufgelassen131). Vom gesamten Gerät, mit dem diese achtzehn Altäre ausgestattet waren, hat nur ein beschrifteter Kelch die Reformationszeit und die nachfolgenden Jahrhunderte überdauert (Nr. 32). Ähnlich liegen die Verhältnisse in St. Walpurgis. Von der Ausstattung der fünf bekannten, bezeichneten Altäre132) ist als einziges Teil, das eine Inschrift trägt, ein spätgotisches Ziborium erhalten geblieben (Nr. 13)133).

Unter den Inschriften der vorreformatorischen liturgischen Gefäße stehen die beiden auf das Meßopfer bezogenen lateinischen Inschriften des romanischen Kelches Nr. 1 nach Form und Anbringungsplatz singulär da. Alle übrigen Inschriften, auch die des Ziboriums, folgen dem Standardschema des späten Mittelalters134). Die Namen ihesus und maria, zu lesen am Ständer oder auf den Rotuli, bilden entweder als bloße Namensnennung die Inschrift allein oder werden in ihrer Funktion verdeutlicht durch Hinzufügen einer Bittformel, z. B. maria help, got help (Nr. 24). Zweimal erscheint der Name Mariens innerhalb des Englischen Grußes (Nrr. 22, 38). Stifter nennen sich nicht mit Namen, fügen jedoch ihr Wappen hinzu (Nrr. 22, 23, 24, 31). Auf einem der Kelche haben die Stifter das Jahr der Stiftung inschriftlich eintragen lassen (Nr. 24)135).

Die in der Spätgotik zu beobachtende schematische Form und Anordnung der Inschriften wird auf den nachreformatorischen Stücken nicht beibehalten. Zum aus protestantischer Zeit erhaltenen oder durch kopiale Überlieferung bekannten Altargerät gehören neben Kelchen und Patenen auch Oblatendosen, Abendmahlsweinkannen und -flaschen sowie Altarleuchter. Von den 26 Stücken sind 22 gestiftet. Entsprechend handelt es sich bei diesen 22 Inschriften ausschließlich um teilweise wortreiche Stifternennungen, verbunden mit Datierung und Wappen, in nur einem Fall ergänzt durch Bibelsprüche (Nr. 492). Die Stifter, soweit sie als Einzelpersonen auftreten, entstammen sowohl dem städtischen Bürgertum wie dem Kreis der akademischen Bürger. Aus beiden gesellschaftlichen Gruppen erscheinen Namen von Familien, die sich als Förderer von Kirchenausstattung auch sonst hervorgetan haben136). Die Sprache der Inschriften ist in fast allen Fällen Deutsch. Allein eine von der Universität 1705 gestiftete Weinkanne (Nr. 414) trägt eine Wappenbeischrift in lateinischer Sprache. Ein Licht auf die offenbar geringe Bedeutung des heimischen Goldschmiedehandwerks wirft der Blick auf die Herstellungsorte. Nach den Beschauzeichen sind nur vier der silbernen Gefäße zwischen 1704 und 1791 in Helmstedt gearbeitet worden, dagegen zehn aus den Jahren 1646 bis 1704 in Braunschweig und eines von 1707 in Hannover. Die Universität gab die schon genannte Weinkanne Nr. 414 im Jahr 1705 in Augsburg in Auftrag. Bemerkenswert ist, daß selbst der Rat der Stadt den von ihm 1704 gestifteten Kelch samt Patene (Nrr. 400, 401) aus Braunschweig bezogen hat137). [Druckseite XLVI]

Im Sammlungsbestand von St. Stephani ist für die Jahre 1704 und 1705 ein auffällig reicher Zugang von beschrifteten Geräten zu beobachten. Beteiligt haben sich an den insgesamt neun Stiftungen der beiden Jahre neben Bürgern und Professoren die Landesherrschaft in Person des regierenden Herzogs Anton Ulrich und der Rat der Stadt Helmstedt, beide mit den bereits erwähnten, sehr qualitätvoll gearbeiteten Stücken, sowie die Universität mit der Weinkanne aus Augsburg (Nr. 414)138). Als Erklärung für den zeitlich so gebündelten Zustrom neuer Altargefäße bietet eine lokale mündliche Tradition einen vorangegangenen großen Verlust durch Diebstahl an . Ein zusätzlicher Bedarf an Kirchengerät in dieser Zeit läßt sich jedoch auch daraus erklären, daß im Jahr 1704 eine weitere, nur den Zwecken der Universität dienende Gottesdienststätte Neumärker Str. 1 am Markt eröffnet wurde. Dadurch wurde die St. Stephanikirche in ihrer bisherigen Funktion als Universitätskirche entlastet, die vorhandene Ausstattung mit Altargerät dürfte indes für beide Gotteshäuser nicht ausgereicht haben, so daß sie durch Stiftungen ergänzt werden mußte.

