Die Inschriften der Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671

Gesammelt und bearbeitet von Sabine Wehking

3. Inschriften, Inschriftenträger und Überlieferung

Von den 800 Inschriften der Stadt Braunschweig aus der Zeit von 1529 bis 1671 werden 497 Inschriften hier erstmalig publiziert, weitere 54 Inschriften erstmalig vollständig. Die Erstpublikationen gehen zum großen Teil auf die handschriftliche kopiale Überlieferung zurück. 522 der insgesamt 800 Inschriften liegen nur noch in kopialer Überlieferung vor, d. h. nur ein Drittel des Inschriftenbestands ist im Original erhalten. Diese Zahlen könnten den Eindruck erwecken, daß hier im Laufe der Zeit mehr Inschriften zerstört worden sind als an anderen Orten. Der Eindruck täuscht jedoch; vielmehr ist die kopiale Inschriftenüberlieferung für Braunschweig besonders reichhaltig, so daß man es hier mit einer ziemlich vollständigen Dokumentation aller im 18. Jahrhundert in der Stadt Braunschweig in den Kirchen und an den Häusern befindlichen Inschriften zu tun hat (vgl. Kap. 3. 1.). Naturgemäß sind viele dieser Inschriftenträger heute nicht mehr erhalten, [Druckseite XXII] weil sie im Zuge von Renovierungen entfernt worden sind. Berücksichtigt man weiter, daß unter den 278 Originalen mindestens37) 125 Grabdenkmäler und andere kirchliche Ausstattungsstücke sind, so zeigt sich, daß die Kirchen der Stadt trotz der Kriegszerstörungen einen beträchtlichen Teil ihrer alten Ausstattung bewahrt haben. Für Braunschweig gilt die schon in anderen Städten gemachte Beobachtung, daß die Kirchenausstattungen bereits im 19. Jahrhundert große Einbußen zu verzeichnen hatten, da man bei Renovierungsmaßnahmen viele Stücke beseitigte.38) Auch etliche der Fachwerkhäuser wurden bereits im 19. oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgerissen; ihre Balken wurden jedoch, soweit sie eine künstlerisch wertvolle Gestaltung oder eine Inschrift aufwiesen, zumeist ins Museum gebracht und sind daher heute oft noch erhalten. Trotzdem ist unter den Hausinschriften der Anteil der durch die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstörten Inschriften am größten, während viele Stücke aus dem kirchlichen Bereich durch Auslagerung gerettet werden konnten. Ungeklärt ist der Verbleib verschiedener Stücke, von denen sich die meisten nach den Zerstörungen der Kirchen nachweislich noch an Ort und Stelle befanden, wie alte Aufnahmen belegen. Hierbei handelt es sich vor allem um Ölgemälde aus Epitaphien, in einem Fall auch aus einem Altar, deren Umrahmungen zurückblieben, sowie um Epitaphien und Bronzeleuchter.39) Gerade die Entfernung von Ölgemälden aus ihren Rahmen deutet darauf hin, daß es in den Wirren der Nachkriegszeit einen mehr oder weniger organisierten Kunstdiebstahl gab, der möglicherweise an anderen Orten im gleichen Maß stattgefunden hat, wo alle Stücke ungeprüft als Kriegszerstörungen abgeschrieben worden sind.

Soweit Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts noch vorhanden, sind die Häuser und die Ausstattungsstücke der Kirchen photographisch außerordentlich gut dokumentiert. In vielen Fällen war es daher möglich, auch nicht erhaltene Inschriften nach Photographien zu edieren. Ausgewertet wurden hierfür die umfangreichen Bestände des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege in Hannover und die Topographische Sammlung des Städtischen Museums Braunschweig. Da es bereits hierbei zu zahlreichen Überschneidungen des Materials kam, wurde aus Zeitgründen auf eine Sichtung der Photosammlung des Stadtarchivs verzichtet, von der keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren.

3. 1. Die kopiale Überlieferung

Streng genommen sollte im Titel dieses Inschriftenbandes stehen: „Die Inschriften der Stadt Braunschweig seit 1529, gesammelt von Anton August Beck ...“, denn der allergrößte Teil der 800 Inschriften dieses Bestandes – wie auch schon der 410 Inschriften des ersten Braunschweiger Inschriftenbandes – ist in Zeichnung und Abschrift Becks in den Konvoluten der Sammlung Sack wiedergegeben. Als zentrale, diesem Band zugrundeliegende Inschriftensammlung wird die Sammlung Sack hier noch einmal ausführlich beschrieben, auch wenn dies schon im ersten Band der Braunschweiger Inschriften erfolgt ist.40) Gegliedert ist die zu den Beständen des Stadtarchivs Braunschweig (Signatur H V) gehörende Sammlung aus dem Nachlaß des Kreisgerichtsregistrators und manischen Sammlers Carl Wilhelm Sack (1792–1870) nach inhaltlichen Gesichtspunkten in 278 Nummern, die zum Teil wiederum aus mehreren Einzelkonvoluten bestehen. Nur die wenigsten dieser nach Sachthemen, die zum großen Teil die Geschichte der Stadt Braunschweig zum Gegenstand haben, alphabetisch gegliederten Sammelbände enthalten Inschriftenüberlieferung. Es sind dies im wesentlichen die Nummern 125 bis 141, die sich auf die Braunschweiger Kirchen beziehen, sowie die unter Nr. 90 zusammengefaßten Aufzeichnungen und Listen zu den Braunschweiger Bürgerhäusern. Kennzeichnend für den Sammler Sack war, daß er zu einem Thema die unterschiedlichsten Quellen zusammentrug. Dabei handelt es sich um eigene Notizen aus Literatur, Urkunden und anderen Quellen wie beispielsweise Leichenpredigten oder um Originalurkunden bzw. deren Abschriften sowie Aktenstücke und Briefe anderer Personen zum Thema. Für die hier [Druckseite XXIII] ausgewerteten Bestände sind vor allem die in die Sammlung Sack aufgenommenen umfangreichen Aufzeichnungen des Braunschweiger Kupferstechers Anton August Beck (1713–1787)41) sowie die Abschriften und Ergänzungen des Beckschen Materials durch den Vikar an St. Blasii Johann August Heinrich Schmidt (1767–1855) von Bedeutung. Aus heutiger Sicht liegen die Verdienste von Anton August Beck weniger in den von ihm gestochenen Kupferplatten als vielmehr in seinen Arbeiten zur Geschichte der Stadt Braunschweig, für den Epigraphiker besonders in der Inventarisation von Baudenkmälern aller Art. Er führte nicht nur eine später von Sack ergänzte Bestandsaufnahme sämtlicher Häuser der Braunschweiger Altstadt nach den alten Häusernummern geordnet durch, sondern fertigte auch Zeichnungen der an den Häusern angebrachten Inschriften, Jahreszahlen und Wappen, oft auch des figürlichen Schmucks an. Ähnlich zweigleisig verfuhr Beck bei der Inventarisierung der Kirchenausstattungen. Auch hier fertigte er vor allem von den Grabdenkmälern Zeichnungen oder zumindest grobe Skizzen an, die sowohl das Bildprogramm als auch die Inschriften berücksichtigten (vgl. Abb. 118, 119). Die Inschriften sind in den Zeichnungen weitgehend originalgetreu wiedergegeben, d. h. unter Beibehaltung von Abkürzungen und Zeilenumbrüchen. Korrekturen belegen, daß es Beck um eine möglichst genaue Wiedergabe ging. Zumeist ist auch die verwendete Schriftart bezeichnet und Majuskel- bzw. Minuskelschreibung beibehalten. Der Terminus Römische Schrift bezeichnet die Ausführung der Inschrift in Kapitalis, Kanzleischrift steht für Fraktur. Lediglich bei Bibelzitaten, die Beck als historisch und genealogisch Interessiertem naturgemäß weniger wichtig waren, begnügt er sich oft damit, die Texte nur anzuzitieren, allerdings auch in diesem Fall oft unter Angabe des an jedem Zeilenbeginn stehenden Wortes oder unter Markierung der Anzahl der ausgelassenen Zeilen. Neben diesen auf losen Blättern stehenden Zeichnungen und Skizzen gibt es immer auch eine Reinschrift der Kircheninventare in gebundener Form, in der allerdings viele Informationen, die die Zeichnungen und Skizzen enthalten, fehlen. Das Schwergewicht dieser Reinschriften, die auch viele genealogische Angaben aus anderen Quellen wie beispielsweise aus Leichenpredigten enthalten, liegt auf den biographischen Daten. Daher sind hier die Bibeltexte zumeist ganz weggelassen oder nur durch eine Stellenangabe berücksichtigt. Die Zeichnungen und Skizzen der Grabdenkmäler sind wie die Reinschriften mit einem Numerierungssystem versehen, das für alle Kirchen etwa demselben Schema eines Kirchenrundgangs folgt. Zunächst sind die in der Kirche angebrachten Epitaphien wiedergegeben, es folgen die zu Becks Zeit noch im Boden liegenden Grabplatten. Im Anschluß daran werden die außen an der Kirche angebrachten Grabdenkmäler und schließlich die Grabdenkmäler auf dem Kirchhof behandelt. Zur Lokalisierung ist jeweils die Skizze eines Lageplans beigefügt, der dieselben Nummern aufweist wie die Zeichnungen der Grabdenkmäler und die Reinschrift der Grabschriften. Die anderen Ausstattungsgegenstände der Kirche sind im Vergleich zu den Grabdenkmälern eher knapp behandelt, die Vasa Sacra von Beck kaum berücksichtigt. Deren Inschriften sind in einigen Fällen von der Hand Sacks am Ende der Reinschriften nachgetragen. Ansonsten hat sich Sack, dessen kleine, stark rechtsgeneigte Handschrift leicht von anderen zu unterscheiden ist, in den hier interessierenden Teilen seiner Sammlung auf einige zumeist biographische Ergänzungen enthaltende Anmerkungen zum Material Becks beschränkt.

Die umfangreichen Vorarbeiten Becks hatten offensichtlich eine mehrteilige große Arbeit über die Braunschweiger Kirchen zum Ziel, die durch Kupferstiche illustriert werden sollte. Die Vorarbeiten für einen Band über St. Martini waren beim Tode Becks weitgehend abgeschlossen. Beck hinterließ sowohl ein Titelkupfer als auch Stiche einiger Epitaphien und das Kupfer des Kirchenlageplans. Diese Kupferstiche wie auch die Materialien Becks eignete sich der Vikar an St. Blasii Johann August Heinrich Schmidt an und veröffentlichte sie in dem 1846 gedruckten Buch „Die St. Martinskirche in Braunschweig“ unter seinem eigenen Namen. Auf die Urheberschaft Becks, was die Kupferstiche betraf, mußte er dabei wohl oder übel im Vorwort hinweisen. Daß jedoch auch ein Großteil des Textes, die Sammlung der Inschriften sowie ihre Anordnung und Numerierung von Beck erarbeitet wurden, wird von Schmidt mit keinem Wort erwähnt. Auch für andere Kirchen existieren in den Konvoluten der Sammlung Sack Abschriften und Aufarbeitungen des Beckschen Materials von der Hand Schmidts, der wohl noch weitere Veröffentlichungen unter seinem Namen plante.

