Die Inschriften der Stadt Einbeck

2. Die Einbecker Inschriften – Einordnung in die Stadtgeschichte

Die Stadt Einbeck und die eingemeindeten Orte bilden seit April 1974 die kommunale Einheit, deren Inschriften in diesem Band erfaßt sind. Zuvor gehörten die Ortschaften Amelsen, Edemissen, Holtensen, Hullersen, Iber, Kohnsen, Negenborn, Odagsen, Salzderhelden, Strodthagen und Volksen zum Landkreis Einbeck.1) Geht man von den mittelalterlichen Verhältnissen aus, dann lagen die Orte Amelsen, Edemissen, Holtensen, Negenborn und Volksen in einem Territorium, das zunächst den Grafen von Dassel und seit 1310 dem Hochstift Hildesheim gehörte. Die übrigen Orte waren wie Einbeck zunächst Eigentum der Grafen von Katlenburg und gingen später in den Besitz der Welfen über. Hullersen, Iber, Kohnsen, Odagsen und Strodthagen gehörten zu dem grubenhagenschen Amt Rotenkirchen; Salzderhelden war Sitz eines eigenen Amtes und zugleich Residenz der Herzöge von Grubenhagen. Die dem Hochstift Hildesheim seit 1310 angehörenden Orte waren dem Amt Hunnesrück zugeordnet. Infolge der Hildesheimer Stiftsfehde kam das [Druckseite XI] Amt an die Herzöge von Calenberg-Göttingen, die die neuerbaute Erichsburg zum Amtssitz machten. Das Amt Erichsburg existierte in dieser Form bis zum Jahr 1643 und wurde danach wieder Hildesheim zugesprochen. Für die in diesem Band genannten eingemeindeten Orte Einbecks bedeutete dies, daß sie bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges und damit des Berichtszeitraums zu zwei verschiedenen Territorien gehörten.

Der Name Einbeck tritt zuerst als Bezeichnung für ein Vorwerk auf, das Kaiser Konrad II. (1024–1039) dem Grafen Udo von Katlenburg verlieh.2) Dessen Enkel, Dietrich II. von Katlenburg, begründete um das Jahr 1080 in Einbeck ein Chorherrenstift, das unter das Patronat des heiligen Alexander gestellt wurde. Als Vorgänger des heutigen gotischen Kirchenbaues konnte eine romanische Basilika mit einem von zwei Rundtürmen flankierten Westwerk ergraben werden. Ihre stattlichen Ausmaße belegen die Bedeutung des Stifts, das durch eine Heilig-Blut-Reliquie schon zu Beginn des 12. Jahrhunderts zum Wallfahrtsort wurde. Nach dem Aussterben der Grafen von Katlenburg kam das zu dieser Zeit noch im wesentlichen aus Vorwerk und Stift St. Alexandri bestehende Einbeck auf dem Erbweg zunächst in den Besitz der Grafen von Northeim und über diese in den 40er Jahren des 12. Jahrhunderts in den Besitz der Welfen. Heinrich der Löwe gewährte hier dem Mainzer Erzbischof Heinrich I. Zuflucht, der im Jahr 1153 wegen seiner Opposition gegen Kaiser Friedrich I. in einer Reichsversammlung für abgesetzt erklärt wurde. Nur wenige Wochen nach seiner Absetzung starb Heinrich I. in Einbeck und wurde im Stift St. Alexandri beigesetzt. Bei Bauarbeiten in der Kirche im Jahr 1976 wurde sein Grab zerstört. Von den Grabbeigaben sind noch eine Bleimanschette mit Inschrift (Nr. 1) und eine hölzerne Krümme erhalten. Die Inschrift des Grabdenkmals für den Mainzer Erzbischof ist lediglich kopial überliefert (Nr. 2). Bei den Inschriften für den Mainzer Erzbischof handelt es sich um die beiden ältesten und zugleich um die einzigen aus dem 12. Jahrhundert überlieferten Inschriften der Stadt Einbeck. Die drei anderen Inschriften dieses Bestandes aus dem 12. Jahrhundert stammen aus den Orten Odagsen, Edemissen und Iber. Unter den Inschriftenträgern – einem Tympanon (Nr. 3), einer Glocke (Nr. 5) und einem Kelch (Nr. 4) – nimmt letzterer eine Sonderstellung ein. Die spätromanische Kuppa des Iber-Kelches zählt aufgrund ihres von Inschriften begleiteten Bildprogramms zu den besonders qualitätvollen Goldschmiedearbeiten ihrer Zeit.

