Die Inschriften der Stadt Bonn

3. Die Quellen der nicht-originalen Überlieferung

Eine gezielte Zusammenstellung von Inschriften – ob unter stadtgeschichtlichen, genealogischen oder heraldischen Aspekten –, wie sie andernorts seit dem 17. Jahrhundert angelegt wurde,53) ist für Bonn nie erfolgt, und die beiden umfangreichsten Sammlungen niederrheinischer bzw. kölnischer Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts nehmen von den Bonner Inschriften kaum Notiz. In den „Farragines“ der Brüder Johann (1585–1631) und Ägidius (1595–1656) Gelenius54) wird nur die Weiheinschrift der Schwarzrheindorfer Doppelkirche zitiert (Nr. 21). Der jülisch-bergische Archivar Johann Gottfried von Redinghoven (1628–1704) berücksichtigt in seiner 73 Foliobände umfassenden Sammlung niederrheinischer Quellen55) lediglich zwei Inschriften aus dem Bonner Bereich, nämlich die Inschrift auf der Tumba des Kölner Erzbischofs Siegfried von Westerburg (Nr. 31) und die Grabinschrift der Gründer des Kanonissenstiftes Vilich, Megingoz und Gerberga (Nr. 1), wobei er sich für letztere auf die „Beschreibung Gelderns“ eines nicht mehr nachweisbaren Growelius stützt (siehe dazu Nr. 1, Anm. 2).

Auch in anderen niederrheinischen Sammlungen historischer Nachrichten und Quellenabschriften oder in stadtgeschichtlichen Werken finden Bonner Inschriften nur vereinzelt Berücksichtigung. Die [Druckseite XIX] Quellensammlung des Kölner Ratsherrn und „Antiquars“ Johann Helman (um 1520–1579)56) hat Eingang gefunden in eine Sammelhandschrift, die ihrerseits als eines von 79 Stücken Teil eines sehr umfangreichen Sammelbandes ist.57) Auf den Seiten 51 bis 72 der Handschrift bietet Helman vorwiegend Abschriften früher Bonner Urkunden, jedoch auch einige heute verlorene Inschriften aus der Münsterkirche,58) der Pfarrkirche St. Martin (Nrn. 12, 13) und dem Kanonissenstift Vilich (Nr. 1). Dabei wechselt er zwischen einer reinen Textwiedergabe ohne graphische Genauigkeit und einer um Schrifttreue bemühten zeichnerischen Wiedergabe der Inschriften und ihrer Träger. Letztere ist dann feststellbar, wenn der Träger nur fragmentarisch erhalten und die Inschrift für Helman deshalb unvollständig lesbar war. In einem Fall ist ein Vergleich der Helmanschen Überlieferung mit dem Original möglich (Nr. 11), in einem weiteren zumindest mit einer Lesung durch Pick (Nr. 20). Daraus ergibt sich, daß Helman offenbar – zumindest was seine Nachzeichnungen betrifft – als zuverlässige Quelle einzuschätzen ist. Der Dechant des Cassiusstiftes Adolf Sigismund Burman († 1701)59) arbeitet zwölf Inschriften (von denen neun heute verloren sind) überwiegend aus dem Bereich des Münsters in das letzte Kapitel seiner „Historia universalis de Ubiorum ara seu Bonna“ ein, das eine Beschreibung der Bonner Kirchen enthält.60) Neben den ihm aus eigener Ansicht bekannten Inschriften überliefert er einige, die zu seiner Zeit bereits nicht mehr existierten und benutzt dabei – stets mit der entsprechenden Quellenangabe – heute nicht mehr greifbare Aufzeichnungen des Simon von Ahrweiler, von ca. 1455 bis 1485 Kanoniker des Cassiusstiftes.61) Burman bietet reine Textwiedergaben in normalisierter Orthographie und Interpunktion, die keine Rückschlüsse auf die Schriftgestaltung zulassen, aber als zuverlässige Textüberlieferung gelten können. Der Kanoniker Bartholomäus Joseph Blasius Alfter (1729–1808) hat in seiner umfangreichen Sammlung die „Inscriptiones, Epitaphia, Monumenta Sepulcralia, quae in locis et Ecclesiis Archidioecesis Coloniensis olim legebantur aut adhuc extant“ zusammengetragen, also im ganzen Bereich der Erzdiözese Köln gesammelt.62) Für Bonn berücksichtigt er lediglich einige der bekannteren und häufiger überlieferten Inschriften, nämlich die Grabschriften der Kölner Erzbischöfe Siegfried von Westerburg (Nr. 31), Engelbert von Falkenburg (Nr. 41) und Ruprecht von der Pfalz (Nr. 50), einige wenige Inschriften zu Gerhard von Are (Nrn. 17, 19) und den Patronen des Cassiusstiftes (Nr. 6) sowie das häufig überlieferte Städtelob „Bonna solum felix ...“ (Nr. 71) und beide Inschriften auf der Steinplatte von der Godesburg (Nr. 29). Dazu bietet er als einziger die Grabschrift für Propst Heinrich von Nassau (Nr. 48). Einige dieser Inschriften sind in normalisierter Schreibweise wiedergegeben, andere in einer Majuskelschrift mit einigen runden Buchstabenformen, die an eine romanische Majuskel erinnern. Daß diese scheinbar graphisch genaue Darbietung des Textes unzuverlässig ist, kann man dem Vergleich seiner Wiedergabe der Inschrift auf der Tumbendeckplatte für Engelbert von Falkenburg mit dem Original entnehmen: Tatsächlich ist die Inschrift nicht in Majuskeln, sondern in gotischer Minuskel und Fraktur ausgeführt. Der Text selbst ist jedoch, wie der Vergleich mit den noch vorhandenen Originalen ergibt, im wesentlichen zuverlässig überliefert. Fragwürdig ist lediglich seine Wiedergabe der Grabinschrift Gerhards von Are (Nr. 19), die allerdings in allen Quellen problematisch überliefert ist. Alfters Auswahl an Inschriften deckt sich weitgehend mit der des Freiherrn von Hüpsch in dessen 1801 gedruckter Sammlung.63) Diese Übereinstimmungen sind kein Zufall, da beide in ihren Sammlungen auf die Aufzeichnungen des anderen Bezug nehmen. Hüpsch nennt als Anstoß zu seiner Inschriftensammlung den Wunsch, das Andenken berühmter Männer zu erhalten und die Inschriften vor dem Untergang zu retten. Dementsprechend begrenzt er seine Auswahl auf „Inschriften von verdienten Männern, von berühmten Gelehrten und Künstlern“ sowie einige Inschriften, die „historische Thatsachen bestätigen“.64) Auch [Druckseite XX] Hüpsch ist hinsichtlich der Textwiedergabe als im allgemeinen zuverlässig einzuschätzen. Eine Ende des 16. Jahrhunderts angelegte Akte des Bestandes St. Cassius mit dem Titel „Specificatio ornamentorum et pecuniarum in subsidium depravatae et conflagratae ecclesiae Bonnensis ...“65) beinhaltet auf den letzten Seiten von einer Hand des 18. Jahrhunderts eine Zusammenstellung von acht Inschriften aus dem Bereich des Münsters. Neben den Inschriften auf den erzbischöflichen Grabdenkmälern,66) den auch bei Alfter und Hüpsch überlieferten Inschriften für Gerhard von Are (Nrn. 17, 19) und der Grabinschrift für den Goldschmied Heinrich (Nr. 23) umfaßt die Auswahl auch den Gedenkstein für Rupert von der Linde (Nr. 35) und bietet als einzige Quelle eine heute verlorene Memorialinschrift für den Propst Jakob von Croy (Nr. 63). Die Textwiedergabe stimmt weitgehend mit den übrigen Überlieferungen bzw. mit dem Original überein.