Aus dem Dargelegten ist unschwer zu erkennen, daß es vor allem zu den Grabinschriften in den Konvoluten der Sammlung Sack eine vielfache Überlieferung gibt. Bei der Edition der Inschriften in diesem Band wurde – soweit vorhanden – in der Regel die Zeichnung oder Skizze Becks [Druckseite XXIV] zugrundegelegt, da hier alle auf einem Denkmal vorhandenen Inschriften wiedergegeben oder zumindest anzitiert sind und da bei der Wiedergabe ein großes Gewicht auf Treue zum Original gelegt wurde durch Beibehaltung von Kürzungen, Zeilenumbrüchen und Fehlern in der Inschrift. Auch die Wappen sind hier berücksichtigt, in vielen Fällen sind die Wappeninhalte gezeichnet. Lediglich die U- und V-Schreibung für vokalisches u in den Kapitalisinschriften scheint nicht immer in Entsprechung zum Original wiedergegeben. Die verschiedenen Reinschriften weisen dagegen eine etwas stärkere Tendenz zu Normalisierungen und zur Beschränkung auf die biographisch verwertbaren Inschriften auf. Sie sind daher nur in Zweifelsfällen zur Klärung des Textbefundes herangezogen worden; auf das Vorkommen der Inschrift in den Reinschriften ist im Quellenteil verwiesen, bei mehreren identischen Reinschriften wurde jedoch nur ein Beleg angegeben. Außerhalb der Sammlung Sack gibt es im Stadtarchiv Braunschweig noch einen gebundenen Band, den sogenannten ‘Klebeband’ (Signatur H III 1,15), der zahlreiche Zeichnungen und Notizen sowie Kupferstiche Becks zu Bauten in der ganzen Stadt Braunschweig enthält. Hier trug Beck alles zusammen, was ihm von besonderem historischen Wert erschien, darunter auch wieder viele in Zeichnung wiedergegebene Inschriften, die in einigen Fällen dieser Edition zugrundeliegen.

Alle anderen kopialen Überlieferungen bleiben in ihrer Bedeutung weit hinter der Sammlung Sack zurück. Einige Inschriften, von denen die meisten in den Bereich des Domes St. Blasii gehören, überliefert Philipp Julius Rehtmeyer in seiner 1707 bis 1715 gedruckten Kirchen-Historie.42) Rehtmeyers Kirchengeschichte, die schon von Beck, Schmidt und Sack für ihre Arbeiten benutzt wurde, gibt die Inschriftentexte in normalisierter Form wieder; daher ist diese Überlieferung nur dann zugrundegelegt, wenn keine andere, originalgetreuere Version existiert. Eine Überlieferung ganz eigener Art stellt die vor 1886 entstandene Sammlung von Grabinschriften in deutschen Kirchen des Grafen Julius Karl Adolf Friedrich von Oeynhausen dar, die sich in der Landesbibliothek Hannover befindet.43) Oeynhausen überliefert insgesamt 17 Grabinschriften aus Kirchen der Stadt Braunschweig, davon acht44) als einzige Überlieferung. Wie ein Vergleich mit den von Beck überlieferten Inschriften zeigt, interessieren Oeynhausen an den Grabdenkmälern ausschließlich die heraldischen und genealogischen Informationen. Daher reduziert er die Grabinschriften auf die ihn interessierenden Passagen, normalisiert die Texte, gestaltet sie dabei auch regestenartig um und läßt alles ihm überflüssig Erscheinende wie Fürbitten oder Bibelzitate weg. Zumindest für die Braunschweiger Inschriften läßt sich mit Sicherheit feststellen, daß Oeynhausen die Inschriften nicht am Original aufgezeichnet hat; welche Quelle ihm zur Verfügung stand, war jedoch nicht zu ermitteln. Angesichts der Vollständigkeit der Sammlung Sack muß es verwundern, daß Oeynhausen acht Inschriften als einziger Überlieferer wiedergibt. In diesen Fällen sind gewisse Zweifel angebracht, ob sich die Inschriften tatsächlich in den von Oeynhausen benannten Braunschweiger Kirchen befanden oder ob nicht Verwechslungen mit anderen Orten vorliegen.

Als Kostprobe im Hinblick auf eine Edition aller Inschriften der Stadt Braunschweig publizierten Wilhelm Jesse und Dietrich Mack45) nach dem Zweiten Weltkrieg zwei kleinere Arbeiten, die einen Querschnitt durch sämtliche Arten der Braunschweiger Inschriften boten. Die Sammlung Braunschweiger Grabinschriften von Hans Adolf Schultz46) stellt eine Bestandsaufnahme dessen dar, was an Grabdenkmälern nach dem Zweiten Weltkrieg noch vorhanden war und heute noch vorhanden ist. Die Inschriften gibt Schultz häufig nach der älteren kopialen Überlieferung wieder. Da die von Schultz behandelten Grabdenkmäler am Original bearbeitet werden konnten, diente seine Sammlung für diese Edition lediglich als Anhaltspunkt bei der Suche nach erhaltenen Grabdenkmälern.

Für die Überlieferung der Braunschweiger Hausinschriften ist neben der Sammlung Sack vor allem der von Carl Steinacker 1935 abgeschlossene Häuserkatalog im Landesdenkmalamt Hannover [Druckseite XXV] von Bedeutung. Steinacker hat für seinen Zettelkatalog sowohl auf die Sammlung Sack als auch auf ein von Karl Brandes 1888/89 angelegtes Inventarverzeichnis der Braunschweiger Häuser zurückgegriffen, dessen Verbleib nicht geklärt werden konnte. Die Informationen beider Sammlungen hat Steinacker um eigene Beobachtungen ergänzt. Die Inschriften gibt Steinacker, dem es im Wesentlichen um die Datierung der Häuser und ihrer einzelnen Bauteile ging, in sehr unterschiedlicher Weise wieder, teils buchstabengetreu, teils aber auch normalisiert. Als Quelle der Inschriftenüberlieferung ist Steinacker in den Katalogartikeln nur dann verzeichnet, wenn er die Inschrift nicht ausdrücklich nach der Sammlung Sack zitiert. Neben Steinackers Häuserkatalog gibt es noch kleinere Publikationen, in denen jeweils eine Auswahl von Braunschweiger Hausinschriften zusammengestellt ist.47) Diesen Publikationen gemeinsam ist, daß es den Autoren mehr um die Inhalte als um die buchstabengetreue Wiedergabe der Inschriften ging.

Zwei weitere kopiale Überlieferungen, die der Mackschen Inschriftensammlung in der Nachkriegszeit zugrundegelegen haben, ließen sich trotz intensiver Nachforschungen in Braunschweig nicht ausfindig machen. Die ‘Sammlung Kail’ führt Mack für die Inschriften nach 1529 nur vergleichsweise selten als Überlieferung an. Anders dagegen der ‘Katalog Fricke’: es dürfte sich dabei um eine von Rudolf Fricke als Vorarbeit für sein Buch über die Braunschweiger Bürgerhäuser48) angelegte umfangreiche Sammlung gehandelt haben, die auch Inschriften enthielt. In einigen Fällen scheint der Katalog Fricke die einzige Überlieferung der Inschrift dargestellt zu haben. Ganz sicher läßt sich dies jedoch nicht beurteilen, da Mack in seinen Literatur- und Quellenangaben im allgemeinen nicht zwischen der Wiedergabe von Inschriften und Angaben zum Objekt differenziert. Daher ist in diesen Fällen als Quelle, die der Edition zugrundeliegt, die Inschriftensammlung Mack genannt. Dasselbe gilt für Inschriften, die Mack in der Nachkriegszeit noch am Original gelesen hat, die heute jedoch nicht mehr vorhanden sind.

Ein völlig anderes Problem, das hier noch kurz behandelt werden soll, ergibt sich aus dem Vergleich der kopialen Überlieferung, speziell der Aufzeichnungen Becks, mit den heute noch erhaltenen Stücken. Es betrifft die in Braunschweig in vergleichsweise hoher Zahl erhaltenen Holzepitaphien mit ihren gemalten Inschriften. Diese wurden im Laufe der Zeit verschiedentlich Renovierungen unterzogen, bei denen auch die Inschriften überarbeitet wurden. Wozu dies selbst bei Kapitalisinschriften führen kann, zeigt das Epitaph des Johannes Wagner (Nr. 775) in St. Martini mit einer völlig verrestaurierten Inschrift. Angesichts eines Falles wie diesem läßt sich vermuten, daß Abweichungen der Beckschen Überlieferung vom Original nicht unbedingt auf ungenaue Lesungen Becks zurückgehen, sondern möglicherweise auf eine ungenaue Restaurierung vor allem bei den oft nicht ganz eindeutig zu lesenden Frakturinschriften. Im allgemeinen handelt es sich in den überwiegend deutschen Texten jedoch nur um kleine Abweichungen, die nicht sinntragend sind, so daß auf einen Nachweis im Apparat verzichtet werden konnte. Fraglich ist auch, wie bei Restaurierungen mit den in gemalten Frakturinschriften häufig vorkommenden Diakritika verfahren wurde. Da diese in der kopialen Überlieferung nicht verzeichnet sind, bieten sich hier keine Anhaltspunkte für den Originalbefund, so daß sowohl Diakritika in den Inschriften übermalt, als auch bei Restaurierungen hinzugefügt sein können. Daß frühere Generationen von Restauratoren mit dem Buchstabenbefund im allgemeinen sehr nachlässig umgegangen sind, solange nur die Aussage stimmte, zeigen die Wappenbeischriften am Epitaph Werpup in St. Martini (Nr. 548). Bei der 1999 durchgeführten Restaurierung wurden jüngere Farbschichten entfernt, um die alte Farbfassung zutage zu fördern. Dabei stellte sich heraus, daß die Wappen anstelle der in der obersten Schicht stehenden Namen OEYNHAVSEN und SCHVLENBORCH im Originalzustand mit den Beischriften OYENHVSEN und SCVLENBORCH bezeichnet sind. Noch bedenkenloser verfuhr man mit den Wappen bei mehrteiligen Ahnenproben, die oft in willkürlicher Reihenfolge wieder angebracht wurden (u. a. Nr. 548, 711, 768), manchmal sogar am falschen Epitaph (Nr. 842).