Für die Stadt Einbeck ist aus dem 13. und 14. Jahrhundert nur jeweils eine aus dem Stift St. Alexandri stammende Inschrift überliefert. In beiden Fällen ist der Inschriftenträger im Original erhalten. Es handelt sich um das im Jahr 1288 angefertigte Chorgestühl der Stiftskirche (Nr. 6) und um die Bronzegrabplatte des 1367 verstorbenen Propstes des Stifts St. Alexandri, Johannes von Braunschweig-Grubenhagen (Nr. 7). Angesichts der Stadtgeschichte wäre aus dem 13. und 14. Jahrhundert eine deutlich größere Zahl überlieferter Inschriften zu erwarten, da Einbeck in dieser Zeit einen erheblichen Aufschwung erlebte. Der Umstand, daß sich nur zwei Inschriften erhalten haben, läßt sich in erster Linie durch den großen Stadtbrand des Jahres 1540 erklären, zu einem gewissen Teil jedoch auch mit der in Einbeck spät einsetzenden Chronistik und der demzufolge fehlenden frühen kopialen Überlieferung. Vor allem für die Grabdenkmäler ist in diesem Zusammenhang die Baugeschichte der Kirchen von Bedeutung, deren Errichtung und Erweiterung den Erfordernissen der sich entwickelnden Stadt Rechnung trug.

Südlich des an einem Hang liegenden Stiftsbezirks St. Alexandri entstand im 12. Jahrhundert eine Marktsiedlung, als deren Pfarrkirche St. Jacobi in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts nachweisbar ist. Um das Jahr 1203 wurde das Hospital Beatae Mariae Virginis vor der Stadt begründet. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts ist eine Ausdehnung Einbecks nach Süden hin zu belegen; die sogenannte Neustadt bildete mit der 1318 erstmalig erwähnten Neustädter Marienkirche einen eigenen Pfarrbezirk. Eine politische Trennung zwischen Altstadt und Neustadt gab es in Einbeck nicht. Um 1300 war die gesamte Stadt mit einer gemeinsamen Mauer umgeben und damit der Bereich umgrenzt, auf den die Stadt Einbeck bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts beschränkt blieb. Innerhalb des Mauerrings lagen die drei großen Kirchen sowie weitere geistliche und soziale Einrichtungen, die sich in der Zeit vom 13. bis zum 15. Jahrhundert herausbildeten.

Die Bedeutung des Stifts St. Alexandri wurde dadurch hervorgehoben, daß der Mainzer Erzbischof es um 1300 aus dem Diakonat Nörten ausgliederte und zum Mittelpunkt eines eigenen Diakonats machte, dem die beiden Einbecker Stadtkirchen und die Kirchen der umliegenden Orte unterstellt waren. Im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts wurde auf dem Gelände des Stifts mit der Errichtung einer gotischen Hallenkirche anstelle der bisherigen romanischen Basilika begonnen, deren Bau erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts abgeschlossen wurde. In einer Bauinschrift an einem Pfeiler des Langhauses nennt sich der Baumeister Molderam im Jahr 1416 (Nr. 8). Das Baudatum 1503, das vermutlich den Abschluß der Baumaßnahmen dokumentiert, findet sich auf der Nordseite der Kirche über einem Fenster neben dem Turm (Anhang 1, 1503). Die Veranlassung für den Neubau der Kirche St. Alexandri ging wohl von dem Landesherrn Herzog Heinrich Mirabilis von Braunschweig-Grubenhagen aus, der in St. Alexandri eine Grablege für sich und seine Familie [Druckseite XII] einrichtete und dem Stift – wie auch anderen Einbecker Kirchen – eine besondere Förderung angedeihen ließ. Herzog Heinrich Mirabilis schenkte der Kirche im Jahr 1288 das hölzerne Chorgestühl, das in einer Inschrift seinen Stifter nennt (Nr. 6) und eines der ältesten erhaltenen Chorgestühle Deutschlands darstellt. Im Jahr 1322 wurde Herzog Heinrich in St. Alexandri bestattet. Sein Grab ist jedoch ebensowenig erhalten wie das anderer in St. Alexandri beigesetzter Mitglieder der Herzogsfamilie. Es findet sich lediglich noch die bereits genannte Bronzegrabplatte für den 1367 verstorbenen Sohn Heinrichs, den Propst Johannes (Nr. 7).