Allen erwähnten Überlieferungen von Inschriften ist gemeinsam, daß die Textwiedergabe im Mittelpunkt steht, während die Disposition der Inschrift am Träger und die Ausführung der Buchstaben mit Ausnahme der oben für Helman angegeben Fälle unberücksichtigt bleibt bzw. unzuverlässig überliefert wird.

Erst die Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts bemüht sich gelegentlich um eine detailgetreue Wiedergabe der Schrift, zuweilen unter Rückgriff auf ältere Zeichnungen. Kraus und Clemen verwenden für ihre Publikationen u. a. Zeichnungen J. M. Laporteries aus dem Jahre 1788, die heute nicht mehr auffindbar sind. Kraus gibt an, er habe sie Ende der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts dem Verein der Altertumsfreunde im Rheinland überlassen,67) Clemen vermerkt ihre Aufbewahrung im Denkmälerarchiv der Rheinprovinz.68) Die Federzeichnungen geben einen Eindruck von der Gestaltung dreier verlorener Denkmäler, nämlich der Tumbendeckplatte für Gerhard von Are (Nr. 19), der Grabplatte für den Goldschmied Heinrich (Nr. 23) und des sog. Memoriensteins für Herezo (Nr. 24). Laporterie hat sich offensichtlich um eine paläographisch genaue Darbietung der Inschriften bemüht, deren Übereinstimmung mit dem Original zwar nicht überprüft werden kann, die schriftgeschichtlich aber stimmig ist. Franz Xaver Kraus bietet in seiner Sammlung „Die christlichen Inschriften der Rheinlande“ (1890–1894) eine zuverlässige Textüberlieferung einer Reihe hochmittelalterlicher Inschriften aus Bonn, Dottendorf, Bad Godesberg, Schwarzrheindorf und Vilich und bemüht sich dabei um eine paläographisch annähernd korrekte Wiedergabe des Schriftbildes.69) Eine Vielzahl von Inschriften überliefert der von Paul Clemen bearbeitete Band der „Kunstdenkmäler der Stadt und des Kreises Bonn“ (1905). Er stützt sich dabei häufig nicht auf eigene Anschauung, sondern übernimmt ältere Publikationen ungeprüft. Inschriften werden grundsätzlich in Majuskeln wiedergegeben, ein Rückschluß auf die Schriftform ist daher nicht möglich.70) Im Jahre 1869 hat Richard Pick in der Bonner Zeitung eine Serie von Artikeln zur Geschichte des Bonner Münsters veröffentlicht, in denen er zahlreiche Inschriften vom Hochmittelalter bis ins 18. Jahrhundert zuverlässig wiedergibt, übersetzt und um knappe Informationen zur Geschichte des Trägers ergänzt.71) Er unterscheidet zwar zwischen Majuskel- und Minuskelbuchstaben, strebt aber ansonsten keine paläographische Genauigkeit an.