[Druckseite XXVI]

Die weitaus größte Gruppe der Inschriften dieses Bestandes bilden die Grabinschriften mit 332 Nummern, gefolgt von den Hausinschriften mit 137 Nummern, zu denen noch nahezu der gesamte Anhang 1 mit Jahreszahlen und Initialen hinzukommt. 111 Nummern gehören in den Bereich der kirchlichen Ausstattung, weitere 17 Nummern entfallen auf Vasa Sacra. Eine vergleichsweise große Gruppe bilden auch die Glasscheiben und Fenster mit 76 Nummern sowie die Gemälde – zumeist Porträts – mit 61 Nummern. Während die Inschriften auf Glas und auf Gemälden weitgehend im Original überliefert sind, überwiegt bei den Grab- und Hausinschriften die kopiale Überlieferung. Zwei kleine Gruppen stellen die Bauinschriften mit 28 Nummern und die Glocken mit 17 Nummern dar. Hinzu kommen noch etliche Einzelstücke, bei denen es sich um Gegenstände des täglichen Gebrauchs, Besitz der Handwerkergilden und anderes handelt. Wie sehr in dem jüngeren Braunschweiger Inschriftenbestand die Personen im Mittelpunkt stehen, zeigt die Tatsache, daß sich dieselben Namen in Inschriften verschiedener Art finden. So können auf einer Glocke Kirchenvorsteher genannt sein, für die zugleich ein Grabdenkmal überliefert ist und auch eine Wappenglasscheibe mit ihrem Namen (z. B. Heinrich Ridder: Glocke Nr. 917, Glasscheiben Nr. 987 u. 1076, Grabplatte Nr. 1078). An den Bürgerhauptmann Nikolaus Dohausen erinnerten eine Hausinschrift (Nr. 640), die Inschrift in einem Kirchenfenster (Nr. 726), ein von ihm gestiftetes Gemälde mit biblischer Szene (Nr. 814) und ein Epitaph (Nr. 860). Der Bürgermeister Jost Kale und seine Ehefrau Anna Wolmann sind durch Wappen an einem inschriftentragenden Haus präsent (Nr. 496), durch eine Hochzeitsschüssel (A1 1544), durch ein Porträt der Ehefrau (Nr. 589), das dieselben offensichtlich sehr realistisch wiedergegebenen Züge aufweist wie deren Darstellung auf der Grabplatte des Ehepaars (Nr. 616), durch eine Leuchterkrone (Nr. 598) und eine Hausinschrift (Nr. 599) sowie durch das Epitaph für die Eheleute (Nr. 597). Die hier aufgeführten Beispiele stellen keine Ausnahme dar, sondern stehen nur stellvertretend für etliche andere, wie die Verweise innerhalb der Katalognummern zeigen.

Auch die Künstler und Handwerker sind durch Signaturen ihrer Werke und durch Künstlerinschriften in diesem Bestand gut vertreten.49) Inschriftlich nennen sich vor allem die Gießer und Kupferstecher, während die Maler und Bildhauer ihre Werke zumeist nur mit einem Monogramm oder ihren Initialen signieren. Unter den Gießern sind es vor allem Hans Meißner50) und Ludolph Siegfried51), die jeweils auf mehreren Werken als ausführender Meister genannt sind. Während der Name Siegfrieds im Braunschweiger Bestand ausschließlich in Glockeninschriften vorkommt – in drei Fällen (Nr. 908, 917, 924) in Kombination mit dem Gießer Joachim Janke –, ist Hans Meißner als Gießer einer Glocke, eines Epitaphs und dreier Leuchterhalterungen genannt. Bemerkenswert ist vor allem die auf dem Epitaph (Nr. 489) angebrachte Künstlerinschrift samt Meisterzeichen, die sehr viel stärker hervortritt als die Darstellung und Grabschrift des Bürgermeisters Hermann von Vechelde, für den das Epitaph bestimmt ist. Im Vergleich zu den an zentraler Stelle stehenden Künstlerinschriften der Gießer nehmen sich die kurzen fecit-Vermerke der Kupferstecher Wilhelm Schwan und Conrad Buno52) auch durch den Platz ihrer Anbringung eher bescheiden aus. Noch unauffälliger sind die Signaturen der Maler und Bildhauer, die sich mit wenigen Ausnahmen53) auf Monogramme und Initialen beschränken. Der Maler Ludger tom Ring d. J., der 1572 das Braunschweiger Bürgerrecht erwarb und hier zahlreiche Porträts anfertigte,54) pflegte seine Signatur, ein kursives L mit durch einen Ring gesteckter Haste, auf seinen Gemälden teilweise geradezu zu verstecken. Auch der Maler Floris von der Mürtel55), der häufig mit dem Bildhauer Georg Röttger56) zusammenarbeitete (Nr. 648, 650, 660, 675, 711), signierte seine Werke wie auch Röttger nur durch ein Monogramm. Der Hildesheimer Bildhauer Ebert Wolf d. J., dessen Signatur EBW auf dem hölzernen Epitaph für Fritze von der Schulenburg (Nr. 621) und auf der Grabplatte für Ludolph Schrader (Nr. 624) vorkommt, ist durch diese Signatur deutlich von seinem Vater, dem Bildhauer [Druckseite XXVII] Ebert Wolf d. Ä. zu unterscheiden, der mit EW signiert.57) Über den Auftrag zur Anfertigung der Grabplatte und ihre Herstellung in der Hildesheimer Werkstatt des Bildhauers geben Archivalien Auskunft (vgl. Nr. 623, Kommentar). Das in Fragmenten erhaltene steinerne Epitaph für Fritze von der Schulenburg (Nr. 629) läßt sich Ebert Wolf d. J. aufgrund der für die Wolfsche Werkstatt charakteristischen Fraktur und der Gestaltung der Putten mit Sicherheit zuschreiben (vgl. Nr. 624 u. 629). Anders als für die Hildesheimer Werkstatt Wolf, in der Vater und Sohn offenbar die gleiche Frakturschrift mit ihren auffälligen Merkmalen verwendeten (vgl. Kap. 4. u. Nr. 629), lassen sich für die anderen in Braunschweig signierenden Künstler keine eindeutigen Schriftübereinstimmungen in ihren Werken feststellen.

Anhand des reichhaltigen Braunschweiger Materials zu Personen wird ein Unterschied zwischen den norddeutschen und den süddeutschen Inschriftenbeständen besonders augenfällig: Die Ehefrauen werden nicht mit dem Namen ihres Ehemannes genannt, sondern führen prinzipiell ihren Mädchennamen nach ihrer Hochzeit weiter. Zur Kennzeichnung ihres Familienstandes wird durchgängig der ganze Name des Ehemanns in der Formel ‘N.N. seine (eheliche) Hausfrau’ hinzugesetzt. Entsprechend dieser norddeutschen Gepflogenheit werden auch in den Katalogartikeln und im Namenregister die Mädchennamen der Ehefrauen beibehalten, im Namenregister steht unter der Familie des Ehemannes ein Verweis.

3. 2. Grabinschriften

Von den 332 Grabinschriften dieses Bandes sind 249 nach der kopialen Überlieferung ediert, nur 83 nach dem Original. Dies bedeutet nicht, daß alle 249 kopial überlieferten Grabinschriften tatsächlich verloren sind. Vielmehr ist bekannt, daß sich unter dem Fußboden des Domes noch Grabplatten in situ befinden, und die Maße der um die Braunschweiger Kirchen herum liegenden Steine lassen in vielen Fällen die Vermutung zu, daß man die als Straßenpflaster dienenden Platten nur umdrehen müßte, um die Originale zu erhalten. Der größte Teil der erhaltenen Grabdenkmäler findet sich heute in St. Martini und in St. Katharinen, die im hier behandelten Zeitabschnitt als Pfarrkirchen der Altstadt und des Hagens die Kirchen mit der vornehmsten Klientel an Bürgern darstellten. Erfreulicherweise haben sich in Braunschweig nicht nur steinerne Grabdenkmäler erhalten, sondern auch ein vergleichsweise hoher Anteil an Holzepitaphien, die in den bisher bearbeiteten norddeutschen Beständen eher die Ausnahme darstellen.

Auf eine Terminologie der Grabdenkmäler kann hier verzichtet werden, da diese in den zuletzt erschienenen Bänden dieser Reihe immer wieder behandelt worden ist.58) Dasselbe gilt für das in Braunschweig verwendete Formular von Grabinschriften, das sich nicht von dem ausführlich kommentierten Formular in den bereits edierten norddeutschen Beständen unterscheidet. Um Wiederholungen zu vermeiden, werden daher im Folgenden nur die für das Braunschweiger Material spezifischen Merkmale behandelt. Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, daß diese besonderen Merkmale nicht immer auf speziellen Gegebenheiten in der Stadt Braunschweig beruhen, sondern auch auf die außerordentlich dichte Überlieferungssituation zurückgeführt werden können. So ist sicherlich der ungewöhnlich hohe Anteil deutscher Grabinschriften zu erklären, der fast zwei Drittel aller Grabinschriften ausmacht. Nur 88 der 332 Grabinschriften sind in lateinischer Sprache verfaßt, in weiteren 42 Fällen handelt es sich um eine Kombination lateinischer und deutscher Inschriften auf einem Grabdenkmal. Zu Beginn des hier behandelten Zeitraums treten entsprechend der allgemeinen Entwicklung bereits Grabinschriften aller Art auf, von der einfachen Sterbeformel mit einer Fürbitte bis zu umfangreichen biographischen Grabinschriften in Prosa oder Versen, zu denen Bibelzitate hinzutreten können. An Grabdenkmälern finden sich neben den Grabplatten, die mit 204 Nummern den weitaus größten Teil ausmachen, 92 Epitaphien sowie aus dem zweiten und dritten Viertel des 16. Jahrhunderts die kopial überlieferten Inschriften von sechs Totenschilden. Gegen Ende des hier behandelten Zeitraums scheint die Anbringung der Epitaphien [Druckseite XXVIII] generell zurückzugehen, was möglicherweise auf den einfachen Grund zurückzuführen ist, daß sich in den Kirchen kaum noch ein freier Platz fand.

Auf die dichte Überlieferung aus der zweiten Hälfte des 16. und dem 17. Jahrhunderts ist es wohl zurückzuführen, daß dieser Band 45 Grabdenkmäler enthält, die allein für Frauen gesetzt sind, darunter eines der aufwendigsten Epitaphien überhaupt, das Denkmal für Elisabeth von Dageforde im Dom St. Blasii (Nr. 711, Abb. 58). 14 Grabdenkmäler sind ausschließlich für Kinder bestimmt. Eine Besonderheit unter diesen Grabdenkmälern bildet die heute leider stark verwitterte Grabplatte der Armgard von Bartensleben von 1644 (Nr. 933), auf der die im Kindbett Verstorbene im Relief mit einem Wickelkind im Arm dargestellt ist. Insgesamt sind die Darstellungen von Verstorbenen in Ganzfigur auf den Grabplatten dieses Bestandes keineswegs die Regel. Sie machen nur etwa ein Zehntel aller Grabplatten aus. Da die meisten kopial überlieferten Grabinschriften in der Sammlung Sack in Zeichnung wiedergegeben sind, lassen sich die Beobachtungen zur Gestaltung der Grabdenkmäler auch auf die nicht erhaltenen Stücke ausdehnen.