Die Kirche St. Alexandri hat mit dem Radleuchter (Nr. 9) und dem Taufbecken (Nr. 10) zwei bemerkenswerte Stücke des spätmittelalterlichen Bronzegusses aufzuweisen; während die Künstlerinschrift des Taufbeckens den Bronzegießer Henning Regner nennt, kann der Radleuchter nur aufgrund einer auffälligen stilistischen Ähnlichkeit vor allem auch der Inschriften demselben Künstler zugewiesen werden. St. Alexandri wurde als Begräbnisort vom Einbecker Bürgertum bevorzugt. Darauf verweisen die zahlreichen kopial überlieferten oder original erhaltenen Grabdenkmäler der Einbecker Familien, die zum überwiegenden Teil aus der zweiten Hälfte des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammen und sich in der Kirche oder auf dem Kirchhof befanden. Den hohen Rang von St. Alexandri als Begräbnisort dürfte die landesherrliche Grablege wesentlich bestimmt haben.

Wie im Fall der Stiftskirche St. Alexandri traten auch anstelle der ältesten Bauten der beiden Pfarrkirchen im Spätmittelalter größere Kirchengebäude, deren Errichtung sich jeweils über einen längeren Zeitraum hinzog. Die Marktkirche St. Jacobi, deren heutiges Kirchenschiff auf das 13. Jahrhundert zurückgeht, erfuhr im 14. und 15. Jahrhundert einen Ausbau, der mit der Fertigstellung des Turmes um das Jahr 1500 endete. Der spätgotische Bau der Neustädter St. Marienkirche wurde um die Mitte des 15. Jahrhunderts begonnen und um 1525 abgeschlossen. Die über einer Sonnenuhr auf einem Stützpfeiler angebrachte Jahreszahl 1467 markiert einen Abschnitt der Baumaßnahmen (Nr. 16). Die Kirche wurde im Jahr 1963 wegen Baufälligkeit abgebrochen; ein Nachfolgebau wurde 1968 am Sülbecksweg errichtet.

Vor dem Tiedexer Tor lag die 1297 zum Kollegiatsstift erhobene und ebenfalls mit Pfarrechten versehene Kirche Beatae Mariae Virginis, die von Herzog Heinrich Mirabilis mit reichen Gütern ausgestattet worden war. Nach Einführung der Reformation ließ der Rat der Stadt Einbeck die Kirche im Jahr 1547 abbrechen. Der 20 Jahre später errichtete Nachfolgebau wurde im Dreißigjährigen Krieg entfernt, um feindlichen Truppen keinen Unterschlupf vor den Stadtmauern zu bieten. Ein 1503 entstandener Altar aus dem Kapitelhaus des Stifts befindet sich heute in der Landesgalerie Hannover (Nr. 35).