4. 3. 3. Porträtsammlung der Universität

Unter den im Juleum bis zur Schließung der Universität aufbewahrten Sammlungen bilden Gemälde, überwiegend Professorenporträts, die größte Gruppe. Soweit sie mit Inschriften versehen sind, wurden sie in den Katalog aufgenommen138). Bearbeitet sind fünfzehn erhaltene, den Namen von Professoren in der Inschrift tragende Bilder, ein erhaltenes und ein verschollenes Porträt des Universitätsgründers Herzog Julius sowie zwei nicht erhaltene Bildnisse von bekannten Persönlichkeiten aus der Nachreformationszeit. Die Geschichte der Sammlung bzw. die Umstände, die ihr Entstehen begleiteten, bedürften einer eigenen Untersuchung. Die verhältnismäßig geringe Zahl von bekannten Professorenbildnissen läßt nicht darauf schließen, daß der Aufbau der Bildersammlung ein Anliegen der Universität war – wie z. B. in Jena139). Dort mahnte die Universität von jedem Professor nach seinem ersten Prorektorat eine Bildnisstiftung an, eine Forderung, deren Erfüllung sie durch einen Zuschuß zu den Herstellungskosten förderte. Bereits den Bildungsreisenden Zacharias Conrad von Uffenbach erstaunte 1709 das Fehlen einer den gesamten Lehrkörper dokumentierenden Porträtgalerie. Angesichts der ihm in der Aula des Juleums gezeigten sechs Professorenporträts, davon drei von noch lebenden Professoren, bemerkt er Mich wundert, daß die übrigen, wie auch die vormals allhier gewesenen Herren Professores nicht vorhanden sind, welch sonsten als ein schöner Zierrath und gutes Andenken an diesem Orte stünden140). Tatsächlich besaß die Universität beim Besuch Uffenbachs einige Bilder mehr141). Daß Uffenbach z. B. das Porträt des berühmten Späthumanisten Johannes Caselius (Nr. 62) nicht präsentiert wurde, bestätigt die Annahme, daß sich die Helmstedter Universität zumindest nicht um diese Zeit mit Hilfe einer gepflegten Professorenbildergalerie der eigenen großen Geschichte versicherte – wie anderenorts üblich. [Druckseite XLVII]

Die Bildersammlung unterstand der Verwaltung des Universitätsbibliothekars. Zugänge erhielt die Bibliothek u. a. durch testamentarische Verfügungen über Nachlässe. In einem solchen Zusammenhang kamen z. B. Bilder der Erblasser Eberlin (Nr. 132) und Caselius (Nr. 62) in den Besitz der Universität. Ebenfalls über einen Nachlaß dürfte das Bild des Reformators Johannes Äpinus (Nr. 52) seinen Weg nach Helmstedt gefunden haben. In einigen Fällen fällt die Datierung des Bildes zusammen mit besonderen Ereignissen in der Karriere des Dargestellten, so mit dem Jahr der Bestallung (Nr. 351), mit der Aufnahme der Lehrtätigkeit in Helmstedt (Nr. 487) und – wie in Jena – mit der Übernahme des Prorektorats (Nr. 339). Bei diesen und den übrigen Professorenbildern kann man davon ausgehen, daß sie von den Dargestellten oder ihren Nachkommen um des individuellen Nachruhms willen gestiftet worden sind.

Die sprachliche Form der Inschriften ist sehr verschieden. Auch hier überwiegt das Latein. Die Beischrift A auf dem Porträt des Johannes Caselius von 1568 (Nr. 62) ist auf Griechisch verfaßt. Im Jahre 1762 ließ sich der Philosoph Franz Rothfischer als erster und einziger Professor mit nicht latinisiertem Namen und deutscher Beischrift darstellen (Nr. 487). Aus einem elegischen Distichon besteht die Inschrift eines nicht erhaltenen Bildnisses von nach 1616 (Nr. 132). Zu den Namen der Dargestellten können Zusätze treten: eine Devise (Nr. 138), eine Kurzwürdigung des Dargestellten, hier des Hochschulgründers Herzog Julius (Nr. 462), sowie bei zwei Bildern etwas verdeckte, datierte Malersignaturen (Nrr. 464, 487). Damit geraten zwei Maler aus dem Braunschweiger Umfeld, J. Müller und E. Beckly, in den Blick und erfahren eine Erweiterung ihres bekannten Œuvres. Alle übrigen Bilder sind nicht signiert. Ein Versuch, sie nach anderen Merkmalen einer Werkstatt zuzuordnen, ist bisher nicht unternommen worden.

Kern der Inschrift ist der Name des Dargestellten. Ihn allein bieten die vier jüngsten Bilder (Nrr. 522, 523, 524, 525). Den Namen ergänzen Altersangabe bzw. Todesdatum, Titulatur und Jahreszahl als Hinweis auf das Entstehungsjahr des Bildes. Im Fall von Nr. 452 ist die Jahreszahl verbunden mit einem nicht zu erklärenden Tagesdatum. Ausschließlich Elemente der Grabschrift bietet die Inschrift des auf dem Totenbett dargestellten Juristen Johann Barter von 1617 (Nr. 133). Nach den Ausführungsbesonderheiten der Schrift lassen sich Bilder zu Gruppen sortieren. So sind die Bilder des Theologen Georg Calixt und seines Sohnes Friedrich Ulrich zusammen mit dem des Calixtanhängers Johann Barthold Niemeier (Nrr. 340, 339, 351) außer nach der Bildkomposition auch nach der Ausführung der Inschrift in derselben Werkstatt entstanden. Die epigraphischen Eigenheiten der nur den Namen enthaltenden Inschriften auf den Bildern Nrr. 522, 523, 524 sprechen dafür, daß diese bloßen Namenbeischriften von einer ordnenden Hand später hinzugefügt worden sind142). Gestützt wird diese Vermutung durch die besondere Inschriftensituation auf dem Bild Nr. 116. Auf diesem Porträt erscheint die Namenbeischrift mit den gleichen epigraphischen Merkmalen wie auf der zuletzt genannten Bildergruppe. Sie steht hier neben einer nach der Schriftform deutlich älteren Inschrift aus dem Jahre 1604, die den Namen des Dargestellten nicht nennt. In dem schon genannten, nicht vor 1745 verfaßten Bibliotheksinventar143) wird das Bild beschrieben und als nicht benahmet bezeichnet. Danach kann der Namenszusatz also erst nach 1745 erfolgt sein, und die von der Namenbeischrift suggerierte Identifizierung des Dargestellten als des 1625 in Helmstedt tätigen Naturforschers Joachim Jungius wird hinfällig. Für die Namenbeischriften von Nrr. 522, 523, 524 ergibt sich daraus, daß auch sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nach 1745 hinzugefügt worden sind.