Die Gestaltung der Grabplatten ist über den ganzen behandelten Zeitraum hinweg äußerst vielfältig. Hochrechteckige Steine mit Ganzfiguren im Relief und zumeist umlaufender Inschrift sind zum großen Teil für Adlige angefertigt. Sie weisen daher oft vier- oder mehrteilige Ahnenproben auf (u. a. Nr. 757, 763, 813). Zwei der vermutlich qualitätvollsten Stücke dieser Art, die jeweils mit einer sechzehnteiligen Ahnenprobe versehen waren, stellten die nur noch in Zeichnungen überlieferten Grabplatten für Fritze von der Schulenburg (Nr. 622) und seine Ehefrau Ilse von Saldern (Nr. 720) dar. Auch der Rechtsgelehrte Ludolph Schrader (Nr. 624, Abb. 47) und der Syndikus Melchior Steigmann (Nr. 717, Abb. 68) sind in Ganzfigur dargestellt. Eine solche Gestaltung ist für die Grabplatten der alteingesessenen Ratsfamilien eher die Ausnahme. Hierzu gehört der Stein für die mit einem Hündchen und auffallendem Schutenhut dargestellte Anna Brandis (Nr. 902, Abb. 91) sowie die Platte für Jost Kale und Anna Wolmann, die das Ehepaar in Ganzfigur zeigt (Nr. 616, Abb. 38). Eine Variante, die in dieser Form die Ausnahme bleibt, stellt die Grabplatte für den Pastor Heinrich Lampe dar, die noch Reste der ehemaligen farbigen Fassung aufweist. Gerahmt von einer um den Stein verlaufenden Inschrift findet sich im oberen Teil des Innenfeldes eine Reliefdarstellung des Pastors in Halbfigur, im unteren Teil eine Schrifttafel (Nr. 587, Abb. 37).

Sehr häufig sind Grabplatten, deren einzige Bildelemente in einem oder mehreren Wappen bestehen und in deren Mittelpunkt die Inschriften gerückt sind. Diese kommen über den ganzen Erfassungszeitraum verteilt in vielen Varianten vor. Unterscheiden lassen sie sich in Stücke mit um den Stein verlaufender Inschrift und in Stücke mit zeilenweise auf der Platte angeordneter Inschrift. Die erste Gruppe läßt sich wiederum unterteilen in diejenigen Platten, in deren Innenfeld sich ein großes Vollwappen befindet (u. a. Nr. 461, 494, 555), und in diejenigen Platten, in deren Innenfeld ein oder mehrere Wappen in Kombination mit weiteren Inschriften stehen (u. a. Nr. 556, 567, 577). Im 17. Jahrhundert findet sich häufig die Variante mit außen zweizeilig umlaufenden Inschriften. Zumeist handelt es sich bei den umlaufenden Inschriften um Sterbevermerke für die Eheleute, während im Innenfeld Wappen und Bibelzitate angebracht sind (u. a. Nr. 759, 793, 1079). Auf der Grabplatte für Autor Odelem und seine beiden Ehefrauen (Nr. 1019) verlief ganz außen der Sterbevermerk für den Ehemann, darunter in zweiter und dritter Zeile die entsprechenden Inschriften für die beiden Ehefrauen; im Innenfeld stand ein Bibelzitat über den Wappen der drei Verstorbenen. Diese Art von Grabplatten wurde ganz offensichtlich oft schon nach dem Tod eines Ehepartners angefertigt und in dem Sterbevermerk des anderen Platz für den Nachtrag der Sterbedaten gelassen (u. a. Nr. 793, 929, 1033, 1070). Der umgekehrte Fall, daß außen um den Stein ein oder mehrere Bibelzitate verliefen, während die Grabschriften im Innenfeld standen (Nr. 865), blieb die Ausnahme. Auf der Grabplatte für die im Jahr 1657 an der Pest verstorbene Familie des Hans Hille (Nr. 1073) verliefen die Sterbevermerke für die Eheleute in zwei Zeilen um den Stein, die ihrer vier verstorbenen Kinder in der Mitte unter Wappenschilden. Grabplatten mit Inschriften auf der Rahmenleiste des Steins kommen bis zum Ende des hier behandelten Zeitraums vor. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts werden zunehmend auch Grabplatten mit zeilenweise angebrachten, untereinander stehenden Inschriften angefertigt (u. a. Nr. 748, 841, 850). Auch diese Stücke weisen häufig Wappen in den Ecken oder im Innenfeld auf. Eher die Ausnahme stellte jedoch die Grabplatte der Friedeke von Bülow aus dem Jahr 1636 dar, auf der um die Inschrift herum eine sechzehnteilige Ahnenprobe angeordnet war (Nr. 857). Bei Doppelgrabplatten konnten die zeilenweise verlaufenden Inschriften auch zweispaltig angeordnet sein (Nr. 1061, 1115).

Vergleichsweise häufig gab es in Braunschweig auch Grabplatten mit Messingeinlagen, von denen sich heute allerdings im Original bestenfalls die sehr unterschiedlich gestalteten Messingplatten [Druckseite XXIX] erhalten haben. Dabei handelt es sich zum Teil um quadratische, auf die Spitze gestellte gravierte Tafeln mit umlaufender Inschrift und weiteren Verzierungen wie einem Wappenschild im Innenfeld (Nr. 608) und Medaillons mit Evangelistensymbolen in den Ecken (Nr. 652, 662), zum Teil um Platten mit zeilenweise gravierter Inschrift (Nr. 604, 704, 892), oder um einen Stein mit Rahmenleisten und Wappenschilden aus Messing (Nr. 802).

Ähnlich wie bei den Grabplatten finden sich auch zu den heute verlorenen Epitaphien in der Sammlung Sack Skizzen oder Zeichnungen, die zumindest eine ungefähre Vorstellung von der Gestaltung des jeweiligen Grabdenkmals vermitteln. Auch Angaben zum Material werden hier gemacht. Daraus läßt sich eindeutig entnehmen, daß es sich bei den insgesamt 92 Epitaphien zum überwiegenden Teil um Grabdenkmäler aus Holz handelte, in die in vielen Fällen Ölgemälde eingefügt waren. Etliche dieser Epitaphien sind im 19. Jahrhundert bei Renovierungen beseitigt worden oder den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs zum Opfer gefallen. Zu den Besonderheiten des Braunschweiger Inschriftenbestandes gehört es jedoch, daß trotzdem verhältnismäßig viele Holzepitaphien erhalten und heute wieder in den Kirchen aufgehängt sind. Von den insgesamt 39 erhaltenen Epitaphien sind 19 aus Holz, nur 15 aus Stein, bei weiteren 5 Epitaphien bzw. deren erhaltenen Teilen handelt es sich um ursprünglich auf Holz befestigte oder in einen Holzrahmen gefaßte Messingtafeln (Nr. 562, 770, 880, 1034) oder Messingelemente (Nr. 489). Während die Epitaphien mit den Messingbestandteilen naturgemäß eher kleinere Ausmaße hatten, handelt es sich bei den Holzepitaphien ebenso wie bei den Epitaphien aus Stein um große mehrteilige Grabdenkmäler.

Bemerkenswert an diesen Epitaphien ist weniger ihre Ikonographie, die in den meisten Fällen dem üblichen Bildprogramm der Renaissanceepitaphien entspricht, als vielmehr das Verhältnis von Größe und Aufwand zu der gesellschaftlichen Position des Verstorbenen oder der betreffenden Familie. Hier lassen sich ganz erhebliche Unterschiede zwischen den vornehmen alten Ratsfamilien und den höheren Geistlichen auf der einen und den Adelsfamilien sowie den herzoglichen und städtischen Beamten auf der anderen Seite feststellen. Da über die Gestaltung und die Anzahl der Grabdenkmäler in der Regel von den betreffenden Personen noch zu Lebzeiten verfügt und zum Teil minutiöse Anordnungen getroffen wurden, die sich in etlichen Fällen erhalten haben, ist diese Art der Selbstrepräsentation außerordentlich aufschlußreich für die genannten gesellschaftlichen Gruppen.

Die alten Ratsfamilien präsentieren sich in ihren Grabdenkmälern sehr stilvoll; der von ihnen getriebene Aufwand liegt eher in der Qualität eines Grabdenkmals als in seiner Größe und in dem Umfang der Inschriften. Als Beispiel ist hier das Epitaph für den Bürgermeister Franz Kale und seine Ehefrau Cecilia Schacht (Nr. 498, Abb. 26) zu nennen, das sich durch die Verwendung von weißem vergoldeten Marmor und eine qualitätvolle Bildhauerarbeit auszeichnet. Die deutsche Grabschrift für den politisch einflußreichen Bürgermeister und seine Ehefrau ist als einfacher Sterbevermerk formuliert, in dem mit keinem Wort auf die Bedeutung des Verstorbenen hingewiesen ist; angefügt ist jeweils noch eine Fürbitte. In derselben Weise waren die Grabschriften für den Bürgermeister Jost Kale und seine Ehefrau Anna Wolmann auf deren Epitaph (Nr. 597) abgefaßt. Auch hier ist mit keinem Wort auf die Verdienste Kales hingewiesen, der als einer der bedeutendsten Männer der Stadt deren Geschicke in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts maßgeblich bestimmte. Die Beschreibung in der Sammlung Sack läßt den Schluß zu, daß das mehrteilige hölzerne Epitaph mit biblischen Darstellungen durchschnittliche Ausmaße hatte. Besonders qualitätvoll in der Ausführung, in diesem Fall in Messing, ist das kleine Epitaph für den Bürgermeister Hermann von Vechelde (Nr. 489, Abb. 25), dessen deutsche Grabschrift ebenfalls aus einem kurzen Sterbevermerk und einer Fürbitte besteht. Stellvertretend für weitere Epitaphien dieser Art sei hier noch auf das Marmorepitaph des Thile Bühring und seiner drei Ehefrauen verwiesen (Nr. 664, Abb. 51).

Ähnlich wie bei den Ratsfamilien verhielt es sich bei der Geistlichkeit. Das zu Lebzeiten angefertigte kleine Epitaph des Pastors Joachim Jordan (Nr. 880, Abb. 86), eine in einen hölzernen Rahmen gefaßte, gestochene Messingplatte, zeichnet sich durch seine Qualität aus. Im Mittelpunkt stehen mit den Darstellungen kombinierte lateinische und deutsche Bibelzitate. Die lateinische Prosagrabschrift besteht aus äußerst knapp gefaßten biographischen Angaben, die mit einem religiösen Text kombiniert sind. Ganz entschieden setzte sich der bedeutendste Kirchenmann Braunschweigs, der 1587 verstorbene Theologe und Superintendent Martin Chemnitz, dafür ein, daß ihm nur ein bescheidenes Grabdenkmal gesetzt und bei seinem Begräbnis kein allzu großer Aufwand getrieben wurde. Testamentarisch verfügte er, daß im Mittelpunkt seines einfach zu gestaltenden [Druckseite XXX] Epitaphs (Nr. 574, Abb. 28) ein Porträt stehen sollte, das schon zu seinen Lebzeiten entstanden war. Darüber hinaus legte er bereits den knappen Text seiner lateinischen Grabschrift fest und beugte so umfänglichen Lobeshymnen vor. Eine solche erhielt er dann allerdings doch noch – wenn auch nicht allzu ausführlich – in der auf einer Messingtafel ausgeführten lateinischen Prosagrabschrift seiner Grabplatte (Nr. 604).