Im Jahr 1314 wurde mit Zustimmung des Herzogs Heinrich Mirabilis in Einbeck ein Augustiner-Eremiten-Kloster begründet, dem der Rat ein zwischen dem Ostertor und der Langen Brücke gelegenes Grundstück für den Bau der Klosterkirche überlassen mußte. Die Klostergebäude wurden im 18. Jahrhundert wegen Baufälligkeit abgerissen. Ein vor dem Benser Tor gelegenes Kloster der Augustinerinnen wurde auf Betreiben Herzog Heinrichs im Jahr 1318 in die Stadt verlegt. Das Maria-Magdalenen-Kloster wurde bei der Neustädter St. Marienkirche eingerichtet, die den Nonnen als Klosterkirche diente. Das Kloster verfiel nach der Reformation. An seiner Stelle wurde im 17. Jahrhundert die Ratsschule errichtet. Aus einem Beginenkonvent entwickelte sich im 15. Jahrhundert das Clarissinnenkloster Heilig-Kreuz an der Maschenstraße (Nr. 105), das nach dem Tod der letzten Konventualin im Jahr 1582 als Privathaus genutzt wurde.

In Einbeck sind vier Hospitäler nachzuweisen. Innerhalb der Stadtmauern wurde im Jahr 1274 das Spital St. Spiritus begründet, das Unterkunft für alte Leute und Findelkinder bot. Die Krypta und der Chor der Kapelle werden noch in das 13. Jahrhundert datiert, der übrige Bau ist im 14. Jahrhundert entstanden. Aus dem Hospital stammen zwei Kruzifixe aus dem 16. Jahrhundert (Nr. 128, 129) sowie ein ursprünglich spätgotischer, 1625 übermalter Flügelaltar (Nr. 17, 153), der heute – nach Entfernung der Übermalung – in der Marktkirche St. Jacobi aufgestellt ist. Vor den Toren der Stadt gab es neben dem bereits erwähnten Hospital Beatae Mariae Virginis das Leprosenhaus St. Bartholomäus. Der mit Wandgemälden (Nr. 31) ausgestattete Chor der Bartholomäuskapelle stammt aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts; das Langhaus ist laut Bauinschrift (Anhang 1, Nr. 6) im Jahr 1510 fertiggestellt worden. Das Gebäude des Hospitals wurde während des Dreißigjährigen Krieges niedergebrannt, aber nur zwei Jahre später wiedererrichtet. Hierauf verwies eine Bauinschrift auf einer Tafel an dem neuen Hospital aus dem Jahr 1634 (Nr. 158), die beim Abbruch des Hauses im Jahr 1962 verlorenging. Vor dem Benser Tor befand sich das Hospital St. Gertrudis, bei dem ein Friedhof angelegt war.

Den Mittelpunkt der Stadt bildete der Markt mit der Marktkirche St. Jacobi und dem Rathaus. Anstelle des heutigen, laut Baudaten (Nr. 73) zwischen 1550 und 1556 errichteten Rathauses an der Südseite des Marktplatzes stand bis zum Stadtbrand von 1540 ein Vorgängerbau aus dem 13. Jahrhundert, dessen Kellergeschoß noch erhalten ist und eine Vorstellung von den Ausmaßen des spätmittelalterlichen Rathauses gibt. Die dreischiffige, mit ihrer Längsseite zum Marktplatz liegende Halle erstreckt sich über fünf Joche; sie diente als Lagerraum. Über die ehemalige Gestaltung der darüberliegenden Stockwerke ist nichts weiter bekannt. [Druckseite XIII]