Zitationshinweis:

DI 61, Stadt Helmstedt, Einleitung, 4. Inschriften, Inschriftenträger und Überlieferung (Ingrid Henze), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di061g011e005.

  1. Zu ihm vgl. Nr. 86»
  2. Nieders. Landesbibliothek Hannover Ms. XXIII 583, Bl. 13r–14r, Nieders. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 8o Cod. Ms. hist. 499, Bl. 84v–85r und HAB Wolfenbüttel Cod. Guelf. 227 Extrav. 4o, Bl. 279v–280r. »
  3. Dazu, zu Datierung und Zuweisung der gesamten Handschriften an Meibom sowie ihrer Kurzbeschreibung vgl. Strauß, Marienberg, S. 15. Strauß geht nicht darauf ein, ob in dem hier einschlägigen Teil der Handschriften Abschriften tatsächlich ausgeführter Grabinschriften vorliegen. Die dem Abschnitt voranstehende Überschrift und der Vergleich mit erhaltenen Stücken sprechen jedoch eindeutig dafür, die Texte in diesem Sinne zu verstehen. G. Zimmermann, Die acht Klosterchroniken des Helmstedter Historikers Heinrich Meibom, Jb. der Gesellschaft für nieders. Kirchengeschichte 74, 1976, S. 59 hat zuerst auf „Nachrichten .. über Epitaphe der Klosterkirche“ hingewiesen, die sich in der Göttinger Handschrift befänden. »
  4. Leuckfeld bei Meibom, Marienberg, S. 82, Anm. e6.  »
  5. Zu Schüttelöffels Zeichnungen zu St. Marienberg vgl. Kat. Jahrtausend, S. 407. »
  6. Schriftwechsel zur Anlage von Corpora bonorum in der Stadt Helmstedt in: Landeskirchl. Archiv Wolfenbüttel V(oges) Helmstedt 1465. »
  7. Vgl. zu ihm Koldewey, Geschichte der klassischen Philologie, S. 83ff. und Ahrens, Lehrkräfte, S. 26f. Als Verfasser einer Grabinschrift nennt sich Böhmer in Nr. 359»
  8. Böhmer, Inscriptiones, Vorwort, Bl. 2, 1. Satz. »
  9. Böhmer, Inscriptiones, Vorwort, Bl. 2. Es handelt sich um die nach seinem Tod 1733 von Christoph August Heumann in Göttingen herausgegebenen „Memoriae professorum eloquentiae quos habuit Academia Helmstadiensis“ und die 1719 in Wolfenbüttel erschienenen „Memoriae professorum Helmstadiensium in medicorum ordine qui diem suum obierunt prolusionibus binis descriptae“. Die erste Schrift ist aus einer 1708 gehaltenen Rede hervorgegangen, vgl. dazu Koldewey, Geschichte der klassischen Philologie, S. 87, Anm. 1; der Darstellungsgegenstand der zweiten Schrift war nach den Angaben Böhmers im Vorwort zu den „Inscriptiones“ ebenfalls Thema einer akademischen Rede gewesen. »
  10. Nrr. 64, 75, 81. Zu weiteren Beispielen vgl. S. 33 mit Anm. 91. »
  11. Böhmer, Inscriptiones, Vorwort, Bl. 5. Seine Klage ist Topos moderner Inschriftensammler: Sunt in libello hoc monumenta quaedam quae legere potui quum ante duodecim annos ea colligere inciperem: hodie quum detrita illa sint atque exesa nemo amplius adcurate legat quantacunque is polleat acie oculorum ac vigore (Dieses Büchlein enthält einige Inschriftenzeugnisse, die ich noch lesen konnte, als ich vor zwölf Jahren begann, Inschriften zu sammeln. Da sie inzwischen abgescheuert und zerfressen sind, kann sie niemand mehr genau lesen, mag er auch noch so scharfe und gute Augen haben.).  »
  12. Böhmer, Inscriptiones, Vorwort, Bl. 5. »
  13. Die achtzehn mittelalterlichen Altäre von St. Stephani sind 1542 bis auf den Hochaltar und den in der Vierung gelegenen Kreuzaltar beseitigt worden, vgl. Meier, Kunstdenkmäler, S. 62. Böhmers Ortsangabe PROPE ALTARE MINVS kann sich nur auf diesen jetzt noch dort befindlichen Altar beziehen. »
  14. Böhmer, Inscriptiones, Vorwort, Bl. 5. »
  15. Nrr. 90, 189, 193, 194, 205, 211, 216, 234, 269, 275, 284, 292, 301, 306, 308, 322, 325, 333, 343, 349, 410, 421»
  16. Nrr. 200, 279, 306, 335, 385, 425»
  17. Böhmer, Inscriptiones, Vorwort, Bl. 3 charakterisiert den Stil von Grabinschriften als summatim (kurz, zusammenfassend) und nennt als Darstellungsgegenstände .. defuncti nomen aetatem patriam diem obitus vitae conditionem res praeclare gestas honores laudes ( .. des Verstorbenen Namen, Alter, Herkunft, Todestag, Lebensverhältnisse, seine herausragenden Taten, Ehrentitel und rühmlichen Eigenschaften). »