Im krassen Gegensatz zu den Verfügungen, die der Superintendent Martin Chemnitz traf, stehen die minutiösen Anordnungen seines Zeitgenossen, des Rechtsgelehrten Ludolph Schrader. Schrader, der sich mit einem großen Teil seiner Angehörigen und auch mit seiner Ehefrau derart zerstritten hatte, daß er sie allesamt enterbte, überließ, was sein Begräbnis anging, nichts dem Zufall oder der ihm möglicherweise nicht allzu wohlgesonnenen Nachwelt. Nach seiner testamentarischen Verfügung sollte ihm ein Epitaphium von der besten art im Wert von ungefähr 1000 Talern gesetzt werden (vgl. Nr. 623). Entsprechend dieser für ein Grabdenkmal ausgesprochen hohen Summe fertigte der Braunschweiger Bildhauer Georg Röttger das – zumindest heute – größte Epitaph der Katharinenkirche an. Die daran angebrachte lateinische Inschrift, die wortreich die Verdienste des bedeutenden Rechtsgelehrten sowie seinen vornehmen Umgang hervorhebt und gleich noch einmal auf einer Messingtafel über dem Begräbnis angebracht wurde, hat Schrader seinem Testament zufolge selbst verfaßt. Auch über die Gestaltung der Grabplatte (Nr. 624), die sein Bildnis zeigen sollte, traf Schrader genaue Verfügungen ebenso wie über den Ablauf seines Begräbnisses, für das – gegen entsprechende Bezahlung – die gesamte Braunschweiger Geistlichkeit sowie die Schulen von St. Katharinen, St. Martini und St. Ägidien mobilisiert werden sollten.

Auch der herzogliche Rat Heinrich Schrader traf, was seine Grabdenkmäler anging, genaue Vorkehrungen. Er ließ schon zu Lebzeiten Grabplatten für sich und seine Ehefrau sowie ein Epitaph anfertigen und legte sich mit den Kirchenvorstehern von St. Katharinen sowohl wegen der Größe der Grabplatten als auch wegen des Anbringungsortes des Epitaphs an (vgl. Nr. 1085). Bei der Errichtung des großen, vielteiligen Epitaphs im Jahr 1659 setzte er sich über die Vereinbarungen mit den Kirchenvorstehern hinweg und ließ es an einem ihm besser erscheinenden Platz direkt gegenüber der Kanzel aufhängen, was zu jahrelangen Streitigkeiten führte, die schließlich mit Geld beigelegt wurden. Anders als Ludolph und Heinrich Schrader, die beide aus Braunschweig stammten, kam Johann Rosbeck als Syndikus von außerhalb in die Stadt. Ähnlich wie Ludolph Schrader war auch er um seinen inschriftlichen Nachruhm besorgt und verfügte daher, daß an sein Epitaph, da es sich immer schicken will etzliche carmina, in denen angedeutet werde, in was guten ehrlichen ansehen Ich bei der Key: Mayst. unnd dem Haus Sachssen Weymarschen theils gewesen, unnd was ich auch beij dieser Stad Braunschweig gethan, daran gemacht werden sollten (vgl. Nr. 588, Abb. 31). Die carmina fielen dann mit sechs Distichen allerdings vergleichsweise bescheiden aus. Zugleich verfügte Rosbeck jedoch auch über die Anbringung von Bibelzitaten und einer biblischen Szene auf seinem Epitaph. Eine Auswahl in Frage kommender Sprüche findet sich in seinem Testament.

Als Beispiele für aufwendige Begräbnisse des in Braunschweig ansässigen Adels sind vor allem das 1589 eingerichtete Begräbnis des Fritze von der Schulenburg und der Ilse von Saldern in der St. Johannis-Kapelle und das Begräbnis des Georg von der Schulenburg und der Lucia von Veltheim in der Katharinenkirche aus den Jahren 1619 bis 1621 zu nennen. Die kleine Johannis-Kapelle, die zu dem im Besitz des Ehepaars befindlichen Prioratshof gehörte, wurde von diesem praktisch zu einer Grabkapelle umgestaltet. In der von Beck in seinem Lageplan59) als adliche Schulenb. Seite bezeichneten Hälfte ließ Ilse von Saldern nach dem Tod ihres Mannes 1589 vier Grabdenkmäler errichten: eine Grabplatte (Nr. 622) und ein steinernes Epitaph (Nr. 629) für Fritze von der Schulenburg, eine Grabplatte für sich selbst (Nr. 720) sowie ein hölzernes Epitaph (Nr. 621) für beide Eheleute. Die deutschen Inschriften der Grabdenkmäler sind von eher bescheidenem Umfang. In den Grabschriften des Epitaphs für das Ehepaar, die vor allem die Auferstehungshoffnung zum Inhalt haben, sind nur knappe biographische Daten mitgeteilt. Die drei anderen Grabdenkmäler enthalten lediglich die Geburts- und Sterbedaten, auf der Grabplatte für den Ehemann ist noch eine Fürbitte hinzugesetzt.

Ähnlich wie die Johannis-Kapelle wurde das Innere der Katharinenkirche von dem Begräbnis des Georg von der Schulenburg und seiner Ehefrau Lucia von Veltheim geprägt, für dessen Genehmigung insgesamt 1000 Taler an die Kirche gezahlt wurden. Über die Ausgestaltung des mit einer Inschriftenplatte (Nr. 756) abgedeckten Grabgewölbes liegen detaillierte Informationen vor. Die von der Kirche erteilte Erlaubnis bezog sich auf zwei Grabplatten (Nr. 757, 763) sowie ein [Druckseite XXXI] Epitaph, das den Bestimmungen zufolge die Sicht durch die Kirche nicht behindern sollte. Angefertigt wurde als Epitaph stattdessen ein hinter dem Laienaltar aufgestellter Lettner (Nr. 768, Abb. 65), der den gesamten Innenraum der Kirche dominierte. Im Kontrast zu dem aufwendigen Bildprogramm und den beiden sechzehnteiligen Ahnenproben für die Eheleute steht auch hier die kurze, nur aus knappen Sterbevermerken bestehende deutsche Grabschrift für das Ehepaar.

In diesen Beobachtungen zu den Grabdenkmälern unterschiedlicher Bevölkerungskreise deutet sich schon an, daß auch die Sprache und die Form der Grabinschriften eng mit dem gesellschaftlichen Status des jeweiligen Verstorbenen zusammenhängen. Es lassen sich hier verhältnismäßig klare Unterscheidungen treffen. Fast ausnahmslos in lateinischer Sprache sind die Grabinschriften für Pastoren und Kanoniker (u. a. Nr. 568, 574, 628, 647), die überregional tätigen Räte (u. a. Nr. 883, 1045, 1055), Rechtsgelehrten, Syndici (u. a. Nr. 611, 623, 770) und Ärzte (Nr. 828/829, 963, 1004) abgefaßt. Dasselbe gilt für deren Frauen (u. a. Nr. 748, 784, 1051) und Kinder (u. a. Nr. 545, 833, 941). Zumeist handelt es sich bei diesen lateinischen Inschriften um Prosatexte von unterschiedlicher Länge. Lateinische Grabgedichte wie für den Pastor Heinrich Lampe (Nr. 587) oder für den Syndikus Paschasius Brismann (Nr. 611) kommen insgesamt nur elfmal vor und umfassen jeweils nur wenige Distichen. Völlig aus dem Rahmen fallen daher die aus 14 Distichen bestehende Grabschrift für den Superintendenten Johannes Wagner (Nr. 775), die dem Leser Anweisungen zum richtigen Leben im lutherischen Glauben gibt, und die 19 Distichen umfassende Grabschrift für Heinrich von Beust (Nr. 525), die die Kriegstaten des Gefallenen schildert.

Die Inschriften für Angehörige der eingesessenen bürgerlichen Familien und der Adelsfamilien sind zum weit überwiegenden Teil in deutscher Sprache abgefaßt, in den meisten Fällen als kurze die Lebensdaten enthaltende Texte, denen eine Fürbitte und Bibelzitate hinzugesetzt werden konnten. Lange biographische Texte wie die Grabschrift für Burkhard von Steinberg (Nr. 927) und den Hauptmann Thomas Fillier (Nr. 972) bleiben die Ausnahme. Eher selten sind für die beiden genannten gesellschaftlichen Gruppen lateinische Prosatexte (Nr. 475, 521, 562, 960). Lateinische Versinschriften kommen hier nur viermal vor und zwar für Heise Oschersleben (Nr. 433), die Braunschweiger Bürgermeister Bernt von Broitzem (Nr. 493) und Johannes Becker (Nr. 505) sowie für den ehemaligen Bremer Bürgermeister Johannes Esich (Nr. 577). Im Fall des Johannes Becker wurde die Grabschrift von seinem Sohn, einem Doktor der Theologie und späteren Superintendenten, veranlaßt und wahrscheinlich auch verfaßt. Völlig ohne Parallele und wohl für immer rätselhaft bleibt die sieben Distichen umfassende, ausgesucht poetisch formulierte Grabschrift für den Beckenwerker Heise Oschersleben, dessen Testament ihn als einen eher bedeutungslosen und nicht sonderlich vermögenden Mann erscheinen läßt.

Unter den 332 Grabschriften dieses Bestandes sind lediglich drei in deutschem Reimvers verfaßt. Während das deutsche Grabgedicht für Wilhelm von der Ow, das mit einer lateinischen Prosagrabschrift kombiniert ist (Nr. 741), das Leben des Kanonikers von St. Blasii schildert, dient die in deutschen Reimversen verfaßte Grabschrift für Ilse Bussmann (Nr. 939) in kurioser Weise vor allem dazu, die Fruchtbarkeit der Verstorbenen und ihrer Kinder zu betonen. Auf dem Epitaph für Henning Philipp von Mahrenholtz (Nr. 979) findet sich neben zwei lateinischen Prosainschriften ein Gedicht zum Thema ‘Nichtigkeit alles Irdischen’ in deutschem Reimvers, das auch der wohlwollendste Leser nur als schwülstig einstufen kann. Auf zwei Kuriosa unter den Grabinschriften soll am Ende dieses Kapitels noch hingewiesen werden. Welche Ungelegenheiten ein einziges Wort in einer Grabschrift bereiten kann, zeigt der Fall des zunächst boßlich später erbaermlich vom Leben zum tod gebrachten Ludolf von Wenden (Nr. 478). Eine tiefe Überzeugung von der Sinnlosigkeit aller Inschriften spricht aus der Grabschrift für den Arzt Hermann Conerding (Nr. 774).

3. 3. Hausinschriften

Die Hausinschriften machen mit 137 Nummern die zweitgrößte Gruppe in diesem Inschriftenband aus. Davon sind lediglich 22 im Original erhalten, 115 Inschriften sind nach der kopialen Überlieferung ediert. Hinzu kommen noch zahlreiche Initialen und Jahreszahlen an den Braunschweiger Häusern, die in Anhang 1 zusammengefaßt sind. In Relation zu dem Gesamtbestand von 800 Inschriften sind 137 Hausinschriften für eine norddeutsche Fachwerkstadt ein eher kleiner Bestand. In den Inschriftenbänden Hameln, Hannover und Goslar machen die Hausinschriften [Druckseite XXXII] jeweils ein Drittel des Gesamtbestandes aus.60) Der vergleichsweise geringe Anteil der Braunschweiger Hausinschriften relativiert sich ein wenig, wenn man die – allerdings in etlichen Fällen nur aus Baudaten bestehenden – 199 Hausinschriften des vorreformatorischen Braunschweiger Inschriftenbandes hinzunimmt. Es ergibt sich dann eine Zahl von 336 Hausinschriften bei einem Gesamtbestand von 1210 Nummern, d. h. die Hausinschriften machen mehr als ein Viertel aller Inschriften aus. In diesen Zahlen deutet sich schon eine Besonderheit des Braunschweiger Hausinschriftenmaterials an. Die Stadt Braunschweig bietet einen im Vergleich zu den anderen norddeutschen Fachwerkstädten sehr frühen Bestand an Hausinschriften, an dem sich die Anfänge und die Entwicklung dieser Inschriftengattung gut verfolgen lassen. Die Entwicklung der Bauformen im Fachwerk und das Formular der frühen Braunschweiger Hausinschriften sind in der Einleitung des ersten Bandes bereits behandelt worden.61) Ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt ist dabei jedoch außer Acht gelassen worden: Die frühen Braunschweiger Hausinschriften zeichnen sich weniger durch ihren Inhalt als durch ihre äußere Form62) aus. Diese ist einzigartig und in vergleichbaren Inschriftenbeständen so kaum anzutreffen.