Der im 13. Jahrhundert errichtete Rathausbau dokumentierte ebenso wie die um die Wende zum 14. Jahrhundert abgeschlossene Befestigung der Stadt nach außen eine Erstarkung der bürgerlichen Selbstverwaltung. Obwohl die Herzöge von Grubenhagen die Stadt Einbeck zum Hauptort ihres kleinen Territoriums bestimmten, gelang es der Stadt, eine vom jeweiligen Landesherrn weitgehend unabhängige Verwaltung aufzubauen – wohl nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, daß die Herzöge von Grubenhagen nicht in Einbeck selbst, sondern auf der nahe der Stadt gelegenen Burg Salzderhelden residierten. Der sich seit dem 12. Jahrhundert entwickelnden städtischen Selbstverwaltung entsprach die Verleihung des Stadtrechts für Einbeck nach dem Vorbild Braunschweigs, die Herzog Heinrich Mirabilis im Jahr 1279 vollzog. Der Stadt wurde damit vom Landesherrn eine eigene hohe und niedere Gerichtsbarkeit gewährt sowie die Befugnis, Maße und Gewichte festzusetzen. Die Genehmigung, eigene Münzen zu prägen, erhielt Einbeck erst im 15. Jahrhundert. Als Siegel führte die Stadt seit dem Ende des 13. Jahrhunderts die Wappendarstellung eines von zwei Türmen flankierten Bogens über ein Gewässer, über dem der welfische Löwe steht. Zum Stadtsiegel kommt später die Marke der Stadt Einbeck hinzu, die als – häufig bekröntes – E in abgeschlossener gotischer Majuskel gestaltet ist. Ebenso wie das Stadtwappen tritt sie oft in Verbindung mit Inschriften auf (vgl. Anhang 2, M30). Die im Stadtwappen dokumentierte welfische Herrschaft beschränkte sich im 14. bis 16. Jahrhundert im wesentlichen auf die Einnahme der von der Stadt zu leistenden Geldzahlungen und die Verpflichtung der Stadt zu militärischer Folge. Gegen landesherrliche Übergriffe versuchte sich Einbeck durch Bündnisse mit anderen niedersächsischen Städten zu schützen.

Der Einbecker Rat setzte sich aus den Mitgliedern der Gilden zusammen. Von den zwölf Ratsmitgliedern stellten im 14. Jahrhundert die Kaufgilde drei, die Bäcker- und Schuhmachergilde je zwei, die Knochenhauer-, Schmiede- und Kürschnergilde je einen Ratsherren. Zwei weitere Ratsherren kamen aus der sogenannten Meinheitsgilde, in der diejenigen Gewerbezweige vertreten waren, die keine eigene Gilde hatten. Die Gilden der Schneider, Krämer und Leineweber waren nicht ratsfähig. Der Rat und der Bürgermeister wurden jeweils am Michaelistag gewählt. Ratsherren und Bürgermeister konnten nur in jedem zweiten Jahr kandidieren; in dem auf ihre Amtszeit folgenden Jahr gehörten sie dem sogenannten stehenden Rat an und wurden bei wichtigen Entscheidungen gehört. Den Bürgermeister stellte in der Regel die Kaufgilde, deren Mitglieder – wie in anderen Städten auch – zusammen mit ihren Familien die städtische Oberschicht bestimmten. Die männlichen Angehörigen der alteingesessenen Kaufmannsfamilien trafen sich in der sogenannten Hohen Börse, einem Club, der in erster Linie dem geselligen Zusammensein diente. Für das durch den Stadtbrand im Jahr 1540 zerstörte, um 1580 wiedererrichtete Haus der Hohen Börse an der Marktstraße stifteten Angehörige der führenden Kaufmannsfamilien die heute noch erhaltenen Fenster (Nr. 110), in denen sich ihre Wappen und Namen finden. Neben den hier genannten Familien Papst (Pawest), Sebbexen, Rasche und Herbst ist als führende Familie der Einbecker Oberschicht ganz besonders die Familie Raven hervorzuheben, in deren Auftrag zahlreiche Inschriften entstanden. Die häufig mit dem Familienwappen in Verbindung stehenden Inschriften unterschiedlichster Art, die auf Mitglieder der Familie Raven verweisen, verdeutlichen die gesellschaftliche Stellung der Familie innerhalb der Stadt Einbeck.