  18. Eine Ausnahme ist Nr. 292; den dort in der Trauerschriftensammlung genannten Namen des Verfassers, des Professors der Medizin Friedrich Schrader, überliefert Böhmer nicht zu der Inschrift. In der Trauerschriftensammlung ist man in diesem Fall offensichtlich dem Brauch, die Beiträge des Freundeskreises namentlich zu kennzeichnen, gefolgt. Ebenso wurde in Nr. 90 verfahren, wo die inschriftlich ausgeführten Verse in einem zwanzig Seiten langen, mit Verfassernamen subskribierten Gedicht enthalten sind. Ein Sonderfall ist auch die von dem Professor für Poesie Heinrich Meibom d. J. verfaßte poetische Grabinschrift Nr. 301. Sie ist in den Trauerschriften samt Verfassernamen zusammen mit einem weiteren Gedicht Meiboms unter die Trauergedichte des Freundeskreises eingereiht worden. »
  19. Nrr. 436, 438, 440, 446, 482, 489, 490»
  20. Auch wenn alle genannten Kriterien zusammentreffen, bleibt ein Rest von Unsicherheit. So überliefern die Trauerschriften zu Friedrich Anton Schacht neben der durch Böhmer bekannten Inschrift eines verlorenen Grabdenkmals (Nr. 189) einen Epitaphtext, der alle Kriterien einer authentischen Inschrift erfüllt, aber auf dem erhaltenen Epitaph Nr. 190 nicht ausgeführt worden ist. Hier ist möglicherweise eine Planungsänderung eingetreten, da dieser Text noch umfangreicher war als der jetzt auf dem Epitaph zu lesende. »
  21. Das Manuskript trägt auf dem Titelblatt den Vermerk 22. Juni 1851. In einem im Archiv der Kirchengemeinde St. Stephani vorhandenen, fehlerhaften Typoskript der Quernerschen Aufzeichnungen wird dieses Datum fälschlich auf Querners Vereidigung bezogen. Die hatte nach Querners eigener Aussage am 7. Juli 1850 stattgefunden, vgl. S. 29. Der späteste Eintrag ist am 3. April 1857 erfolgt, vgl. S. 40. Damit dürfte Querner zwischen 1851 und 1857 tätig gewesen sein. »
  22. G. T. Meier, Monumenta Julia memorias professorum Helmstadiensium qui diem suum obierunt exhibentia, Helmstedt 1680. »
  23. Nieders. Landesbibliothek Hannover, Sign. C 6414. Koch, der auf dem Titelblatt Helmst. MDCCVIII notiert hat, teilt 27 Professorengrabschriften aus der Zeit zwischen 1621 und 1708 mit, dazu die Braunschweiger Epitaphinschrift des ehemals in Helmstedt als Oberster Superintendent amtierenden, späteren Riddagshäuser Abtes Petrus Tuckermann von 1651 (vgl. DI 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 1007). Koch bezeichnet sich als Soltovia-Lüneburg. und dürfte danach identisch sein mit dem Studenten Johann Heinrich Koch Soltovio Luneburgicus, der am 26. April 1706 immatrikuliert wurde, vgl. Matrikel Helmstedt, Bd. 3, S. 77. Frau A. Hölzer, Handschriftenabteilung der Nieders. Landesbibliothek Hannover, und Herrn Dr. H. Fuhrmann, Halle, sei für den Hinweis auf Koch gedankt. »
  24. Nrr. 430, 431»
  25. Nrr. 462, 474»
  26. NStA Wolfenbüttel 37 Alt 1075, Bl. 82ff. Da das undatierte Schriftstück von Academia Julia C a r o l i n a spricht, ist es nach 1745, dem Ende des Kondominiums der Welfenhöfe über die Universität Helmstedt, verfaßt. »
  27. Das Manuskript liegt in der Nieders. Landesbibliothek Hannover, Sign. Oy-H V, 42. »
  28. Nrr. 89, 90, 91, 102, 112»
  29. Sie erschien in: Neue Mittheilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forschungen 2, 1836, H. 3/4, S. 450–503; 3, 1837, H. 1, S. 88–102, H. 3, S. 73–90; 4, 1839, H. 2, S. 65–92. Weitere Arbeiten von Behrends zum Helmstedter Kloster bei Römer, Helmstedt, St. Ludgeri, S. 192. »
  30. Die zweite Zahl bezeichnet hier und im folgenden die Anzahl der Inschriften bis 1650. »
  31. Trotzdem kann aus der Anbringung der Schrift allein nicht auf die ursprüngliche Funktion eines Grabdenkmals geschlossen werden; so hat das Epitaph Nr. 10 eine von innen zu lesende Umschrift. Eine „Vermischung der verschiedenen Konzeptionen“ beobachtet auch Scholz an Bodenplatten bzw. Epitaphien des 15. Jahrhunderts, vgl. DI 38 (Bergstraße), S. XXXII. Scholz streift in diesem Zusammenhang die Frage, „weshalb man überhaupt dazu überging, Epitaphien zu errichten“ und diskutiert die Aufgabenverteilung zwischen beiden Grabdenkmaltypen. Auf die in diesem Zusammenhang zur Sprache kommende besondere liturgische Funktion der Grabplatte in der mittelalterlichen Totenmemoria muß hier angesichts des frühneuzeitlichen Schwerpunktes des Helmstedter Inschriftenbestandes nicht näher eingegangen werden. Ersatzweise sei dafür verwiesen auf die Darstellung von Scholz, S. XXIVff. »