Als älteste Form der Verzierung von Schwellen kommt in Braunschweig seit der Mitte des 15. Jahrhunderts der Treppenfries vor, der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Fronten zahlreicher Bürgerhäuser ziert. In den Feldern unter und über der Treppe finden sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts häufig figürliche Darstellungen und über die einzelnen Felder verteilte Baudaten, oft in Kombination. Die Buchstabenoberfläche dieser frühen Baudaten ist nicht einfach flach aus einem vertieften Feld herausgearbeitet worden, sondern weist eine plastische Struktur auf, die den Inschriften einen besonderen Schmuckcharakter verleiht. Fragmente eines Schwellbalkens vom Haus Heydenstr. 2 von 1470 (A3 Nr. 181, Abb. 5) zeigen ein von zwei Drachenköpfen eingerahmtes m und von zwei Zeigehänden eingefaßt die Zahlbuchstaben cccc. Die Brechungen der gotischen Minuskel sind in diesem Fall als umgeschlagenes Band plastisch umgesetzt. Ein besonders schönes Beispiel plastischer Buchstabengestaltung stellt der Schwellbalken vom Haus Wendenstr. 6 von 1512 (A3 Nr. 349, Abb. 6 u. 7) dar. In den bogenförmig abgeschlossenen Feldern über der Treppe ist ein Baudatum in frühhumanistischer Kapitalis ausgeführt, dessen Buchstaben sich durch eine besonders kunstvolle Gestaltung einzelner Bestandteile wie die durch die Hasten und Bögen hindurchgesteckten Balken und Zierstriche auszeichnen (vgl. hierzu Kap. 4.).

Eine weitere sehr verbreitete Schmuckform der Schwellen ist der in Braunschweig datiert erstmals 1517 auftretende Laubstab,63) dem oft zu einem Baudatum gehörende Buchstaben in kleinere Gruppen verteilt aufgelegt sind (Nr. 421423, vgl. a. Abb. 11). Auch hier haben die einzelnen Buchstaben noch ganz wesentlich ornamentalen Charakter. Im 16. Jahrhundert entwickelte sich eine Vielfalt an Schmuckformen der Schwellbalken. Der Laubstab, der zunächst von plastischem Blattwerk umschlungen war, wurde immer mehr auf ein einfaches Bogenornament reduziert. Daneben gab es Verzierungen durch Fächerrosetten, für die über die Schwellbalken hinaus auch die Ständer und Winkelhölzer mit einbezogen wurden. Als besonders kunstvolles Beispiel können zwei in Fächerrosetten übergehende Maskenköpfe am Haus Wendenstr. 14 in Braunschweig von 1536 gelten, die eine Jahreszahl einrahmen (A1 1536, Abb. 11). Die zuletzt erwähnten Beispiele zeigen zugleich, daß die Oberflächenstruktur der Buchstaben im 16. Jahrhundert längst nicht mehr so plastisch gestaltet wird wie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. In dem Moment, wo man mehrere Inschriften auf die Schwellbalken eines Hauses verteilt, die Texte länger werden und über das bloße Baudatum hinausgehen, verliert der Schmuckcharakter des einzelnen Buchstabens an Bedeutung. Die Hausinschriften haben auch weiterhin vor allem durch die hier gerne verwendeten Frakturversalien ornamentalen Charakter und eine Schmuckfunktion für das Haus. Betont wird dies zumeist durch eine Hervorhebung der eingehauenen oder erhaben herausgearbeiteten Buchstaben mit goldener Farbe. Die Oberfläche der erhabenen Buchstaben bleibt jedoch in späterer Zeit glatt und die Inschriften sind seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht mehr in ein plastisches Ornament eingebunden wie in den Treppenfriesen oder auf den Laubstabbalken.

Die inhaltlich wirklich bemerkenswerten Braunschweiger Hausinschriften des zweiten Bandes lassen sich leicht aufzählen, da der Großteil der Hausinschriften nach 1528 lediglich das Baudatum und den Erbauernamen enthält oder nicht über so gängige Sprüche wie Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut (u. a. Nr. 513, 581, 703) oder den Bibelvers Verbum Domini manet in aeternum (u. a. Nr. 496, 514, 561) hinauskommt. Die Gründe hierfür sind möglicherweise darin zu suchen, daß die Errichtung der Fachwerkbauten in Braunschweig im letzten Viertel des 15. und der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht hatte, so daß die stattlichen Fachwerkbauten mit ihrem aufwendigen ornamentalen und figürlichen Schmuck auch von späteren Generationen als repräsentativ genug erachtet und nicht durch Neubauten ersetzt wurden. Vergleicht man die kunstvollen Zimmermanns- und Bildhauerarbeiten dieser Zeit mit den späteren vergleichsweise schlichten Fachwerkhäusern, so könnte man auch auf die Idee kommen, die einfachere Bauweise mit dem Rückgang der städtischen Wirtschaftskraft im 16. Jahrhundert in Verbindung zu bringen. Zu konstatieren ist jedenfalls, daß humanistische Inschriftenprogramme oder Bild-Text-Programme, wie sie im benachbarten Hildesheim zahlreich vorkommen,64) in Braunschweig fehlen, obwohl es hier keinen Mangel an gebildeten Bauherren gab.65)

Für zwei Häuser, die unmittelbar nach der Einführung der Reformation in der Stadt erbaut worden sind, wurden wohl mit Bedacht ausführliche Zitate aus der Lutherbibel als Inschriften ausgewählt. An den Häusern Hintern Brüdern 5/6 (Nr. 416) und Fallersleberstr. 15 (Nr. 418) von 1531 wurden offensichtlich von derselben Werkstatt Schwellbalken mit von männlichen Figuren gehaltenen verschlungenen Schriftbändern darauf angebracht. Die Bibelzitate, die mit keiner der niederdeutschen Lutherbibeln wörtlich übereinstimmen, gehen wohl mehr auf den mündlichen Gebrauch der lutherischen Übersetzung zurück. Einer der vom Haus Fallersleberstr. 15 erhaltenen Schwellbalken zeigt am Balkenende noch die groteske Figur eines Orgelpfeifen haltenden bebrillten Esels, dem der Spruch Ick kan so vel Nich lesen vnd gselle vesen zugeordnet ist. Als inhaltlich etwas aufschlußreichere Hausinschriften in deutscher Sprache sind hier noch die in Reimverse gefaßten Betrachtungen über die allgemeinen Mißstände der Zeit am Haus Reichsstr. 6 aus dem Jahr 1552 zu nennen (Nr. 463) und die auf die Einrichtung eines Armenhauses bezogene Stifterinschrift am Haus Ölschlägern 13 aus dem Jahr 1588, der noch ein passendes Bibelzitat hinzugefügt ist (Nr. 618). Besonderen Schmuckcharakter hat die in deutschen Reimversen abgefaßte und in weithin sichtbaren Goldbuchstaben ausgeführte Fürbitte im Treppengiebel der Steinfasssade am Haus Kohlmarkt 1 (um 1590, Nr. 640).

Eine Stiftungsinschrift in lateinischer Vers- und deutscher Prosaversion findet sich an dem für die Pfarrwitwen bestimmten Haus Echternstr. 14/15 (1559, Nr. 483). In den Bereich privater Bautätigkeit fallen weitere Häuser, deren lateinische Inschriften auf einen gehobenen Bildungsstand des Bauherrn schließen lassen. Die Inschriften an den Häusern Neuestr. 5 (um 1550, Nr. 458) und Kleine Burg 14 (1622, Nr. 773) haben einen in lateinische Verse gefaßten frommen Inhalt. Ebenfalls in Verse gefaßte Sentenzen religiösen wie allgemeinen Inhalts standen am Haus Gördelingerstr. 42 (1572, Nr. 537). Eine in ein Chronogramm gekleidete Fürbitte steht am Haus Hintern Brüdern 8a (1619, Nr. 754) und am Haus Ziegenmarkt 7 (1623, Nr. 780). Ovidzitate finden sich am Haus Kohlmarkt 2 (1584, Nr. 596), hier zusammen mit einem lateinischen Spruch religiösen Inhalts, und am Haus Gördelingerstr. 41 (1637, Nr. 863) in einer etwas seltsamen Kombination mit einem deutschen Bibelvers und einem lateinischen religiösen Spruch.

3. 4. Sonstige Inschriftenträger

Eine Besonderheit des Braunschweiger Inschriftenbestandes macht die hohe Zahl von 60 zumeist erhaltenen Wappenglasscheiben aus, zu denen noch 16 Fenster hinzukommen. Zum Teil handelt es sich dabei um Stiftungen für Kirchenfenster, ein großer Teil dieser Scheiben entstammt jedoch dem privaten Bereich. Im 16. Jahrhundert bildete sich der Brauch aus, zu allen möglichen Gelegenheiten [Druckseite XXXIV] Wappenglasscheiben anfertigen zu lassen und zu verschenken. Diese Sitte nahm solche Formen an, daß sich der Rat 1573 genötigt sah, durch Festsetzen von Höchstpreisen Auswüchsen Einhalt zu gebieten.66) In der Folgezeit wurden immer wieder ähnliche Bestimmungen erlassen, was belegt, daß die Braunschweiger Bürger weiterhin zahlreiche Glasscheiben anfertigen ließen. Probleme bereitete es, daß die Glaser sich gleichzeitig als Glasmaler betätigten und sich dabei nicht auf die Darstellung der Wappen beschränkten, sondern diese mit den verschiedensten Darstellungen kombinierten. Im Jahr 1650 wurde ein Vergleich geschlossen, daß auf die Wappenglasscheiben lediglich die Wappen und keine anderen Darstellungen wie Apostel, Evangelisten, Vögel oder Blumen gemalt werden durften.67) Im Jahr 1663 wurde diese Anordnung offensichtlich nicht mehr befolgt, denn dreizehn besonders schöne Glasscheiben einer Serie aus diesem Jahr zeigen neben den Wappen auch Obstarrangements und besonders aufwendig gemalte unterschiedliche Blumen (Nr. 1111, Abb. 110). Die Inschriften der Wappenglasscheiben bestehen durchgängig aus einfachen Wappenbeischriften, die außer dem Namen auch eine Jahreszahl und ein Epitheton enthalten können.