Die Einbecker Wirtschaft war im wesentlichen auf die Selbstversorgung der Stadt abgestellt. Lediglich durch den Bierexport erlangte der Ort seit dem 14. Jahrhundert überregionale Bedeutung. Aufgrund seines Geschmacks und seiner Haltbarkeit fand das Einbecker Bier auch über Norddeutschland hinaus Abnehmer. Der Verkauf des Bieres trug wesentlich zum Wohlstand der Einbecker Bürger bei. Die Brauberechtigung war an den Besitz eines Hauses gebunden, dessen Eigentümer über den eigenen Bedarf hinaus beliebig viel Bier für den Verkauf herstellen konnte. Die Häuser mit Brauberechtigung befinden sich an den Hauptstraßen in der Stadtmitte. Von den zumeist in den Nebenstraßen gelegenen Häusern ohne Brauberechtigung, den sogenannten Buden, unterscheiden sie sich durch ihre Größe, den hohen Dachbereich für die Hopfenlagerung und durch die rundbogige Toreinfahrt. Zugleich verweisen sie durch repräsentative Gestaltung auf den Wohlstand ihrer Besitzer.

Anders als in vergleichbaren norddeutschen Städten gab es in Einbeck im 15. und 16. Jahrhundert weder Zunftrevolten noch Widerstand gegen die städtische Oberschicht. So war auch die Durchsetzung der Reformation hier nicht mit sozialen und politischen Forderungen der unteren Bevölkerungsschichten verknüpft, und demzufolge stellten nach Einführung der Reformation dieselben wenigen Familien die Ratsmitglieder wie zuvor. Entsprechend friedlich verlief der Prozeß der Reformation in der Stadt. Während in den um Einbeck liegenden Dörfern bereits 1522 lutherisch gepredigt wurde und auch die Mönche des Augustinerklosters in Einbeck die lutherische Lehre übernahmen, konnte sich diese bei der übrigen Geistlichkeit der Stadt zunächst nicht durchsetzen. Im Jahr 1528 wurden einige evangelisch gesinnte Bürger zu Ratsherren gewählt. In einem im November 1529 durch Vermittlung des Landesherrn, Herzog Philipp, geschlossenen Schlichtungsvertrag zwischen Bürgern und Geistlichen der Stadt Einbeck, in dem es vor allem um die Absenkung der von den Bürgern an die Geistlichkeit zu zahlenden Hypothekenzinsen ging, wurde eine vorläufige Duldung beider Konfessionen festgeschrieben und den Bürgern die freie Wahl des Bekenntnisses eingeräumt. Der Rat erhielt zugleich die Erlaubnis, eine eigene Schule zu begründen (Nr. 95, 119, [Druckseite XIV] 142). Dies war von besonderer Bedeutung, da das Stift St. Alexandri durch eine aus dem Jahr 1324 stammende landesherrliche Privilegierung bis zu diesem Zeitpunkt das Bildungsmonopol in der Stadt gehabt hatte. Die Marktkirche St. Jacobi und die Neustädter Marienkirche erhielten nun mit landesherrlicher Genehmigung evangelische Pastoren. Die Besetzung der Pastorenstellen an den Pfarrkirchen genehmigte seither der Rat, nicht mehr wie zuvor das Stift St. Alexandri. In der Folgezeit kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen dem evangelischen Teil der Bevölkerung und den Anhängern des alten Glaubens, in deren Verlauf der Überlieferung zufolge auch die Klöster geplündert wurden. Im Jahr 1545 wurde aufgrund einer landesherrlichen Verordnung in den Stiften St. Alexandri und Beatae Mariae Virginis die Reformation eingeführt. Die Klöster der Augustinerinnen und Clarissinnen wurden nach dem Tod ihrer letzten Konventualinnen aufgelöst.