Zitationshinweis:

DI 50, Bonn, Einleitung, 3. Die Quellen der nicht-originalen Überlieferung (Helga Giersiepen), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di050d004e002.

  1. Vgl. etwa die Heidelberger Sammlung des Adamus (DI XII [Heidelberg], S. XVII), die Nürnberger Sammlung Rötenbecks (DI XIII [Nürnberg]), S. XIII ff.) und die Sammlungen Mainzer Inschriften von Heimbach, Helwich, Gudenus und Würdtwein (DI II [Mainz], S. 18 ff.). Zu Helwich siehe R. Fuchs, Georg Helwich – zur Arbeitsweise eines Inschriftensammlers des 17. Jh., in: Deutsche Inschriften. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik Worms 1986, Vorträge und Berichte, hrsg. v. H. Zimmermann, Stuttgart 1987, S. 73–99. »
  2. HAStK, Best. 1039; zu den Gebrüdern Gelenius siehe A. Franzen in NDB 6, S. 173 f. und L. Ennen in ADB 8, S. 534–537. »
  3. BSBM, Cod. germ 2213. Zu Redinghoven siehe Harleß in ADB 27, S. 535 ff. »
  4. Zu ihm siehe L. Ennen in ADB 11, S. 700 f. »
  5. Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle (Saale), 78 in Yd 2° 39. Zu dieser Handschrift siehe O. Hartwig, Handschriftliches, in: NA 8, 1883, S. 381–383; M. Perlbach, Aus einem verlorenen Codex traditionum der Bonner Münsterkirche St. Cassius und Florentius, in: NA 13, 1888, S. 145–170; W. Levison, Die Bonner Urkunden des frühen Mittelalters, in: BJbb. 136/137, 1932, S. 217–270. »
  6. Nrn. 20, 39, 80»
  7. Burman ist seit 1656 als Kanoniker, seit 1683 als Dechant des Cassiusstiftes nachweisbar. Er bekleidete zudem das Amt eines kurfürstlichen Rates und Archivars (Höroldt, St. Cassius, S. 218). »
  8. StA Bonn, Hs. I i 11. Es handelt sich um eine Abschrift aus dem 19. Jahrhundert, das Original ist verloren (Clemen, KDM, S. 53).  »
  9. Höroldt, St. Cassius, S. 261. »
  10. HAStK, Bestand 1001. Zu Alfter vgl. R. Haaß in NDB 1, S. 199; E. von Oidtman, Die Sammlung des Kanonikus Bartholomäus Joseph Blasius Alfter, † Köln 1808, in: MWGFK II, 1920, Nr. 7, S. 193–197; Nr. 8, S. 225–233.  »
  11. J. W. C. A. Frhr. von Hüpsch, Epigrammatographie oder Sammlung von Inschriften der ältern, mittlern und neueren Zeiten der Niederdeutschen Provinzen, darunter die mehresten ungedruckt sind, Köln 1801. Zu Hüpsch siehe J. J. Merlo in ADB 13, S. 427 f. und H. Knaus in NDB 9, S. 743 f. »
  12. Hüpsch, Epigrammatographie I, Sp. 9. »
  13. HStAD, Cassiusstift, A. 16. »
  14. Nrn. 31, 39, 50»
  15. Kraus II, S. 236, Nr. 508. »
  16. KDM, S. 90. »
  17. Kraus II, Nrn. 501–511, 513–514. Unter Nr. 512 führt er einen Ring aus dem Provinzialmuseum (dem heutigen Rheinischen Landesmuseum) an, für dessen Herkunft aus Bonn es keine Indizien gibt. »
  18. Zur Überlieferung der Inschriften auf den Wand- und Gewölbemalereien in Schwarzrheindorf bei aus’m Weerth und Clemen vgl. Nrn. 15, 22»
  19. Bonner Zeitung 1869, Nrn. 52, 54, 65, 67, 79, 80, 92, 93, 164, 168, 173, 174»