Eine Gruppe von sehr unterschiedlichen Inschriftenträgern bilden die 111 kirchlichen Ausstattungsstücke, zu denen noch 17 Vasa Sacra und 17 Glocken hinzukommen. Was viele der kirchlichen Ausstattungsstücke verbindet, ist die Tatsache, daß sie auf Stiftungen inschriftlich genannter Braunschweiger Bürger zurückgehen. Von den 111 Stücken sind nur noch 23 im Original überliefert, die anderen 88 wurden wohl überwiegend bei Restaurierungen im Laufe der Zeit beseitigt. Dies liegt daran, daß Gegenstände der Kircheneinrichtung zu allen Zeiten in ihrer Erhaltung besonders gefährdet waren, da sie in hohem Maße vom Zeitgeschmack abhängig waren. Den Innenraum der Kirchen prägten vor allem die umfangreichen Bildprogramme mit Darstellungen biblischer Szenen an den Priechen, von denen mit Ausnahme von St. Martini jede der Braunschweiger Pfarrkirchen mindestens eines aufzuweisen hatte (Nr. 485, 663, 804, 881, 952, 981, 1096). Neben den Bilderzyklen an den Priechen gab es im Chor der Kirchen St. Katharinen (Nr. 900), St. Magni (Nr. 955) und St. Ulrici-Brüdern (Nr. 667) Gemäldezyklen mit Darstellungen bedeutender Theologen, von denen sich die Gemälde im Gestühl von St. Ulrici-Brüdern heute noch in situ befinden. Jedes einzelne Gemälde aller genannten Bilderzyklen trägt den Namen und manchmal auch das Wappen seines Stifters. In St. Petri (Nr. 786) und St. Michaelis (Nr. 952) ging der Schmuck je einer Prieche auf einen einzelnen Stifter zurück; in St. Katharinen war die Orgelprieche mit den Wappenbildern der Stifter versehen (Nr. 779).

Einzelpersonen stifteten neben den zahlreichen Gemälden auch andere kirchliche Einrichtungsgegenstände wie den Kanzeldeckel (Nr. 749) und den Taufdeckel von St. Martini (Nr. 751), Leuchterkronen (u. a. Nr. 598, 966, 1092) und Leuchterhalterungen (u. a. Nr. 462, 479, 531), sowie Abendmahlsgerät (u. a. Nr. 512, 515, 626, 882, 915). Der St. Johannis-Kapelle schenkten Fritze von der Schulenburg und seine Ehefrau Ilse von Saldern mehrere Gegenstände, auf denen sie inschriftlich als Stifter genannt sind: zwei Altardecken (Nr. 635), ein Antependium (Nr. 636) und einen Kelch (Nr. 638). Auf eine Stifterinschrift ganz besonderer Art ist hier noch hinzuweisen, obwohl sie in die vorreformatorische Zeit fällt. Der im ersten Braunschweiger Inschriftenband nicht aufgenommene Grundstein mit darin eingelassener Kupfertafel der Maria-Magdalenen-Kapelle (A3 Nr. 269A, Abb. 8/9) trägt eine Urkundeninschrift, in der die den Neubau der Kapelle finanzierenden Stifter genannt sind.

3. 5. Hochdeutsch und Niederdeutsch in den Braunschweiger Inschriften

Eine Untersuchung zum Übergang vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen in den Inschriften kann sich prinzipiell nur auf die im Original erhaltenen Inschriften gründen, mit gewissen Einschränkungen auch auf diejenige kopiale Überlieferung, die den Sprachstand der Inschriften sicher bewahrt. Letzteres gilt in Braunschweig für die Sammlung Sack ebenso wie für verschiedene andere Überlieferer, aber immer nur mit der Einschränkung, daß leichte Abweichungen vom Original in der Wiedergabe vorkommen können. Ein weiteres Problem ergibt sich aus den zahlreichen gemalten, in Fraktur ausgeführten Inschriften, da hier selbst am Original nicht unbedingt feststellbar ist, [Druckseite XXXV] ob es sich nach verschiedenen Restaurierungen tatsächlich noch um den originalen Sprachstand handelt.

Wie schon am Inschriftenbestand der Stadt Hannover beobachtet68) ist unter sprachgeschichtlichen Gesichtspunkten nach Grabinschriften und Hausinschriften zu trennen. Auch in Braunschweig zeigen diese beiden größten Inschriftengruppen eine unterschiedliche Entwicklung. Einschränkend ist hierzu noch zu bemerken, daß das Braunschweiger Hausinschriftenmaterial für die einschlägige Zeit von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts nur eine verhältnismäßig kleine Zahl verwertbarer Inschriften bietet. Dies liegt vor allem daran, daß in dieser Zeit nur wenige Inschriften mit umfangreicheren Texten an den Häusern angebracht wurden (vgl. dazu Kap. 3. 3.). Die älteste datierte niederdeutsche Inschrift Braunschweigs (DI 35, Nr. 57) stammt aus dem Jahr 1379. Es handelt sich dabei um eine Bauinschrift an St. Michaelis und damit um eine Inschriftenart, für die zu dieser Zeit oft die allgemein in Inschriften noch nicht gebräuchliche Volkssprache Verwendung fand. Die älteste niederdeutsche Grabinschrift (DI 35, Nr. 58) stammt aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts, für die seit Beginn des 15. Jahrhunderts auftretenden – allerdings nur aus kurzen Texten bestehenden – Hausinschriften wurde von Beginn an neben der lateinischen Sprache auch das Niederdeutsche verwendet.

Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts weisen sämtliche volkssprachigen Inschriften durchgängig niederdeutsche Merkmale auf. Kurz nach der Jahrhundertmitte setzt der Übergang vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen ein und zwar zunächst in den Inschriften der Grabdenkmäler. Für die Übergangszeit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sind Mischformen charakteristisch. Auch hier trifft bereits die am hannoverschen Material gemachte Beobachtung zu, daß es sich bei den Mischformen überwiegend um hochdeutsche Texte mit gelegentlichen niederdeutschen Einsprengseln handelt, kaum jedoch um den umgekehrten Fall. Läßt man die Inschrift einer Elle (Nr. 448) aufgrund der unsicheren Provenienz des Stücks außer Betracht, so finden sich die ältesten hochdeutschen Merkmale in der Inschrift einer Gedenktafel von 1547 (Nr. 455). Die im Sprachstand wohl zuverlässig kopial überlieferte Inschrift zeigte neben den hochdeutschen Worten ZV, DIE, IST und GESCHEHEN die niederdeutsche Form SLACHT sowie zwei Mischformen: DRACKENBORG statt hochdeutsch ‘Drackenburg’ bzw. niederdeutsch ‘Drackenborch’ und MANTAGS statt hochdeutsch ‘Montags’ bzw. niederdeutsch ‘Mandags’. Ein ähnliches Gemisch niederdeutscher und hochdeutscher Elemente zeigen die Inschriften auf der Grabplatte für den Bürgermeister Barthold Lafferde von 1552 (Nr. 461). Dagegen ist das Bibelzitat auf einer Leuchterhalterung aus demselben Jahr durchgängig in hochdeutscher Sprache ausgeführt; auf eine gewisse Unsicherheit im Umgang damit könnte jedoch die Verwendung von LIECHT für ‘Licht’ und FVSSTE für ‘Füsse’ hindeuten. Der Gießer nennt sich hier noch in der niederdeutschen Variante HANS MISSENER, während er sich im Jahr 1560 auf einem Epitaph (Nr. 489) hochdeutsch als HANS MEISNER bezeichnet, allerdings in Verbindung mit der niederdeutsch/hochdeutschen Formel GOTH MICH. Die Grabschrift dieses Epitaphs weist durchgängig hochdeutsche Sprachmerkmale auf, lediglich die Worte DACH (‘Tag’) und BRVNSCHWIG zeigen noch niederdeutsche Prägung. Die Grabschriften auf dem Epitaph und der Grabplatte des Bernt von Broitzem von 1561 (Nr. 493 u. 494) stellen den eher seltenen Fall von durchgängig niederdeutschem Text mit einzelnen hochdeutschen Merkmalen (sein, BORGEMEISTER) dar.

Nach 1575 sind die Inschriften der Grabdenkmäler in hochdeutscher Sprache verfaßt und weisen höchstens ganz vereinzelt noch niederdeutsche Elemente auf. Als deutliche Ausnahmen heben sich die Grabinschriften des Friedrich Bode (1587, Nr. 608), des Fritze von der Schulenburg (1589, Nr. 622 u. 629) und des Reinhard Reinerdes (1594, Nr. 652), die noch etliche niederdeutsche Formen enthalten, von den anderen Grabinschriften des letzten Viertels des 16. Jahrhunderts ab. Die Grabschriften für Fritze von der Schulenburg enthalten die niederdeutsche Form dage, die in Mantags noch einmal in hochdeutscher Variante in Verbindung mit einem niederdeutschen Wortbestandteil vorkommt. In der Grabschrift des Reinhard Reinerdes steht niederdeutsch STARFF neben STERBEN, MIN gegenüber EINE und VORLEIHE. Ein solches Nebeneinander von gleichen oder vergleichbaren Wörtern oder Phänomenen in nieder- und hochdeutscher Form in einer Inschrift ist keine Seltenheit, sondern kann ebenso wie das Nebeneinander von nieder- und hochdeutschen Elementen in einem Wort als charakteristisch für die Übergangszeit gelten.69) Als ein sehr spätes Beispiel dieser Art sei hier noch auf die Glasscheiben Nr. 729 von 1609 verwiesen, [Druckseite XXXVI] auf denen neunmal NAGELATEN neben zweimal NAGELASEN steht. Um diese Zeit finden sich allgemein kaum noch niederdeutsche Merkmale in den Inschriften. Auch die Hausinschriften, in denen sich das Hochdeutsche sehr viel langsamer durchsetzt, sind zu dieser Zeit in hochdeutscher Sprache verfaßt.

Ein ausgesprochen frühes Beispiel einer durchgehend hochdeutschen Hausinschrift stellt das mit einer lateinischen Inschrift kombinierte Bibelzitat am Haus Gördelingerstr. 42 von 1572 dar. Wenn hier die kopiale Überlieferung den Sprachstand tatsächlich zuverlässig wiedergegeben hat, läßt sich die Verwendung des Hochdeutschen wohl mit dem gehobenen Bildungsstand des Erbauers erklären. Ein weiterer Grund könnte sein, daß Bibelzitate eher in hochdeutscher Form angebracht wurden als frei formulierte Texte, die noch eher die Sprache der Auftraggeber repräsentierten. Dies zeigen die Inschriften am Haus Ölschlägern 13 von 1588 (Nr. 618). Hier steht ein rein hochdeutsches Bibelzitat neben einer rein niederdeutschen Stifterinschrift, die als einziges hochdeutsches Element die Initiale z – aufzulösen als z(u) – enthält. Was die für Hausinschriften relevante Übergangszeit vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen betrifft, lassen sich anhand des Braunschweiger Inschriftenmaterials kaum allgemeingültige Beobachtungen machen, da aus dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts und dem ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts nur 12 deutsche Hausinschriften mit nennenswertem Text vorliegen. Hier finden sich in den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts noch niederdeutsche Elemente. Für die beiden nächsten – für die Sprachgeschichte der Hausinschriften entscheidenden – Jahrzehnte sind lediglich eine niederdeutsche und vier hochdeutsche Hausinschriften überliefert. Die Inschrift am Gildehaus der Schmiede von 1607 (Nr. 722) DUT IS DER SMEDE GILLHUS wurde möglicherweise in Anknüpfung an eine ältere Inschrift in Niederdeutsch angebracht. Aber auch auf einer Glocke aus der gleichen Zeit (Nr. 733) finden sich noch ein Bibelzitat mit überwiegend niederdeutschen Elementen und eine Meisterinschrift, in der MIR anstelle von ‘mich’ verwendet wurde. Letzteres dürfte darauf zurückgehen, daß der Dativ und der Akkusativ des Personalpronomens im Niederdeutschen zusammenfallen konnte. In ähnlicher Form nennt sich derselbe Gießer auch auf einem Mörser von 1608 (Nr. 725): HANS WILKEN GOS MI IN BRVNSWICK, in der der Ortsname ‘Braunschweig’ letztmalig in niederdeutscher Form erscheint. Die genannten Beispiele zeigen, daß sich vereinzelt niederdeutsche Bestandteile auch noch in den Inschriften aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts nachweisen lassen. Generell kann als Zeitgrenze aber auch in Braunschweig der Wechsel vom 16. zum 17. Jahrhundert angesehen werden.