Von einschneidender Bedeutung in der Geschichte der Stadt Einbeck war der mit den Vorgängen der Reformation in der Stadt aller Wahrscheinlichkeit nach in Verbindung stehende, schon verschiedentlich erwähnte Stadtbrand des Jahres 1540, durch den weite Teile der Innenstadt innerhalb weniger Stunden zerstört wurden. Der Brand brach am 26. Juli 1540 an mehreren Stellen zugleich aus. Besonders betroffen waren die um den Markt herum gelegenen Straßenzüge, deren Häuser ebenso zerstört wurden wie das Rathaus und die Ratsschule. Auch die Marktkirche wurde durch den Brand schwer beschädigt. Die Tatsache, daß das Stift St. Alexandri und möglicherweise auch einige Stiftskurien von dem Brand verschont blieben, gab der protestantischen Seite sofort nach der Katastrophe Anlaß zu Vermutungen über den Urheber der Brandstiftung. Als Anführer der Brandstifter, die an verschiedenen Stellen Feuer gelegt hatten, konnte im Verlauf der Untersuchungen Heinrich Diek überführt werden, der einer in der Stadt alteingesessenen Familie der Oberschicht angehörte. Dieser gab bei seiner Vernehmung zu Protokoll, die Brandstiftung sei von Herzog Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel sowie von den Bischöfen von Straßburg und Mainz als Maßnahme gegen evangelische Städte veranlaßt worden. Diese Aussage des kurze Zeit später hingerichteten Heinrich Diek bedeutete Zündstoff in den allgemeinen konfessionellen Auseinandersetzungen, zumal sich auch in anderen evangelischen Städten Brände ereigneten, und wurde von der evangelischen Seite gezielt für ihre Propaganda eingesetzt. Aus heutiger Sicht3) ist die Urheberschaft Herzog Heinrichs des Jüngeren, der innerhalb der Katholischen Liga eine führende Position bekleidete, zwar wahrscheinlich, sie läßt sich indessen nicht nachweisen.

Durch einen erneuten Brand im Jahr 1549, der die Straßenzüge zwischen dem Markt und dem Benser Tor betraf, wurden etliche der seit 1540 bereits wieder errichteten Häuser zerstört. Dies hatte zur Konsequenz, daß ein großer Teil der in der heutigen Altstadt stehenden Häuser in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erbaut wurde. Auch aus der Zeit zwischen den beiden Bränden haben sich einige Gebäude erhalten; immerhin 15 Häuser sind nach Aussage ihrer Inschriften in den Jahren von 1541 bis 1548 errichtet worden, die meisten von ihnen an der Tiedexer Straße. Daß die beiden Brände sich innerhalb kürzester Zeit ausbreiten und verheerenden Schaden anrichten konnten, lag auch in der in Einbeck vorherrschenden Fachwerkbauweise begründet. Nach den Bränden baute man die Wohnhäuser ausschließlich in Fachwerk wieder auf. In Stein wurde höchstens der Unterbau ausgeführt. Das einzige – heute nicht mehr existierende – steinerne Bürgerhaus Einbecks ließ die Familie von Dassel im Jahr 1600 am Marktplatz anstelle eines 1540 zerstörten ebenfalls steinernen Vorgängerbaues errichten (Nr. 15, 130). Die zumeist traufenständigen Fachwerkhäuser aus dem 16. und 17. Jahrhundert prägen noch heute das Bild der Einbecker Innenstadt. Die Geschosse sind häufig vorgekragt. Das Fachwerk ist mit Fächerrosetten, Vorhangbögen und Schiffskehlen verziert; einige Schwellbalken und Ständer tragen ein- oder mehrzeilige Inschriften; häufig finden sich Baudaten in Kombination mit Wappen oder Hausmarken und dem Namen des Erbauers über den Haustoren. Vereinzelt kommen auch figürliche Flachschnitzereien (Nr. 71, 74) vor; eine Besonderheit in Einbeck stellt das Haus Marktstr. 13 (Nr. 133) mit einem umfangreichen Bildprogramm dar. Daß sich in der Neustadt weniger Häuser aus dem Berichtszeitraum erhalten haben als in der Altstadt, ist darauf zurückzuführen, daß ein großflächiger Brand im Jahr 1826 viele Häuser der Neustadt vernichtete.