  32. Ein Epitaph aus dem Jahre 1572 mit einer 110 Zeilen umfassenden Inschrift ist in Neckarsteinach erhalten. Die Inschrift ist auf drei Spalten verteilt, vgl. DI 38 (Bergstraße), Nr. 160»
  33. Eine Ausnahme bildet ein kleines, ovales, gußeisernes Epitaph für den Bürgermeister Christoph Roier (Nr. 191), das ursprünglich an der Außenwand von St. Stephani hing. »
  34. Dies kann auch bei Nr. 506 und Nr. 511 nicht ausgeschlossen werden. Zu diesen Steinen wie auch zu den beiden im folgenden genannten gibt es keine Bezeugungen in den Quellen. Die achteckige Platte Nr. 469 wird ihrer äußeren Form wegen hier als Epitaph angesehen, desgleichen die hochrechteckige Platte Nr. 310. Deren Inschrift macht mit Neben diesem Steine Ruhen eine Verwendung als Deckplatte für ein Grab eher unwahrscheinlich. »
  35. Beispielsweise im Falle von bei Helmstedter Universitätsmedizinern Heilung Suchenden, vgl. Nr. 204 und Nr. 356»
  36. Außer den oben genannten sind es Nrr. 24, 37, 39, 40, 45»
  37. Nrr. 204, 236 B, 250, 251, 252, 273, 290, 327, 361, 362. Eine elfte Grabschrift (Nr. 283) läßt sich wegen ihres nur fragmentarisch überlieferten Wortbestandes keiner Sprache zuweisen. »
  38. Es sind dies Nrr. 251, 290, 327, 362. Auch überliefert Böhmer nicht die sich beider Sprachen bedienende Inschrift auf dem Epitaph für den Bürgermeister Samuel Meyer und seine Ehefrau Maria Pabst von 1690 (Nr. 310). »
  39. Zwischen 1650 und 1700 sind dies Nrr. 204, 236 B, 250, 252, 273. Der Sarg der Professorentochter Augusta Sophia Charlotta Eichel von Rautenkron, verheiratete von Haken, aus dem Jahre 1700 (Nr. 361) in der Grabkapelle auf dem Stephanifriedhof war Böhmer offenbar nicht zugänglich. Er trägt etliche deutsche Inschriften. »
  40. Vgl. die tabellarische Auswertung der DI-Bände bis Band 48 (1998) bei Hoffmann, Auswertungsperspektiven, S. 22ff. »
  41. Der verbleibende Rest läßt sich nur zum Teil der deutschen Sprache zuweisen. 20 Inschriften bis 1650 bzw. 45 Inschriften bis 1800 erlauben keine Aussage zur Sprachzugehörigkeit, da sie nur Namen etc. enthalten. »
  42. Vgl. Anhang 3. »
  43. Vgl. Register 10, „Versmaß“. »
  44. Auf Einzelnachweise kann verzichtet werden. Die Sammlungen von L. Schumacher, Römische Inschriften, Lateinisch/Deutsch, Stuttgart (Reclam) 1988 und G. Walser, Römische Inschrift-Kunst, Stuttgart 1988 bieten zahlreiche Beispiele für die im folgenden aufgezeigten Gemeinsamkeiten. Kenntnisse über römische Inschriften konnte man aus den Editionen der Humanisten und Späthumanisten gewinnen, von denen Böhmer in der Einleitung zu seiner Helmstedter Sammlung etliche aufzählt, vgl. Böhmer, Inscriptiones, Vorwort, Bl. 3ff. »
  45. Hierzu und zum Folgenden vgl. Register 6. »
  46. Im gleichen Jahr 1588 auch in der versifizierten Grabschrift Nr. 90. Vgl. auch Nrr. 113, 123, 136, 185, 216, 270, 288 und öfter. »
  47. Ausnahmen sind zwei Grabschriften von Mitgliedern der nicht in Helmstedt verwurzelten Professorenfamilie Eyben von 1673 (Nrr. 245, 247; vgl. dazu Anm. 106) und die Grabschrift des Universitätsökonomen Stus und seiner Frau von 1698 (Nr. 348). »
  48. Vgl. Anm. 69. Es sind dies weitgehend die von zeitgenössischen Rhetoriklehrbüchern an die Hand gegebenen Topoi zur Personendarstellung, vgl. Segebrecht, Gelegenheitsgedicht, S. 113. Böhmer als Professor der Eloquenz hat sie ebenso gekannt wie die ihnen zugrundeliegende antike Rhetoriktheorie. In diesem Bereich kann die Grabschrift zu einer in vieler Hinsicht ergiebigen Quelle werden. Aus der Fülle des Materials, das die Helmstedter Inschriften hier bieten, sollen einige formale und inhaltliche Besonderheiten vorgestellt werden.  »
  49. So z. B. in der erhaltenen Inschrift Nr. 181 AETATIS A(NN)O 47 IN DOMINO MORTUUS EST. Der Verstorbene war bei seinem Tod siebenundvierzig Jahre und gut zwei Monate alt. Vgl. auch Nr. 123 und Nr. 289, hier bei der Angabe des Immatrikulationsdatums. »
  50. So z. B. in Nr. 157 anno aetatis 34 pastoratus 4to (im 34. Lebensjahr, im 4. Jahr seines Pastorats). »