Trotz des eher spärlichen Materials an Hausinschriften läßt sich auch in Braunschweig an den Grabinschriften und Hausinschriften ein Unterschied im Übergang vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen beobachten. Während das Hochdeutsche in die Grabinschriften schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts verstärkt Eingang findet und sich sehr schnell als vorherrschende Sprachform durchsetzt, weisen die Hausinschriften noch länger niederdeutsche Merkmale auf. Dies läßt auf verschiedene Verfasser der beiden Inschriftengruppen schließen und ist parallel zu setzen mit der Entwicklung im städtischen Schriftverkehr. Es ist verschiedentlich gezeigt worden, daß sich die Städte im überregionalen Schriftverkehr sehr viel früher der hochdeutschen Sprache bedienten als in den für den internen Gebrauch bestimmten Schriftstücken, in denen sich noch bis ins 17. Jahrhundert hinein niederdeutsche Sprachmerkmale finden.70) Der grundlegenden Untersuchung von Gabrielsson zufolge vollzog sich der Wechsel vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen im Unterricht der Braunschweiger Schreibschulen erst um den Wechsel vom 16. zum 17. Jahrhundert.71) Damit korrespondiert die längere Bewahrung niederdeutscher Elemente in den Hausinschriften, die wohl allgemein von den Erbauern der Häuser konzipiert, möglicherweise auch von den ausführenden Zimmerleuten vorgeschlagen wurden, ebenso wie in anderen Inschriften, beispielsweise den genannten Meisterinschriften des Gießers Hans Wilken (Nr. 725, 733). Für die [Druckseite XXXVII] Grabinschriften kann man davon ausgehen, daß sie von einem Personenkreis verfaßt wurden, der durch Studium und Beruf sehr früh mit dem überregional gebrauchten Hochdeutschen vertraut war wie Syndici, Schreiber, Pastoren und Lehrer. Daß sich dieser Personenkreis zum überwiegenden Teil nicht aus den eingesessenen Bürgern rekrutierte, sondern von außen in die Stadt geholt wurde, hat der Verwendung des Hochdeutschen sicher noch Vorschub geleistet. Treten diese Personen als Bauherren auf und lassen eine Inschrift an ihrem Haus anbringen, so ist diese zumeist in Latein verfaßt (vgl. Kap. 3. 3.). Umgekehrt ließe sich vermuten, daß die oben genannten vier Grabinschriften mit niederdeutschen Elementen aus dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts (Nr. 608, 622, 629, 652) auf Textentwürfe der Verstorbenen oder deren Familien zurückgehen.

Zitationshinweis:

DI 56, Stadt Braunschweig II, Einleitung, 3. Inschriften, Inschriftenträger und Überlieferung (Sabine Wehking), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di056g009e007.

  1. Eine präzise Zahl läßt sich nicht ermitteln, weil es unter den zahlreich erhaltenen Glasscheiben viele Stücke gibt, deren Provenienz sich nicht mehr feststellen läßt und die daher in dieser Zahl nicht berücksichtigt worden sind. »
  2. Vgl. u. a. DI 36 (Stadt Hannover), S. XVI, u. DI 46 (Stadt Minden), S. XIX»
  3. Es handelt sich um Nr. 481, 493, 531, 548, 588, 593, 604, 671, 775, 786, 878, 970, 972 (ganzes Epitaph), 1177. Vgl. hierzu bes. Jühnke, Zerstörte Kunst, passim. »
  4. DI 35 (Stadt Braunschweig 1), S. XXXVIIIf. »
  5. Zu Anton August Beck und seiner Tätigkeit vgl. Spies, Bild einer Stadt, S. 31–36. »
  6. Philipp Julius Rehtmeyer, Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen-Historie. 4 Teile in Bd. 1, Braunschweig 1707–1715; Teil 5: Beylagen auf die Supplementa, Braunschweig 1720. »
  7. Landesbibliothek Hannover, Oy - H V,42. »
  8. Nr. 449, 451, 490, 525, 554, 646, 670, 672»
  9. Wilhelm Jesse, Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis zum Jahre 1650. In: Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft Bd. I,1, 1949, S. 137–144. Dietrich Mack, Mittelalterliche Inschriften der Stadt Braunschweig als historische Quelle. In: Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft 4, 1952, S. 196–227. »
  10. Hans Adolf Schultz, Die Grabmale in Braunschweiger Kirchen. In: Braunschweigische Heimat 48, 1962, S. 106–110 (Dom); 49, 1963, S. 1–8 (St. Martini), S. 38–42 (St. Katharinen), S. 75–83 (Brüdernkirche). »
  11. C. St., Alte Bürgerhäuser und Häuserinschriften in der Stadt Braunschweig. In: Braunschweigische Anzeigen vom 31. Mai 1897. Rudolf Fricke, Haussprüche und Inschriften Alt–Braunschweigs, in: Braunschweigische Heimat 57, 1971, S. 40–48. W. J., Von alten Hausinschriften. In: Braunschweiger Landeszeitung vom 23. 12. 1912. W. J., Von alten Hausinschriften. In: Braunschweiger Landeszeitung vom 23. 12. 1912. Heinrich Edel, Die Fachwerkhäuser der Stadt Braunschweig. Braunschweig 1928. »
  12. Rudolf Fricke, Das Bürgerhaus in Braunschweig, Tübingen 1975 (Das deutsche Bürgerhaus, Bd. 20). Die Zeichnungen, die als Vorarbeiten zu diesem Buch entstanden, befinden sich im Städtischen Museum Braunschweig. »
  13. Generell sei hier zu den Künstlern angemerkt, daß die von Paul Jonas Meier in seinen Arbeiten getroffenen Zuschreibungen Braunschweiger Werke an bestimmte Künstler nur in den seltensten Fällen in die Katalogartikel übernommen worden sind, da die meisten Zuschreibungen Meiers äußerst willkürlich erscheinen und einer dringenden Überarbeitung bedürften, die jedoch in diesem Rahmen nicht geleistet werden kann. »
  14. Nr. 462, 466, 476, 489, 531»
  15. Nr. 908, 917, 924, 1047, 1052, 1086, 1126»
  16. Nr. 770, 774, 807, 808, 824, 825, 864, 989 (Schwan); Nr. 880, 1034 (Buno). »
  17. Nr. 528, 547, 846, 852, 750, 765?. »
  18. Nr. 520, 522, 528, 529, 535, 538, 544, 547 (Epitaph), 550, 553, 557, 589»
  19. Nr. 588, 597, 621, 648, 650, 656, 660, 663, 675, 711»
  20. Nr. 587, 611, 620, 648, 650, 660, 675, 711, 749, 759, 766, 768»
  21. Vgl. DI 32 (Einbeck), Nr. 92, 96–98. »
  22. Die Terminologie folgt dem im Band DI 36 (Stadt Hannover), S. XXIIIXXIV, Dargelegten. Die Grabplatte steht immer in enger Beziehung zum Begräbnisort und diente zur Abdeckung des Grabes. Das Epitaph ist dagegen ebenso wie der Totenschild nicht an den Begräbnisplatz gebunden und wird häufig zusätzlich zur Grabplatte errichtet. »
  23. Sammlung Sack, Nr. 135, p. 4. »
  24. DI 28 (Hameln), DI 36 (Stadt Hannover), DI 45 (Goslar). »
  25. Zu en Fachwerkhäusern und zum Formular der vorreformatorischen Hausinschriften in Braunschweig vgl. DI 35 (Stadt Braunschweig 1), S. XLXLII u. S. XLVIXLIX»
  26. Am Fall der älteren Braunschweiger Hausinschriften zeigt sich auch, daß eine generell in einen Anhang verschobene unkommentierteWiedergabe von Jahreszahlen nicht immer sinnvoll ist, da auch die Ziffern eines Baudatums epigraphisch von Bedeutung sein können, wenn sie so kunstvoll ausgeführt sind wie in Braunschweig. »
  27. DI 35 (Stadt Braunschweig 1), Nr. 361 u. 363»
  28. Inschriftensammlung Hildesheim, AdW Göttingen, Arbeitsstelle der Inschriftenkommission. »
  29. Um den Gründen für diesen interessanten Umstand auf die Spur zu kommen, bedürfte es einer genauen flächendeckenden Untersuchung über die Bautätigkeit in Braunschweig im 16. und 17. Jahrhundert. Die Vorussetzungen dazu wären dank den in der Sammlung Sack, Nr. 80, und im Steinackerschen Häuserkatalog verzeichneten Baudaten der Häuser gegeben, die Arbeit kann in diesem Zusammenhang jedoch nicht geleistet werden. »
  30. Spieß, Geschichte, S. 344. Fuhse, Handwerksaltertümer, S. 344. »
  31. Fuhse, ebd. »
  32. DI 36 (Stadt Hannover), S. XXVIf. »
  33. Vgl. ebd., S. XXVII. »
  34. Vgl. u. a. Hans Teske, Das Eindringen der hochdeutschen Schriftsprache in Lüneburg. Halle 1927. Dieter Möhn, Deutsche Stadt und Niederdeutsche Sprache. In: Niederdeutsches Jahrbuch 96, 1973, S. 111–126. Christian Fischer, Die Stadtsprache von Soest im 16. und 17. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien 1998 (Niederdeutsche Studien 43). »
  35. Artur Gabrielsson, Das Eindringen der hochdeutschen Sprache in die Schulen Norddeutschlands im 16. und 17. Jahrhundert, in: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 58/59, 1932/33, S. 1–79, hier bes. S. 44–50. Gabrielsson (S. 47f.) vermerkt: „Die Unterrichtssprache aber bleibt bis gegen Ende des Jahrhunderts niederdeutsch und es ist bezeichnend für die besonderen Verhältnisse in Braunschweig, daß auch jetzt der Anstoß zu endgültigen Aufnahme des Hochdeutschen nicht etwa vom Rat oder von den Lehrern, sondern von der Geistlichkeit ausgeht.“ »