Der Brand des Jahres 1540 fällt zeitlich zusammen mit einer Wende in der Einbecker Stadtgeschichte, die sich allerdings unabhängig von dieser Katastrophe vollzog. Die wirtschaftliche Situation der Stadt verschlechterte sich mit einem deutlichen Rückgang des Bierexports. Nicht zuletzt waren hierfür auch die regierenden Herzöge verantwortlich, die durch die Errichtung eigener Brauereien in der Umgebung Einbecks der Stadt Konkurrenz machten. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts waren die Landesherren bemüht, wieder eine stärkere Kontrolle über die Städte zu bekommen und deren Selbstverwaltung einzuschränken. Auch für Einbeck wurde diese allgemeine Tendenz an zahlreichen kleineren Auseinandersetzungen mit der Regierung deutlich. Im Jahr 1596 starb die Linie der Herzöge von Grubenhagen aus; nach langen Rechtsstreitigkeiten [Druckseite XV] zwischen den Linien Braunschweig-Wolfenbüttel und Braunschweig-Lüneburg wurde das Herzogtum Grubenhagen durch einen Beschluß des Reichskammergerichts im Jahr 1609 den Herzögen von Braunschweig-Lüneburg zugesprochen (Nr. 146). Diesen Besitzwechsel dokumentiert eine Inschrift an der Burg Salzderhelden aus dem Jahr 1617 (Nr. 146). Der Dreißigjährige Krieg beschleunigte wie andernorts auch den wirtschaftlichen Niedergang der Stadt und beendete zugleich die seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert andauernde städtische Selbstverwaltung. Für die Besetzung der Stadt durch kaiserliche Truppen im Jahr 1632 machte der Landesherr, Herzog Christian, und nach seinem Tod dessen Nachfolger, Herzog August von Braunschweig-Lüneburg, den Rat der Stadt verantwortlich, der beschuldigt wurde, den Truppen Pappenheims voreilig die Stadttore geöffnet zu haben. Unter diesem Vorwand erhielt die Stadt im Januar 1634 eine Stadtschulzen-Ordnung, nach welcher ein beständiger Rat eingesetzt wurde, der ohne den Schultheißen als Vertreter des Herzogs keinen Beschluß fassen durfte. Der Schultheiß erhielt verschiedene andere Befugnisse, die bis dahin Sache des Rates gewesen waren. Wenn die Stadt auch zwei Jahre darauf durch Zahlung einer Geldsumme an den Herzog die Einschränkungen ihrer Freiheit größtenteils wieder rückgängig machen konnte, so sind diese Vorgänge doch symptomatisch für die weitere Entwicklung. Der beständige Rat wurde auch nach 1636 aufrechterhalten. Zudem richtete Herzog August in Einbeck eine Garnison ein, die die landesherrliche Präsenz in der Stadt jederzeit spürbar machte und darüber hinaus eine finanzielle Belastung bedeutete. Im Jahr 1644 wurden dem Rat die kirchlichen Hoheitsrechte entzogen. Damit hatte die Einbecker Bürgerschaft am Ende des Dreißigjährigen Krieges nicht nur den im 14. und 15. Jahrhundert erlangten Wohlstand, sondern auch ihre politische Selbständigkeit eingebüßt; aus den in ihrer Selbstverwaltung eigenständigen Bürgern der Stadt wurden nun wie andernorts auch Untertanen des Landesherrn.

Zitationshinweis:

DI 42, Einbeck, Einleitung, 2. Die Einbecker Inschriften – Einordnung in die Stadtgeschichte (Horst Hülse), in: inschriften.net,   urn:nbn:de:0238-di042g007e003.

  1. Zum folgenden: Übersicht über die Bestände des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs in Hannover, Bd. 3, 1, bearb. v. Manfred Hamann, Jörg Walter, Peter Bardehle. Göttingen 1983, S. 244f.; Erich Strauß, Hellmut Hainski, Einbecks Dörfer – Bilder aus vergangenen Zeiten. Duderstadt 1995, S. 9–18. »
  2. Die folgenden Ausführungen zur Stadtgeschichte basieren auf: Geschichte der Stadt Einbeck, bearb. v. Horst Hülse u. Claus Spörer. 2 Bde., Einbeck 1990 u. 1992. »
  3. Vgl. Helge Steenweg, Einbeck im Zeitalter der reformatorischen Bewegung. In: Geschichte Stadt Einbeck, S. 125–154, hier S. 148. »