  51. In der eigentlichen Bedeutung „Lebensjahr“ in Nrr. 92, 120, 157, 159, 176, 187, 194, 199, 220, 240, 257, 269, 348, 349, 369, 397, 469, 506. In der Bedeutung von „im Alter von soundsovielen Jahren“ in Nrr. 123, 168, 181, 248, 289, 379, 410. – Ein ähnliches Ergebnis erbrachte die Überprüfung des Braunschweiger Inschriftenbestandes, vgl. DI 56 (Stadt Braunschweig II), S. XIII. Die wenigen Fälle, in denen die entsprechende deutsche Wendung in deutschsprachigen Inschriften des Helmstedter Bestandes erscheint und scheinbar eindeutig unterscheidet zwischen sines alders im 44 Jahre neben ihres Alters 58 Jahr (beides aus Nr. 75), lassen sich nicht auf ihre Genauigkeit hin überprüfen, da die dafür nötigen biographischen Daten nicht zur Verfügung stehen.  »
  52. Das Einzugsgebiet der Universität anhand der Matrikeleintragungen dokumentiert die Arbeit von U. Alschner, Universitätsbesuch in Helmstedt 1576–1810. Modell einer Matrikelanalyse am Beispiel einer norddeutschen Universität, Selbstverlag des Braunschweigischen Geschichtsvereins, Wolfenbüttel 1998. »
  53. Die These bedürfte einer eingehenderen Überprüfung, wobei die Bestände anderer Universitätsstädte vergleichend mit einbezogen werden sollten. Unverkennbar tragen „importierte“ Grabinschriften wie die auf einer studentischen Grabplatte aus dem Sauerland (Nr. 84) neue Merkmale in die Stadt (s. o. S. 29). Gleiches gilt für die Grabschriften der sich nur kurzzeitig in Helmstedt aufhaltenden Professorenfamilie Eyben (Nrr. 245, 247). Deren Eröffnungsformel und Abkürzungspraxis sind in Helmstedt singulär. Korrespondierend dazu sprechen z. B. nachweisbare Textübereinstimmungen zwischen Funeralprogramm und Grabschrift (s. u. S. 39f.) sowie Zweitverwendung von Formulierungen in den Grabschriften ein und derselben Familie (Nrr. 308, 350) für die allmähliche Etablierung eines ortsüblichen Routineverfahrens. »
  54. Sehr viel deutlicher formulieren die Grabschriften Jenaer lutherischer Theologen die Position der Frühorthodoxie, vgl. DI 33 (Stadt Jena), S. IL. »
  55. Nrr. 124, 141, 159, 167, 187, 200, 219, 234, 240, 269, 270, 274, 288, 292, 294, 322, 349, 398, 410, 411, 436. Die Formel ist in späthumanistisch geprägten Beständen verbreitet. So findet sie sich z. B. in den Basler Grabinschriften, die eine vergleichbare ständische Zusammensetzung bieten, mehrfach im 17. und 18. Jahrhundert, vgl. Buxtorf, Grabinschriften Basel, S. 111, Nr. 19, S. 122, Nr. 33, S. 190f., Anm. 101, 102, 114, S. 194, Anm. 149, 150. Vgl. z. B. auch L. und K. Hallof, Die Inschriften für Jenaer Cives Academici aus den Jahren 1650 bis 1800, Berlin 1995, Nr. 294 von 1664, DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 647 von 1592 sowie Nr. 849 von 1635 und DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 508 von 1595, hier in einer Becherinschrift zu Ehren des Bürgermeisters Henni Arneken. (Omnes) boni greift eine politische Kategorie Ciceros auf, die gleichermaßen eine moralische wie eine staatspolitische und ständische Aussagequalität hatSo bei Cicero, vgl. dazu G. Achard, Pratique rhétorique et idéologie politique dans les discours « optimates » de Cicéron, Leiden 1981, S. 362ff. »
  56. Zu „respublica litteraria“ vgl. E. Trunz, Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur. In: Deutsche Barockforschung, hg. von R. Alewyn, Köln/Berlin, 2. Auflage 1966, S. 147ff. Trunz, S. 161 bezeichnet Helmstedt als geistigen Mittelpunkt des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel. Die Grabschriften hat er nicht in seine Untersuchung einbezogen. »
  57. So z. B. auf dem Grabdenkmal von 1715 für den Klosterverwalter Conrad Hermann Barntorff in der Klosterkirche Amelungsborn, Landkreis Holzminden, Drum bleibet auch sein Ruhm bey redlichen stets neu»
  58. So z. B. Nrr. 92, 163, 342, 386, 387; caelestem scholam und ähnl. Nrr. 195, 198. – In den vergleichbaren Grabschriftbeständen der Universitätsstädte Basel und Jena erscheint die Wendung ebenfalls, erfährt allerdings nicht die erweiternde Ausgestaltung wie in Helmstedt. Vgl. Buxtorf, Grabinschriften Basel, S. 204 und DI 33 (Stadt Jena), S. XLVIII mit Weiterverweisen. »
  59. Bildlich dargestellt z. B. auf der Grabplatte des Priesters Bruno im Hildesheimer Domkreuzgang (Ende 12. Jahrhundert), vgl. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 46 mit Abb. 44. »
  60. Nrr. 220, 300, 311, 359, 421»
  61. Vgl. Register 10, „Verfasser“. »
  62. Es handelt sich um vierzehn erhaltene Grabinschriften, entstanden zwischen 1684 und 1799: Nrr. 251, 290, 310, 327, 362, 437, 442, 465, 497, 498, 500, 508, 515, 519. Die Grabplatte Nr. 362 ist nach 1978 verlorengegangen. Zu Nr. 310 vgl. Anm. 91. »
  63. Das Verhältnis von deutscher zu lateinischer Grabschrift sowie mögliche Wechselwirkungen zwischen beiden verdiente eine differenzierendere Untersuchung. Grundsätzlich gilt auch für diese späte Zeit die Feststellung von Wulf, Typologie der deutschsprachigen Inschriften, S. 135, „daß das Formular der deutschen Prosagrabschrift nicht generell vom lateinischen ausgegangen ist“. Zu berücksichtigen bleibt indes, daß in Helmstedt möglicherweise die Vorbildfunktion der akademischen Grabschrift besonders groß gewesen ist. »
  64. Die vergleichbaren Städte Einbeck und Goslar kennen bis 1650 34 bzw. 62 Hausinschriften, vgl. DI 42 (Einbeck), S. XXI und DI 45 (Stadt Goslar), S. XXIII»
  65. S. o. S. 28. »
  66. Die drei Häusertypen sind nach ihrem Vorkommen und ihren besonderen Charakteristika behandelt bei Schulz, Architektur, S. 12ff., S. 19f. Vgl. auch Meier, Kunstdenkmäler, Kapitel „Wohnhäuser“, S. 100ff. »
  67. Schulz, Architektur, S. 13. »
  68. Zur Bewertung des Fachwerkbaus in Helmstedt vgl. K. Steinacker, Der Fachwerkbau in Helmstedt. In: Braunschweig. Magazin Nr. 9, 1903, S. 97ff. und Schultz, Architektur, S. 12f. »
  69. Es wird in seiner Entwicklung anhand von Beispielen des Braunschweiger Bestandes aus der Zeit von 1432 bis 1526 vorgestellt in DI 35 (Stadt Braunschweig I), S. XLVII»
  70. Zur Verbreitung der im folgenden genannten Haussprüche vgl. DI 28 (Hameln), S. XXIX, DI 42 (Einbeck), S. XXIf., DI 45 (Stadt Goslar), S. XXIV, DI 56 (Stadt Braunschweig II), S. XXXIII»
  71. Vgl. Register 5. »
  72. Vgl. dazu Hägele, Hausinschriften, S. 69ff. Dort der Versuch einer Analyse der Hausinschriften nach inhaltlichen Gesichtspunkten. »
  73. Zur Verwendung gerade auch der abgekürzten Fassung VDMIE u. a. auf der Kleidung sächsischer Hofleute und auf den Gewandärmeln der prostestantischen Teilnehmer auf dem Reichstag von Speyer 1526 vgl. DI 42 (Einbeck), S. XXI, Anm. 38 mit weiterweisender Literatur.. Es ist möglicherweise als ein demonstrativer Akt zu verstehen, daß ein Propst von St. Ludgeri mit diesen Worten auch die barocke Kanzel des in den Glaubenskriegen zerstörten katholischen Klosters St. Ludgeri ausstattete (Nr. 364). Aus dem Psalmenspruchgut erfreute sich der auch anderswo gern gewählte Psalm 126,1/127,1 einiger Beliebtheit. Nisi Dominus aedificaverit domum in vanum laboraverunt qui aedificant eam nisi Dominus custodierit civitatem frustra vigilat qui custodit eam wird 1567 am sog. Rohrschen Haus, Papenberg 2 (Nr. 61) in lateinischer Sprache und 1706 Neumärker Str. 14 (Nr. 416) in deutscher Version zu einer Hausinschrift verarbeitetNach Meier, Kunstdenkmäler, S. 114 stand der Psalm auch an einem 1919 durch einen Nachfolgebau ersetzten Haus aus der Mitte des 17. Jahrhunderts am Lindenplatz 1. Da Meier keinen Inschriftentext, sondern nur die Bibelstelle angibt, wurde Lindenplatz 1 von der Bearbeitung ausgeschlossen. Nicht hier aufgenommen ist auch die zweimalige Verwendung des Psalms als Inschrift nach 1800. Für diese drei Inschriften sei verwiesen auf Hägele, Hausinschriften, Nrr. 42, 85, 90»
  74. Vgl. z. B. Schulz, Architektur, S. 6. »
  75. Ob die Kamininschrift, die der Schwiegersohn des Philosophieprofessors Johannes Caselius, der Professor der Rechte Theodor Adam, 1605 im Inneren des Hauses Papenberg 21 anbrachte, nur auf den Bau des Kamins oder auf einen Neubau insgesamt hinweist, ließ sich nicht klären, vgl. Nr. 118»
  76. Nur Name und Datum bieten die auf Baumaßnahmen an Nebengebäuden deutenden Inschriften des Theologen Friedrich Ulrich Calixt auf dem herzoglichen Lehnshof Edelhöfe 2 aus den Jahren 1662 und 1666 (Nr. 207). »
  77. Ob bei dem Brand der Kirche 1942 auch beschriftete Kelche verlorengegangen sind, erscheint eher unwahrscheinlich. Zwar war der Niederbrennung nach Kirchenbrand, S. 35 wohl eine Plünderung auch der liturgischen Geräte vorausgegangen, aber bereits Meier, Kunstdenkmäler, S. 28f. nennt 1896 nur den einen beschrifteten gotischen Kelch Nr. 38»
  78. Zu den heute noch in Marienberg aufbewahrten fünf Kelchen wird hier der Emmerstedter Kelch Nr. 37 hinzugezählt. Er hat 1896 noch zum Marienberger Bestand gehört. »
  79. Die z. T. sehr umfangreichen älteren Inventare zum Gesamtbestand des Klosters, z. B. in NStA Wolfenbüttel 4 Alt 3 Marbg. Nr. 1802, bedürften einer gesonderten Auswertung. Zu den Verlusten: Ein Inventar von 1596, ebenda, unpaginiert, nennt neben zwölf (!) vergoldeten Kelchen acht Monstranzen. Von den Monstranzen ist keine mehr erhalten. – Das Zitat papistische Cleinodien aus einem den Verkauf von Kirchengerät betreffenden Vertrag vom 1. März (Freytag post Reminiscere) 1594, a. a. O., unpaginiert. – Einen vergleichbaren Umgang mit Altargerät in den Gemeinden der benachbarten Kirchenprovinz Sachsen nach der Reformation beschreibt anhand von Inventaren und Visitationsprotokollen B. Seyderhelm, „Solche clinodien sollen wol vorwart und ane vorwissen der obrigkeit nicht vorwandt noch angegriffen werden ...“. Zu den Hintergründen des Gebrauchs mittelalterlicher liturgischer Gefäße in der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen. In: Kat. Goldschmiedekunst, S. 17ff. »
  80. Meier, Kunstdenkmäler, S. 62. »
  81. Meier, Kunstdenkmäler, S. 76f. »
  82. Ein weiteres vorreformatorisches Stück, einen unbeschrifteten Kelch in St. Walpurgis, beschreibt Meier, Kunstdenkmäler, S. 79. »
  83. Es ist skizziert bei B. Seyderhelm, Funktion, Bedeutung und Geschichte der liturgischen Geräte, die in den evangelischen Kirchengemeinden erhalten worden sind. In: Kat. Goldschmiedekunst, S. 136ff., hier S. 138f. »
  84. Möglicherweise ist das Stiftungsjahr auch auf einem weiteren Kelch vermerkt, vgl. Nr. 23»
  85. Zu nennen ist aus der städtischen Führungsschicht die Familie des Bürgermeisters Franz Cuno (Nrr. 329, 330, 378). Von Universitätsangehörigen ist neben der Ehefrau zweier Universitätsapotheker, Ilsa Maria Müllers (Nrr. 320, 321), die Familie Eichel von Rautenkron mehrfach mit Stiftungen vertreten (Nrr. 403, 404, 423). »
  86. Ein nennenswertes Goldschmiedehandwerk scheint es in Helmstedt im 17. und noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der Tat nicht gegeben zu haben, denn erst 1759 erreichten die wenigen ansässigen Goldschmiede die Einrichtung einer Gilde, vgl. Pieper, Chronik, S. 103. »
  87. Ein weiteres Kriterium war der Nachweis ihrer Helmstedter Provenienz durch den jetzigen Eigentümer. Von der Bearbeitung ausgeschlossen waren somit u. a. ein vermutliches Caseliusporträt in Braunschweig, Braunschweigisches Landesmuseum, Inventarnr. Zg 3313, das lt. Karteikarte nicht aus Helmstedt stammt („aus einer anderen, nicht mehr nachzuweisenden Quelle, an die Helmstedt keinen Anspruch hat“), und ein Porträt des Professors Gottfried Christoph Beireis (1730–1809) im Bibliothekssaal des Juleums. Das Bild ging 1997 aus dem Besitz der Familie Beyreiß in das Eigentum des Landkreises Helmstedt über. Seine Helmstedter Provenienz kann nicht belegt werden (Frdl. Auskunft des Leiters der Ehem. Universitätsbibliothek, Herrn R. Volkmann). Die damit nur einen Teil der Bilder einbeziehende vorliegende Untersuchung ersetzt nicht eine wünschenswerte Zusammenstellung und Bearbeitung aller in Museen und Privatbesitz vorhandenen Bildnisse von Helmstedter Professoren, also auch der unbeschrifteten. Nicht nachgegangen wurde auch den Hinweisen, die das nach 1745 angefertigte Inventar NStA Wolfenbüttel 37 Alt 1075 (vgl. Anm. 78) auf Gemälde gibt, die nur durch Jahreszahlen bezeichnet sind. »
  88. Oehme, Jenaer Professoren, S. 6, S. 16, S. 21. »
  89. Uffenbach, Reisen, S. 185. »
  90. Vgl. die Auswertung des Inventars NStA Wolfenbüttel 37 Alt 1075, Bl. 82ff. (vgl. Anm. 78) zu den einzelnen Bildern im Katalog. »
  91. Anhaltspunkte für ein solches Vorgehen auch in Jena, vgl. Oehme, Jenaer Professoren, S. 9. »
  92. NStA Wolfenbüttel 37 Alt 1075, Bl. 82ff. (vgl. Anm. 78). »